Das Klassenzimmer war in den üblichen Lärm getaucht. Kratzende Stühle, lautes Kinderlachen, das eilige Geräusch von Stiften. Doch inmitten dieses Chaos gab es eine Szene, die nicht passte. Maria, das Mädchen, das nie die Aufmerksamkeit auf sich zog, rutschte auf ihrem Stuhl herum, als wäre sie gefangen. Es war keine kindliche Unruhe, es war Unbehagen.
Als die Lehrerin Erica sie bat, ihre Aufgaben abzugeben, brauchte Maria länger als alle anderen. Sie stand mühsam auf, humpelte. Das ungleichmäßige Geräusch ihres Schuhs auf dem Boden hallte in Ericas Kopf wie ein Alarm wider. „Maria, ist alles in Ordnung?“, fragte Erica.
Das Mädchen holte tief Luft, als ob sie Mut sammelte, aber sie beendete ihre Antwort nicht. „Es tut mir leid, Lehrerin.“ In diesem Moment brach ihr Körper zusammen.
Erica rannte los und fing sie auf, bevor sie auf den Boden aufschlug. In den Armen der Lehrerin wirkte Maria zu klein, zu leicht. Ihr Gesicht war weiß, ihre Lippen farblos. „Hilfe!“, rief Erica.
Auf der Krankenstation öffnete Maria langsam die Augen. Ihr Blick war verloren. Als die Krankenschwester den Blutdruckmesser anlegte, entkam dem Mädchen ein Satz. Schwach, aber klar genug, um Erica wie ein Schlag zu treffen.
„Papi sagte, es würde nicht wehtun. Aber es tut weh.“
Erica erstarrte. Das war keine einfache Krankheit. Hier lag ein verborgener Schmerz, eine Wahrheit, die unter Angst begraben war. „Was tut weh, Schatz?“ Marias Finger krallten sich in das Laken. Ihr Schweigen schrie lauter als jedes Wort.
Am Ende des Schultages wiederholte sich die Szene der Isolation. Während andere Kinder lachten, saß Maria allein auf einer Steinbank und starrte auf das Tor. Sie spielte nicht. Sie wartete nur.
Dann kam er. Ein schwarzes Auto, glänzend, hielt vor dem Tor. Der Kontrast war brutal. Die Tür öffnete sich und Jonas stieg aus. Tadelloses Hemd, unaufgeregter Schritt. Ein Mann, der alles unter Kontrolle zu haben schien. „Guten Tag, Professor Erica“, sagte er, als folge er einem Protokoll. „Ich hörte, es gab einen Schreck.“
Erica atmete tief ein. Sie blickte auf Maria, die sich beim Näherkommen ihres Vaters unwillkürlich duckte. „Guten Tag, Herr Jonas. Wir müssen reden.“
Er behielt sein höfliches, aber leeres Lächeln bei. „Das habe ich Ihnen schon am Telefon gesagt, Lehrerin. Es ist alles unter Kontrolle.“
„Bei allem Respekt, das sieht nicht so aus“, erwiderte Erica. „Ihre Tochter ist ohnmächtig geworden und hat über Schmerzen geklagt. Sie muss untersucht werden.“
Sein Lächeln verschwand. Sein Blick wurde hart. „Die Gesundheit meiner Tochter ist meine Verantwortung. Sie überschreiten Ihre Grenzen.“
Maria, die neben ihm stand, blickte zwischen den beiden hin und her, ein stummer Schrei in ihren Augen. „Komm, Schatz.“ Das Mädchen gehorchte, doch bevor sie ins Auto stieg, drehte sie sich um. Ihr Blick traf Ericas. Es war ein Hilferuf, unmöglich zu ignorieren.
In dieser Nacht hallte der Satz in Ericas Kopf nach: „Papi sagte, es würde nicht wehtun.“
Am nächsten Morgen, noch bevor der Unterricht begann, trat Maria ins Klassenzimmer. Sie stand zu gerade. Ihr Rucksack saß fest, und unter ihrem dicken Hemd zeichnete sich etwas ab. Zwei starre Riemen spannten sich über ihren Rücken. Ihre Bewegungen waren mechanisch, als würde sie von einer unsichtbaren Form zusammengehalten.
Als sie sich bückte, um ihr Heft aufzuheben, hielt sie den Atem an und ihre Hand fuhr zu ihrem Bauch. Erica spürte einen kalten Schauer. Da war ein Gerät, das das Mädchen unter ihrer Kleidung zusammendrückte.
Nach dem Unterricht nahm Erica sie beiseite. „Geht es dir nicht gut? Hast du Schmerzen?“ Maria zögerte, die Augen auf den Boden gerichtet. Schließlich murmelte sie: „Ich muss gerade bleiben, damit Papi nicht traurig wird.“ „Dieses Gerät, hat er dich gebeten, es zu tragen?“ Das Mädchen nickte. „Er sagt, damit ich schön und stark werde.“
Das war keine Fürsorge. Das war Zwang.
In der Mittagspause versuchte Maria, Seil zu springen. Ihr steifer Körper konnte nicht mithalten. Ein einfacher Stolperer, ein harter Sturz. Als Erica zu ihr rannte und diskret ihr Hemd hochzog, keuchte sie.