Die Schlacht ums Rote Rathaus: Wie interne Spaltung und ein schwelender Konflikt die Berliner SPD und Linke vor der Wahl 2026 lähmen

Die Schlacht ums Rote Rathaus: Wie interne Spaltung und ein schwelender Konflikt die Berliner SPD und Linke vor der Wahl 2026 lähmen


Die Berliner Politik bereitet sich auf eine wegweisende Abstimmung vor. Die Abgeordnetenhauswahl 2026 wirft ihre Schatten voraus und präsentiert eine zutiefst gespaltene politische Landschaft, in der die beiden großen linken Parteien – SPD und Die Linke – mit neuen Spitzenkandidaten antreten, aber gleichzeitig gegen innere Dämonen kämpfen. Beide Parteitage dieser Konkurrenten lieferten ungeschminkte Einblicke in ihre Hoffnungen, ihre Strategien und ihre tief verwurzelten Probleme. Im Zentrum stehen zwei Gesichter: Steffen Krach, der für die SPD das „Rote Rathaus“ zurückerobern will, und Elif Eralp, die für die Linke eine linke Politik für alle Menschen verspricht.

Der rote Rathaustraum: Krach und die SPD auf Angriffskurs

Steffen Krach, der von Hannover abgeworbene frühere Berliner Staatssekretär, wurde auf dem Landesparteitag der SPD mit einer überwältigenden Zustimmung von 100 Prozent zum Spitzenkandidaten gekürt. Diese Einstimmigkeit ist bei den Berliner Genossen alles andere als eine Selbstverständlichkeit und sollte ein starkes Signal der Geschlossenheit aussenden. Krachs erklärtes Ziel ist ambitioniert und kompromisslos: „Ich will mit euch allen am 20. September 2026 das Rote Rathaus von der CDU zurückholen.“

Sein 90-minütiger Auftritt war ein klarer Angriff auf den amtierenden Regierenden Bürgermeister Kai Wegner (CDU), dem er vorwarf, er würde „nicht regieren“, sondern lieber „rote Bändchen durchschneiden“. Doch Krach sparte auch nicht mit Kritik an den potenziellen künftigen Koalitionspartnern Grüne und Die Linke. Er positionierte die SPD als kompromisslose Kämpferin gegen die drängendsten sozialen Probleme der Hauptstadt. Als Hauptthemen definierte er den Kampf gegen „Mietwucher“ und für bezahlbaren Wohnraum, was den klassischen sozialdemokratischen Markenkern in den Fokus rückt.

Die Landesvorsitzenden feierten Krach als neuen Hoffnungsträger, der die notwendige neue Energie in die Partei bringen soll. Die immer wieder betonte „Geschlossenheit“ wurde zum meist gesprochenen Wort des Parteitags – ein rhetorischer Appell, der jedoch die Risse unter der Oberfläche kaum verbergen konnte.

Die Zerreißprobe: Interne Kämpfe und der rechte Flügel

Der Zwang zur Geschlossenheit hat einen ernsten Hintergrund: Die Berliner SPD ist unruhig. Im Vorfeld der Wahl entbrennen interne Konflikte, bei denen renommierte und gestandene Vertreter des pragmatischeren, rechten Flügels offensichtlich ausgebootet werden. Namen wie die frühere Wirtschaftssenatorin Franziska Giffey und der Neuköllner Bezirksbürgermeister Falko Hikel – die für eine klassischere, bürgernähere Sozialdemokratie stehen – werden von Teilen der Partei nicht mehr ausreichend unterstützt.

Obwohl diese Themen auf dem Jubelparteitag weitgehend ausgespart wurden und Kreise wie der Kreisverband Neukölln bemüht waren, die Entscheidungen als „ausgewogen“ darzustellen, kritisieren gestandene Mitglieder hinter vorgehaltener Hand die Degradierung dieser prominenten Gesichter. Die Frage, ob die SPD ihre momentane Einigkeit bis zur Wahl beibehalten kann oder ob sie in alte „Flügelkämpfe und Selbstbefassung“ zurückfällt, wird von Politikwissenschaftlern als entscheidend für Krachs Erfolg betrachtet.

Politikwissenschaftler Gero Neugebauer analysiert die Lage nüchtern: Krach kann nur reüssieren, wenn seine Vorstellung von einer geeinten Partei realisiert wird. Das bedeutet, dass einige der gegenwärtigen „Machthaber“ in der Partei, einschließlich des Fraktionsvorsitzenden Raed Saleh und anderer führender Figuren, sich bis zum Wahltag tatsächlich zurückhalten müssen, um ihren Einfluss nicht weiter zu verlieren. Diese interne Stille ist somit keine Ausdruck von Harmonie, sondern ein taktisches Stillhalten, das jederzeit in offene Rebellion umschlagen kann.

Die Linke: Elif Eralp und der Rückenwind aus Berlin

Auch Die Linke kürte an diesem Tag ihre Spitzenkandidatin: Elif Eralp. Die 44-jährige Juristin trat ohne Gegenkandidaten an und erhielt damit ebenfalls einen klaren Auftrag ihrer rund 170 Delegierten. Eralps Bewerbungsrede konzentrierte sich ebenso wie Krachs auf die soziale Schieflage der Stadt. Sie kritisierte die Politik der CDU dafür, soziale Ungerechtigkeiten zu verschärfen, und formulierte den klaren Anspruch der Partei: „Uns geht’s nicht darum, Politik für linke Menschen zu machen, sondern wir machen linke Politik für alle Menschen.“ Ihr Hauptfokus liegt auf der Schaffung eines bezahlbaren Berlins, insbesondere durch die Regulierung der Mieten.

Die Linke geht gestärkt aus der letzten Bundestagswahl in Berlin hervor, bei der sie überraschend die stärkste Kraft wurde. Dieser „Rückenwind aus dem Bund“ – wie Neugebauer analysiert – hat sich in Berlin besonders stark bemerkbar gemacht, da die Partei Wähler von den Grünen und der SPD gewinnen konnte und ihre eigene Basis besser mobilisierte. Eralp spürt diesen Stimmungsumschwung: Sie glaubt, ein noch besseres Ergebnis einfahren zu können, da die Menschen auf der Straße einen klaren Richtungswechsel wünschen.

Der schwelende Konflikt: Nahost-Debatte und Markenkern

Doch auch Die Linke sah sich auf ihrem Parteitag mit einem tiefen, inneren Konflikt konfrontiert. Das Thema Nahost, insbesondere der Gaza-Konflikt, hatte das Potenzial, die Einheit der Partei zu sprengen. Anträge darauf, das Vorgehen Israels gegen die Hamas als „Genozid“ zu bezeichnen, blieben zwar ohne Mehrheit. Dennoch forderte Eralp in ihrer Rede eindringlich zum Zusammenhalt auf. Sie appellierte, das Leid und die Trauer auf der einen Seite nicht gegen das Leid auf der anderen Seite auszuspielen, und betonte, die Verbrechen der einen könnten nicht die Verbrechen der anderen legitimieren.

Der Politikwissenschaftler Neugebauer bestätigte, dass die Partei zwar eine gemeinsame Linie gefunden habe, das Thema aber lediglich „beerdigt“, nicht jedoch verschwunden sei. Es werde in der Partei „weiter gären“, und seine Relevanz für die Landespolitik bleibe eine ständige Gefahr.

Der Markenkern der Linken in Berlin sei daher nicht der „Klassenkampf“, dessen Rhetorik man weitgehend zurückgewiesen habe, sondern die Positionierung als „klassisch links-sozialdemokratische“ Partei, die sich vor allen Dingen auf die Verbesserung der Lebensverhältnisse konzentriere. Die Kunst für Eralp wird es sein, diesen sozialen Fokus zu halten und sich nicht durch die weiter schwelende Nahost-Debatte von ihren Kernthemen ablenken zu lassen.

New Yorks „Sternstaub“ und Berlins Realitäten

Interessanterweise blicken beide Parteien, die Linke und auch die SPD, nach New York. Dort hat ein linker Demokrat, noch dazu muslimischen Glaubens, die Bürgermeisterwahl gewonnen. Die Berliner Genossen suchen in diesem Erfolg nach einer Blaupause für ihren eigenen Wahlkampf.

Neugebauer warnt jedoch vor vorschnellen Schlüssen. Er bezeichnet die Hoffnung auf eine Übertragung dieses Erfolgs als „Sternstaub“, den man sich besser aus den Augen wischen sollte, um den Blick nicht auf die eigenen Verhältnisse zu trüben. Die Lebensbedingungen in New York seien anders, die Mieten deutlich höher, und die Parteistruktur der Demokraten sei anders aufgebaut als in Deutschland.

Die einzige relevante Lehre, die man aus Übersee ziehen könne, ist, dass eine Partei, die in einer Situation, in der „soziale Bedürfnisse die Stimmung im Lande bestimmen“, auf diese Positionen eingeht und verspricht, sich zu kümmern, grundsätzlich Wahlkämpfe gewinnen kann. Krach und Eralp haben diese Lektion verstanden, indem beide den Fokus auf bezahlbaren Wohnraum legen.

Die Wahl 2026 wird somit zum Härtetest. Die SPD muss beweisen, dass ihre neue Führung die innere Zersplitterung überwinden kann, ohne ihre pragmatischen Kräfte zu verlieren. Die Linke muss zeigen, dass sie einen internen Konflikt unter Kontrolle halten kann, um ihre sozialen Kernbotschaften glaubwürdig zu vermitteln. Die Schlacht ums Rote Rathaus wird entschieden von der Frage, welche Partei die Berliner Wähler am überzeugendsten davon in Kenntnis setzt, dass sie ihre drängendsten Bedürfnisse nach Bezahlbarkeit und sozialer Gerechtigkeit ernst nimmt.

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