Für Kate Armstrong war die Küche keine Arbeitsstätte, sondern eine Festung. In ihrem Restaurant, dem „22 Bleecker“ in Manhattan, herrschten Präzision, Stille und absolute Kontrolle. Kunden waren in Kates Augen keine Könige, sondern glückliche Empfänger ihrer Kunst – solange sie schwiegen und aßen.
An einem hektischen Montagabend wagte es ein Gast, sich zu beschweren: Sein Filet Mignon sei nicht blutig genug. Kates Augen verengten sich. Ohne ein Wort zu sagen, griff sie nach einem Stück rohem Rindfleisch, spießte es auf eine Gabel und stürmte in den Speisesaal. Mit flammendem Blick knallte sie das blutige Fleisch auf den Tisch des Gastes. „Ist das blutig genug für Sie?“, fauchte sie. Paula, die Besitzerin des Restaurants, eilte herbei, entschuldigte sich hastig und bat Kate, die Tischdecke zu wechseln. Das war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte. Doch Paula wusste: Sie konnte Kate nicht feuern. Kate war ein kulinarisches Genie, eine Meisterin der Aromen, deren Perfektionismus dem Restaurant Millionen einbrachte. Ohne sie würde der Laden stillstehen.
Doch das Leben hält sich selten an Rezepte.
Mitten im Mittagsgeschäft klingelte das Telefon. Eine Nachricht, die Kates sorgfältig geordnete Welt in Scherben schlug: Ihre Schwester Christine war bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Kate raste ins Krankenhaus, doch sie kam zu spät. Christine war fort. Zurück blieb nur Zoe, Kates neunjährige Nichte, die allein und traumatisiert im Krankenhausbett lag. Als Zoe die Wahrheit erfuhr, brachen die Tränen aus ihr heraus wie Perlen einer gerissenen Kette. Und selbst Kate, die Frau aus Eis, weinte.
Christine hatte in ihrem Testament verfügt, dass Kate sich um Zoe kümmern sollte. „Du bist die Einzige, die ihr ein Zuhause geben kann“, hatte sie geschrieben. Kate, die kaum wusste, wie man eine Umarmung gibt, geschweige denn ein Kind großzieht, stand vor der größten Herausforderung ihres Lebens.
Paula zwang Kate zu einer Woche Zwangsurlaub. „Nimm das Kind, geh nach Hause, finde dich“, sagte sie und schob Kate sanft in den Kühlraum, um sie abzukühlen.
Zu Hause war die Stimmung erdrückend. Zoe war wie ein Vogel mit gebrochenen Flügeln. Sie sprach nicht, sie lachte nicht, und schlimmer noch: Sie aß nicht. Kate kochte Seezunge in Safran-Sauce, Trüffel-Risotto, Wachtelbrust – doch Zoe rührte nichts an. Sie wollte Fischstäbchen. Kate, die sich erinnerte, wie sie und Christine in ihrer schweren Kindheit von Fertiggerichten gelebt hatten, weigerte sich strikt. Sie wollte für Zoe etwas Besseres. Aber Zoe zog sich stumm in ihr Zimmer zurück.
Als die Woche vorbei war, kehrte Kate in ihre Küche zurück – ihren Zufluchtsort. Doch als sie die Tür öffnete, traute sie ihren Augen nicht. Aus dem Lautsprecher dröhnte laute Opernmusik. Die Köche lachten und sangen mit. Und mitten im Chaos stand ein Mann, den sie noch nie gesehen hatte. Er trug bunte Hosen, tanzte beim Schneiden von Zwiebeln und lachte laut.
Nick Palmer. Paula hatte ihn als neuen Sous-Chef eingestellt. Er war das genaue Gegenteil von Kate: chaotisch, lebensfroh, spontan und – wie Kate zähneknirschend zugeben musste – brillant. Er war ein aufsteigender Stern am New Yorker Kochhimmel, und er brachte Leben in Kates sterile Küche.
Kate hasste ihn sofort. Sie zog eine imaginäre Linie durch die Küche. „Das ist meine Seite, das ist deine“, blaffte sie ihn an. Doch Nick ließ sich nicht abschrecken. Er war fasziniert von der kühlen, unnahbaren Chefköchin. Er versuchte, ihr sein spezielles Pasta-Gericht anzubieten, doch sie lehnte ab. „Ich esse keinen Lunch“, sagte sie kalt.
Der Krieg in der Küche eskalierte, als Kate Zoe eines Nachmittags mit zur Arbeit bringen musste, weil der Babysitter abgesagt hatte. Zoe saß lustlos auf einem Hocker und starrte Löcher in die Luft. Nick sah das Mädchen. Er sagte kein Wort, nahm aber eine Schüssel frisch gekochter Spaghetti mit Basilikum-Tomaten-Sauce. Er setzte sich neben Zoe und begann, genüsslich zu essen, ohne sie zu beachten. Der Duft war unwiderstehlich. „Kannst du kurz aufpassen?“, fragte Nick und ließ die Schüssel stehen. Zoe zögerte, dann nahm sie eine Gabel. Dann noch eine. Als Kate zurückkam, sah sie ihre Nichte zum ersten Mal seit dem Unfall essen – und lächeln. Nick hatte geschafft, woran Kate gescheitert war.