60 Jahre Rätsel: Wie ein tödlicher Konstruktionsfehler und EINE Granate die unbesiegbare HMS Hood zerrissen

60 Jahre Rätsel: Wie ein tödlicher Konstruktionsfehler und EINE Granate die unbesiegbare HMS Hood zerrissen


Article: 60 Jahre Rätsel: Wie ein tödlicher Konstruktionsfehler und EINE Granate die unbesiegbare HMS Hood zerrissen

Das Grab in der Tiefe: Eine Legende bricht entzwei

Sechzig Jahre lang verbarg der dunkle, kalte Nordatlantik eines der größten und tragischsten Rätsel der Seekriegsgeschichte: das Wrack der HMS Hood. Tief unten, in 2.800 Metern Tiefe in der Dänemarkstraße, herrscht ewiges Schweigen, das nur vom Druck der Tiefe unterbrochen wird. Erst im Jahr 2001, als eine ferngesteuerte Kamera in diese ewige Dunkelheit vordrang, erschien die zerbrochene Hülle eines Mythos auf dem Bildschirm. Die Koordinaten markierten das Ende der jahrzehntelangen Ungewissheit, doch sie warfen neue, schmerzhafte Fragen auf: Was hatte das stolzeste Flaggschiff der Royal Navy, das Symbol des britischen Empires, in nur wenigen überwältigenden Minuten zerrissen?

Zwanzig Jahre lang war die Hood das größte und mächtigste Kriegsschiff der Welt, ein technisches Meisterwerk, gebaut, um unbesiegbar zu sein. Doch am Morgen des 24. Mai 1941, in den eisigen Gewässern des Nordatlantiks, traf eine einzige Granate des deutschen Schlachtschiffs Bismarck das Schiff. Das Unmögliche geschah: Statt eines langsamen Sinkens oder eines verzweifelten Überlebenskampfes folgte eine einzige, alles verzehrende Explosion. Innerhalb von nur vier Minuten war das 47.000 Tonnen schwere Stahlschiff verschwunden. Mit ihm riss es 1415 Männer in die Tiefe. Nur drei entkamen diesem Inferno. Die Frage, welche Kraft ein solches Stahlmonster buchstäblich zerreißen konnte, ließ die Admiralität und Marinehistoriker über sechs Jahrzehnte lang nicht los. Die Antwort, so sollte sich zeigen, lag nicht im Zufall, sondern war bereits im Design der Hood selbst angelegt, noch bevor sie das Wasser berührte.

Der Preis der Geschwindigkeit: Ein Kind des vergangenen Krieges

Als die HMS Hood vom Stapel lief, war sie das Sinnbild britischer Macht und Ingenieurskunst. Doch sie war auch ein Kind eines vergangenen Krieges. Während die Hood noch im Bau war, tobte 1916 die Seeschlacht vor dem Skagerrak, bekannt als das Gefecht von Jütland. Diese Schlacht enthüllte gravierende Schwächen in der britischen Schiffsbauphilosophie, insbesondere bei den Schlachtkreuzern: Zu wenig Schutz für die empfindlichen Munitionsmagazine und ein zu großes Vertrauen in die überlegene Geschwindigkeit.

Die Konstrukteure reagierten. Sie verstärkten Panzerplatten, legten dickere Stahlgürtel um die verwundbaren Bereiche und verstärkten die Decks. Doch diese Anpassungen wurden ohne eine vollständige Neukonstruktion vorgenommen. Was dabei herauskam, war ein Kompromiss, der sich als tödlich erweisen sollte. Der zusätzliche Schutz bedeutete mehr Gewicht, wodurch die Bugpartie tiefer im Wasser lag. Dies beeinträchtigte nicht nur Reichweite und Stabilität, sondern führte vor allem zu einer ungleichmäßigen Verstärkung.

Über den Munitionskammern lagen zwar dicke Panzerplatten, doch anderswo blieb die horizontale Panzerung, insbesondere auf dem Hauptdeck, erschreckend dünn, teils nur wenige Zentimeter stark. Es blieb ein schmaler, aber fataler Weg, auf dem eine steil fallende Granate den empfindlichsten Punkt – die Magazine – treffen konnte.

Gebaut für gestern: Die fatale Verwundbarkeit

Die Seekriegsführung hatte sich bis 1941 radikal verändert. Gefechte wurden nun auf immer größere Distanzen geführt – 16.000, 18.000 Yards und mehr. Auf diese Entfernungen flogen die schweren Granaten in hohen Bögen und trafen ihr Ziel von oben. Marineexperten bezeichnen dies als Plunging Fire. Die Hood hingegen war für den Nahkampf gebaut, für flache Flugbahnen und seitliches Feuer. Gegen horizontale Treffer war sie nahezu perfekt geschützt. Ihre dünne horizontale Deckpanzerung jedoch machte sie gegen Angriffe aus der Höhe extrem verletzlich.

Tests mit 15-Zoll-Granaten hatten schon lange vor 1941 die Möglichkeit eines Durchschlags durch den mittleren Gürtel und die geneigte Deckpanzerung aufgezeigt. Obwohl später noch zusätzliche Platten eingebaut und Nebenkanonen zur Gewichtsersparnis entfernt wurden, wurden die ursprünglich geplanten, entscheidend stärkenden Deckplatten nie realisiert.

Eine umfassende, dringend notwendige Modernisierung war für das Jahr 1941 geplant, die neue Turbinen, stärkere Panzerung und modernisierte Batterien vorsah. Doch der Krieg kam dazwischen. Seit 1939 war die Hood ununterbrochen im Einsatz. Ihre Maschinen waren abgenutzt, ihre Geschwindigkeit sank weit unter die ursprüngliche Spezifikation. Als sie schließlich auslief, um die Bismarck abzufangen, trug sie zwar ihren Ruhm und Stolz, aber auch die tödliche Schwachstelle in ihren Plänen mit sich – eine tickende Zeitbombe aus Stahl.

Die vier Minuten des Infernos: Der letzte Moment der Drehung

Der Morgen des 24. Mai 1941 war grau und eisig. Um 5:52 Uhr eröffnete die Hood das Feuer auf die deutschen Schiffe Bismarck und Prinz Eugen. Acht Minuten dauerte das Gefecht, das zur Legende werden sollte. Als Kapitän Holland die Hood drehte, um die hinteren Türme ins Feuer bringen zu können, zeigte sie ihre empfindlichste Seite – im wörtlichen wie im übertragenen Sinn.

Wenige Augenblicke später traf eine Granate der Prinz Eugen die Mitte des Schiffs und entzündete ein Feuer, das zunächst harmlos schien. Doch dieser Brand verriet die Position. Dann, kurz vor 6:00 Uhr, kam die fünfte Salve der Bismarck. Die Distanz betrug etwa 16.500 Yards. Normalerweise fielen die Granaten in dieser Entfernung noch flach ein, zu flach, um die dicke Deckpanzerung zu durchdringen. Aber es genügte, um die eine fatale Schwachstelle zu finden.

Beobachter an Bord der Prince of Wales sahen die Spritzfontänen der Einschläge, gefolgt von einem gleißenden Feuerstrahl, der aus der Hood schoss – ein Flammenpfeil, der in Sekunden zu einem alles verschlingenden Feuerball wurde. Die Hood war einfach verschwunden. Eine riesige schwarze Rauchwolke bedeckte das Schlachtfeld. Innerhalb von drei Minuten war das größte Kriegsschiff der Weltgeschichte vernichtet. Das Vorschiff ragte noch kurz senkrecht aus dem Rauch, dann verschwand es in der Tiefe. Keine Evakuierung, keine Zeit zum Reagieren. Von 1418 Männern überlebten lediglich drei.

Jahrzehnte der Spekulation: Das Geheimnis des Ozeans

Schon wenige Stunden nach dem Untergang veröffentlichte die Admiralität eine erste Erklärung: Die Hood sei von einer Granate im Munitionslager getroffen und explodiert. Zwei Untersuchungskommissionen wurden einberufen, doch während die erste hastig zum gleichen Schluss kam, konnte die zweite, unter Admiral Harold Walker, die Ursache trotz der Befragung von 17 Zeugen nicht eindeutig bestimmen. Man sprach von einem unglücklichen Treffer.

Doch der Verdacht blieb. Wie konnte ein einziges Geschoss ein so riesiges Schiff in Sekunden zerreißen? Viele Experten bezweifelten, dass die Explosion nur von einem einzelnen Magazin herrühren konnte. Es musste eine Kettenreaktion gegeben haben. Die Theorien spalteten sich: Einige glaubten, eine auf dem Deck gelagerte Torpedowaffe sei getroffen worden und habe als Zünder gewirkt. Andere vermuteten ein inneres Unglück, ein Feuer im 4-Zoll-Geschützbereich, das sich über Munitionsaufzüge in die Hauptmagazine ausbreitete. Die offizielle Version schien zu einfach, zu unwahrscheinlich, und die Zeugenberichte widersprachen sich: Einige sahen eine helle Flamme, andere hörten ein dumpfes Grollen, manche beschrieben eine doppelte Explosion. Ohne das Wrack blieb die Hood eine historische Leinwand für unzählige Hypothesen.

Die forensische Mission: Die Wahrheit kommt ans Licht

Erst Ende der 1990er Jahre, mit dem Aufkommen moderner Sonartechnik, begann eine neue, forensische Phase der Suche. David Mearns, ein erfahrener Wracksucher, leitete das Team. Ihre Mission war keine Schatzjagd, sondern die Suche nach Beweisen. Nach 39 Stunden erfolgloser Suche auf einem Plateau von fast 3.000 Metern Tiefe entdeckten sie plötzlich ein Muster: ein über einen Kilometer langes, chaotisches Feld aus Metallfragmenten. Die Richtung der verstreuten Teile deutete auf eine gewaltige Explosion hin, die das Schiff in Stücke gerissen hatte.

Als das ferngesteuerte Tauchfahrzeug, das ROV, in die Tiefe hinabstieg, tauchten endlich Konturen auf. Das Vorschiff der Hood, erstaunlich gut erhalten und aufrechtstehend. Doch als das ROV weiterfuhr, offenbarte sich das ganze Ausmaß der Zerstörung. Die Mitte des Schiffs, die Bereiche der Maschinenräume und Magazine, war ein zerfetzter, auf den Kopf gestellter Haufen. Das Heck fehlte völlig. Erst Stunden später wurde es Hunderte von Metern entfernt gefunden. Das Wrack bestand aus drei Hauptteilen: Bug, Mittelteil und Heck, getrennt durch gewaltige Distanzen. Eine Torpedodetonation oder ein lokaler Brand konnten eine solche Zerstörung unmöglich verursacht haben. Die Zerstörung musste von innen gekommen sein.

Die schlüssige Rekonstruktion: Das Ende einer Ära

Als die Forscher die Struktur des Hecks genauer untersuchten, fiel ein entscheidendes Detail auf: An der Bruchstelle waren die Stahlplatten nach außen gebogen. Dies ist das klassische und eindeutige Zeichen einer internen Explosion. Der Druck war von innen nach außen entladen worden. Ein weiterer, kleiner, aber entscheidender Fund war das Ruder, das noch fest, um rund 20 Grad nach Backbord, in seiner Position eingeklemmt war. Die Hood explodierte also genau in dem Moment, als sie eine taktische Drehung ausführte und dadurch ihre empfindliche Seite dem Beschuss darbot.

Die Analyse der Wrackteile ermöglichte schließlich eine schlüssige Rekonstruktion: Die Zerstörung konzentrierte sich auf die hinteren Magazine des Hecks. Eine einzige Granate der Bismarck war vermutlich durch das obere, dünn gepanzerte Deck gedrungen und im Bereich des 4-Zoll-Magazins detoniert. Dort entzündete sie das Cordit, den hochexplosiven Treibstoff. Die Flamme raste durch Schächte und Verbindungsgänge nach unten in die großen 15-Zoll-Magazine. Innerhalb eines Wimpernschlags brannte sich eine Kettenreaktion durch das Heck. Die anschließende Explosion war so stark, dass sie die hinteren Geschütztürme aus ihren Sockeln riss und das gesamte Heck förmlich wegsprengte.

Die Wucht der austretenden Gase hob den mittleren Schiffsteil an und warf ihn um, weshalb das Wrack heute kopfüber auf dem Grund liegt. Die Ozeanböden erzählten, was Menschen lange nur vermutet hatten: Die Hood war nicht durch Pech untergegangen, sondern durch ein präzises Zusammenspiel aus Baufehler, Waffenentwicklung und einem verhängnisvollen Trefferwinkel.

Ein stiller Zeuge und das Erbe des Stolzes

Mit dem Fund der Hood endete nicht nur ein Rätsel, sondern auch eine Ära. Für die Familien der 1415 Gefallenen war es, als hätte man endlich einen Grabstein gefunden, 60 Jahre nach dem Untergang. Die britische Regierung erklärte das Wrack im Jahr 2002 zum geschützten Kriegsgrab, einer Ruhestätte, die niemals gestört werden darf.

Der Untergang der Hood beendete die Dominanz der großen Schlachtkreuzer, jener schnellen, eleganten Riesen aus Stahl. Die Zukunft gehörte von nun an den Flugzeugträgern und dem Himmel über den Meeren. Die Hood war ein Symbol für Mut und technische Hybris zugleich – ein Schiff, das größer, schneller und stolzer sein sollte als alle anderen, und gerade dadurch seine Verwundbarkeit erst offenbarte. Heute liegt sie in ewiger Dunkelheit. Ihr Wrack erzählt keine Heldengeschichte, sondern die stärkere Wahrheit: Die Wahrheit über menschliche Grenzen, Fortschritt und Übermut. Sie bleibt ein stiller Zeuge eines Augenblicks, in dem Ruhm und Tragödie untrennbar wurden.

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