Es gibt Momente in der Kriminalgeschichte, die über den eigentlichen Tatbestand hinauswirken. Momente, die wie ein Donnerschlag durch die Öffentlichkeit fahren, die Ermittler ins Wanken bringen und das Vertrauen in die staatliche Präzisionsarbeit zutiefst erschüttern. Ein solcher Moment ist nun im Fall des getöteten achtjährigen Fabian aus Güstrow eingetreten. Vor wenigen Stunden musste die Polizei das Undenkbare zugeben: einen gravierenden, fundamentalen Fehler bei der Spurensicherung am Fundort der Leiche.
Wir sprechen hier nicht über ein organisatorisches Missgeschick oder ein Kommunikationsproblem. Es geht um einen Fehler, der sich wie ein kalter Schatten über die gesamten Ermittlungen legt und das Fundament der kriminalistischen Arbeit selbst infrage stellt: Entscheidende Beweisstücke wurden übersehen. Und der Skandal ist nicht nur, dass sie übersehen wurden, sondern wer sie später fand: Journalisten und Bürger, die zufällig dort waren, wo eigentlich die Profis jeden Quadratzentimeter hätten durchkämmen müssen.
Dieses Eingeständnis wirkt wie ein Schlag ins Gesicht der Angehörigen und erhöht den Druck auf die Behörden ins Unermessliche. Es zwingt zur bitteren Erkenntnis: Der Tatort, der alle Antworten hätte liefern sollen, war nicht so gründlich untersucht, wie man es der Öffentlichkeit glauben ließ.

Die Anatomie des Versagens: Vom Zipper mit dem ‘G’ zum verkohlten Handschuh
Um die emotionale und juristische Schwere dieses Fehlers zu verstehen, muss man die zwei symbolischen Funde betrachten, die nun als Mahnmale für das Ermittlungsversagen stehen. Zwei unscheinbare Gegenstände, die in jedem anderen Mordfall sofort als potenziell relevant erkannt worden wären, hier aber tagelang ungesichert im Gras lagen.
1. Der Zipper-Skandal: Das ignoriert ‘G’
Das erste Beweisstück ist ein weißer Kunststoff-Zipper. Gefunden wurde er nicht etwa von Spurensicherern oder speziell ausgebildeten Forensikern, sondern von Reportern der Bild-Zeitung. Tage nach Fabians Auffinden lagen Journalisten mit ihren Kameras am Fundort, suchten und filmten – und entdeckten plötzlich diesen Reißverschluss, direkt neben der Stelle, an der Fabians Leiche gelegen hatte.
Der Zipper war kein unbedeutender Faden, sondern ein sichtbares Stück Plastik mit dem eingeprägten Buchstaben ‘G’. Diese Tatsache brachte alles ins Wanken, denn die Hauptverdächtige in diesem schrecklichen Fall heißt Gina H..
Die Reaktion der Polizei war das, was viele Experten heute als fahrlässige Ignoranz bezeichnen: Der Zipper wurde nicht gesichert, nicht eingetütet, nicht ins Labor gebracht. Erst als Reporter die Staatsanwaltschaft direkt konfrontierten, kam eine Reaktion, die heute wie ein Mahnen klingt: Der Zipper stamme „wahrscheinlich von einem Schutzanzug der Spurensicherung“. Wahrscheinlich. Ein Wort, das in der Forensik nichts verloren hat, denn jeder Forensiker weiß: Man nimmt alles mit, man testet alles, bevor man etwas ignoriert.
2. Der Handschuh des Täters: Die 100-Meter-Lücke
Der zweite Fund ist noch fataler: ein verkohlter Lederhandschuh. Er lag nicht direkt am Tümpel, aber in einem Radius von etwa 100 Metern – einem Bereich, der bei einem Tötungsdelikt mit Brandlegung zwingend hätte abgesucht werden müssen.
Der Handschuh war eindeutig durch Feuer beschädigt. Er war potenziell direkt mit der Tat verbunden, denn Fabian wurde verbrannt, und Lederhandschuhe schützen vor Hitze und verhindern Fingerabdrücke. Und wer fand ihn? Nicht die Polizei, sondern eine Spaziergängerin, eine Bürgerin, die mit ihrem Hund unterwegs war. Sie übergab ihn an Reporter von RTL, die ihn erst dann an die Polizei weiterreichten.
Die Begründung der Staatsanwaltschaft für diesen Fauxpas war entlarvend: Man suche üblicherweise keinen Bereich von „mehreren hundert Metern“ ab. 100 Meter sind jedoch die Distanz zwischen zwei Straßenecken, ein Radius, in dem jeder Forensiker damit rechnen muss, dass ein Täter Spuren weggeworfen hat. Die fehlende Gitterfeldsuche und die alleinige Verlässlichkeit auf das bloße Auge waren in diesem Fall, der alles andere als Routine war, ein verheerendes Versäumnis.