Kessel von Wjasma: Die vergessene Katastrophe der UdSSR und ein Erfolg der Wehrmacht

Im Herbst 1941 ereignete sich an der Ostfront eine der verheerendsten militärischen Katastrophen in der Geschichte der Roten Armee. Der Wjasma-Kessel (Viaski Kotel), wie dieser Kessel in der russischen Geschichtsschreibung genannt wird, kostete Hunderttausende sowjetischer Soldaten das Leben oder die Freiheit. Doch ist diese Schlacht im kollektiven Gedächtnis des Westens weitgehend unbekannt geblieben, überschattet von den dramatischeren Ereignissen der Schlacht um Moskau, die unmittelbar darauf folgte.

Die Geschichte des Wjasma-Kessels ist eine Geschichte von strategischen Fehleinschätzungen, verzweifeltem Heldenmut und einer militärischen Katastrophe von unvorstellbarem Ausmaß. Es ist auch die Geschichte eines der größten taktischen Erfolge der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg, ein Sieg, der paradoxerweise den Keim der späteren Niederlage bereits in sich trug.

Um die Bedeutung dieser Schlacht zu verstehen, müssen wir in die Atmosphäre des Herbstes 1941 zurückkehren. Die Operation Barbarossa, der deutsche Überfall auf die Sowjetunion, war am 22. Juni 1941 begonnen worden. In den ersten Monaten hatten die deutschen Streitkräfte beispiellose Erfolge erzielt. Millionen sowjetischer Soldaten waren getötet, verwundet oder gefangen genommen worden. Ganze Armeen waren eingekesselt und vernichtet worden. Bis September 1941 hatten die deutschen Heeresgruppen riesige Gebiete erobert. Die Heeresgruppe Nord belagerte Leningrad, die Heeresgruppe Süd hatte die Ukraine überrannt und stand vor Kiew, während die Heeresgruppe Mitte sich auf Moskau zubewegte. Die sowjetische Führung unter Josef Stalin befand sich in einem Zustand zwischen Panik und verzweifelter Entschlossenheit.

Nach der Einnahme von Kiew Ende September 1941 richtete Hitler seinen Fokus endgültig auf Moskau. Die Operation Taifun wurde geboren: Ein massiver, konzentrierter Angriff, der die sowjetische Hauptstadt einnehmen und damit den Krieg im Osten entscheiden sollte. Für diese Operation wurden die besten Divisionen der Wehrmacht zusammengezogen. Über eine Million deutscher Soldaten, unterstützt von 1.000 Panzern und mehr als 1.000 Flugzeugen, sollten den finalen Schlag führen. Die sowjetische Westfront und die Reservefront, die Moskau verteidigten, verfügten auf dem Papier über beeindruckende Zahlen (etwa eineinhalb Millionen Soldaten). Doch diese Truppen waren nach Monaten verheerender Niederlagen erschöpft und demoralisiert. Viele Divisionen existierten nur noch dem Namen nach. Die Ausrüstung war veraltet oder unzureichend, die Kommunikation zwischen den Einheiten war chaotisch, und was am schwerwiegendsten war: Die sowjetische Aufklärung hatte die deutschen Absichten völlig falsch eingeschätzt.

Am 30. September 1941 begann die Operation Taifun mit einem Angriff der Zweiten Panzerarmee unter Generaloberst Guderian im südlichen Abschnitt. Zwei Tage später, am 2. Oktober 1941, startete der Hauptangriff im Zentrum. Die deutsche Taktik folgte dem bewährten Muster der Kesselschlacht: Schnelle Panzerverbände durchbrachen die sowjetischen Linien, umgingen die Hauptverteidigungsstellungen und schlossen sich hinter den feindlichen Truppen wieder zusammen, wodurch diese eingekesselt wurden. Die Ergebnisse waren katastrophal für die Rote Armee. Innerhalb weniger Tage hatten die deutschen Panzerspitzen riesige Lücken in die sowjetische Front gerissen. Die Kommunikation zwischen den sowjetischen Einheiten brach zusammen. Befehle erreichten ihre Empfänger nicht oder kamen hoffnungslos veraltet an. Kommandeure hatten keine Ahnung, wo sich ihre eigenen Truppen befanden, geschweige denn die des Feindes.

Bis zum 7. Oktober 1941 hatten sich zwei riesige Kessel gebildet: Einer bei Wjasma und ein weiterer, kleinerer bei Brjansk. In diesen Kesseln waren mehrere sowjetische Armeen gefangen: Die 19., 20., 24. und 32. Armee sowie große Teile anderer Verbände. Insgesamt befanden sich schätzungsweise 600.000 bis 700.000 sowjetische Soldaten in der Falle.

Die Situation innerhalb der Kessel war apokalyptisch. Die eingeschlossenen Truppen hatten nur begrenzte Vorräte an Munition, Treibstoff und Nahrung. Die deutsche Luftwaffe beherrschte den Himmel und bombardierte gnadenlos jeden Versuch, sich zu sammeln oder auszubrechen. Nachschublieferungen per Luft, wie sie später in Stalingrad versucht wurden, waren in diesem frühen Stadium des Krieges noch nicht einmal konzipiert worden. Die sowjetische Führung reagierte zunächst mit Ungläubigkeit, dann mit verzweifelten Gegenangriffen. Stalin weigerte sich lange Zeit, das Ausmaß der Katastrophe zu akzeptieren. Generaloberst Iwan Konjew, der Befehlshaber der Westfront, und Generaloberst Semjon Budjonny, der die Reservefront befehligte, versuchten verzweifelt, ihre eingekesselten Truppen zu befreien oder zumindest den deutschen Vormarsch auf Moskau zu verlangsamen.

Innerhalb der Kessel kämpften die sowjetischen Soldaten mit außergewöhnlichem Mut und verzweifelter Entschlossenheit. Obwohl abgeschnitten und ohne Hoffnung auf Rettung, leisteten viele Einheiten erbitterten Widerstand. Dieser Widerstand band deutsche Truppen, die eigentlich für den Vorstoß auf Moskau gebraucht wurden. Jeder Tag, den die eingekesselten Sowjets durchhielten, war ein Tag, den Moskau gewinnen konnte, um seine Verteidigung zu organisieren.

Die deutschen Truppen, die die Kessel einschlossen, erlebten ihrerseits einen anstrengenden und verlustreichen Kampf. Die sowjetischen Soldaten ergaben sich nicht einfach. Immer wieder starteten sie Ausbruchsversuche, die zwar meist scheiterten, aber den Deutschen schwere Verluste zufügten. Die deutschen Infanteriedivisionen, die die Einschließung aufrechterhalten mussten, waren dünn ausgestreckt und ständig unter Druck. Bis zum 13. Oktober 1941 war der größte Teil des Widerstands im Wjasma-Kessel gebrochen. Die Zahlen der Gefangenen waren überwältigend. Die Wehrmacht meldete die Gefangennahme von über 600.000 sowjetischen Soldaten. Dazu kamen schätzungsweise 100.000 Gefallene. Tausende Geschütze, Panzer und Fahrzeuge fielen in deutsche Hände.

Für die sowjetische Seite war dies eine Katastrophe von unvorstellbarem Ausmaß. Die Westfront hatte faktisch aufgehört zu existieren. Der Weg nach Moskau schien offen zu sein. In der sowjetischen Hauptstadt brach Panik aus. Am 15. Oktober 1941 ordnete die Regierung die Evakuierung von Ministerien und wichtigen Einrichtungen an. Viele ausländische Botschaften verlegten ihren Sitz nach Kuibyschew. Plünderungen brachen aus, als Gerüchte die Runde machten, die Deutschen stünden bereits vor den Toren der Stadt. Doch hier zeigte sich ein paradoxes Phänomen, das für den gesamten deutsch-sowjetischen Krieg charakteristisch werden sollte: Der deutsche Sieg war so vollständig, dass er die eigenen Kräfte erschöpfte.

Die Panzerverbände, die die Kessel geschlossen hatten, waren weit vorgestoßen und brauchten Zeit zur Reorganisation. Die Infanteriedivisionen, die die eingekesselten Truppen liquidieren mussten, waren durch die heftigen Kämpfe geschwächt. Nachschublinien waren überdehnt. Und vielleicht am wichtigsten: Der Widerstand der eingekesselten sowjetischen Truppen hatte wertvolle Zeit gekostet. Diese Zeit nutzte die sowjetische Führung, um mit fieberhafter Energie eine neue Verteidigungslinie vor Moskau aufzubauen. Arbeiter aus den Fabriken wurden mobilisiert, um Schützengräben auszuheben. Frische Divisionen wurden aus Sibirien und dem Fernen Osten herangeführt. Unter dem Kommando von General Georgi Schukow, der am 10. Oktober 1941 die Führung der Westfront übernommen hatte, begann sich eine kohärente Verteidigung zu formieren.

Die Schlacht von Wjasma hatte auch langfristige Auswirkungen auf beide Kriegsparteien. Für die Wehrmacht war sie ein taktischer Triumph, der jedoch strategisch nur begrenzt verwertbar war. Die gewaltigen Gefangenenzahlen beeindruckten die Weltöffentlichkeit und stärkten die Illusion eines bevorstehenden deutschen Sieges. Doch die Ressourcen, die für die Vernichtung der Kessel aufgewendet wurden, und die Zeit, die dabei verloren ging, sollten sich als entscheidend erweisen. Für die Rote Armee war Wjasma eine traumatische Erfahrung, aus der jedoch wichtige Lehren gezogen wurden. Die katastrophalen Folgen schlechter Aufklärung, mangelhafter Kommunikation und starrer Befehlsstrukturen wurden schmerzlich deutlich. In den folgenden Monaten und Jahren würde die sowjetische Militärführung diese Lektionen internalisieren und ihre Taktik und Organisation grundlegend reformieren.

Die menschlichen Kosten der Schlacht von Wjasma sind schwer zu erfassen. Hunderttausende sowjetischer Soldaten starben oder gerieten in Gefangenschaft. Für viele dieser Gefangenen bedeutete das ein Todesurteil in den deutschen Kriegsgefangenenlagern. Dort herrschten unbeschreibliche Zustände. Hunderttausende sowjetischer Kriegsgefangener sollten in den folgenden Monaten an Hunger, Kälte, Krankheiten und bewusster Vernachlässigung sterben. Der Wjasma-Kessel wurde so nicht nur zu einer militärischen, sondern auch zu einer humanitären Katastrophe. Auf deutscher Seite waren die Verluste zahlenmäßig geringer, aber dennoch bedeutend. Tausende Soldaten waren gefallen oder verwundet worden. Mehr noch: Die materiellen Ressourcen der Wehrmacht waren weiter erschöpft worden, zu einem Zeitpunkt, als die Herbstregen begannen und der russische Winter nahte.

Als die deutschen Truppen Mitte Oktober 1941 ihren Vormarsch auf Moskau fortsetzten, stießen sie auf einen zunehmend organisierten Widerstand. Die Schlacht um Moskau, die nun folgte, wurde zu einem der entscheidenden Wendepunkte des Zweiten Weltkriegs. Die Wehrmacht kam bis auf wenige Kilometer an die sowjetische Hauptstadt heran, konnte sie aber nicht einnehmen. Im Dezember 1941 startete die Rote Armee ihre erste erfolgreiche Großoffensive des Krieges und trieb die deutschen Truppen zurück. Ohne die Zeit, die die Verteidiger des Wjasma-Kessels mit ihrem verzweifelten Widerstand gewonnen hatten, wäre diese Verteidigung Moskaus möglicherweise nicht möglich gewesen. In diesem Sinne war die Katastrophe von Wjasma Teil eines größeren strategischen Zusammenhangs, in dem taktische Niederlagen zu strategischen Entwicklungen beitrugen, die letztendlich die deutsche Niederlage besiegelten.

Die Schlacht von Wjasma ist in der westlichen Geschichtsschreibung weitgehend vergessen worden, überschattet von bekannteren Ereignissen wie Stalingrad, Kursk oder der Belagerung Leningrads. Selbst in der sowjetischen und späteren russischen Geschichtsschreibung wurde sie lange Zeit vernachlässigt, zu schmerzhaft war die Erinnerung an diese Katastrophe. Doch für ein vollständiges Verständnis des deutsch-sowjetischen Krieges ist die Schlacht von Wjasma unverzichtbar. Sie zeigt die extreme Brutalität und das enorme Ausmaß dieses Konflikts. Sie illustriert die anfängliche Überlegenheit der deutschen Militärmaschinerie, aber auch die Grenzen dieser Überlegenheit. Und sie demonstriert die unglaubliche Opferbereitschaft und Widerstandsfähigkeit der sowjetischen Soldaten selbst in aussichtsloser Lage. Heute erinnern Denkmäler und Gedenkstätten in der Region um Wjasma an die gefallenen Soldaten. Historiker haben in den vergangenen Jahrzehnten, besonders nach der Öffnung sowjetischer Archive, begonnen, die tatsächlichen Ereignisse und das Ausmaß der Katastrophe zu rekonstruieren. Was dabei deutlich wird, ist eine Geschichte, die sowohl erschütternd als auch lehrreich ist: Eine Geschichte von menschlichem Leid und militärischem Versagen, aber auch von Mut und Ausdauer unter extremsten Bedingungen. Der Wjasma-Kessel bleibt ein mahnendes Beispiel dafür, wie schnell militärische Situationen sich ändern können, wie verheerend die Folgen strategischer Fehler sein können und wie der Nebel des Krieges selbst die erfahrensten Kommandeure in die Irre führen kann. Er erinnert uns daran, dass hinter den großen Zahlen und strategischen Karten Hunderttausende individueller menschlicher Schicksale stehen, jedes einzelne davon eine Tragödie für sich. Die vergessene Katastrophe von Wjasma verdient es, erinnert zu werden, nicht nur als militärhistorisches Ereignis, sondern als Teil der größeren Geschichte des Zweiten Weltkriegs und als Mahnung an die schrecklichen Kosten von Krieg und Aggression.

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