Es ist der 18. Februar 1943 kurz vor 11 Uhr vormittags. Im Lichthof der Münchner Universität liegt eine unheimliche Stille. Die Vorlesungen laufen noch. Hinter den geschlossenen Hörsaaltüren sitzen hunderte Studenten. Sophie Scholl steht im zweiten Stock an der Brüstung, einen Stapel Flugblätter in den Händen.

Ihr Bruder Hans ist bereits auf dem Weg nach draußen. Sie hätten jetzt gehen können. Niemand hätte sie gesehen. Doch dann tut Sophie etwas, das ihr Leben kosten wird. In einem Moment des Übermuts, der Verzweiflung oder vielleicht der tiefen Überzeugung, schiebt sie die restlichen Flugblätter über die Brüstung.
Sie segeln durch die Luft, tanzen im Licht, flattern in den Lichthof hinaben. Der Hausmeister Jakob Schmied blickt nach oben. Vier Tage später wird Sophie Scholl tot sein. Dabei hatte alles so gewöhnlich begonnen. Am 9. Mai 1921 wurde Sopia Magdalena Scholl in Vorchtenberg am Kocher geboren. In einer Zeit als Deutschland noch unter den Folgen des Ersten Weltkriegs litt.
Ihr Vater Robert war Bürgermeister der kleinen Wirtenbergischen Stadt, ein überzeugter Pazifist und Demokrat. Die Mutter Magdalena, eine ehemalige Diakonisse, prägte die Kinder mit christlichen Werten. Sopie wuchs auf in einer Familie mit fünf Geschwistern. behütet und geliebt. Besonders zu ihrem älteren Bruder Hans entwickelte sich eine enge Bindung, die ihr ganzes Leben bestimmen sollte.
Die Kindheit in Forchtenberg endete abrupt, als der Vater 19 sein Amt verlor. Die Familie zog über Ludwigsburg nach Ulm, wo Sophie zur Schule ging. Sie war ein lebhaftes Mädchen, wissbegierig, künstlerisch begabt. Sie zeichnete, spielte Klavier und Blockflöte, liebte die Natur über alles. In ihren Tagebüchern beschrieb sie, wie sie ihr Gesicht an die Rinde eines Baumes presste und sich zu Hause fühlte.
Es war eine sensible Seele in einer Zeit, die keine Sensibilität duldete. Als die Nationalsozialisten 1933 die Macht übernahmen, war Sophie 12 Jahre alt und sie tat etwas, das ihre Eltern entsetzt zurücklassen sollte. Sie trat freiwillig dem Bund deutscher Mädel bei gegen alle Warnungen des Vaters, der Hitler von Anfang an durchschaut hatte.
Sophie liebte die Gemeinschaft, die Fahrten, das Gefühl, Teil von etwas Größerem zu sein. Sie wurde Gruppenführerin, erschien sogar in BDM Uniform zu ihrer Konfirmation 1937. Zeitgenossen beschrieben sie in dieser Phase als rigoros, fast fanatisch. Es schien, als hätte das Regime eine überzeugte Anhängerin gewonnen.
Doch dann kam der Herbst 1937 und mit ihm der Bruch. Die Gestapo verhaftete ihren Bruder Hans wegen bündischer Umtriebe. Er hatte eine Jugendgruppe gegründet, die sich an der verbotenen bündischen Jugend orientierte. Auch Sophie wurde stundenlang verhört. Fünf Wochen blieb Hans in Haft. Als er zurückkam, war etwas in beiden Geschwistern zerbrochen.
Sie hatten gesehen, wie der Staat mit seinen Kindern umging. Die Begeisterung wich der Ernüchterung, dann dem Zweifel, schließlich der inneren Ablehnung. Sophie begann zu lesen. Augustinus Bekenntnisse, die sie heimlich während des Reichsarbeitdienstes 1941 studierte. Theodor Hacker, George Bernanos, Jacques Marita.
Diese Denker gaben ihr die Sprache für das, was sie fühlte. Sie schrieb in einem Brief: “Man muß einen harten Geist und ein weiches Herz haben.” Das wurde ihr Leitsatz. Die Härte brauchte sie für das, was kommen sollte. Im Mai kam Sophie nach München, um Biologie und Philosophie zu studieren. Sie zog in die Franz Josefstraße 13, wo auch Hans wohnte, Medizinstudent, Sanitäter an der Ostfront und längstteil eines kleinen Kreises junger Menschen, die das Regime ablehnten.
Alexander Schmorell, der russischstämmige Arzt in Ausbildung, Christoph Probst, Familienvater mit drei kleinen Kindern. Willig. der schweigsame Katholik und Professor Kurt Huber, der Philosoph, der den Studenten Halt gab. Sophie ahnte zunächst nicht, was ihr Bruder im Sommer 1942 begonnen hatte.
Die ersten Flugblätter der weißen Rose waren im Juni erschienen, heimlich verteilt, in Briefkästen gesteckt, in Zügen liegen gelassen. 100 Exemplare zunächst mühsam auf einer primitiven Druckmaschine hergestellt. Die Texte waren voll von Zitaten aus Göte und Schiller, von philosophischen Gedanken über Freiheit und Widerstand, aber sie waren auch konkret.
Das zweite Flugblatt wagte, was fast niemand in Deutschland aussprach. Es nannte den Massenmord an den Juden beim Namen und bezifferte die Opfer auf hunderttausende. Alsop viel davon erfuhr, zögerte sie nicht. Sie wollte dabei sein. Hans warnte sie, flehte sie fast an. Das war lebensgefährlich, hochverrat, sie würde sterben, wenn sie erwischt würden.
Doch Sophie blieb fest. “Einer muss ja schließlich damit anfangen”, sagte sie. Und so wurde sie Teil der Gruppe, half beim Drucken, beim Beschaffen von Material bei den Kurierfahrten. Am. Januar 1943 fuhr sie mit über 1000 Flugblättern im Koffer nach Augsburg und Ulm. Ihre Hände zitterten nicht, als die Polizei im Zug Kontrollen durchführte.
Sie wirkte wie eine gewöhnliche Studentin auf dem Heimweg. Niemand ahnte, dass der schwere Koffer ein Todesurteil enthielt. Für das fünfte Flugblatt hatte ihr Verlobter Fritz Hartnagel, ein Wehrmachtsoffizier ihnen 240 Reichsmark für eine bessere Druckmaschine gegeben. Er wusste nicht genau wofür, aber er vertraute Sophie.
Nach der Kapitulation von Stalingrad anfang Februar 1943 verfasste Professor Huber das sechste Flugblatt. Es war politischer als die anderen, direkter, radikaler. Der deutsche Name bleibt für immer geschändet, wenn nicht die deutsche Jugend endlich aufsteht, stand darin. Hans und Sophie druckten 1500 bis 1800 Exemplare.
Sie wollten sie in der Universität verteilen, während die Vorlesungen liefen. Ein letzter großer Wurf. Der 18. Februar begann wie ein gewöhnlicher Wintertag. Sophie und Hans packten die Flugblätter in einen Koffer und fuhren zur Universität. Gegen 10:30 Uhr betraten sie das Hauptgebäude. Die Gänge waren leer.
Hinter den Türen hörte man die Stimmen der Professoren. Systematisch legten sie die Flugblätter vor die Hörseele. Jeder konnte sie nach Vorlesungsende finden. Es lief perfekt. Sie waren fast fertig, doch dann dieser Moment an der Brüstung. Sopie mit dem Reststapel in der Hand. Später im Verhör versuchte sie es zu erklären. In meinem Übermut oder meiner Dummheit habe ich den Fehler begangen.
Aber vielleicht war es kein Fehler. Vielleicht wollte sie, dass die Flugblätter gesehen wurden, nicht heimlich in Ecken, sondern öffentlich, demonstrativ ein Zeichen setzen. Jakob Schmidt, der Hausmeister, sah die flatternden Blätter. Er sah nach oben. Er sah die junge Frau. Als Mann seit 1933 wußte er, was zu tun war.
Er rannte nach oben, packte Sophie und Hans, hielt sie fest, bis die Polizei kam. Die Gestapo übernahm sofort. Im Wittelsbacher Palais der Münchner Gestapo Zentrale begann das Verhör. Kriminalobersekretär Robert Moh führte die Befragung. Stundenlang leugneten beide. Sie hätten die Flugblätter nur gefunden, wollten sie der Universitätsleitung übergeben, eine durchsichtige Lüge. In der Nacht zum 19.
Februar gegen 4 Uhr morgens erfuhr Sophie, dass Hans gestanden hatte. Da brach sie zusammen, nicht aus Schwäche, sondern aus Kalkül. Wenn das Spiel vorbei war, mußte sie die anderen schützen. Sie gestand und sie versuchte systematisch alle Schuld auf sich und Hans zu laden. Moh bot ihr einen Ausweg an.
Sie solle doch sagen, ihr Bruder habe sie beeinflusst. Sie sei jung gewesen, naiv. Dann könne man über milde nachdenken. Sophie lehnte ab. Ihre Antwort wurde legendär. Ich bin nach wie vor der Meinung, das Beste getan zu haben, was ich gerade jetzt für mein Volk tun konnte. Ich bereue deshalb meine Handlungsweise nicht und will die Folgen auf mich nehmen.
Der Volksgerichtshof setzte den Prozess auf Montag, den 22. Februar an. Es war ein Schauprozess entschieden, bevor er begann. Roland Freisler, der berüchtigte Präsident des Volksgerichtshofs, reiste extra aus Berlin an. Ein kleiner fanatischer Mann, der Angeklagte, anschrie, bis seine Stimme überschlug. Der Saal im Justizpalast war voll.
Die Eltern drängten sich hinein, wurden hinausgeworfen. Der Vater schrie: “Es gibt noch eine andere Gerechtigkeit.” Sophie saß ruhig da. Als Freißler sie anbrüllte, sah sie ihm direkt in das Gesicht und sagte: “Sie wissen so gut wie ich, dass der Krieg verloren ist. Warum geben Sie das nicht zu?” Der Saal erstarrte. Niemand sprach soit Freisler.
Und dann dieser Satz, der durch die Geschichte hallen sollte, einer muß ja schließlich damit anfangen. Was wir sagten und schrieben, denken ja so viele. Nur wagen sie nicht, es auszusprechen. Um mittags fiel das Urteil. Tot durch die Guillotine für Hans Scholl, Sophie Scholl und Christoph Probst.
Wegen Hochverrats, Wehrkraftzersetzung und Feindbegünstigung. Sofortige Vollstreckung. Es gab keine Berufung, kein Gnadengesuch. Das Regime wollte ein Exempel statuieren. Die Eltern erhielten 10 Minuten für einen letzten Besuch im Gefängnis Stadelheim. Die Mutter umarmte ihre Tochter. Sophie sagte: “Geld, Mama, wir gehen für Jesus.
” Der Gefängnispfahrer Karl Alt begleitete die drei Verurteilten in ihren letzten Stunden. Sie rauchten Zigaretten, sprachen über Gott und die Welt. Sophie schien fast heiter. Sie sagte: “So ein herrlicher Tag und ich soll gehen. Aber was liegt an unserem Leben, wenn wir es damit schaffen, tausende von Menschen aufzurütteln und wach zu rütteln?” Um 5 Uhr in Taus nachmittags führte man sie in den Hinrichtungsraum.
Die Gillotine stand bereit. Sophie Scholl ging als erste. Sie war 21 Jahre alt. Ihre letzten Worte waren: “Die Sonne scheint noch.” Der Scharfrichter Johann Reichhart, der hunderte Menschen hingerichtet hatte, sagte später, er habe noch nie jemanden so tapfer sterben gesehen. 2 Minuten später wurde Hans hingerichtet.

Seine letzten Worte halten durch den Raum: “Es lebe die Freiheit.” Dann Christoph Probst, der Vater von drei Kindern, das jüngste gerade vier Wochen alt. Die Körper wurden in das Krematorium Ostfriedhof überführt und eingeäschert. Die Asche wurde auf dem Friedhof am Perlacher Forst in einem unmarkierten Grab verstreut. Das Regime wollte verhindern, dass ihr Grab zu einem Ort des Widerstands wird.
Doch genau das Gegenteil geschah. Das sechste Flugblatt erreichte über den Hamburger Zweig, der weißen Rose und den Kreisauerkreis das Ausland. Im Juli warfen britische Bomber hunderttausende Kopien über Deutschland ab. Thomas Mann würdigte die weiße Rose in einer BC Sendung: “Brave, herrliche, junge Leute, ihr sollt nicht umsonst gestorben sein.
” Die Nazis hatten versucht, ein Zeichen der Abschreckung zu setzen. Stattdessen schufen sie Märtürer. In den folgenden Monaten wurden weitere Mitglieder der weißen Rose hingerichtet. Alexander Schmorell und Kurth Huber am Juli 1943, Willly Graf am 12. Oktober 1943, nachdem die Gestapo monatelang versucht hatte, weitere Namen aus ihm herauszupressen.
Er schwieg bis zum Ende. Mindestens sechs Mitglieder der weißen Rose wurden hingerichtet, doch auch viele Unterstützer im erweiterten Kreis bezahlten mit dem Leben oder mit jahrelanger Haft. Heute mehr alszig Jahre später ist Sophie Scholl zur Ikone geworden. Fast sechs Straßen in Deutschland tragen den Namen Geschwister Schollstraße.
Hunderte Schulen sind nach ihr benannt. Vor der Münchner Universität sind Nachbildungen der Flugblätter in den Boden eingelassen. Genau dort, wo sie in den Lichthof segelten. In der Wahlhal bei Regensburg steht ihre Büste. als einzige Vertreterin des Widerstands gegen Hitler. Doch wer war Sophie Scholl wirklich? Die Forschung zeigt ein komplexeres Bild.
Sie war keine Heilige, sondern ein Mensch mit Widersprüchen. Ihre Tagebücher sprechen von Zweifeln, von Kämpfen, mit dem Glauben, von Momenten der Unsicherheit. Sie schrieb an Fritz Hartnagel: “Ich bin immer noch so fern von Gott, daß ich seine Gegenwart nicht einmal spüre, wenn ich bete.” Sie war verletzlich, manchmal launisch, oft in sich gekehrt, aber sie hatte die Stärke zu handeln, als es darauf ankam, was Sophie Scholl zur Symbolfigur macht, ist nicht Perfektion.
Es ist die Entscheidung in einem System totaler Unterdrückung die Stimme zu erheben, obwohl sie genau wusste, was es kosten würde. Sie hatte Angst, im Verhör zitterten ihre Hände, aber sie bereute nichts. Das ist die Essenz ihres Vermächtnisses, nicht Furchtlosigkeit, sondern Mut, trotz der Furcht. Auf der Rückseite ihrer Anklageschrift während des Prozesses hatte Sophie ein einziges Wort geschrieben: Freiheit.
Das war ihr Vermächtnis. Das Gesetz ändert sich, hatte sie im Verhör gesagt. Das Gewissen nicht. In einer Zeit, als Millionen Menschen schwiegen, wegschauten, mitmachten, entschied sich einejährige Studentin dafür nein zu sagen. Das kostete sie das Leben. Aber es rettete etwas viel Wichtigeres, die Idee, dass Widerstand möglich ist, dass Einzelne einen Unterschied machen können, dass es immer eine Wahl gibt.
Sophie Scholl starb am 22. Februar 1943 um 17 Uhr. Aber ihre Worte leben weiter. Einer muss ja schließlich damit anfangen. Was liegt an unserem Leben, wenn wir es damit schaffen, tausende aufzurütteln? Die Sonne scheint noch. Das sind keine leeren Phrasen. Das sind die letzten Gedanken einer jungen Frau, die wusste, dass sie in wenigen Minuten sterben würde und die trotzdem an die Zukunft glaubte.
Wenn dir diese Biographie gefallen hat, unterstütze den Kanal mit einem Like. Abonniere für weitere Biografien aus dem Zweiten Weltkrieg und schreib in die Kommentare, wessen persönliche Geschichte als nächstes erzählt werden soll. M.