Im eisigen Winter des Jahres 1876, tief in den abgelegenen Mittelgebirgen im Süden Deutschlands, machte ein Arzt aus Bayern eine Entdeckung, die ihn für den Rest seines Lebens verfolgen sollte. Der Mann hieß Dr.
Theodor Brenner, ein gewissenhafter Mediziner, der sein Studium in München und Wien absolviert hatte und seit einigen Jahren als Landarzt in den ländlichen Regionen tätig war. An jenem Januarabend führte ihn eine einsame Fahrt zu einer abgelegenen Hütte, die über 20 Meilen vom nächsten Dorf entfernt lag. Was er dort fand, überschritt jede Vorstellungskraft. Zwischen zerfetzten Decken und sorgfältig versteckten Holzkisten entdeckte er medizinische Aufzeichnungen, die über fünf Generationen hinweg die systematische Verwandtenehe innerhalb einer einzigen Familie dokumentierten. Doch noch schrecklicher war, was er unter den Deelen des Hauses fand. In
geöltes Tuch eingeschlagen lagen die mumifizierten Überreste von sieben Neugeborenen. Alle wiesen identische Missbildungen auf. verkrümmte Wirbelsäulen, deformierte Schädel, verkümmerte Gliedmaßen. In den Augen der eigenen Eltern galten diese Kinder als unwürdig zum Leben.
Die Familie hatte über ein Jahrhundert hinweg eine grausame Tradition gepflegt. Jedes Kind, das mit sichtbaren Fehlbildungen geboren wurde, wurde still und heimlich aus dem Leben genommen, damit die Blutlinie rein bleibe. Dr. Brenner war tief erschüttert. Die Niederschriften, die er fand, deuteten darauf hin, dass es sich nicht bloß um eine absonderliche Verirrung einer einzelnen Familie handelte, sondern um ein durchdachtes, über Generationen verfeinertes Experiment, das von Irland nach Deutschland getragen worden war und schließlich hier in den einsamen Wäldern
des Spessergeführt wurde. Die Geschichte dieser Familie begann nicht im deutschen Mittelgebirge, sondern Jahrzehnte zuvor in den grünen Hügeln der Grafschaft Kork in Irland. Während des harten Winters von 1798 setzte dort der erste verhängnisvolle Schritt ein.
Ein gewisser Fergus Donnelly war davon überzeugt, durch gezielte Zucht eine überlegende Blutlinie zu schaffen. Sein Wahn, den er mit Bibelzitaten und pseudowissenschaftlichen Argumenten untermauerte, fand Nachfolger in seinen Kindern und Enkeln. Als die drohende Entdeckung durch geistliche und Nachbarn immer wahrscheinlicher wurde, flohen die Nachkommen schließlich nach Kontinentaleuropa.
So kam es, dass im Herbst 1874 ein Mann namens Patrick Donnelly mit seiner Frau Bridget und ihren vier überlebenden Kindern in Würzburg erschien. Dort gaben sie sich als irische Flüchtlinge aus, die angeblich der großen Hungersnot entkommen seien. Doch vieles passte nicht ins Bild.
Patrick präsentierte sich als wohlhabender Landwirt, doch seine Hände zeigten keinerlei Schwelen, dafür aber die Tintenspuren eines Mannes, der sein Leben lang Bücher geführt hatte. Bridget wirkte wie eine Frau, die ständig am Rande des Nervenzusammenbruchs stand. klein, schmal, mit eingefallenen Wangen und einer unheimlichen Wachsamkeit gegenüber jedem Fremden.
Sie sprach kaum, hielt ihre Kinder stets dicht bei sich und bezahlte alles ausschließlich mit Goldmünzen, die sie widerwillig und unter Zählen herausgab. Die Familie erwarb ein Stück Land in einem abgelegenen Tal des Spesss, wo die Hänge steil waren und die Wege im Winter unpassierbar. Genau das schien ihr Ziel gewesen zu sein.
Völlige Abgeschiedenheit, fernab jeder neugierigen Augen. Dort errichteten sie ein Blockhaus, befestigten es mit ungewöhnlicher Sorgfalt und legten Vorräte an, als hätten sie Erfahrung mit langen, harten Wintern. Die Nachbarn, die sie nur selten in den Dörfern bei Gemünden oder Lo am Main sahen, bemerkten bald ihre Eigentümlichkeiten. Alle Familienmitglieder sahen sich unheimlich ähnlich.
dieselben blassblauen Augen, die gleichen schmalen Gesichter, die überlangen Finger. Ihre Gespräche, oft auf irisch, drehten sich auffällig häufig um Reinheit der Linie, die Opfer unserer Ahnen und die Stärke des Blutes. Der Postbote, ein gewisser Jakob Hartmann, der einmal im Monat die abgelegenen Gehöfte belieferte, berichtete später, er habe bei den Donnels Sätze gehört wie: “Die Schwachen dürfen nicht bleiben und man muss opfern, damit die Linie stark bleibt.