„Blase der Illusionen“: Wie Europas Ukraine-Politik im Clinch zwischen Moral und knallharter Realpolitik zerbricht

„Blase der Illusionen“: Wie Europas Ukraine-Politik im Clinch zwischen Moral und knallharter Realpolitik zerbricht


Article: „Die Ukraine kann den Krieg nicht gewinnen“: Die schonungslose Abrechnung im Hangar-7

In einer der kontroversesten Debatten der letzten Zeit prallten im „Talk im Hangar-7“ zwei diametral entgegengesetzte Sichtweisen auf den Ukraine-Krieg aufeinander. Auf der einen Seite der bekannte Philosoph Richard David Precht, der mit einer schonungslosen Analyse der westlichen Strategie eine „Blase der Illusionen“ anprangert. Auf der anderen Seite die österreichische NEOS-Vorsitzende Beate Meinl-Reisinger, die vehement die Verteidigung des Völkerrechts und der europäischen Werte in einer multipolaren Weltordnung einfordert. Prechts zentrale, von Anfang an unmissverständliche These: „Die Ukraine kann diesen Krieg nicht gewinnen.“ Eine Aussage, die nicht nur aufrüttelt, sondern die europäische Politik in ihren Grundfesten herausfordert und eine ehrliche Bestandsaufnahme ihrer Dreijahresstrategie verlangt.


Das Scheitern einer Strategie der Illusion

Precht argumentiert, dass die westliche Strategie, die Ukraine in einer mehrheitlich verteidigten Talkshow-Position für einen Sieg zu rüsten, gescheitert ist. Diese Politik habe den Konflikt nur unnötig verlängert und die Ukraine in eine Position der Schwäche manövriert. Seine Kritik richtet sich insbesondere auf die Situation nach den ersten sechs Kriegswochen. Er verweist auf die möglicherweise bereits verhandelten Friedensverträge in Istanbul, deren Unterzeichnung damals auf Drängen europäischer Akteure – allen voran Boris Johnson – verhindert worden sein soll.

„Damals wären die von Russland besetzten Gebiete der Ukraine als Autonomiegebiete erhalten geblieben“, konstatiert Precht. Heute, drei Jahre später, sei klar: „Die besetzten Gebiete sind weg und möglicherweise ist sogar mit ganz Donbas noch mehr weg.“ Diese Entwicklung sei der Beweis dafür, dass die verteidigte Strategie der Europäer die Situation Kiews massiv verschlechtert habe. Precht fordert eine radikale Ehrlichkeit: „Diese Strategie, die wir drei Jahre verteidigt haben, […] die müssen wir uns ganz ehrlich machen als Europäer: sie ist gescheitert“. Die Aufrechterhaltung der Illusion, dass die Ukraine alle Gebiete inklusive der Krim zurückerobern könne, sei unrealistisch. Der ehemalige US-Generalstabschef Mark Milley habe dies bereits im Herbst 2022 klar angedeutet.


Die Verteidigung des Rechtsstaats: Kein Frieden um jeden Preis

Beate Meinl-Reisinger hält dieser Realpolitik-Forderung das Konzept der wertebasierten Ordnung und die unbedingte Verteidigung des Völkerrechts entgegen. Sie gesteht zwar ein, dass die Dominanz des Westens der Vergangenheit angehöre und Europa dringend eine autonome militärische Verteidigungsfähigkeit aufbauen müsse. Doch die zentrale Frage bleibe: Darf Aggression belohnt werden?

„Ich bin auch nicht ihrer Meinung, dass damit die russische Aggression aufgehört hätte [wenn es keine westliche Unterstützung gäbe]“, kontert Meinl-Reisinger. Sie erinnert an die zahlreichen Verträge und Sicherheitsgarantien – vom Budapester Memorandum bis Minsk –, die Russland vom Tisch gewischt habe. Für sie steht fest: Die russische Aggression hätte ohne Gegenwehr nicht geendet. Sie verweist auf die Massaker von Butscha, die Ende April 2022 sichtbar machten, welche Verbrechen die russischen Truppen verübten. In dieser Situation sei es für einen demokratischen Präsidenten unmöglich gewesen, Frieden zu schließen, da dies als Kapitulation inmitten grauenhafter Gräueltaten gewertet worden wäre.

Für Meinl-Reisinger ist der Kern der europäischen Haltung die Absage an Gewalt als Mittel zur Grenzverschiebung. Es gehe darum, ob in einer multipolaren Weltordnung das Recht an oberster Stelle stehe und ein Präzedenzfall verhindert werde, der Diktatoren zeige: „Ich kann wieder mir nehmen mit militärischer Gewalt, was ich möchte“.


Putin’s wahre Kriegsziele und die Rolle der Bodenschätze

Ein besonders brisanter Punkt der Diskussion ist die Frage nach den tatsächlichen Zielen Wladimir Putins. Precht unterstellt den Europäern, Illusionen zu schüren, indem sie Friedensverträge fordern, in denen Russland auf die bereits blutig eroberten Gebiete verzichten soll. Er ist überzeugt, dass die russischen Truppen nicht aufhören werden, bevor sie den gesamten Donbas kontrollieren.

Die Begründung dafür ist rein pragmatisch und hart: Der Kriegseinsatz muss sich lohnen. Die Rede ist von „Beute“ für die „hunderttausende“ toter und verwundeter Soldaten auf russischer Seite. Die strategische Bedeutung der Gebiete ist immens:

  • Bodenschätze: Der allererheblichste Teil der Bodenschätze der Ukraine, darunter Kohle, Gas und vor allem Lithium-Vorkommen, liegt im Donbas.

  • Strategische Städte: Die Festungsstädte Slowiansk und Kramatorsk sind von herausgehobener strategischer Bedeutung.

  • Schwarzmeer-Zugang: Meinl-Reisinger ergänzt, dass es um knallharte geostrategische und wirtschaftliche Interessen gehe. Die Kontrolle des Schwarzmeer-Zugangs erlaube Russland, den globalen Hunger zu steuern und Migrationsströme zu kontrollieren.

Precht kritisiert, dass Europa Verträge fordere, die mit „sicherem Wissen“ nicht unterschrieben werden, was er als illusionär und als reine Selbstvergewisserung der eigenen Moral anprangert. Er ist überzeugt, dass der europäische Beitrag am Ende eines Friedensvertrages „gar nichts zählt“.


Europa im Würgegriff: Ökonomische Ruinierung durch Aufrüstung?

Prechts schärfste Warnung richtet sich jedoch an die europäischen Volkswirtschaften selbst. Er deutet die Drohnenflüge über Nachbarländern nicht als direkten Angriffswillen, sondern als psychologische Kriegsführung, die darauf abzielt, Europa in einen „mörderischen Rüstungswettlauf“ zu treiben.

„Europa kann sich durch nichts mehr ökonomisch schädigen, als wenn wir das ganze Geld, was wir in Innovationen stecken müssen, […] stattdessen aufrüsten“, warnt Precht. Er sieht darin „den größten Gefallen, den wir Putin überhaupt tun können“, da wir unsere Volkswirtschaften ruinieren und Europa das Genick brechen würden.

Meinl-Reisinger entgegnet zwar mit der Notwendigkeit von Diversifizierung der Lieferketten und der Tatsache, dass Russland selbst enorme militärische Schwierigkeiten habe, ihre Ziele zu erreichen. Doch der Dissens bleibt:

  • Precht: Sofortiger Realpolitik-Frieden, um die Ukraine vor Schlimmerem zu bewahren und Europa vor dem wirtschaftlichen Ruin durch illusionäre Aufrüstung zu retten.

  • Meinl-Reisinger: Festhalten an der wertebasierten Ordnung, Unterstützung der Ukrainer bei ihrem Wunsch nach Selbstverteidigung und der klaren Haltung, dass Gewalt keine Grenzen verschieben darf.

Die Debatte endet mit der ungelösten Frage: Wie findet Europa einen Ausweg aus diesem Dilemma? Ist der Weg der Moral die einzige Möglichkeit, das Gesicht und die Werte zu wahren, auch wenn es die Situation an der Front verschlechtert? Oder muss Europa, wie Precht fordert, endlich zur knallharten Realpolitik zurückkehren und sich von der „Blase der Illusionen“ befreien, um langfristige Schäden für die Ukraine und den Kontinent abzuwenden? Die Antwort darauf wird die Zukunft Europas in der neuen multipolaren Weltordnung entscheidend prägen.

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