Die Makabre Geschichte der Familie von Kamper und ihre Verbotenen S3xuellen Praktiken-Teil 1

Der Herbst des Jahres 1847 senkte sich mit einer Kälte über den Rand des bayerischen Waldes, die bis in die Knochen kroch. Eleonore Glaser stieg an der mit Moos überwachsenen Steinforte des Gutes Kamper aus der Postkutsche, die Lederriemen ihres schlichten Reisekoffers fest umklammert.

Zwischen den Eisenstäben der hohen Tore heulte der Wind und mit ihm wehte der säuerliche Atem von torf und feuchten Fichtennadeln herüber und etwas anderes, ein Duft, den sie nicht benennen konnte. Jenseits der Allee ragte das Herrenhaus mit seinem schel gedeckten Dach wie ein dunkler Riegel vor dem bleigrauen Himmel auf.

Die kleinen Fensteraugen unter den Dachgauben wirkten wie misstrausche Blicke, die jeden Schritt maßen. Der Bediente, der sie empfing, war ein magerer Mann mit tiefliegenden Augen und einer Höflichkeit, die an Eis erinnerte. Fräulein Eleonore Glaser nehme ich an, sagte er und verneigte sich kaum merklich. Der Freiherr und die Freifrau von Kamp erwarten sie im großen Salon. Ich ersuche Sie, die Hausregeln mit Stränge zu befolgen.

Ein Frösteln lief Eleonore über den Rücken. Sie hatte die Stelle als Gouvernante aus blaner Not angenommen. Doch etwas in der Luft des Ortes flüsterte ihr, sie möge umkehren, solange es noch ging. Freier Edmund von Kamplofen, ein Mann mittleren Alters mit Aschblonden, schon lichtem Haar und einem Blick von eisigem Blau.

Seine Haltung war untadlich, doch Eleonore bemerkte, wie seine Hände unmerklich zuckten, wenn sie nicht beschäftigt waren. “Fräulein Glaser, wir begehren ihre Dienste dringlich”, begann er ohne Umschweife. “Meine Töchter bedürfen einer Erziehung, die ihrem besonderen Temperament entspricht.” Freifrau Margarete in einen granatroten Samt gefaßt hob den Kopf von ihrer feinen Häkelarbeit.

Ihr bleiches Gesicht und die schmalen Lippen gaben ihr den Ausdruck einer Porzellanpuppe mit feinem Sprung. Sie werden feststellen, Fräulein Glaser, dass wir auf diesem gut sehr konkrete pädagogische Methoden pflegen, flüsterte sie mit kristallklarer Stimme. “Meine Töchter sind empfindsam, sie brauchen Zucht, aber eine zarte.” Bei dem Wort zart lief Eleonora ein kalter Schauder über die Wirbelsäule.

In dem Ton der Freifrau lag eine Andeutung, als spreche sie von Dingen, über die man nur im Flüstern spricht. Die Flammen im Ofen warfen zuckende Schatten über die Gesichter derer von Kamper und gaben ihnen etwas Gespenstisches. Der Freiher trat näher, seine Schritte halten auf dem gebohnerten Pakett. Ich vertraue darauf, daß sie nicht leicht zu erschrecken sind, Fräulein Glaser”, sagte er und nagelte ihren Blick mit dem Seinen fest.

“Meine medizinischen Forschungen führen mich bis Weilen in Grenzgebiete, die die gewöhnliche Gesellschaft zu Meiden pflegt.” Er hielt inne, als wöge er ihre Reaktion. “Die Wissenschaft vom menschlichen Gemüt verlangt mitunter unkonventionelle Wege. Sie verstehen?” Eleonore spürte, wie sich ihr die Kehle zuschnürte und nickte. Sie brauchte diese Anstellung verzweifelt.

Eilige Schritte, eine Tür, die hart ins Schloss fiel. Freifrau Margarete seufzte theatralisch. Victoria, murmelte sie, unsere Erstgeborene, 18 Jahre und von heftigem Wesen. Der Freiherrste den Kiefer zusammen. Seine Knöchel traten weiß hervor, als er die Ofenbank umklammerte. Victoria bedarf besondere Aufmerksamkeit, Fräulein Glaser.

Sie verliert sich zu gern in Gedanken, die einer jungen Dame ihres Standes nicht anstehen. Das Schweigen danach war schwer von Andeutung und Eleonore begann zu ahnen, dass ihre Aufgabe weit mehr als eine gewöhnliche Unterweisung umfassen würde. Die Ahnallerie entlang der Wände schien die Szene mit toten Augen zu betrachten.

Mehrere Rahmen waren mit schwarzem Tuch verhängt, als habe man gewisse Vorfahren den Blick entzogen. “Konstanze und Beatrix lernen sie morgen kennen”, fuhr die Freifrau fort und nahm ihre Häkelarbeit wieder auf. Konstanze zählt 15 Jahre, sie ist äußerst scharfsinnig. Beatrix, unsere Jüngste ist zwölf und noch rein. Gott sei Dank. Das noch rein ließ Eleermals frösteln.

Der Freiherr an dann ein Pult aus dunkler Eiche. und nahm einen Schlüsselbund auf, dessen größter Schlüssel seltsam graviert war. Ihr Zimmer liegt im zweiten Stock, Fräulein Glaser. Sie werden bemerken, dass manche Türen verschlossen bleiben. Er ließ den Schlüssel in der Hand kreisen. Das Metall fing das Ofenlicht. Es handelt sich um meine privaten Arbeitsräume, Orte der Forschung, über die Abwege der menschlichen Seele.

Eleonore schluckte mühsam. Jede Silbe in diesem Haus schien Geheimnisse zu bergen, die sie lieber nicht kannte. Aus dem Standurrgehäuse im Salon schlugen neun tiefe Schläge, die wie Totenglocken durch den Raum rollten. Am folgenden Morgen weckten sie flüsternde Stimmen aus den unteren Stockwerken.

Ihr Dachkammerzimmer war kark, doch sauber. Ein schmales Bett, ein Schrank aus Eiche, ein kleiner Tisch am Fenster. Die schweren Spitzengardinen siebten das Licht, bis eine dämrige Atmosphäre entstand. Das Pakett knarrte. Jede Diele seufzte unter einem unsichtbaren Gewicht.

Draußen lagen verwilderte Gärten, in denen zerbrochene Statuen wie gefallene Wächter zwischen Schlingrosen standen. Auf der Haupttreppe begegnete sie zum ersten Mal Victoria von Kamper. Das Mädchen stand reglos im Flur, in ein schwarzes Kleid gehüllt, das unbarmherzig gegen ihre kränkliche Blässe abstach. Ihr kupferrotes Haar fiel offen über die Schultern und widersetzte sich still den Konventionen.

Aber am meisten beunruhigten Eleonore die Augen. Ein stechendes Grün, das den Bann verbotenen Wissens in sich trug. Zu schwer für 18 Jahre. “Sie sind die neue Gouvernante”, sagte Victoria ohne Einleitung mit einer Stimme, die älter klang als sie war. Ich frage mich, wie lange Sie standhalten. Freifrau Margarete glitt geräuschlos über den Perserteppich heran.

Victoria, unverzüglich in deine Gemächer schnitt sie ihr das Wort ab. Du weißt, dass die morgen dir ohne Vorbereitung verwehrt sind. Victoria senkte den Blick, doch Eleonora sah, wie sich die Fäuste im Stoff des Kleides ballten. “Ja, Mutter”, murmelte sie und hinterließ einen Hauch eines Parfirns in dem Lavendel mit etwas dunklerem, unruhigem Rang.

Im Speisezimmer herrschte gedämpftes Licht. Schwere Samtvorhänge ließen kaum Strahlen hinein. Konstanze saß bereits am Tisch, eine junge Dame mit sauber gestecktem Haselnussbraunem Haar und einem Blick, der alles musterte. Sie hob nicht den Kopf, als Eleonora eintrat, sondern teilte ihr Schinkenscheibchen in Stücke gleicher Größe, eine manische Genauigkeit, die beunruhigte.

“Konstanze, begrüße Fräulein Glaser”, wies die Freifrau an. Konstanze hob lehere Augen, neigte den Kopf und wandte sich wieder ihrem Teller zu. Auf den Händen sah Eleonore feine Narben, als habe sie sich oft verletzt. “Konstanze ist unser kleiner Wächter”, sagte die Freifrau in einem Ton, der milde vorgab und Kälte trug.

“Sie sieht alles, hört alles und schweigt, nicht wahr, Liebes?” Konstanze nickte, ohne aufzublicken. Das Schweigen hat in diesem Hause seinen Wert. Elonor nahm Platz und bemerkte, dass Konstanzes Stuhl mit Lederriemen versehen war, gelöst, doch sichtlich gebraucht. Der Tee schmeckte ungewöhnlich bitter. Vielleicht, dachte sie, war etwas Kräuterhaftes beigemischt.

Aus den Gärten klangen Kinderlachen. Beatrix seufzte die Freifrau. Unser unschuldiges Vögelchen spielt, ehe der Vater seine Vormittagsstunden beginnt. Durch das Fenster sah Eleonora ein Mädchen mit blonden Locken zwischen zerbrochenen Statuen laufen, als jage es unsichtbare Schmetterlinge. Doch auch in der Ferne wirkte ihre Bewegung eigentümlich, zu regelmäßig als Folge sie einem Ritual statt dem freien Spiel.

Acht Schläge der Standuhr ließen die Freifrau erstarren. Die Sitzungen beginnen. Fräulein Glaser, sie begleiten Konstanze in die privaten Lektionen beim Freiherrn. Konstanze erhob sich wie auf stumme Anweisung. Ein feines Zittern lief durch sie. Keine Sorge, lächelte die Freifrau, ohne dass ihre Augen das Lächeln teilten.

Sie beobachten heute nur. Es ist wichtig, unsere Methoden zu verstehen. Eleonora ahnte, dass diese Lektion nichts schulgemäßes bagen. Das Arbeitszimmer des Freiherrn lag im Ostflügel, zu erreichen durch einen schmalen Gang, dessen Wände von Portraits strenger Ahnäumt waren. Konstanze ging mit mechanischem Schritt, als kenne sie diesen Weg seit Jahren.

Pakett schwieg hier, als sei es geölt, um jedes Geräusch zu tilgen. Wandleuchter warfen gelbliche Inseln auf die Wände, in denen die gemalten Gesichter lebendig schienen. Die Tür war massiv, mit Schnitzereien aus Leid und Ektase. Konstanze blieb davor stehen. Ihre Lippen bewegten sich, als bete sie stumm.

“Dreimal klopfen, dann warten”, flüsterte sie. Vater mag keine Unterbrechung. Sie hob die Hand und gab exakt drei gemessene Schläge. Ein Schweigen, so dicht, dass Eleonore das eigene Herz hörte. Dann die Stimme des Freiherrn. Herein. Das Zimmer dahinter war groß wie eine Dorfstube und roch nach Tinte, kaltem Metall und Lavendelöl. Regale trugen Folianten in Latein und Deutsch.

In gläsernden Gefäßen schwebten Substanzen in unheimlichen Farben. Auf dem Schreibtisch ruhten Instrumente, Lederriemen, metallene Vorrichtung und ein aufgeschlagenes Heft in enger Schrift. Der Freiherr stand am Fenster und starrte in den Garten, als verfolge er ein unsichtbares Schauspiel. A. Konstanze und unsere neue Gouvernante. Sie sind bereit, den besonderen Bildungsprozess zu beobachten.

Er fuhr herum, in seinen Augen brannte Fieberglanz. Ich forsche seit Jahren an den Abwegen des weiblichen Gemüts, insbesondere bei jungen Damen. Meine Methoden korrigieren Tendenzen, ehe sie irreparabel werden. Konstanze setzte sich ohne Aufforderung auf einen bestimmten Stuhl, als kenne sie das Ritual. Eleonore sah, wie der frei Riemen anlegte, als sei er ein Arzt in der Sprechstunde.

“Junge Damen sind von Natur aus zu gewissen Unreinheiten des Denkens geneigt”, dozierte er. “Mein Verfahren verknüpft solche Regungen mit unangenehmen Empfindungen, um eine heilsame Abneigung zu schaffen.” Konstanze protestierte nicht, doch ihre Fingerknöchel wurden hell. “Fürchten Sie sich nicht, Fräulein Glaser, das ist wissenschaftlich begründet.

Meine Aufsätze wurden nur noch nicht verstanden. Vater flüsterte Konstanze kaum hörbar. Ich war diese Woche brav. Ich habe die schlechten Gedanken vertrieben. Der Freiherr lächelte. In der Zärtlichkeit seines Ausdrucks lauerte etwas Raubtierhaftes. Ich weiß, mein Kind, doch Wachsamkeit ist ewig. Er wandte sich an Elonor. Achten Sie gut auf alles.

Bald werden Sie ähnliches mit Victoria und Beatrix anwenden. Eleonor fühlte Übelkeit aufsteigen. Der Freiherr nahm ein kleines Metallkästchen, öffnete es und legte feine Nadeln frei, sorgsam sortiert. Die unrechten Gedanken äußern sich durch körperliche Regungen. Ich identifiziere sie und dämpfe sie angemessen.

Seine Hände zitterten nicht aus Scheu, sondern vor gieriger Spannung. Die Schatten der Instrumente tanzten an den Wänden. Die erste Nadel traf Konstanzes Haut. Ein verschlucktes Stöhnen. “Denke an deinen unzemlichen Traum”, murmelte er, damit der Schmerz dich läutert. Konstanzes Züge verzogen sich. Geist und Körperrang. “Sehr gut”, notierte der Freiherr.

“Die Verknüpfung wird gefestigt. Bald wird jeder unziemliche Gedanke automatisch Abscheu hervorrufen. Als die Sitzung endete, löste er die Riemen mit zarter Hand, als bette er sein Kind. Du warst tapfer. In wenigen Monaten wirst du immun sein gegen moralische Abirrung. Elonor sah kleine Blutstropfen am Stoff. Geh und Ruhe.

Kaum war Konstanze fort, wandte er sich strahlend an Elonor. Nun, revolutionär, nicht wahr? Sie rang nach Worten. Es ist gewiss, eigen. Eigen, ja, vor allem wirksam. Er ordnete seine Instrumente. In einigen Tagen beobachten sie Victorias Sitzung. Ihr Fall ist komplex, aber für schwierige Fälle habe ich besondere Techniken entwickelt.

Eleonore taumelte hinaus, wissend, daß sie eine Schwelle überschritten hatte, hinter der die Normalität endete. Als Eleonore das Arbeitszimmer verließ, fühlte sie die kalte Atemluft des Flurs wie eine Hand an ihrem Nacken. Sie ging schneller, als verfolgte sie ein unsichtbarer Blick.

Der bayerische Wald stand als dunkle Fläche hinter den Fenstern und aus den Tiefen der Fichten gelangte ein Geruch von Harz, nassem Stein und etwas bitterem, das sie an allraunenwurzel erinnerte. Im Schneiderzimmer, dessen Tür halb offen stand, hörte sie das leise Kratzen von Garn gegen Stoff. Freifrau Margarete saß am Tisch, sortierte Bänder in den Farben von Blut und Schnee und sprach ohne aufzuschauen.

Fräulein Glaser, Ordnung ist die erste Schwester der Tugend. Die Mädchen gedeihen nur, wenn jede Stunde ihre feste Form hat. Das Wort Stunde fiel wie ein Messerschnitt und Elonore verspürte den Drang, die Uhr zu verstecken. Sie setzte sich entgegen der Einladung nicht, blieb stehen wie eine Schülerin. Heute Nachmittag, fuhr die Freifrau fort, werden sie Victoria mit Lektüre vertraut machen, die ihren Geist zügelt.

Sie lesen aus den Predigten eines Benediktiners, der in Regensburg gelebt hat, und entschließend üben sie Stille. Beim Klang des Wortes Stille schwang etwas Ritualhaftes mit, als wäre Schweigen hier ein sakramentales Werkzeug.

Im Speisezimmer roch es nach geröstetem Roggenbrot, nach Butter und dem Hauch von Kümmel aus einer Suppe, die auf dem Kachelofen warm gehalten wurde. Konstanze saß wieder dort, das Messer in derselben Haltung, doch ihre Finger zuckten. Eleonor setzte sich an den Tisch und sprach mit absichtsvoller Sanftheit: “Was beobachtest du, Konstanze?” Die Antwort kam abgehackt. Alles.

Eleonore nickte. “Und was fühlst du? Langes Schweigen, dann ein Wort: Nichts. Dieses Nichts fühlte sich an wie ein Abgrund. Beatrix kam herein, hell wie ein verhangener Morgen, mit einem Kleid, dessen weiß jede unvermeidliche Spur des Gartens verriet. Sie setzte sich und die Tasse klapperte leicht an der Untertasse.

Beatrix, sagte Eleonore weich, was hast du im Garten gesehen? Schmetterlinge, die keine Schatten werfen, murmelte die Kleine und hob die Augen, als suche sie Schutz in Eleonor Blick. Freifrau Margarete stellte die Terine ab. Das feine Porzellan sang ein kaum hörbares Klirren. Beatrix lernt noch zwischen Bildern des Geistes und Wirklichkeit zu unterscheiden.

Der Satz landete wie eine Nadel. Eleonore trank von der Suppe, schmeckte das Bittere wieder und dachte an Kräuter, die nicht für Kinder bestimmt waren. Später, als der Mittag wie ein gläser Deckel auf dem Gut lag, führte sie Victoria in die Bibliothek. Der Raum roch nach Leder, Staub und einem Beiklang, den Eleonore nur als kaltes Metall beschreiben konnte.

Sie wählte eine Predigt über Gehorsam, lassam und Victoria hörte scheinbar aufmerksam zu, die Hände gefaltet, der Blick jedoch fern. Nach einigen Seiten schloss Elonore das Buch. Victoria, sprich. Was hörst du, wenn du nicht auf die Worte achtest? Ein schmaler Zug zeichnete Victorias Mund. Ich höre den Wald, Fräulein Glaser.

Er atmet durch die Fugen des Hauses und ich höre Vater, wenn er glaubt, dass niemand ihn hört. Er spricht Latein mit einer Stimme, die nicht ganz seine ist. Eleonore blieb ruhig. Gehst du nachts? Die Antwort war ebenso ruhig. Manchmal, wenn die Glocke in der Kapelle zweimal schlägt, aber die Standuhr nur einmal, weiß ich, dass die Türen nach unten nicht verriegelt sind.

Eleonore prüfte ihre Worte, buck die Zeit in ihrem Kopf zu einer Folge ohne Ziffern und merkte sich die Zeichen, die das Kind nannte. “Du hast Spuren an den Armen”, sagte sie schließlich und machte die Stimme zum Mantel. Victoria sah sie an lange, dann hob sie den Ärmel. Feine Linien, sauber wie Schriften, zogen über die Haut. “Man lernt nicht mehr mit dem Mund zu schreien”, sagte sie. Man läßt es die Haut tun, so hören sie schneller auf.

Eleonore spürte ein Stechen hinter den Augen, doch sie zwang die Tränen zurück. Mitleid war hier wie eine Laterne im Nebel, sichtbar, aber nutzlos. Am späten Nachmittag rief der Freih sie in den Orangerieflügel. Zwischen kalten Zitronenbäumen und den Schlieren auf den Fensterscheiben stand ein schmaler Tisch mit einem Metallkasten.

Fräulein Glaser begann er mit Dozentenstimme. Die Kirche hat ihre Sakramente, die Natur, ihre Gesetze. Wir vereinen beides zum Wohle der Mädchen. Sie als Frau besitzen Zugang, den ich nicht habe. Sie werden künftig vorbereiten. Atem, Haltung, die Einübung von Gehorsam, Zucht, wenn nötig, aber stets mit Sanftmut. Ich verlange einvernehmen.

Das Wort einvernehmen knirschte zwischen seinen Zähnen. Bayern verehrt seine Heiligen, fuhr er fort. Aber der Wald kennt ältere Namen. Wer die Furcht bannt, gewinnt die Klarheit. Sie werden ihnen helfen, Furcht in Klarheit zu wandeln. Eleonore nickte nur, weil jedes Wort an dieser Stelle zum Verrat werden konnte.

Am Abend ließ der Regen nach und der Geruch von nassem Holz stieg vom Hof auf. Auf dem Flur brannten Kerzen. Ihr Licht sprenkelte die Ahnengalerie. Beatrix stand dort und betrachtete ein Bild, auf dem eine Frau mit einem Kranz aus immergrün abgebildet war. “Wer ist das?”, fragte Eleonor. Beatrix legte den Kopf schief. Großmutter.

Mutter sagt, sie ist vom Turm in die Luft gegangen und in den Wald gefallen, damit er sie behält. Elonoor kniete neben ihr. Und was denkst du? Beatrix flüsterte. Ich denke, der Wald wollte sie nicht und hat sie zurückgeschickt. Das Wort zurückgeschickt hing in der Luft, als hätte es die Kraft, Türen aufzutun.

Nach dem Gebet in der Kapelle, ein kurzer Gesang, der nach Weihauch und kaltem Stein schmeckte, führte Eleonor die Mädchen in ihre Zimmer. Sie hörte den Nachtwind an den Läden, die Klauen der Äste, das zähe Tropfen von Wasser aus einer Dachrinne. In ihrem eigenen Kammerchen setzte sie sich an den Tisch und machte Notizen, die nichts verrieten, sollte man sie finden. Wörter wie Fahn, Fuge, Atem, Schlüssel.

Zwischen die Zeilen legte sie Gedanken, die nur ein aufmerksamer Blick lesen konnte. Wer wann schweigt, wer wann lächelt, wann der Tee bitter und wann er bloß schwach ist. Die Nacht kam mit einer Geduld, die schlimmer war als Hast. Einmal glaubte sie, leise Schritte zu hören, doch das Haus antwortete nur mit seinem uralten Seufzen.

Als sie endlich in Schlaf sank, fand sie sich in einem Traum zwischen den Fichten. Das Harz glänzte wie dunkler Honig an den Wunden der Stämme und aus dem Boden stieg ein Nebel, der schmeckte wie kaltes Eisen. Jemand flüsterte ihren Namen, doch die Stimme gehörte ihr selbst. Sie wachte auf, als in der Ferne ein Hund anschlug.

Ein Stern, vielleicht nur ein funkelnder Tropfen an der Scheibe, glomm und erlosch. Am Morgen weckte sie ein leises Klopfen. Konstanze trat ein, bleich und aufrecht. “Vater wünscht, dass Sie heute nur beobachten”, sagte sie. “Er sagt, die wahre Lehre beginnt, wenn man nichts mehr sagen will.” Eleonore nickte und strich ihr eine Haarsträhne hinters Ohr.

Du bist nicht das, was sie aus dir machen wollen”, sagte sie, leise genug, “dass die Wände es nicht verstanden.” Konstanzes Augen wurden für einen Herzschlag lebendig, dann flackerte das Licht fort. Im Korridor begegnete ihnen der Freiher. “Pünktlichkeit ist Gnade”, sagte er, als sei es ein Gebet. Sie gingen in den Ostflügel und Eleonore bemerkte, dass es dort kälter war.

Die Luft war dichter, als läge ein unsichtbarer Vorhang aus Tau im Gang. Im Arbeitszimmer, dieselben Bücher, dieselben Gläser, dieselbe akribische Ordnung, legte der Freiherr ein neues Protokoll an. Reiz und Reue, murmelte er. Die Kopplung wird verstärkt. Heute prüfen wir das Wort.

Er stellte Konstanze Fragen über Träume, über Blicke, über die Gärtner, die im letzten Sonnenschein ohne Jacken gearbeitet hatten. Eleonore sah, wie ein Schatten über Konstanzes Gesicht glitt und fügte innerlich zwei und zwei zu einer Wahrheit, die sie nicht aussprechen durfte. Später auf dem Flur blieb sie stehen. Victoria lehnte am Fenster, als habe sie dort die Nacht hindurchgewacht. “Fräulein Glaser”, sagte sie ohne Gruß.

Wenn die Türen im Westen atmen, ist der Weg in den Keller offen. Ich will dich schützen, antwortete Eleonor. Du kannst mich nur schützen, wenn du tust, was sie wollen, bis du tust, was du willst, entgegnete Victoria. Heute Nacht gehen wir hinunter. Du wirst sehen, was Mutter meint, wenn sie von Familie spricht.

Das Wort Familie bekam eine zweite Schicht, wie Gold, das man über Eisen legt. Als die Dämmerung sich zum Abend verdichtete, legte Elleonore die Hände auf den kalten Stein des Fensterbrettes. Der Wald stand da wie ein Richter mit gefalteten Händen. Aus der Ferne klang ein Horn, vielleicht ein Jäger, vielleicht nur Wind in einer hohen Buche.

Sie dachte an Bayern, an Prozessionen mit Kerzen, an Glockenleuten im Advent, an die Geschichten über die Raunächte, wenn zwischen den Jahren die Grenzen dünn werden und alte Mächte durch Türen treten, die man für bloße Fugen hielt. Sie wusste, dass diese Nacht so eine Tür war und dass hinter ihr nicht nur ein Keller lag, sondern ein ganzes Gespinst aus Händen, Stimmen und alten Namen.

Die Sonne stand tief über den Baumwüpfeln. Als der Abend das Gut Kamper in ein fahes Licht tauchte. Der Himmel brannte in den Farben von Kupfer und Asche und der Wind trug den Ruf einer Eule über die feuchten Wiesen. Eleonore stand am Fenster ihrer Kammer, unfähig, das Zittern ihrer Hände zu stillen.

Unten im Hof zogen Knechte, die schweren Kutschen in die Remise. Ihre Schritte halten als schlügen Hämmer auf einen unsichtbaren Ambos. Der Freiherr hatte das Haus in eine Ordnung gezwungen, die an Andacht grenzte. Jeder Gang, jede Stunde, jede Geste war von Regeln gesäumt. Doch in dieser stählernen Ordnung lag etwas, das sich regte. Ein unterirdischer Pulssschlag, den nur die Frauen zu hören schienen.

Die Glocke der Kapelle schlug zweimal langezogen, hohl. Das bedeutete, dass die Nacht begonnen hatte. Kurz darauf hörte Eleonora das leise Kratzen an ihrer Tür. Victoria trat ein, gehüllt in einen Umhang aus dunklem Samt, Barfuß mit einem Schlüssel in der Hand, der matt glänzte. “Es ist Zeit”, sagte sie, ohne die Stimme zu heben.

“Wenn Sie jetzt nicht kommen, wird der Weg sich wieder schließen.” Eleonore folgte ihr. Ihr Herz schlug so laut, daß sie fürchtete, jemand könne es hören. Die Korridore waren nur von Wandlampen beleuchtet, deren Flammen in dünnen Gläsern flackerten. Sie passierten die Ahnengalerie und Eleonore glaubte, ein Portrait habe den Kopf leicht gedreht.

Dann blieb Victoria vor einem Wandteppich stehen, der eine Jagdszene zeigte. Hirsche, Hunde, Reiter in roten Röcken. Sie hob den Saum und darunter erschien eine schmale Tür aus Eichenholz, kaum Manns hoch. Der Schlüssel passte genau. Ein trockenes Klicken und kalte Luft schlug ihnen entgegen. Eine Wendeltreppe führte hinab in Finsternis, die nach Metall und Moder roch. “Das hier ist älter als das Haus”, flüsterte Victoria.

Vater sagt, die Fundamente stammen von einem Kloster, das man vergessen wollte. Eleonora antwortete nicht. Jeder Schritt halte dreifach, als ob der Stein selbst ihre Schritte mitsprach. Sie zählten keine Stufen, aber sie gingen tief, tiefer als das Gebäude vermuten ließ. Dann plötzlich wehte Musik herauf, eine Melodie in Moll, gespielt auf einer Geige, langsam und unrein wie von einer Hand, die mehr betete, als musizierte.

Am Fuß der Treppe öffnete sich ein Gang, dessen Wände mit Symbolen bedeckt waren. Kreise, Augen, Hände mit gespreizten Fingern. Der Boden war feucht und aus der Ferne glomlicht. Sie erreichten eine Halle, gewölbt und von Kerzen erhält. In ihrer Mitte stand ein Altar aus schwarzem Marmor, darauf ein Buch, dessen Einband aus gegärbtem Leder bestand.

Darumherum standen Gestalten in Kapuzenmänteln, ihre Gesichter im Schatten verborgen. Victoria blieb stehen. “Heute ist Beatrix Nacht”, flüsterte sie. Mutter nennt es die Weihe der Unschuld. Ihre Stimme zitterte. Eleonore spürte, wie ihre Kehle trocken wurde. Sie sah, wie Lady Margarete, die Freifrau, in der Mitte stand, die Hände über Beatrix Kopf gelegt.

Das Kind trug ein Kleid aus weißem Lein, zu dünn für die Kälte. Ihre Lippen bewegten sich, als bete sie, aber kein Laut kam hervor. Der Freiherr stand daneben, in einer schwarzen Robe, die einem Priester gewand glich. In der Hand hielt er ein Buch, aus dem er Verse las. die in keiner Sprache gesprochen waren, die Eleonore kannte.

Die Anwesenden antworteten im Chor, ihre Stimmen bildeten eine salzige, fremde Welle, die gegen die Wände schlug. Als der Freiherr inne hielt, trat Lady Margarete einen Schritt vor, nahm aus einem Gefäß eine Flüssigkeit und strich Beatrix damit über die Stirn. “Rein und bereit”, sagte sie. Das Fleisch soll vergessen, was der Geist lernen muß. Eleonore wollte schreien, wollte eingreifen, doch Victoria hielt sie fest.

“Wenn Sie jetzt etwas tun, sind wir beide verloren”, zischte sie. “Sehen Sie nur, der Freiherr öffnete das Buch auf einer neuen Seite und Eleonore sah, dass dort Namen standen. Dutzende, vielleicht hunderte, geschrieben in unterschiedlicher Tinte. Jede Generation fügt sich selbst hinzu, murmelte Victoria.

Er sagt, es sei eine Linie des Wissens, ich nenne es Ketten. Dann geschah etwas, das Eleonore nie vergessen würde. Beatrix öffnete die Augen und für einen Moment schien es, als leuchte etwas in ihnen, ein Glanz, der nicht kindlich war. Sie blickte den Vater an und in diesem Blick lag kein Flehen, nur Erkenntnis.

Du hast mich gerufen”, sagte sie, ihre Stimme klar und ruhig, aber ich bin nicht, was du suchst. Ein Murmeln ging durch die Versammlung. Lady Margarete taumelte zurück. Der Freiherr wurde blass. “Schweig!”, zischte er, doch Beatrix lächelte. “Der Wald kennt euren Namen.” Und er erinnert sich. Dann fielen die Kerzen eine nach der anderen aus, als hätte der Raum den Atem verloren. Dunkelheit schluckte alles.

Eleonore spürte, wie Victoria sie am Arm packte. Jetzt rief sie. Sie rannten den Gang hinauf, stolperten über Stufen, während hinter ihnen Stimmen schrien, Gebete, Flüche, Befehle. Ein Schrei, vielleicht Beatrix, schnitt durch die Finsternis und Elonore glaubte, das Echo würde nie enden. Oben im Korridor schlug Victoria die Tür hinter ihnen zu. Der Teppich fiel wieder über den Eingang.

Beide standen da, atemlos, das Herz donnernd. Draußen rauschte der Wald. Ein Blitz erhälte den Himmel und im Augenblick des Lichts sah Eleonor die Spiegel entlang des Flurs. In jedem Spiegel stand eine Gestalt, sie selbst, Victoria, aber auch eine dritte, kleinere, mit blondem Haar und leeren Augen.

Victoria flüsterte: “Sie ist nicht fort, sie ist hier.” Eleonore wagte nicht zu fragen, ob sie Beatrix meinte oder jemand anderes. In jener Nacht schrieb Elonor in ihr Notizbuch: “Wenn Wissen mit Blut bezahlt wird, bleibt nur Schuld.” Dann bliß die Kerze aus. Der Rauch kringelte sich wie eine Hand, die nach ihr griff.

Die Standuhr schlug zwölf mal, doch im Echo zählte sie 13. Der Morgen danach kam ohne Sonne. Das Haus war still, als hielte es den Atem an. Nebel hing wie Tuch über dem Garten und die Fichten am Rand des Waldes standen wie schwarze Säulen. Elonor saß am Fenster ihrer Kammer, den Bleistift in der Hand und blickte in das Grau, das keinen Anfang und kein Ende hatte.

Sie hatte in der Nacht kein Auge geschlossen. Das, was sie gesehen hatte, das Ritual. Beatrix Stimme, die Finsternis war zu real, um Traum genannt zu werden. Doch niemand sprach darüber, nicht beim Frühstück, nicht auf den Fluren. Der Freiherr erschien erst spät. Seine Schritte klangen müde, aber fest.

Er trug einen dunklen Gerock und Handschuhe aus weichem Leder. Nur an seinen Augen war zu sehen, dass die Nacht Spuren hinterlassen hatte. Fräulein Glaser sagte er mit kühler Höflichkeit. Ich danke Ihnen für ihre Unterstützung bei der gestrigen Beobachtung. Die kleine Beatrix befindet sich in Genesung. Sie wird einige Tage Ruhe benötigen. Elonore nickte. Ihre Lippen waren trocken.

Wird sie sprechen können? Sprache ist überbewertet, antwortete er ohne zu lächeln. Manchmal sagt Schweigen mehr über Reinheit aus. Er wandte sich ab und ging den Gang hinunter. den Stock leicht auf das Pakett tippend. Später fand Eleonore Konstanze in der Bibliothek. Das Mädchen stand vor dem Fenster und las in einem Buch, dessen Seiten brüchig waren. “Was liest du?”, fragte Eleonor.

Konstanze schloss das Buch langsam. “Es ist von Großmutter.” Sie schrieb über Träume, die in die Erde sickern. Mutter sagt, sie war krank, aber manche Dinge, die sie schrieb, sind wahr geworden. Was für Dinge? Konstanze hob den Blick und für einen Moment war in ihren Augen dieselbe grüne Tiefe wie bei Victoria, dass der Wald antwortet, wenn man ihn beim Namen nennt.

Draußen rief ein Rabe und das Geräusch halte durch die Halle, als wäre es aus Metall. Eleonord rat näher. Und wie nennt man ihn? Das darf nur gesagt werden, wenn der Mond ganz schwarz ist, flüsterte Konstanze. Dann hört er, dann kommt er. Am Nachmittag ging Elonore in den Garten, um Luft zu holen. Der Nebel hatte sich kaum gelichtet. Zwischen den Statuen und den moosbewachsenen Bänken sah sie Spuren im Schlamm, kleine nackte Fußabdrücke, die in Richtung Wald führten.

Sie folgte ihnen bis zum Rand der Fichten, wo das Licht in grauen Schleiern hing. Dort unter einer alten lag etwas Weißes. Ein Puppenkopf aus Porzellan, zersprungen, das Auge aus Glas, das zweite, nur ein schwarzes Loch. Sie hob ihn auf, wischte den Schlamm ab und fühlte einen kalten Stich im Finger. Im Nacken der Puppe war ein winziger Name eingeritzt. Beatrix von Kamper. Ein laut hinter ihr ließ sie herumfahren.

Victoria stand da, blass, aber gefasst. “Man findet immer, was man nicht sucht”, sagte sie. “Er hat die Puppen selbst gemacht. Wissen Sie, jede trägt den Namen eines Mädchens, das geheilt wurde.” Sie lachte kurz. Tonlos. Er nennt sie seine Sammlung der Tugend. Warum zeigst du mir das? Fragte Eleonor. Weil sie noch glauben, man könne hier etwas retten.

Aber in diesem Haus wird alles, was rein ist, irgendwann gebrochen. Victoria trat näher. Ihre Stimme wurde leiser. Heute Nacht geht Mutter in den Westflügel. Dorthin darf niemand. Wenn Sie wissen wollen, was hier wirklich geschieht, müssen Sie dort warten. Am Abend kehrte der Wind zurück. Die Dienerschaft zog sich früh zurück und das Haus sank in jene lautlose Spannung, die Eleonore inzwischen kannte.

Eine Stille, in der jeder Atem zu laut war. Sie wartete, bis die Standuhrfm schlug, dann noch einmal, zwölf Schläge. Danach schlich sie den Korridor entlang, barfuß, den Rock gerafft, damit er nicht raschelte. Der Westflügel lag im Dunkeln. Nur ein matter Streifenlicht glitt unter einer Tür hervor.

Eleonor legte das Ohr an das Holz und hörte eine leise Melodie. Keine Musik, sondern etwas, das aus Kehlen kam, gemischt mit Flüstern und dem dumpfen Takt eines Herzschlags. Sie drückte die Klinke. Der Raum dahinter war kein Zimmer. Es war eine Kapelle, alt, in den Stein gehauen, lange vor dem Haus errichtet.

In der Mitte stand ein steinerner Tisch, auf dem eine Frau lag, die Augen geschlossen. Es war Freifrau Margarete. Neben ihr stand der Freiherr, die Hände blutig, das Gesicht seltsam verklärt. Er murmelte Worte in Latein und in seinen Augen flackerte etwas, das an Wahnsinn grenzte. “Sie versteht jetzt”, sagte er halblaut, als Eleonora einen Schritt näher kam.

Die Reinheit ist ein Kreis. Schmerz ist die Tür, durch die wir hindurch müssen, um das Licht zu finden. Er bemerkte sie, wandte sich ihr zu. Ah, Fräulein Glaser, auch Sie sind Teil des Kreises, nicht wahr? Ich wusste, dass der Wald sie ruft. Man sieht es an ihren Augen. Eleonore wich zurück. Ich will nichts von diesem von diesem was Wissen. Heil.

Er lachte leise. Sie denken, ich bin krank, aber ich diene nur dem, was unter der Erde schläft. Die Alten nannten es der Hüter. Er erwacht, wenn das Blut der Unschuld den Stein berührt. In diesem Moment öffnete Margarete die Augen. Sie waren milchig, leer, aber lebendig.

Sie sah Eleonora an und flüsterte: “Er kommt.” Dann fiel ihr Kopf zur Seite. Der Freiherr sank auf die Knie. und begann mit den Händen das Blut aufzufangen, das über den Stein rann. “Das Opfer ist angenommen”, murmelte er. Eleonore rannte. Sie hörte seine Schritte hinter sich, dann das Krachen einer Tür. Im Korridor stolperte sie fast über Victoria, die wartete, als hätte sie gewusst, dass sie fliehen würde.

“Ich habe es gesehen”, sagte Eleonora atemlos. Deine Mutter, sie stirbt jede Nacht”, antwortete Victoria leise und jeden Morgen steht sie auf. Der Wald gibt sie nicht frei. Draußen, jenseits der Mauern begann der Wind zu singen. Ein Ton, der nicht vom Wetter kam. Die Fichten schwankten, als würden sie atmen. Victoria fasste Eleonoris Hand.

Wenn der Morgen kommt, wird er dich rufen und dann wirst du wissen, warum niemand das Gutkamper verläßt. In der Ferne bellte ein Hund dreimal. Der Nebel kroch über das Gras wie Rauch und aus der Dunkelheit antwortete eine Stimme, tief, fast freundlich und doch so alt, dass sie keine Worte brauchte. “Ich bin hier.” Die Standuhr im Salon schlug einmal, dann zweimal, dann verstummte sie.

An diesem Abend schrieb Elonore kein Wort in ihr Notizbuch. Sie wußte, daß jede Zeile ein Beweis wäre und dass das Haus keine Zeugen duldet. Am Morgen lag Frost auf den Fensterrahmen. Die Welt war still, zu still, als wäre selbst der Atem der Erde angehalten. Eleonore wachte mit einem Schmerz im Nacken auf, als hätte jemand in der Nacht ihre Träume in Ketten gelegt.

Die Uhr im Flur schlug keine Stunde und das bedeutete, dass Zeit im Gutkamper wieder ihre eigenen Gesetze schrieb. Der Himmel über dem bayerischen Wald war farblos und über den Feldern schwebte Dunst, der wie Rauch von unsichtbaren Feuern wirkte. Victoria saß bereits in der Küche, das Kinn in die Hand gestützt, die Augen auf das Feuer gerichtet, das Matt in der Esse glomm.

“Er schläft jetzt”, sagte sie, ohne aufzublicken. Nach der Nacht schläft er immer, aber er träumt mit offenen Augen. Eleonore gos sich Tee ein. Er, dein Vater, nicht nur. Victoria hob den Blick, der dem er dient. Aus dem oberen Stockwerk kam ein leises Pochen, regelmäßig wie Herzschläge. Kein Diener zeigte sich.

Freifrau Margarete war verschwunden. Nur ihr rotes Tuch hing über dem Stuhl, als hätte sie es vergessen oder absichtlich dagelassen. Eleonore stieg die Treppe hinauf. Der Teppich dämpfte ihre Schritte. Die Portraits der Ahn schienen sie zu verfolgen.

In manchen Gesichtern glaubte sie Züge der Familie von Kamper wieder zu erkennen, in anderen etwas ganz anderes. Eine tierhafte Schärfe, als hätten Generationen hier nicht nur Menschen geboren. Vor der Tür zum Arbeitszimmer blieb sie stehen. Ein seltsamer Geruch drang hervor. Eine Mischung aus Wachs, Metall und Erde. Sie öffnete langsam. Der Raum war leer, bis auf den Schreibtisch.

Auf ihm lagen das geöffnete Buch des Freiherrn und ein Bündel Seiten beschrieben mit kleiner nervöser Schrift. Die Überschrift lautete: Über die Reinheit durch Wiederholung. Sie las: “Das Gedächtnis Schmerzes ist der wahre Lehrmeister. Was das Fleisch erinnert, vergisst der Geist nie. Nur so kann man die Furcht in Gehorsam verwandeln und Gehorsam in Licht.

” Unter den Zeilen klebte getrocknetes Blut. Sie legte das Blatt zurück und bemerkte eine zweite Seite, ein Diagramm, auf dem Kreise ineinander verschlungen waren, mit lateinischen Wörtern am Rand. Corpus, Anima, Radix, Memoria und darunter mit anderer Tinte der Hüter wartet. Ein Geräusch ließ sie auffahren. Hinter ihr stand Beatrix. Das Mädchen war bleich, aber wach.

Ihre Augen waren leer wie Glas, doch ihre Stimme klar. Er hat gesagt, ich bin fertig. Fertig womit, Beatrix? Mit der Furcht. Sie lächelte schwach. Jetzt habe ich keine Angst mehr. Nur er. Wer? Der unter der Erde, der die Namen ruft. Eleonore kniete nieder. Beatrix, du mußt mir sagen, wo deine Mutter ist.

Mutter ist im Spiegel, flüsterte sie. Da, wo der Wald anfängt. Plötzlich zersprang das Glas der Vitrine neben ihn mit einem hellen Klang. Beatrix zuckte nicht. Eleonore drehte sich um. In den Splittern sah sie kurz das Gesicht der Freifrau, blass und reglos, mit geschlossenen Augen, als läge sie in Wasser. Dann war es fort. Der Freiherr trat ein.

Er trug keinen Mantel, kein Hemd, nur einen schwarzen Überwurf. Ich hatte gehofft, sie würden nicht neugierig werden, Fräulein Glaser”, sagte er ruhig. “Aber nun, da Sie wissen, was unter unserem Dach schläft, haben Sie die Wahl.” Elonore wich zurück. Welche Wahl? Die zu bleiben und zu verstehen oder zu gehen und vergessen zu werden. Beatrix legte ihre kleine Hand auf Elonoras Arm.

Wenn du gehst, vergisst du mich. Wenn du bleibst, wirst du wie ich. Der Freiher trat näher. Seine Augen glitzerten nicht kalt, sondern fanatisch. Sie besitzen das, was den meisten fehlt. Mitgefühl. Es ist die reinste Form des Schmerzes. Ich könnte sie lehren, ihn nutzbar zu machen. Elleonore schüttelte den Kopf. Ich will nichts von ihrem Wissen.

Dann werden Sie lernen, was Weigerung bedeutet. Er hob die Hand und hinter ihm öffnete sich die Tür des Flur. Zwei Diener standen dort, dieselben stummen Männer, die sie am ersten Tag gesehen hatte. Ihre Gesichter waren ausdruckslos, ihre Augen matt. Sie trugen etwas in den Händen, das wie ein langer, flacher Kasten aussah.

“Bringen Sie sie in den Keller”, sagte der Freiherr. Der Hüter verlangt Einsicht. Eleonore wollte fliehen, doch der Boden schien nachzugeben, als ob die Dielen selbst sie festhielten. Die Männer packten sie an den Armen und das letzte, was sie sah, bevor sich die Dunkelheit über sie legte, war Beatrix, die am Türrahmen stand und flüsterte. “Wenn du ihn siehst, sag ihm meinen Namen nicht.

” Die Treppe hinab führte tiefer, als sie möglich hätte sein dürfen. Der Stein war nass, der Luftzug kalt. Unten öffnete sich ein Raum, rund wie ein Brunnen aus Finsternis. An der Wand brannten Kerzen in Schädeln. In der Mitte stand ein steinerner Sockel, auf dem sich Wasser bewegte, obwohl kein Wind ging. Der Freiherr trat hinter sie. “Dies ist das Herz des Hauses”, sagte er leise.

“Hier beginnt alles und hier endet, wer den Kreis bricht.” Elonor starrte in das Wasser. Darin spiegelte sich nicht ihr Gesicht, sondern ein anderes. Ein Mädchen mit schwarzen Augen, das flüsterte: “Willkommen Schwester.” Dann hörte sie Schritte, leichte, kindliche. Beatrix kam in den Raum, geführt von Victoria.

“Es muss getan werden”, sagte Victoria. “Die Tränen liefen ihr über die Wangen, sonst hört er nicht auf.” Wer? Rief Eleonor, doch Victoria antwortete nicht. Der Freiherr hob das Buch und die Flammen der Kerzen flackerten, als atmeten sie gemeinsam. Der Hüter, sagte er, der erste Name, der letzte Atem und du wirst ihn jetzt sehen.

Das Wasser im Steinbecken begann zu sieden. Ein Geräusch wie aus tiefer Erde drang herauf. Ein Flüstern, das Worte formte, die Eleonore verstand, obwohl sie keine Sprache

waren. Ich erinnere mich an dich. Sie schrie, doch das Haus schwieg. Nur der Wind draußen antwortete, und selbst der klang wie etwas, das zu lange geschwiegen hatte. Das Flüstern kam aus allen Richtungen zugleich.

Es war kein Laut, sondern eine Bewegung in der Luft, eine kalte Welle, die Eleonore durchdrang. Der Freiherr stand mit erhobenen Armen da, das Gesicht von Entzücken verzerrt. “Er spricht”, rief er. “Nach so vielen Generationen spricht er wieder.” Victoria weinte stumm. Beatrix kniete am Beckenrand, die kleinen Hände gefaltet, als würde sie beten.

Doch ihre Lippen bewegten sich nicht und ihre Augen blickten in eine Tiefe, die kein Kind sehen sollte. Das Wasser im Steinbecken wirbelte und in seiner Oberfläche bildete sich ein Gesicht. wechselnd, fließend, weder Mann noch Frau, sondern etwas dazwischen, uralt und fremd. Eleonore spürte, wie der Boden unter ihr vibrierte. Der Freiherr fiel auf die Knie. “Herr der Wurzeln, Hüter der Reinheit”, flüsterte er.

“Nimm unser Opfer an”. Ein Schatten legte sich über die Kerzen. Ihr Licht wurde kleiner, als würde es von unsichtbaren Fingern zusammengedrückt. Die Stimme, die keine Stimme war, füllte den Raum. Euer Blut ist Erinnerung. Eure Seelen sind Schulden. Ich nehme, was mir gehört. Victoria schrie auf und packte Beatrix, zog sie vom Becken fort.

Doch das Kind riss sich los, trat einen Schritt vor und sah in das Wasser. “Ich gehöre niemandem”, sagte sie. Die Oberfläche des Beckens zersprang wie Glas. Ein Windstoß fegte durch den Raum, löschte die Kerzen und Dunkelheit stürzte wie ein Tuch herab. Eleonore spürte, wie sie fiel, nicht tief, aber endlos, als wäre der Raum größer geworden, dehnbar, lebendig, dann stille. Nur der Atem des Waldes draußen, dumpf und schwer.

Als sie die Augen öffnete, war der Raum leer. Kein Freiherr, keine Mädchen, kein Becken, nur kalter Stein unter ihren Händen. Sie kroch zum Ausgang, fand die Treppe und stieg hinauf. Mit jedem Schritt wurde die Luft wärmer, aber auch süßlicher, als wäre der Tod selbst aus Rosen gemacht. Im oberen Flur brannte Licht.

Victoria stand dort, die Hände voller Asche. “Es ist vorbei”, sagte sie tonlos, “Oder es hat erst begonnen. Mutter ist fort, Vater auch. Und Beatrix, Eleonoris Stimme war kaum hörbar. Der Wald hat sie geholt.” Victoria sah zum Fenster hinaus. Nebel kroch über die Wiesen, dichter als je zuvor. Er hat sein Opfer genommen, aber nicht so, wie er wollte. In der Ferne bellte ein Hund, einmal, zweimal, dann war wieder Stille.

Die nächsten Tage waren ein Traum aus Schweigen. Kein Diener zeigte sich. Die Küche blieb leer. Der Garten lag wie unter einem Schleier. Nur Victoria und Eleonor lebten noch in den Räumen, die zunehmend fremder wurden. Türen schlossen sich von selbst, Uhren gingen rückwärts und manchmal, wenn Eleonora an einem Spiegel vorbeiging, sah sie für einen Augenblick Beatrix darin stehen, lächelnd, aber mit einem Blick, der aus der Tiefe kam.

Am dritten Tag oder vielleicht im vierten, die Zeit war brüchig geworden, stand Victoria in der Kapelle. Die Kerzen brannten, doch keine Flamme flackerte. “Er ist nicht fort”, sagte sie leise. “Der Hüter hat kein Ende, nur andere Gesichter.” “Du sprichst, als wäre er in dir”, flüsterte Eleonor. Victoria sah sie an und ihr Blick war still.

“Vielleicht bin ich jetzt sein Mund.” Ein dumpfer Schlag erschütterte das Haus. Staub rieselte von der Decke. Draußen begann der Wind zu heulen. Die Bäume bogen sich und aus der Ferne klang das Krachen von Holz, als würde der Wald selbst näher treten. Eleonore packte Victoria bei den Schultern. Wir müssen fort. Fort. Victoria lachte leise. Es gibt kein Ford. Der Wald endet nicht.

Er ist überall, wo jemand den Namen des Hüters kennt. Dann vergiss ihn. Man kann vergessen, was man gelernt hat”, sagte Victoria, “aber nicht, was man gesehen hat.” Das Licht der Kerzen erlosch, als ein Windstoß durch die Kapelle fuhr.

Für einen Moment glaubte Elonor, das Dach sei verschwunden und über ihnen breche der Himmel selbst auf. In der Dunkelheit leuchteten unzählige Augen, grün wie Moos und tief wie Wasser. “Wir sind viele”, flüsterte eine Stimme. “Und bist nun eine von uns.” Eleonor fühlte einen Schmerz in der Brust, als würde jemand ihr Herz in kaltes Eisen tauchen. Dann stille, nur der Regen blieb leise und endlos.

Als sie wieder zu sich kam, lag sie in ihrem Zimmer. Der Morgen war blß. Auf ihrem Schreibtisch lag ihr Notizbuch geöffnet. Auf der letzten Seite stand in fremder Schrift: “Die Reinheit ist erreicht. Der Kreis schließt sich.” Sie blickte in den Spiegel gegenüber.

Ihr eigenes Gesicht sah ihr entgegen, doch die Augen, sie waren nicht mehr ihre. Grün, unergründlich und im Glas dahinter bewegte sich etwas. Ein Schatten, der atmete. Draußen hörte sie den Ruf eines Raben. Der Wind kam vom Wald, feucht und süß. Eleonore wusste, dass sie das Haus nie wieder verlassen würde, denn das Gut Kamper lebte und es hatte jetzt ihre Stimme. In der Ferne schlug die Standuhr 13 mal, dann schwieg sie für immer.

Der Winter kam früh in jenem Jahr. Der Schnee fiel still und dicht, als wollte er alles, was im Gutkamper geschehen war, zudecken und vergessen machen. Doch nichts blieb vergessen in diesen Mauern. Die Fichten ringsum bogen sich unter der Last und der Wald atmete wie ein lebendiges Tier.

Eleonore stand im großen Salon eingehüllt in einen grauen Schal und blickte auf das Feuer im Kamin. Es brannte ruhig, fast träge und in den Flammen glaubte sie manchmal Gesichter zu sehen. Flüchtige Abbilder, die kamen und verschwanden wie Gedanken. Victoria saß am Klavier, die Finger über die Tasten gelegt, ohne zu spielen. Ihr Haar war offen, ihre Augen leer.

Seit jener Nacht im Keller hatte sie kaum gesprochen. Victoria begann Eleonora leise. Du musst essen. Du wirst schwächer mit jedem Tag. Er lässt mich nicht, flüsterte Victoria. Er ist in mir und wenn ich esse, ist er mit. Elonore kniete neben sie. Du musst dich erinnern, wer du bist. Ich erinnere mich, sagte das Mädchen und ihre Stimme war ein Hauch. Ich bin was vom Haus übrig blieb.

Ein dumpfes Geräusch kam aus dem oberen Stockwerk, als würde jemand mit schwerem Schritt über die Dielen gehen, doch sie waren allein. Eleonore hob den Kopf. Hast du das gehört? Victoria nickte, ohne sich zu bewegen. Er wandelt wieder. Nach 13ehn Tagen steht er auf. Immer. Eleonore wußte nicht, ob sie die Worte wörtlich nehmen sollte.

Doch als sie die Treppe hinaufstieg, sah sie auf dem Gang Spuren, Fußabdrücke im Staub, groß, schwer, als gehörten sie einem Mann. Sie folgte ihnen bis zur Tür des Arbeitszimmers. Das Schloss war aufgebrochen. Drin war alles, wie sie es verlassen hatten. Das Buch auf dem Tisch, die Gläser, die Diagramme. Nur der Sessel des Freiherrn stand anders, leicht gedreht, als hätte jemand darin gesessen.

Auf dem Boden lag eine Seite, offenbar frisch aus dem Buch gerissen. Darauf stand in der Handschrift des Freiherrn: “Ich bin nicht fort, ich bin nur tiefer gegangen.” Ein kalter Windzug strich durch den Raum. Eleonore drehte sich um und sah im Spiegel an der Wand den Freiherrn stehen. Nicht körperlich, nicht fest, aber sichtbar.

Seine Gestalt war aus Nebel und seine Augen glühten. “Fräulein Glaser”, sagte er sanft. “Ich danke Ihnen. Ohne Sie hätte der Kreis sich nicht geschlossen. Was wollen Sie? Erinnerung. Sie sind das letzte Glied. Der Hüter braucht eine Stimme in dieser Welt und sie haben sie ihm gegeben. Eleonore wich zurück, stolperte gegen den Tisch.

Der Spiegel bebte und die Gestalt verblasste, doch ihre Stimme blieb. Bald wird das Haus wieder voll sein und sie werden lächeln, wenn sie die Kinder unterrichten, denn sie werden alle mein Blut tragen. Die Flamme der Lampe flackerte und erlosch. Im Dunkeln war das Ticken der Uhr das einzige Geräusch. 13 Schläge. Am nächsten Morgen war der Schnee noch dichter. Kein Weg führte hinaus.

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