Ihr Flugplatz Wissand, Nordfrankreich. Hauptmann Werner Mölders stand neben seiner Messerschmitt Bf 109 E und beobachtete, wie der erste graue Streifen des Morgenlichts die Kanalküste berührte. Die Luft roch nach Abgas und feuchtem Gras. 30 Meter entfernt drehten Mechaniker an den Propellern der anderen Maschinen. Das rhythmische Klicken der Zündung durchbrach die Stille.

Er trug bereits seinen Fallschirm. Die Riemen schnitten in die Schultern. Seine Handschuhe lagen auf der Tragfläche. In Minuten würde die Sonne über dem Horizont stehen. In zwölf Minuten würde er in der Luft sein. Der Befehl war klar gewesen: Freie Jagd über Dover. Keine Begleitaufgaben, keine Bomber, nur Jagd. Mölders kletterte ins Cockpit. Das Leder des Sitzes war kalt, die Instrumente spiegelten das schwache Licht.
Er schnallte sich an, prüfte die Ruderpedale, den Steuerknüppel. Links und rechts starteten die ersten Maschinen seiner Staffel. Das Heulen der Daimler-Benz Motoren füllte die Morgendämmerung. Er gab Gas, die Maschine rollte an, holperte über die Graspiste, beschleunigte: 60, 80, 110 Stundenkilometer. Die Räder verließen den Boden.
Steigflug: 2000 Meter, 3000. Die Sonne durchbrach jetzt die Wolkenbank im Osten, verwandelte den Ärmelkanal in eine glitzernde Metallfläche. Mölders drosselte den Aufstieg bei 4500 Metern, hielt Kurs Nordwest. Seine Staffel formierte sich hinter ihm. Maschinen in lockerer V-Formation. Keine enge Parade. Kampfabstand. Jeder Pilot hatte Raum zum Manövrieren.
Er griff nach der Funkverbindung. “Achtung, Schwarm, Augen auf! Sie kommen früh heute.” Die Antwort kam knisternd: “Verstanden, Herr Hauptmann.” Fünf Minuten später der erste Kontakt. Mölders sah sie zuerst: kleine, dunkle Punkte am westlichen Horizont, tief unter ihnen. Er kniff die Augen zusammen, zählte. 16. Nein, 18. Spitfires, RAF-Jäger der Elften Gruppe, vermutlich auf dem Rückweg von einer Aufklärung. Sie flogen in strenger Formation. Drei Ketten à sechs Maschinen, gestaffelt in der Höhe, lehrbuchmäßig, starr, genauso wie es die Briten seit Monaten taten. Und genau dort lag der Fehler.
Mölders hatte es Wochen zuvor erkannt, während einer Luftschlacht über Dünkirchen. Die RAF flog nach Vorschrift. Enge Formation, gegenseitige Deckung. Kein Pilot verließ seinen Platz. Es sah beeindruckend aus. Es wirkte unverwundbar, aber es hatte eine Schwäche, die niemand ausnutzte, weil niemand es wagte, die Regel zu brechen. Die Regel lautete: “Greife von hinten an, aus der Sonne, mit Höhenvorteil.” Mölders Regel lautete anders. “Schwarm auflösen!” sagte er ins Mikrofon.
“Rotten 1 und 2 mit mir nach unten. Rotten 3 und 4 bleibt oben. Deckung! Wir gehen durch.” Ein kurzes Zögern in der Leitung, dann: “Verstanden.” Er drückte den Steuerknüppel nach vorne. Die Messerschmitt kippte in den Sturzflug. Neben ihm folgten zwei weitere Maschinen. 4500 Meter, 4000, 3500. Die Geschwindigkeit stieg: 520 Stundenkilometer.
Der Wind pfiff durch die Cockpitdichtungen. Das Höhenruder vibrierte. Die Spitfires wurden größer. Mölders sah jetzt die Details: die elliptischen Tragflächen, die Kokarden, die Reflexionen auf den Cockpithauben. Sie hatten ihn noch nicht bemerkt. Noch flogen sie geradeaus, ordentlich, diszipliniert. Abstand: 1500 Meter. Jetzt! Mölders riss die Maschine nach rechts, tauchte unter die unterste Kette der Spitfires durch und zog hoch, direkt von unten, von vorne, aus dem toten Winkel. Die Briten hatten keine Geschütze nach vorne unten. Niemand erwartete einen Angriff von dort. Es war gegen alle Regeln. Es war Selbstmord, aber es funktionierte. Er drückte den Abzug. Die beiden 20-mm-MG-FF-Kanonen und die 7,92-mm-MGs feuerten gleichzeitig. Das Cockpit füllte sich mit dem Geruch von Kordit.
Die Leuchtspurgeschosse rasten nach vorne, trafen die erste Spitfire am Rumpf, am linken Flügel. Funken sprühten, Metall zerriss. Die Maschine kippte zur Seite, Rauch quoll aus dem Motor. Mölders zog durch, stieg weiter, drehte ab. Keine Zeit zum Beobachten. Die zweite Messerschmitt seiner Rotte folgte, attackierte die nächste Spitfire von derselben unmöglichen Position. Wieder Treffer, wieder Rauch. Die RAF-Formation brach auseinander. Panik.
Piloten rissen ihre Maschinen herum, suchten den Angreifer, fanden nur leeren Himmel. Mölders war bereits wieder oben, drehte erneut ein, beschleunigte. “Rotte 3! Jetzt!” befahl er. Von oben stürzten sich die nächsten vier Messerschmitts in den Kampf, aber diesmal von hinten, klassisch. Die Briten, noch orientierungslos von der ersten Attacke, reagierten zu langsam.
Drei weitere Spitfires wurden getroffen. Eine explodierte in der Luft. Die Trümmer wirbelten durch die Formation. Mölders atmete ruhig, zielte. Seine Hände lagen fest am Steuerknüppel. Er hatte es gewusst. Die enge Formation war keine Stärke. Sie war eine Falle. Einmal durchbrochen, wurde sie zum Chaos.
Die Piloten behinderten sich gegenseitig, kollidierten fast, verloren die Übersicht. Er griff die nächste Spitfire an, diesmal von schräg oben. Kurzer Feuerstoß, die Cockpithaube zerbarst. Die Maschine trudelte nach unten. Acht Minuten waren vergangen, seit der erste Schuss fiel. Sieben Spitfires waren abgeschossen.
Der Rest floh, die Formation vollständig aufgelöst. Mölders drosselte, flog einen weiten Bogen. Seine Staffel sammelte sich wieder. Keine Verluste, nicht ein Kratzer. “Zurück zur Basis,” sagte er. “Auftanken, in einer Stunde sind wir wieder oben.” Das Funkgerät knisterte. Einer seiner Piloten, Leutnant Klein, klang atemlos. “Herr Hauptmann, das war… Wie haben Sie das gewusst?” Mölders schaute auf den Kanal hinunter, wo kleine Rauchsäulen ins Meer stiegen.
“Weil sie nach Regeln fliegen,” sagte er leise. “Und Regeln kann man brechen.” Er drehte nach Osten, der Sonne entgegen. Es war erst 6:38 Uhr. Der Tag hatte gerade erst begonnen.
Mölders stand neben dem Kartentisch im Stabsgebäude, eine Tasse schwarzen Kaffee in der Hand. Oberst Theo Osterkamp, der Kommodore, studierte die Verlustmeldungen, die gerade aus England eingetroffen waren. Sieben bestätigte Abschüsse. Keine eigenen Verluste. Die Zahlen stimmten. “Erklären Sie mir das noch einmal,” sagte Osterkamp und tippte auf die Karte. “Sie sind von unten gekommen, frontal…” “Von schräg unten,” korrigierte Mölders. “Der Anstellwinkel ist entscheidend. Man greift nicht direkt frontal an.”
“Man kommt aus der Vertikalen, 30 Grad versetzt, steigt dann hoch durch die Formation. Drei Sekunden Feuerzeit, dann durch und weg.” “Und wenn Sie sie erwischen, während sie hochziehen, dann bin ich tot.” Mölders stellte die Tasse ab. “Aber sie erwischen mich nicht, weil sie nicht nach unten schauen. Ihre Formation ist auf Angriffe von hinten und oben ausgelegt. Der gesamte untere Sektor ist blind.”
Osterkamp schwieg einen Moment. “Wie oft können Sie das wiederholen?” Mölders sah auf die Uhr. “Heute so oft, bis sie ihre Taktik ändern. Und selbst dann: ich habe bereits die Antwort darauf.” Er griff nach einem Bleistift, zeichnete schnelle Linien auf die Karte. “Wenn sie die Formation auflockern, verlieren sie ihre Feuerkraft. Wenn sie sie beibehalten, sind sie verwundbar. Es ist eine Falle ohne Ausweg.” Osterkamp nickte langsam. “Dann fliegen Sie wieder. Aber nehmen Sie die gesamte Gruppe mit. Ich will sehen, ob sich das reproduzieren lässt.”
7:41 Uhr. Diesmal waren es Messerschmitts, die über den Kanal rasten. Mölders führte, hinter ihm drei Staffeln in gestaffelter Höhe. Die Morgensonne stand jetzt höher, verwandelte die Wolken in grelle weiße Türme. Der Funk blieb stumm. Jeder Pilot wusste, was zu tun war. Mölders hatte es vor dem Start erklärt, mit Handgesten und schnellen Skizzen im Sand. Die Taktik war einfach, aber sie verlangte Präzision und Mut. Bei Dover tauchte die nächste RAF-Formation auf.
Größer diesmal: 24 Spitfires, begleitet von zwölf Hurricane Jägern. Sie flogen in zwei Ebenen. Die Hurricanes tiefer, die Spitfires als Deckung darüber. Lehrbuchmäßig, starr. Mölders lächelte. “Alle Einheiten! Wolfstaktik! Staffel 1 mit mir nach unten. Staffel 2 greift die obere Ebene von der Seite. Staffel 3 bleibt Deckung.” Er ging in den Sturzflug.
Diesmal waren es nicht drei Maschinen, sondern elf. Sie fielen wie Steine. Die Motoren heulten im Überdruck. 5000 Meter, 4000, 3000. Die Hurricanes wuchsen in seinem Visier, ahnungslos, gerade. Ihre Propeller drehten sich gleichmäßig. 2000 Meter. Mölders zog leicht hoch, korrigierte den Winkel. Die anderen Messerschmitts folgten in perfekter Synchronisation.
Sie waren jetzt eine Wand aus Metall und Geschwindigkeit, unsichtbar von unten, tödlich von vorne. 1200 Meter, feuerfrei. Die erste Salve traf Hurricanes gleichzeitig. Mölders sah, wie die Geschosse die Rümpfe durchschlugen, wie Kühlflüssigkeit und Öl in schwarzen Streifen aus den Motoren sprühten. Eine Maschine verlor beide Flügel, zerrissen von 20-mm-Granaten.
Eine andere explodierte. Die Formation zerbrach, aber diesmal reagierten die Briten schneller. Die Spitfires oben kippten in scharfe Wendungen, versuchten nach unten zu kommen. Zu spät. Staffel 2 war bereits da, kam von der Seite, erwischte drei Spitfires im Übergang. Rauch, Feuer, fallende Trümmer.
Mölders zog durch die Lücke in der Hurricane-Formation, stieg steil, drehte hart nach rechts. Seine Flügel vibrierten unter der G-Last, das Blut sackte aus dem Kopf. Er presste die Bauchmuskeln an, kämpfte gegen die Schwärze am Rand seines Sichtfelds. Dann war er durch, wieder oben, wieder in Position. Ein Hurricane versuchte zu entkommen, flog nach Norden, niedrig über dem Wasser. Mölders folgte, beschleunigte.
500 Meter Abstand, 400, 300. Er zielte, korrigierte für die Bewegung, drückte ab. Die Leuchtspurgeschosse fraßen sich in den linken Flügel. Die Hurricane rollte, schlug auf das Wasser, zerbrach in einer weißen Gischt. Das Funkgerät explodierte in Stimmen. “Drei Uhr! Spitfire! Habe zwei am Schwanz! Klein, runter, runter!” “Ruhe im Funk!” befahl Mölders. Seine Stimme war ruhig, kalt.
“Staffel 3: Jetzt eingreifen. Alle anderen sammeln bei Punkt Dover.” Er zog einen weiten Kreis, beobachtete das Chaos unter ihm. Die Luftschlacht hatte sich in Dutzende Einzelkämpfe aufgelöst, überall Rauchspuren, fallende Maschinen, verzweifelte Wendemanöver. Die RAF kämpfte tapfer, aber unkoordiniert. Ihre Formation war Geschichte.
Jeder Pilot flog allein, instinktiv, panisch. Drei weitere Spitfires gingen runter. Eine Hurricane kollidierte mit einem Trümmerteil, trudelte unkontrolliert. Mölders zählte die fallenden Maschinen. Neun. Plötzlich war der Himmel leer. Die überlebenden RAF-Jäger flohen nach Westen, einzeln, in alle Richtungen verstreut. Keine Formation mehr, keine Ordnung.
“Verfolgen?” fragte Klein über Funk. “Nein.” Mölders drosselte. “Zurück zur Basis. Munition und Treibstoff prüfen.” Er schaute auf die Uhr: 7:47 Uhr. 25 Minuten waren vergangen seit dem ersten Kontakt. 14 bestätigte Abschüsse. Seine Gruppe hatte zwei Maschinen verloren.
Eine durch Kollisionsschaden, eine durch Motorausfall, nicht durch feindliches Feuer. Die Taktik funktionierte.
9:51 Uhr: Der dritte Einsatz. Diesmal hatten die Briten ihre Formation geändert. Die Spitfires flogen jetzt in weiterem Abstand, gestaffelt in der Höhe, mit Aufklärern voraus. Sie hatten gelernt, aber nicht genug. Mölders griff diesmal nicht von unten an. Er führte seine Staffel in die Sonne, wartete, bis die RAF-Jäger genau unter ihm waren.
Dann teilte er seine Kräfte. Eine Gruppe attackierte von schräg links, die andere von schräg rechts, gleichzeitig. Die Briten versuchten zu reagieren, wandten sich der einen Bedrohung zu und bekamen die andere in die Flanke. Acht Abschüsse in vier Minuten.
11:31 Uhr: Vierter Einsatz. Die Briten flogen jetzt in völlig aufgelöster Formation. Jede Rotte für sich, maximaler Abstand. Sie wollten nicht mehr angreifbar sein, aber damit hatten sie ihre Feuerkraft eliminiert. Mölders’ Piloten jagten sie einzeln, wie Wölfe ein Rudel Rehe. Isolieren, hetzen, zuschlagen. Sechs weitere Abschüsse.
13:01 Uhr. Mölders saß im Cockpit, wartete auf den Start zum fünften Einsatz. Seine Hände zitterten leicht. Adrenalin, Erschöpfung. Er trank Wasser aus einer Feldflasche. Kaltes Wasser, es half nicht. Seine Uniform war durchgeschwitzt. Der Fallschirm rieb. Neben ihm wurden die Maschinen aufgetankt, nachgerüstet, repariert. Mechaniker liefen zwischen den Tragflächen, riefen sich Zahlen zu. Munition, Öl, Schäden. Osterkamp kam über das Rollfeld. Das Gesicht ernst. “Mölders. Die Engländer haben weitere Geschwader hochgeschickt. Schätzungsweise 60 Maschinen über dem Kanal.” Mölders nickte langsam. “Gut. Gut. Sie werfen alles rein, was sie haben, ohne Plan, ohne Koordination.” Er zog die Handschuhe an. “Das ist der Moment.” Er startete. Die Sonne stand im Zenit. Der Kanal glitzerte wie geschmolzenes Silber, und über Dover wartete die größte Luftschlacht des Tages.
13:47 Uhr. Mölders sah sie aus 20 Kilometern Entfernung. Massive Wolke aus Flugzeugen, die sich über dem Kanal zusammenballte. 60 hatte Osterkamp gesagt. Es waren mehr, viel mehr. Spitfires, Hurricanes, sogar einige alte Gladiator-Doppeldecker, die aus der Reserve geholt worden waren.
Die RAF warf alles in die Schlacht: verzweifelt, wütend, entschlossen, aber sie flogen chaotisch. Keine einheitliche Formation mehr, stattdessen mehrere kleinere Gruppen, jede mit eigener Höhe, eigenem Kurs, eigenem Tempo. Einige flogen defensive Kreise, andere rasten geradeaus, suchten den Angreifer. Wieder andere hielten Position wie erstarrt. Es sah aus wie ein Bienenschwarm ohne Königin.
“Herr Hauptmann,” meldete sich Klein über Funk. “Was ist das?” “Das ist Panik,” antwortete Mölders. “Sie wissen nicht mehr, wie sie gegen uns kämpfen sollen.” Er hob die Hand, gab das Signal. Messerschmitts, alles, was Wissand in die Luft bringen konnte, formierten sich hinter ihm. Diesmal keine feste Staffeleinteilung. Stattdessen Rotten zu je zwei Maschinen.
Lose koordiniert, jede mit Bewegungsfreiheit. Die Wolfstaktik in Reinform. “Alle Einheiten, freie Jagd! Rottenverband beibehalten. Niemand fliegt allein. Ziel ist nicht der Abschuss, sondern die Zerstörung ihrer Moral. Macht sie müde, macht sie ängstlich, lasst sie spüren, dass der Himmel uns gehört.”
Ein Chor von “Verstanden” im Funk. Mölders beschleunigte. Die erste Berührung kam bei 6000 Metern. Eine Gruppe von zwölf Hurricanes, die in großem Abstand patrouillierten, sah die angreifenden Messerschmitts zu spät. Mölders’ Rotte schoss von schräg oben heran, nicht frontal, sondern in einem langen, flachen Winkel, der die Hurricane-Piloten zwang, hart zu drehen, um zu reagieren. Aber die Drehung kostete Energie, Geschwindigkeit, Position.
Mölders wartete nicht auf den perfekten Schuss. Er feuerte früh, kurze Salven, zwang die Hurricane nach unten. Sein Rottenflieger, Feldwebel Baumann, kam von der anderen Seite, tat dasselbe. Die Hurricane wurde zwischen ihnen eingeklemmt, konnte nicht mehr manövrieren. Ein letzter Feuerstoß von Baumann, und die Maschine brach auseinander. Keine Zeit zum Feiern.
Mölders zog hoch, suchte das nächste Ziel. Drei Spitfires bei vier Uhr, niedriger, versuchten sich einer anderen Messerschmitt zu nähern. Er warnte über Funk, drehte ein, beschleunigte. Die Spitfires bemerkten ihn, brachen ab. Gut. Ziel erreicht. Sie waren abgelenkt, verunsichert, aus der Position gebracht.
Überall um ihn herum entfaltete sich das Chaos. Messerschmitts jagten durch die britischen Formationen wie Raubfische durch einen Fischschwarm. Kein Massenkampf, keine große Schlacht. Stattdessen Dutzende kleiner, tödlicher Begegnungen, überall Rauchspuren, überall Geschrei im Funk, Englisch und Deutsch, durcheinander, panisch, wütend. Eine Hurricane versuchte, Mölders von hinten zu nehmen.
Er sah sie im Spiegel, wartete, bis sie nah genug war, dann zog er in einen brutalen Split S, drehte das Flugzeug auf den Kopf, tauchte nach unten, zog durch. Die Hurricane konnte nicht folgen. Zu schwer, zu langsam. Baumann war bereits da, kam von der Seite, feuerte, Treffer. Die Hurricane rauchte, flog aber weiter, floh nach Westen. “Lass sie,” befahl Mölders.
“Beschädigte Maschinen verbreiten mehr Angst als Abschüsse.” 14:21 Uhr. Der Himmel hatte sich in eine dreidimensionale Arena verwandelt. Auf sechs verschiedenen Höhen zwischen 3000 und 7000 Metern tobten Luftkämpfe. Mölders stieg, sank, drehte, jagte, entkam. Seine Muskeln brannten von den G-Kräften, seine Augen tränten vom ständigen Suchen.
Der Schweiß lief unter der Lederkappe, tropfte in die Augen. Er wischte ihn nicht weg. Keine Zeit. Er sah, wie eine Messerschmitt getroffen wurde. Rauch aus dem Rumpf. Der Pilot Leutnant Hartmann kämpfte mit den Rudern, versuchte die Maschine stabil zu halten. Zwei Spitfires folgten ihm, wollten den Todesstoß geben. Mölders reagierte ohne nachzudenken.
Voller Schub, Sturzflug, Ablenkungsfeuer. Die Spitfires zogen hoch, wandten sich ihm zu. Hartmann nutzte den Moment, flog nach Osten, niedrig, langsam, aber er flog. Mölders entkam den Spitfires mit einer scharfen Rolle, verschwand in einer Wolkenbank. Das Funkgerät knisterte. “Danke, Herr Hauptmann.” “Konzentriere dich auf die Landung,” antwortete Mölders.
Er tauchte aus der Wolke, fand sich plötzlich inmitten von sechs Hurricanes. Sie hatten ihn nicht bemerkt. Er hätte feuern können, einen, vielleicht zwei abschießen. Stattdessen flog er einfach durch, zwischen ihnen hindurch, so nah, dass er die Gesichter der Piloten sehen konnte. Jung, erschöpft, verängstigt. Sie drehten sich ihm zu, viel zu langsam. Er war längst weg.
“Rotte 4, sechs Hurricanes bei sieben Uhr, niedrig,” meldete er. “Leichte Beute.” Rotte 4 antwortete: “Verstanden.” 14:45 Uhr. Mölders’ Munition war fast leer, noch drei Schuss in den MGs, drei Granaten in den Kanonen. Sein Treibstoff sank unter die kritische Marke. Zeit zu gehen. Aber er flog noch eine letzte Runde, beobachtete das Schlachtfeld.
Die RAF war geschlagen, nicht vernichtet, aber gebrochen. Die verbliebenen Jäger flohen nicht mehr geordnet nach Westen. Sie stoben auseinander, einzeln in alle Himmelsrichtungen. Einige flogen nach Norden, andere nach Süden. Manche kreisten ziellos über dem Wasser. Keine Koordination, keine Kommunikation, nur noch Überleben. Der Himmel war voller Rauchsäulen.
Manche stiegen vom Kanal auf, wo Maschinen ins Wasser gestürzt waren. Andere ragten aus den Klippen von Dover, wo Flugzeuge beim verzweifelten Landeversuch abgestürzt waren. Fallschirme schwebten über dem Wasser, weiße Punkte gegen das Blau. Manche bewegten sich, andere nicht. Mölders zählte nicht mehr. Die Zahlen hatten ihre Bedeutung verloren. Es war keine Schlacht mehr.
Es war eine Jagd geworden, und die Jäger waren müde. “Alle Einheiten,” sagte er ins Mikrofon, “Rückzug zur Basis. Etappenweise, Deckung aufrechterhalten.” Er drehte nach Osten. Die Sonne stand jetzt im Westen, warf lange Schatten über das Wasser. Seine Hände zitterten am Steuerknüppel, nicht vor Angst, vor Erschöpfung.
Er hatte sechs Einsätze geflogen, acht Stunden in der Luft. Wie viele Abschüsse? Zwölf, 15? Er wusste es nicht mehr. Hinter ihm folgten seine Piloten, einer nach dem anderen. Einige Maschinen rauchten, einige hatten zerfetzte Tragflächen, aber sie flogen. Alle flogen. Am Horizont erschien die französische Küste. Wissand lag im goldenen Licht der Nachmittagssonne, friedlich, unwirklich.
Mölders begann den Sinkflug. Unter ihm, irgendwo über dem Kanal, kämpfte die RAF noch immer, aber sie hatte bereits verloren. Nicht die Schlacht, etwas anderes, etwas Wichtigeres. Sie hatten das Vertrauen in ihre Taktik verloren, und im Luftkampf war das tödlicher als jede Waffe. 15:04 Uhr. Mölders setzte auf. Die Räder berührten das Gras. Die Maschine rollte aus. Er schaltete den Motor ab.
Die Stille war ohrenbetäubend. Er blieb noch einen Moment im Cockpit sitzen, die Hände auf den Knien, atmete, versuchte die Realität zurückzuholen. Das Adrenalin verließ seinen Körper, hinterließ Leere. Mechaniker liefen zur Maschine. Jemand klopfte an die Cockpithaube. Er öffnete, stieg aus. Seine Beine gaben fast nach. Osterkamp stand am Rand des Rollfelds, ein Funkgerät in der Hand.
Er sah Mölders an. Lange, ernst. “Mölders,” sagte er schließlich. “Die Engländer bestätigen fünfzig Verluste an einem Tag.” Mölders nickte stumm. “Und morgen?” fragte Osterkamp. Mölders schaute zum Himmel. Die Sonne sank. Bald würde es dunkel sein. “Morgen,” sagte er leise, “fliegen sie anders. Oder gar nicht mehr.”
21:00 Uhr. Das Offizierscasino war still. Zu still für einen Abend nach einem solchen Sieg. Mölders saß allein an einem Tisch in der Ecke, ein Glas Cognac vor sich, unberührt. Durch die offenen Fenster drang kühle Nachtluft, vermischt mit dem Geruch von Salzwasser und verbranntem Kerosin. Irgendwo draußen drehten Mechaniker noch immer an den Maschinen, bereiteten sie für den nächsten Tag vor.
Das rhythmische Klicken von Werkzeugen, das Murmeln von Stimmen. Osterkamp betrat den Raum, setzte sich gegenüber. Er legte einen Stapel Papiere auf den Tisch. Verlustmeldungen, Einsatzberichte, Funkabschriften. Zahlen. So viele Zahlen. “51 bestätigte Abschüsse,” sagte Osterkamp.
“Sieben wahrscheinliche, 18 beschädigte Maschinen, die ihre Basis vermutlich nicht erreicht haben.” Er machte eine Pause. “Unsere Verluste: vier Maschinen, zwei Piloten tot, einer vermisst, einer schwer verwundet.” Mölders nickte, sagte nichts. “Berlin ist begeistert,” fuhr Osterkamp fort. “Göring persönlich hat angerufen. Sie bekommen das Ritterkreuz, möglicherweise mit Eichenlaub. Es wird Zeitungsartikel geben, Radiosendungen, Propagandafilme. Sie sind ein Held, Mölders.” “Ich bin ein Taktiker,” antwortete Mölders leise. Er griff endlich nach dem Glas, aber trank nicht. “Was ich heute getan habe, war nicht Heldentum. Es war Mathematik, Geometrie, das Ausnutzen systematischer Fehler.”
“Und was ist falsch daran?” Mölders drehte das Glas zwischen den Fingern. “Nichts und alles.” Er schaute hoch. “Wissen Sie, was mich heute am meisten erschreckt hat? Nicht die Zahl der Abschüsse, sondern wie leicht es war. Die Briten flogen in Formationen, die 20 Jahre alt sind, Taktiken aus dem letzten Krieg. Sie haben nicht innoviert, nicht angepasst, nicht gelernt. Bis heute.”
“Sie meinen…” “Ich meine, dass dieser Tag alles verändert hat, nicht nur für sie, für uns alle.” Mölders stand auf, ging zum Fenster. Draußen lag das Rollfeld im Mondlicht, die Messerschmitts wie schlafende Raubvögel. “Was ich heute gemacht habe, werden morgen andere kopieren. Die Engländer werden reagieren, neue Taktiken entwickeln, bessere Formationen. Und dann müssen wir wieder reagieren. Und so weiter. Es ist ein Wettrüsten, das nie endet.”
Osterkamp schwieg einen Moment. “Bereuen Sie es?” “Bereuen…” Mölders lachte bitter. “Nein. Aber ich verstehe jetzt etwas, das ich vorher nicht verstanden habe. Jeder Sieg im Luftkrieg ist temporär. Jede Taktik veraltet in dem Moment, in dem sie erfolgreich wird. Man kann nicht gewinnen, man kann nur länger überleben als der Gegner.” Er drehte sich um, schaute Osterkamp an. “Wissen Sie, was mir ein britischer Pilot heute über Funk zugerufen hat, kurz bevor er absprang? Er sagte: ‘You’ve taught us how to die differently. Now we’ll teach you the same.’ Mölders’ Stimme wurde leiser. Er hatte recht. Draußen heulte ein Motor auf. Eine Maschine wurde getestet.”
Das Geräusch füllte die Nacht, dann verstummte es wieder. “Was werden Sie jetzt tun?” fragte Osterkamp. “Morgen fliege ich wieder,” antwortete Mölders, “übermorgen auch. Und jeden Tag danach, bis dieser Krieg vorbei ist oder bis ich selbst abgeschossen werde. Aber ich werde nie vergessen, was heute wirklich passiert ist. Wir haben nicht 50 Maschinen abgeschossen.”
“Wir haben die Art und Weise zerstört, wie Luftkrieg geführt wird. Und das ist viel gefährlicher.” Osterkamp stand auf, sammelte die Papiere ein. “Die Welt wird sich nur an die Zahl erinnern: 50 Abschüsse an einem Tag. Das ist, was in den Geschichtsbüchern stehen wird.” “Ich weiß,” sagte Mölders, “und genau das ist das Problem.”
Als Osterkamp gegangen war, blieb Mölders allein zurück. Er stand wieder auf, ging nach draußen über das Rollfeld. Seine Schritte waren langsam, schwer. Die Nacht war klar, die Sterne brillierten über dem Ärmelkanal. Irgendwo dort drüben in England saßen britische Piloten in ähnlichen Casinos, tranken ähnliche Drinks, zählten ähnliche Verluste.
Was dachten sie jetzt? Hatten sie Angst, Wut? Oder schlimmer noch: Hatten sie bereits begonnen, aus dieser Niederlage zu lernen? Er erreichte seine Messerschmitt, lehnte sich gegen die Tragfläche. Das Metall war kalt, fest, real. Auf dem Rumpf waren zwölf kleine weiße Markierungen gemalt worden. Seine bestätigten Abschüsse des Tages: Zwölf, nicht 50.
Er hatte nur zwölf geschossen, die anderen waren auf seine Staffel verteilt. Aber die Welt würde ihn als den Mann erinnern, der die Taktik entwickelt hatte, den Mann, der den Luftkrieg verändert hatte. Aber zu welchem Preis? Er dachte an die Gesichter, die er heute gesehen hatte, durch das Visier, durch die Cockpithauben. Junge Männer, die meisten kaum älter als 20. Briten, die für ihre Heimat kämpften, genau wie er für seine kämpfte.
Und er hatte sie gejagt, effizient, mathematisch, ohne Hass, aber auch ohne Gnade. War das Tapferkeit oder nur Technik? Ein Geräusch ließ ihn hochschauen. Feldwebel Baumann kam über das Rollfeld, eine Zigarette in der Hand. Er blieb ein paar Meter entfernt stehen. “Können Sie nicht schlafen, Herr Hauptmann?” “Noch nicht,” antwortete Mölders. Baumann zog an der Zigarette. Die Glut leuchtete rot in der Dunkelheit.
“Die anderen reden von nichts anderem. Der größte Luftsieg der Geschichte, sagen sie. Einige glauben, der Krieg sei praktisch gewonnen.” “Und Sie?” Baumann schwieg lange. “Ich glaube, wir haben heute etwas kaputt gemacht, das sich nicht reparieren lässt. Die Unschuld vielleicht. Die Vorstellung, dass Luftkampf noch Ritterlichkeit hat, dass es Regeln gibt, die beide Seiten befolgen.”
Er schnippte die Zigarette weg. “Ab jetzt ist es nur noch Überleben.” Mölders nickte. “Genau das ist es.” Sie standen schweigend nebeneinander, zwei Männer in der Nacht, umgeben von Maschinen, die gebaut wurden, um zu töten. Irgendwo über dem Kanal flogen britische Nachtjägerpatrouillen, suchten nach deutschen Bombern. Der Krieg machte keine Pause.
Er würde nie eine Pause machen. “Was wird morgen passieren?” fragte Baumann schließlich. Mölders schaute zum Horizont. “Morgen werden die Engländer anders fliegen. Sie werden aus heute lernen, neue Formationen entwickeln, vielleicht ihre eigenen Überraschungen vorbereiten. Und wir werden darauf reagieren müssen, schneller, härter, kreativer.”
Er drehte sich zu Baumann. “Das ist das Erbe dieses Tages. Nicht die 50 Abschüsse, sondern die Erkenntnis, dass der Luftkrieg ab jetzt ein endloses Schachspiel ist. Ein Spiel ohne Sieger, nur mit Überlebenden.” Baumann nickte langsam. “Dann sollten wir schlafen gehen. Morgen wird ein langer Tag.”
Sie gingen zurück zur Kaserne, Seite an Seite, ihre Schatten lang im Mondlicht. Hinter ihnen standen die Messerschmitts, stumme Zeugen des Tages, der die Luftkriegsführung für immer verändert hatte. In seinem Quartier legte sich Mölders auf das schmale Feldbett, aber Schlaf kam nicht. Er starrte an die Decke, sah die Schatten tanzen, hörte den Wind draußen.
In seinem Kopf spielten sich die Luftkämpfe ab. Wieder und wieder. Die Rauchspuren, die fallenden Maschinen, die Gesichter. 50 Abschüsse – eine Zahl, die in die Geschichte eingehen würde. Aber Mölders wusste, dass die wahre Lektion von heute nichts mit Zahlen zu tun hatte. Sie lautete: “Im Krieg gibt es keine perfekte Taktik. Es gibt nur die Taktik, die heute funktioniert und morgen schon veraltet ist.” Irgendwann kurz vor der Morgendämmerung schlief er ein und träumte von leeren Himmeln.