Das Imperium von Henrik Schwarzburg, Bautycoon und selbsternannter König der Frankfurter Skyline, begann in dem Moment zu zerfallen, als die zwölfjährige Tochter einer Putzfrau wagte, den Mund aufzumachen.
Henrik Schwarzburg lächelte breit, während sein japanischer Gast, Herr Tanaka, bereit war, den Vertrag zu unterzeichnen – ein 500-Millionen-Deal, der sein Imperium für Jahrzehnte sichern sollte. Das Penthaus im 42. Stock war ein Monument aus Glas, Stahl und der lautlosen Überzeugung von Macht.
Doch im Schatten stand Sophie Keller, zwölf Jahre alt, mit einem verblichenen Rucksack. Unsichtbar, genau wie ihre Mutter Helene, die seit Jahren in den Kreisen der Reichen und Rücksichtslosen diente.
Sophie war nur hier, weil Herr Schwarzburg in Panik angerufen hatte. Ein entscheidendes Treffen. Das normale Personal war nicht verfügbar, also griff die Agentur auf Helene zurück. Der versprochene Bonus war ein Tropfen auf den heißen Stein der Schulden, die seit dem Tod von Sophies Vater über ihnen hingen, aber Helene konnte nicht ablehnen.
„Sophie, was hatten wir besprochen?“, flüsterte Helene, als der Aufzug sie lautlos nach oben trug. „Bleib in der Küche. Fasse nichts an. Sprich niemanden an.“ Sophie nickte stumm. In ihrem Rucksack, zwischen Apfel und Wasserflasche, steckte ein zerlesenes Taschenbuch: Japanische Märchen. Ihr Großvater hatte sie gedrängt, die Sprache zu lernen. „Ehre und Pflicht, Sophie“, hatte er immer gesagt. „Sie sind das Fundament, das unsere Zeit verloren hat.“
Als sich die Türen öffneten, verschlug es Sophie die Sprache. Das Penthaus war kein Zuhause. Es war ein Statement. Dann das Klicken von Absätzen. Elena Schwarzburg, Henriks Frau, eine Statue aus Eis. „Sie sind zu spät, Helene“, sagte sie streng. „Zwei Minuten.“ „Verzeihung, Frau Schwarzburg, der Bus…“ „Ausreden.“ Elena winkte ab, Diamantarmbänder klirrten. „Das ist ein 500-Millionen-Deal. Alles muss perfekt sein.“ Ihr Blick fiel auf Sophie. „Die Agentur erwähnte kein Kind.“ „Sie wird keine Umstände machen“, murmelte Helene. „Sorgen Sie dafür“, erwiderte Elena schneidend.
Auf dem Weg in die riesige Küche grinste Presten, der Sohn der Familie, höhnisch vom Ledersofa aus. „Na, Mutter, Babysitterin mitgebracht? Was ist in der Tasche? Malbücher?“ Sophie errötete und verschwand in der Küche. „Ignoriere sie“, flüsterte Helene zitternd. „Wir machen unsere Arbeit. Wir werden bezahlt. Wir gehen.“
Doch als die Türglocke ertönte, begann das Spiel. Henrik Schwarzburg trat Herrn Tanaka mit künstlich breitem Lächeln entgegen. Sophie war nur ein Schatten, doch ihr Blick fiel auf den schweren Ledervertrag auf dem Tisch. Noch ahnte niemand, dass ihre Augen die einzigen waren, die die Wahrheit darin sehen würden.
Das Wohnzimmer füllte sich mit Stimmen. Henrik Schwarzburg sprach laut von Profiten. Herr Tanaka antwortete leise, mit Worten wie Vertrauen und Erbe. Elena Schwarzburg wies auf ein Gemälde. „Ein Richter“, erklärte sie einem japanischen Delegierten herablassend. „Wertvoller als Ihr Auto. Wahrscheinlich wertvoller als Ihr Haus.“ Der Mann nickte höflich, sein Gesicht unbewegt.
Presten versuchte, wichtig zu wirken. Er klopfte einem Assistenten Tanakas rüde auf den Rücken. „Na, freut ihr euch schon auf richtiges Geld mit uns?“, rief er, als spräche er mit Kindern.
Unterdessen bewegte sich Helene mit dem Tablett. Sophie hörte, wie ein Gast zischte: „Schau dir mal ihre Schuhe an.“ Ein höhnisches Kichern folgte. Sophie sah, wie ihre Mutter für einen Moment zusammenzuckte, bevor sie die Maske professioneller Kälte wieder aufsetzte. Ihr Herz tat weh. Ihre Mutter arbeitete härter als jeder, den sie kannte, und diese Leute sahen nur abgetragene Schuhe.
Henrik verlor die Geduld. „Meine Herren!“, rief er zu laut. „Genug geredet. Zahlen sprechen für sich. Wollen wir unterschreiben?“ Er winkte Helene, die Gläser aufzufüllen. Gerade als sie vortrat, stellte Presten sich absichtlich in ihren Weg. Sie stolperte. Ein paar Tropfen Champagner spritzten auf den weißen Seidenteppich. „Pass doch auf!“, fauchte Presten voller Verachtung. „Der Teppich kostet mehr, als du in einem Jahr verdienst!“ Helene wurde kreidebleich. „Es tut mir so leid, Herr Schwarzburg.“ „Ein sehr ungeschickter Unfall“, ergänzte Elena scharf. Sophie ballte die Fäuste. Sie hatte genau gesehen, dass Presten es mit Absicht getan hatte.
Herr Tanaka beobachtete alles, ohne eine Miene zu verziehen. Nur sein Glas stellte er unangerührt zur Seite. Henrik tat, als sei nichts geschehen. Er schlug den Vertrag auf. „Mein Dolmetscher hat den japanischen Text geprüft. Eine perfekte Übersetzung.“ Er schob das Dokument und einen goldenen Füllfederhalter zu Tanaka.
Helene sammelte zitternd leere Gläser ein. Sophie half ihr und stellte ein Tablett neben den Vertrag. Ihr Blick fiel zufällig auf die japanische Seite. Nur ein kurzer Blick, aber die Schriftzeichen waren ihr so vertraut wie ihr eigener Name.
Sie erkannte sofort die entscheidenden Worte. Im Englischen stand etwas von “Neubewertung”. Aber im Japanischen stand es klar und grausam deutlich: Alle Vermögenswerte Tanakas sollten im Falle von Marktschwankungen – irgendwelchen Marktschwankungen – vollständig an Schwarzburg übertragen werden. Totale Kontrolle.
Sophie erstarrte. Ihr Herz raste. Ihre Mutter schickte ihr einen panischen Blick. Geh weg, Sophie, bitte. Presten bemerkte ihr Zögern. „Na, was ist los, kleine Putzfee? Versuchst du, die Erwachsenen-Dokumente zu lesen? Da sind keine Bilder drin.“ „Helene, bring dein Kind aus dem Raum!“, brüllte Henrik. Helene packte Sophies Arm. „Sophie, komm sofort.“ Doch in diesem Moment setzte Herr Tanaka die goldene Feder an.
„Das stimmt nicht, was da steht“, sagte Sophie. Ihre Stimme war ein Flüstern, doch sie hallte wie ein Donnerschlag durch den Raum.