
In den abgelegenen Höhenzügen des Schwarzwaldes, tief im südlichen Baden, verschwanden zwischen den Jahren 1897 und 18992 Fallensteller spurlos. Die Schwestern Magdalena und Friederike Albrecht, zurückgezogen lebende Brennerinnen auf dem alten Hof ihres verstorbenen Vaters, wohnten etwa 25 km vom nächsten Dorf entfernt, als im Herbst des Jahres 1899 ein halb verhungerter sterbender Fallensteller ins Tal hinabstolperte und von unterirdischen Kammern und einem Zuchtprogramm faselte, stieß der Bezirkswachtmeister Ernst Riedel auf Ein
Grauen, das jedes menschliche Verständnis sprengte. Unter dem alten Albrechthof erstreckte sich ein unterirdisches Labyrinth aus Gängen und Kammern, in denen Männer angekettet waren. Versuchspersonen in einem wahnhaften göttlichen Plan eine reine Blutslinie der Berge zu erschaffen. Wie konnte solch ein Entsetzen unbemerkt gedeihen? Welche Dunkelheit entsteht, wenn Glaube und Isolation zu einem einzigen tödlichen Fieber verschmelzen.
Die Region um den oberen Lauf der Kinszig, nahe der Grenze zu Würtenberg war gegen Ende des 19. Jahrhunderts ein Landstrich, der außerhalb der Reichweite der Zivilisation zu liegen schien. Dichte Buchen und Fichtenwälder überzogen Berge so steil, daß selbst am helligten Tag kaum Sonnenlicht in die Täl drang.
Vereinzelte Höfe lagen verstreut zwischen dunklen Schluchten und moosbewachsenen Felsen. Kleine Inseln menschlicher Existenz in einem Meer aus grünem Schatten. Es gab keine Telegraphenleitung, keine Eisenbahnstrecke, die sich durch diese Wildnis schlängelte und die nächste Gendarmestation lag Tage entfernt. Wenn in diesen Bergen jemand verschwand, blieb er meist für immer fort, verschluckt von einer Landschaft, die seit Jahrhunderten Menschenleben gefordert hatte.
Nach dem Krieg von 7071 und den schweren Jahren der wirtschaftlichen Not war das Gebiet zurückgeblieben, unbeugsam gegenüber der Modernisierung, die im übrigen Reich längst Einzug gehalten hatte. Für viele Familien, die dort ums Überleben kämpften, bot der Wald eine der letzten Einkommensquellen, den Handel mit Pelzen. Jeden Herbst zogen die Männer in die entlegensten Täler, entlang der rauschenden Bäche, auf der Suche nach Biebern, Madern und Ottern.
Sie verkauften ihre Fälle in den kleinen Handelsposten, die in den Dörfern von Trieberg bis Haslach verstreut lagen. Ein gefährliches einsames Leben, aber eines, das sie kannten. In dieser rauen Umgebung hatten die Albrechtschwestern ihr Dasein gefestigt. Ihr Vater Johann Albrecht war ein weithin bekannter Schwarzbrenner gewesen.
Tief in einer Waldlichtung hatte er eine illegale Brennerei betrieben, wo er Schnaps aus Mais und Kirschen herstellte, den er heimlich in die umliegenden Dörfer verkaufte. Als er im Winter 1895 bei einem Jagdunfall starb, erbten Magdalena und Friederike den Hof, ein hundert Hektar großes Stück Land, umgeben von dichtem Forst. Die beiden Frauen setzten die Arbeit fort, fern ab jeder Kontrolle und führten ein zurückgezogenes Leben, dass die Dorfbewohner als Wunduan sonderbar, aber harmlos betrachteten.
Ein wandernder Händler, Georg Wittmann, traf sie im Herbst 1896 auf einer seiner Touren. Später erinnerte er sich mit Unbehagen an den Besuch. Der Hof wirkte, als sei er aus dem Felsen selbst gewachsen. Ein grauer verwitterter Bau, dahinter mehrere Schuppen und in den Hang eingelassen, dunkle Öffnung, die Witman für Erdkeller hielt.
Magdalena, die Ältere, erledigte alle Geschäfte. Friederke hingegen sprach kein Wort. Sie stand nur in der Tür, blickte ihn mit starren, hellen Augen an und Widmann spürte ein Frösteln, das er sich nicht erklären konnte. Was ihn besonders stutzig machte, waren die Einkäufe der Schwestern. Trotz ihrer Armut kauften sie hochwertige Stoffe, gutes Werkzeug und eiserne Beschläge, Dinge, die weit über das Notwendige hinausgingen. Magdalena bezahlte stets mit blanken Silbermünzen.
Besonders bestand sie auf schweren Ketten und stabilen Haken, die sie, wie sie erklärte, zum Schutz gegen Wölfe benötigte. Widmann hielt das für eine Marotte. Doch noch im selben Jahr begannen die ersten Verschwinden. Im Oktober 1897 kehrte der Fallensteller Robert Fink nicht von seiner Jagdsaison zurück.