Die emotionale Wucht im Mordfall Fabian hat einen neuen Siedepunkt erreicht. Während die Hauptverdächtige Gina H. beharrlich schweigt, bricht eine enge Vertraute der Mutter, Rafaela J., das Schweigen und verkündet mit erschreckender Gewissheit: „Ich weiß, wer es war!“ und „Der Fall wird bald gelöst.“ Doch inmitten dieses Chor der Spekulationen mahnt der renommierte Kriminalist und Profiler Axel Petermann zur Nüchternheit. Er sieht in dieser Entwicklung nicht nur den Ausdruck tiefster Verzweiflung, sondern auch eine akute Gefahr für die Integrität der Ermittlungen. Für Petermann ist dieser Fall eine Blaupause für den Verrat des tiefsten menschlichen Vertrauens. Er führt uns durch das psychologische Puzzle: Welche tödliche Logik steckt hinter dem Verbrechen? Und warum könnte Fabians eigenes Vertrauen der Schlüssel zum Verhängnis gewesen sein?

Teil I: Die psychologische Verankerung – Petermanns Kernfrage
Wenn ein Fall derart emotional und öffentlich aufgeladen ist, sieht Petermann seine Aufgabe darin, einen psychologischen Anker zu setzen. Er blendet das mediale Rauschen aus und konzentriert sich auf die eine zentrale, klinische Frage, die jeder Profiler stellen muss, um das Motiv zu entschlüsseln:
„Welchen vermeintlichen Nutzen erhoffte sich die Täterin vom Tod des Jungen?“
Diese Frage, die Petermann selbst in die Debatte warf, ist der Schlüssel, um Gina H.s Rolle über die reine Indizienkette hinaus zu verstehen. Sie verschiebt den Fokus von der bloßen Tatbegehung auf die psychologische Notwendigkeit hinter dem Verbrechen. Petermanns Analyse legt offen, dass es in diesem Fall nicht um zufällige Gewalt ging, sondern um eine sehr persönliche, emotional aufgeladene Störung – eine Störung, die ihren Ursprung in Fabians familiärem Umfeld hatte.
Bevor er jedoch die möglichen Antworten auf diese Frage liefert, muss der Experte die Blaupause des Verrats untersuchen: die tödliche Rolle, die Fabians Vertrauen in die mutmaßliche Täterin spielte.
Teil II: Der Modus Operandi des Vertrauensbruchs – Die Falle des „zweiten Zuhauses“
Für Petermann ist die Art und Weise, wie Fabian mutmaßlich in die Hände seines Mörders geriet, ein klares Zeichen für ein Täterprofil aus dem Nahbereich. Die Öffentlichkeit fragte sich, wie ein Kind einfach so verschwinden kann, doch die Antwort liegt laut Petermann in der emotionalen Manipulation durch Nähe.
Die wichtigste Erkenntnis lieferte die Familie selbst, wie Rafaela J. enthüllte: Der achtjährige Fabian, ein Junge, der wusste, dass er nicht zu Fremden ins Auto steigen durfte, hätte dies bei Gina H. „ohne zu zögern ins Auto gestiegen wäre“.
Petermann sieht hier den fatalen Mechanismus der Täuschung:
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Der Ankerpunkt: Gina H. galt Fabian als „zweites Zuhause“. Dieses Vertrauensverhältnis, das auch nach der Trennung von Fabians Vater bestehen blieb, wurde zur tödlichen Falle.
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Die Täuschung der Mutter: Fabians Mutter verwarf den anfänglichen Verdacht, dass Gina H. ihren Sohn abgeholt haben könnte, weil sie davon ausging: „Gina würde mir sagen, wenn sie meinen Sohn mitnimmt.“. Für Petermann ist dies ein klassisches Beispiel dafür, wie tief das Vertrauen in die „Fassade der Normalität“ saß und wie rational die Mutter in einem irrationalen Moment dachte.
Die Tatsache, dass Fabians Leiche anschließend transportiert wurde und am Fundort verbrannt werden sollte, um Spuren zu verwischen, deutet für den Profiler auf eine hohe Täterkontrolle und den Wunsch hin, die Tat vollständig aus dem persönlichen Umfeld zu tilgen. Das Verbrechen war demnach keine Impulshandlung, sondern eine grausame, wenn auch laienhafte, Inszenierung.
Teil III: Das Motivprofil – Eifersucht, Verlust und der Rivalen-Gedanke
Zurück zur zentralen Frage nach dem Nutzen. Petermann analysiert die bekannten Fakten über Gina H. vor dem Hintergrund der Trennung im August. Hier verdichten sich die Indizien zu einem Motiv-Profil, das von Verlust, Verzweiflung und Eifersucht geprägt ist.
Petermanns Analyse der Motive (Psychologische Antworten auf die Kernfrage):
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Fabian stand im Wege: Fabians Anwesenheit und seine fortgesetzte Bindung an den Vater könnte von Gina H. als unüberwindbares Hindernis für eine mögliche Wiederannäherung an den Ex-Partner empfunden worden sein. Der Junge, der das „zweite Zuhause“ so liebte, wurde ungewollt zum „Rivalen“ um die Aufmerksamkeit des Vaters.
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Eifersucht auf das Kind: Die andere Möglichkeit, die Petermann andeutet, ist die Eifersucht auf das Kind selbst. Die enge Beziehung zwischen Fabian und seinem Vater nach der Trennung könnte bei Gina H. ein Gefühl des endgültigen Ausschlusses und des Verlustes ausgelöst haben, das sie nur durch Fabians Tod zu tilgen glaubte.
Für den Profiler sind diese psychologischen Eskalationsfaktoren erschütternd: „Dass ein Kind sterben musste, weil es geliebt wurde“. Sie liefern die Erklärung dafür, warum die Tat ausgerechnet von einer vertrauten Bezugsperson begangen worden sein könnte.
Die Indizien, die die Ermittler gesichert haben – der beschlagnahmte Ford Ranger und der verkohlte Handschuh – sind für Petermann die physische Manifestation dieses psychologischen Abgrunds: Sie zeigen die Notwendigkeit des Transports und den Versuch der Spurenbeseitigung, um die Tat von der eigenen Person abzuwenden.
Teil IV: Die Dekonstruktion des Schweigens – Täterverhalten und Widersprüche
Der Umstand, dass Gina H. in Haft beharrlich schweigt, ist für Petermann kein Zeichen von Stärke, sondern ein klassisches Täterverhalten. Er analysiert die Situation nüchtern:
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Schweigen vs. Beweis: Rafaela J.s Aussage, die Verdächtige werde mit ihrem Schweigen nicht weiterkommen, impliziert, dass die Beweislage so stark ist, dass ein Geständnis juristisch nicht notwendig ist. Petermann stimmt dieser Logik zu: Die Ermittler müssen auf unabhängige, materielle Beweise setzen (DNA, Fasern, Brandbeschleuniger-Rückstände auf dem Handschuh), um die Tat rekonstruieren zu können.
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Widersprüche als Warnsignal: Die Tatsache, dass Gina H. bereits im Zeugenstatus widersprüchliche Aussagen gemacht hatte, ist für jeden Profiler ein entscheidendes Warnsignal. Es deutet auf eine Strategie der Vertuschung hin, die von Anfang an versucht hat, die Wahrheit zu manipulieren.
Petermann betrachtet auch die juristische Strategie des Verteidigers, der bisher keine Haftprüfung beantragt hat. Dies ist für ihn ein Indikator dafür, dass die Verteidigung die Stärke des dringenden Tatverdachts anerkennt. Eine abgelehnte Haftprüfung wäre ein öffentlicher Punktgewinn für die Anklage und würde die juristische Position der Verdächtigen weiter schwächen.
Teil V: Der Konflikt der Wahrheiten – Analyse des Rafaela-Faktors
Petermann muss sich nun der größten externen Störung widmen: der öffentlichen Erklärung von Rafaela J. („Der Fall wird bald gelöst.“).
Als Kriminalist bewertet er diese Aussage als hochproblematisch, auch wenn die Intention der Freundin – Gerechtigkeit für Fabian und Trost für die Mutter – edel ist.
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Gefährdung der Ermittlungen: Die öffentliche Verkündung eines „baldigen“ Durchbruchs setzt die Staatsanwaltschaft unter untragbaren Zeitdruck. Die Ermittler benötigen Zeit und Gründlichkeit, um eine Beweislage zu schaffen, die vor Gericht standhält. Petermann warnt davor, dass die Emotionen der Öffentlichkeit die notwendige Geduld der Justiz überschreiben könnten.
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Verletzung der Unschuldsvermutung: Rafaela J.s unerschütterliche Überzeugung, sie wisse, wer es war, führt zu einer Vorverurteilung in der öffentlichen Meinung. Petermann mahnt, dass im Rechtsstaat die Unschuldsvermutung gilt, bis die Schuld bewiesen ist. Die tiefe Angst der Familie, Gina H. könnte freikommen, ist verständlich, darf aber nicht das juristische Verfahren korrumpieren.
Petermann erkennt auch die Zerrissenheit der Mutter an. Dorina L. fühlt sich nach fünf traumatischen Vernehmungen durch die Polizei „alleingelassen“. Für den Profiler ist dies der Ausdruck der Diskrepanz zwischen dem quälenden Erleben der Mutter (die jeden Tag mit dem Verlust lebt) und der notwendigen, aber kalten Logik der Beweisführung des Staates.
Fazit: Petermanns Ausblick auf das endgültige Urteil
Der Fall Fabian ist für Axel Petermann ein Lehrstück über die Abgründe menschlicher Eifersucht und den Verrat des Vertrauens. Der Schlüssel zur Lösung liegt nicht in der öffentlichen Spekulation, sondern in der detaillierten forensischen Arbeit (DNA, Handschuh, Fahrzeugspuren).
Petermanns abschließender Ausblick ist klar: Die Zeit ist notwendig. Das Schweigen der Verdächtigen mag ihre juristische Taktik sein, doch die Beweise, die sich auf Fabians tödliches Vertrauen und die physischen Spuren stützen, werden am Ende lauter sprechen als jedes Schweigen. Die Frage ist nicht, ob die Wahrheit ans Licht kommt, sondern wann – und dieser Zeitpunkt wird durch die Gründlichkeit der Ermittlungen und nicht durch das emotionale Ultimatum der Öffentlichkeit bestimmt.