Alle verspotteten den armen Radfahrer, dem sie half – doch seine wahre Identität ließ alle vor Schock und Reue erstarren.

Der Geruch von verbranntem Gummi und erhitztem Asphalt hing schwer in der Luft, eine unsichtbare Wolke, die über der provisorischen Rennstrecke am Stadtrand schwebte. Es war ein heißer Nachmittag, und die Sonne brannte unbarmherzig auf die Zuschauer herab, die sich entlang der Absperrungen drängten. Doch die eigentliche Hitze ging nicht von der Sonne aus, sondern von der dicken, fast greifbaren Spannung zwischen zwei Männern, die sich an der Ziellinie gegenüberstanden.

José Daniel, dessen Brust sich heftig hob und senkte, wischte sich den Schweiß und den Dreck von der Stirn. Sein Bein blutete leicht, eine Schürfwunde, die von dem Sturz vor wenigen Minuten zeugte, doch in seinen Augen brannte ein triumphierendes Feuer. Ihm gegenüber stand Paul, ein Mann, dessen teure Sportkleidung und arrogantes Grinsen in starkem Kontrast zu Josés staubigem Erscheinungsbild standen.

„Na also!“, rief Paul und lachte höhnisch, ein Geräusch, das wie das Reiben von Sandpapier klang. „Hast du das gesehen? Ich habe gewonnen. Das Glück war auf meiner Seite.“

José trat einen Schritt vor, ignorierte den stechenden Schmerz in seinem Knie. „Das war kein Glück, und das war auch kein Zufall“, sagte er mit fester Stimme. „Jemand hat Nägel auf meiner Spur verteilt. Mein Reifen ist geplatzt.“

Paul zuckte theatralisch mit den Schultern. „Ach, bitte. Jetzt sei kein schlechter Verlierer. Vielleicht solltest du einfach besser aufpassen, wo du hinfährst. Außerdem…“, er wandte sich an Damaris, die Verwalterin des Stipendienfonds, die mit einem Klemmbrett danebenstand und nervös auf ihre Uhr blickte, „…hat er mit einem nicht registrierten Fahrrad teilgenommen. Das ist ein Regelverstoß.“

Damaris nickte eifrig, unfähig oder unwillig, dem dominanten Paul zu widersprechen. „Das stimmt. Die Regeln sind strikt. Das Fahrrad war nicht angemeldet. Damit ist José Daniel disqualifiziert.“

„Disqualifiziert?“, rief Alejandra dazwischen. Sie war es gewesen, die José ihr Fahrrad geliehen hatte, nachdem seines sabotiert worden war. Sie trug ihre Arbeitsuniform, eine einfache Schürze, und ihre Hände waren noch ölig von der schnellen Reparatur. „Er ist Erster geworden, trotz des Sturzes! Er hat das Rennen gewonnen, und dieses Stipendium steht ihm zu!“

Paul trat nah an sie heran, sein Blick herablassend. „Hier geht es nicht um deine Meinung, kleines Liefermädchen. Hier geht es um Gesetze. Und das Gesetz sagt: Er hat verloren.“

Die Ungerechtigkeit der Situation schnürte José die Kehle zu. Er wusste, dass Paul falschspielte. Er wusste, dass dieses ganze Rennen, das eigentlich dazu dienen sollte, ein Stipendium für bedürftige Talente zu vergeben, eine Farce war, inszeniert, damit der Sohn des Schatzmeisters – Paul – gewinnen konnte.

„Genug“, sagte José ruhig, aber mit einer Autorität, die für einen Moment alle verstummen ließ. „Wir können uns einigen. Ich fordere eine Wiederholung. Ein neues Rennen. Nur du und ich.“

Paul lachte auf. „Warum sollte ich das tun? Ich habe bereits gewonnen.“

„Weil du weißt, dass dein Sieg nichts wert ist“, entgegnete José. „Und weil du Angst hast, dass eine Untersuchung wegen der Nägel auf der Strecke eingeleitet wird. Ich habe keine Beweise, aber Gerüchte können sehr schädlich sein für… den Ruf des Fonds.“

Paul verengte die Augen. Er wechselte einen schnellen Blick mit Damaris. Das Risiko eines Skandals war zu groß. „Na gut“, zischte er. „In zwei Tagen. Gleiche Zeit, gleiche Strecke. Der Gewinner bekommt das Stipendium und verlässt die Stadt. Und diesmal“, fügte er mit einem bösen Lächeln hinzu, „hoffe ich, dass du ohne Tricks spielst.“

Als sich die Menge auflöste, blieb Alejandra bei José. Ihr Gesicht war bleich. „In zwei Tagen? José, wie willst du das schaffen? Du hast kein Fahrrad, und dein Bein…“

„Mach dir keine Sorgen“, sagte er, obwohl er selbst Zweifel hatte. „Ich werde einen Weg finden. Aber jetzt musst du zurück zur Arbeit, sonst bekommst du Ärger.“

Alejandra eilte zurück zu dem kleinen Restaurant, in dem sie arbeitete und dessen Besitzer ein Mann von cholerischem Temperament war. Doch sie kam zu spät. Ihr Chef stand bereits vor der Tür, die Arme verschränkt, sein Gesicht rot vor Wut. Neben ihm stand Paul, der offensichtlich einen kleinen Umweg gemacht hatte, um sicherzustellen, dass Alejandras Tag noch schlimmer wurde.

„Sie sind gefeuert!“, brüllte der Besitzer, noch bevor Alejandra den Mund aufmachen konnte.

„Aber Chef, ich musste ihm helfen, es war ein Notfall…“, stammelte sie.

„Sie haben das Lieferfahrrad für ein Rennen missbraucht! Paul hat mir alles erzählt. Sie sind unzuverlässig und eine Diebin. Verschwinden Sie!“

Alejandra stand da, den Tränen nahe, als José, der ihr gefolgt war, um die Ecke bog. Er hörte die letzten Worte und sah den Triumph in Pauls Augen. Paul hatte nicht nur das Rennen manipuliert, er zerstörte nun auch systematisch das Leben derer, die sich ihm in den Weg stellten.

„Das ist meine Schuld“, sagte José leise, als sie allein auf dem Gehweg standen. Alejandra saß auf dem Bordstein, den Kopf in den Händen vergraben.

„Nein“, seufzte sie und wischte sich über die Augen. „Er ist ein schlechter Mensch. Ich wollte dort sowieso nicht mehr arbeiten. Aber ich brauche das Geld für mein Studium. Mir fehlt nur noch die Abschlussarbeit in Physiotherapie.“

José setzte sich neben sie. „Physiotherapie? Wirklich?“ Ein Plan begann sich in seinem Kopf zu formen. „Hör zu. Ich brauche einen Partner. Jemanden, der sich mit Mechanik auskennt, der den Körper versteht und der meinen Trainingsrhythmus mithalten kann. Ich bin zwar nur ein Lieferbursche, aber ich will dieses Rennen gewinnen. Hilf mir, und wenn ich das Stipendium gewinne, teile ich das Preisgeld mit dir.“

Alejandra sah ihn an. In seinen Augen lag keine Arroganz, nur eine ehrliche Bitte. „Ein Lieferbursche und eine Arbeitslose gegen den Favoriten des Fonds?“, fragte sie und ein kleines Lächeln huschte über ihr Gesicht.

„Klingt nach einem guten Team“, antwortete er.

Am nächsten Morgen trafen sie sich um acht Uhr im Park. Der Nebel hing noch tief über den Wegen, und die Luft war frisch. Alejandra hatte ihr altes Werkzeug mitgebracht und Josés geliehenes Fahrrad so gut wie möglich eingestellt. Sie begannen das Training. Es war hart. José pushte sich an seine Grenzen, getrieben von dem Wunsch, die Ungerechtigkeit zu beenden, die diesen Ort vergiftete. Alejandra fuhr neben ihm, korrigierte seine Haltung, trieb ihn an.

„Schneller, José! Konzentrier dich! Paul wird nicht fair spielen, also musst du so gut sein, dass er gar nicht erst die Chance hat, zu betrügen.“

Während einer Pause, als José schwer atmend am Boden saß, näherte sich Paul. Er war nicht zum Trainieren hier. Er war hier, um eine Botschaft zu senden. Als José wieder aufstieg und eine Runde drehte, schoss plötzlich ein ferngesteuertes Auto aus dem Gebüsch, direkt vor sein Vorderrad.

José riss den Lenker herum, verlor das Gleichgewicht und stürzte hart auf die Schulter. „Ups!“, rief Paul, der hinter einem Baum hervortrat, eine Fernbedienung in der Hand. „Ich habe dich gar nicht gesehen. War wohl ein Unfall.“ Er lachte dreckig und ging davon. „Pass besser auf, morgen könnte es schlimmer ausgehen.“

Alejandra rannte zu José. Er hielt sich die Schulter, sein Gesicht verzerrt vor Schmerz. „Nicht bewegen!“, befahl sie und ihre professionelle Ausbildung übernahm das Kommando. Ihre Hände tasteten vorsichtig seine Muskeln und Gelenke ab. „Es ist nichts gebrochen, glaube ich. Aber es ist stark geprellt.“

Sie half ihm zu einer Bank und begann, seine Schulter mit einem provisorischen Verband zu stabilisieren. Während sie arbeitete, herrschte eine intime Stille zwischen ihnen.

„Warum hast du aufgehört zu studieren?“, fragte José, um den Schmerz zu vergessen.

„Geld“, sagte sie schlicht. „Es ist immer das Geld. Aber wenn wir das gewinnen, kann ich zurück zur Uni. Und du? Warum ist dir das so wichtig? Du scheinst… anders zu sein als die anderen Lieferfahrer.“

José zögerte. Er konnte ihr noch nicht die Wahrheit sagen. „Sagen wir einfach, ich hasse Ungerechtigkeit. Und ich habe das Gefühl, dass dieser Fonds nicht so geführt wird, wie er sollte.“

Alejandra zog den Verband fest. „Fertig. Du bist ein Rätsel, José Daniel. Aber ein nettes Rätsel.“ Sie sahen sich einen Moment lang in die Augen, und in der kühlen Morgenluft lag das Versprechen von mehr als nur Freundschaft. „Versprich mir eins: Wenn es morgen früh immer noch so weh tut, fährst du nicht.“

„Ich werde fahren“, sagte er stur. „Ich muss.“

Der Tag des Rennens kam. Die Atmosphäre war noch feindseliger als beim ersten Mal. Paul stand an der Startlinie, flankiert von Damaris und einigen seiner Freunde, die alle aussahen, als führten sie nichts Gutes im Schilde.

„Bereit zu verlieren, Lieferjunge?“, spottete Paul.

José ignorierte ihn. Er sah zu Alejandra, die am Rand der Strecke stand. Sie nickte ihm zu. Sie hatte einen Plan. Während José sich aufwärmte, schlich Alejandra durch die Menge. Ihr Instinkt sagte ihr, dass Paul nicht allein arbeitete. Sie beobachtete die Strecke, suchte nach Unregelmäßigkeiten.

Und dann sah sie ihn. Ein Mann in dunkler Kleidung, der sich unauffällig in einer Kurve postiert hatte, die Hand tief in der Tasche vergraben. Als die Startpistole knallte und die Fahrer losrasten, sah Alejandra, wie der Mann eine Handvoll glitzernder Metallteile auf den Asphalt werfen wollte.

„Hey!“, schrie sie und rannte auf ihn zu. „Lass das fallen!“

Der Mann erschrak, ließ die Nägel fallen – aber glücklicherweise neben die Strecke – und versuchte zu fliehen. Doch Alejandra war schneller. Sie packte ihn am Arm und riss ihn herum. „Du kommst mit mir! Wir gehen zur Polizei!“

Auf der Strecke lieferten sich José und Paul ein Kopf-an-Kopf-Rennen. José spürte jeden Pedaltritt in seiner verletzten Schulter, ein stechender Rhythmus aus Schmerz und Adrenalin. Paul versuchte, ihn abzudrängen, schnitt ihm den Weg ab, fuhr Zickzack.

„Gib auf!“, keuchte Paul.

„Niemals!“, schrie José zurück. Er dachte an Alejandra, an ihr verlorenes Studium, an ihre ungerechte Kündigung. Er mobilisierte seine letzten Reserven. In der letzten Kurve, dort, wo die Nägel hätten liegen sollen, zog Paul nach innen, erwartend, dass José stürzen würde. Doch die Strecke war frei. José nutzte die Lücke, die Paul in seiner Überheblichkeit gelassen hatte, und schoss an ihm vorbei.

Er überquerte die Ziellinie eine Radlänge vor Paul.

Der Jubel blieb aus, denn Damaris trat sofort vor, das Gesicht rot vor Zorn. „Halt! Das zählt nicht! Es gab… Unregelmäßigkeiten!“

Paul, der sein Rad wütend auf den Boden warf, schrie: „Er hat betrogen! Er muss betrogen haben! Ich fordere eine Annullierung!“

In diesem Moment kam Alejandra zurück, den Saboteur fest im Griff, gefolgt von zwei Polizisten, die in der Nähe patrouilliert hatten. „Der einzige, der hier betrügt, bist du, Paul!“, rief sie. „Dieser Mann hier hat gestanden, dass du ihn bezahlt hast, um Nägel zu streuen!“

Der Saboteur nickte ängstlich. „Er hat mich gezwungen! Er und die Frau da!“ Er zeigte auf Damaris.

Damaris wurde bleich. „Ich… ich weiß von nichts.“

„Genug!“, sagte Paul und versuchte, seine Autorität zurückzugewinnen. „Wer glaubt schon einem Liefermädchen und einem Kriminellen? Ich bin der Sohn des Schatzmeisters! Ich entscheide, wer gewinnt.“

José Daniel trat vor. Er humpelte leicht, aber seine Haltung war aufrecht und königlich. Er zog seine Kappe ab und sah Damaris direkt in die Augen. „Sie wissen genau, wer ich bin, Damaris. Oder muss ich meinen Vater anrufen?“

Damaris’ Augen weiteten sich vor Entsetzen. „José Daniel… der Sohn des Gründers…“

Ein Raunen ging durch die Menge. Paul erstarrte. „Was? Das ist unmöglich. Du bist nur ein Niemand.“

„Ich bin José Daniel“, sagte er laut, damit es jeder hören konnte. „Mein Vater hat mich hergeschickt, weil es Gerüchte gab. Gerüchte über Korruption, über Bevorzugung, über Betrug in seinem Fonds. Ich wollte es nicht glauben. Ich wollte sehen, ob es wahr ist.“ Er blickte kalt auf Paul. „Und ich habe alles gesehen, was ich sehen musste.“

Er drehte sich zu den Polizisten um. „Nehmen Sie die Aussagen auf. Ich werde als Zeuge fungieren. Damaris, Sie sind hiermit von Ihren Aufgaben entbunden. Paul, du wirst nie wieder an einem Wettbewerb teilnehmen, der von meiner Familie finanziert wird.“

Paul sank in sich zusammen, seine Arroganz wie ein Kartenhaus eingestürzt. Als die Polizei ihn und seine Komplizen abführte, kehrte Ruhe ein.

José drehte sich zu Alejandra um, die ihn mit offenem Mund anstarrte. „Du… du bist der Sohn des Besitzers? Du hast mich die ganze Zeit angelogen?“

„Ich habe nicht gelogen“, sagte José sanft. „Ich habe nur nicht die ganze Wahrheit gesagt. Ich musste wissen, wem ich vertrauen kann. Und du hast mir geholfen, als ich nichts war als ein verletzter Radfahrer mit einem kaputten Traum. Du hast mir geholfen, ohne eine Gegenleistung zu erwarten. Das ist der Geist, den dieser Fonds eigentlich verkörpern soll.“

Er nahm ihre Hand. „Alejandra, der Posten des Direktors ist nun vakant. Ich brauche jemanden, dem ich vertrauen kann, jemanden, der weiß, was harte Arbeit bedeutet und der für Gerechtigkeit kämpft. Ich möchte, dass du die Leitung des lokalen Fonds übernimmst.“

„Ich?“, stammelte sie. „Aber… mein Studium…“

„Der Fonds wird dein Studium finanzieren“, lächelte José. „Du kannst deine Physiotherapie-Ausbildung beenden und gleichzeitig dafür sorgen, dass hier nie wieder jemand betrogen wird. Was sagst du?“

Alejandra blickte sich um. Die Sonne brach durch die Wolken, tauchte den Park in goldenes Licht. Der Albtraum der letzten Tage war vorbei. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll“, flüsterte sie.

„Sag einfach Ja, Partnerin“, sagte José.

Sie lächelte, und es war das strahlendste Lächeln, das er je gesehen hatte. „Ja. Ich nehme an.“

José Daniel hatte das Rennen gewonnen, aber an diesem Tag gewannen sie beide etwas viel Wichtigeres: eine Zukunft, die auf Wahrheit und Vertrauen gebaut war. Und während sie ihre Fahrräder nebeneinander schoben, wussten sie, dass dies erst der Anfang ihres gemeinsamen Weges war.

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