Warum nur Manstein die Schlacht bei Kursk hätte gewinnen können

Mai 1943, 04:00 Uhr. Das Hauptquartier der Heeresgruppe Süd lag eingebettet in einem Komplex requirierter Gebäude nahe Saporischschja, östlich des Dnjepr. In einem fensterlosen Raum im zweiten Stock starrte Generalfeldmarschall Erich von Manstein auf eine großformatige Karte der Ostfront. Das schwache Licht einer Schreibtischlampe warf harte Schatten über die blauen und roten Linien, die Divisionen, Korps und Armeen markierten. Draußen war es noch dunkel, drinnen roch es nach Zigarettenrauch, abgestandenem Kaffee und dem säuerlichen Geruch von Schweiß erschöpfter Männer. Manstein hatte in den letzten vier Stunden nicht geschlafen. Seine Finger folgten einer Linie auf der Karte, dem gewaltigen sowjetischen Frontbogen bei Kursk.

Der Bogen war eine Anomalie, eine 200 Kilometer tiefe Ausbuchtung in der deutschen Front, die sich wie eine Faust nach Westen schob. Im Norden und Süden hielten deutsche Verbände die Flanken. In der Mitte, innerhalb des Bogens, saßen sowjetische Armeen, schätzungsweise eine Million Mann, tausende Panzer und unzählige Geschütze. Der Bogen war eine Bedrohung und eine Verlockung zugleich. Umzingelte man ihn von Norden und Süden, könnte man die größte Einkesselung des Krieges schaffen. Zerschlägt man die sowjetischen Kräfte dort, gewinnt man Zeit, vielleicht Monate, vielleicht mehr. Manstein wusste das, Hitler wusste das, jeder Generalstabsoffizier mit Zugang zu einer Karte wusste das. Aber Manstein sah etwas, das die anderen nicht sahen oder nicht sehen wollten: Er sah ein Fenster, das sich schloss.

Hinter ihm stand Generalmajor Theodor Busse, sein erster Generalstabsoffizier. Busse war ein Mann präziser Worte und nüchterner Analysen. Er hatte gerade einen Bericht vorgelegt. Aufklärungsdaten der letzten drei Wochen, Gefangenenaussagen, Funkverkehr, Luftaufnahmen und Partisanenmeldungen zeigten: Die Sowjets gruben sich ein. Nicht oberflächlich, nicht provisorisch. Sie errichteten das tiefste Verteidigungssystem, das die Wehrmacht je gesehen hatte. “Herr Generalfeldmarschall”, sagte Busse leise, “die Aufklärung meldet drei vollständige Verteidigungsgürtel im nördlichen Abschnitt des Bogens, mindestens vier im Süden. Panzergräben, Minenfelder, Grabensysteme. Sie rechnen mit uns.”

Manstein antwortete nicht sofort. Seine Augen blieben auf der Karte. Er zog an seiner Zigarette und die Glut erhellte für einen Moment sein schmales, scharf geschnittenes Gesicht. Dann sprach er mehr zu sich selbst als zu Busse: “Sie rechnen mit uns, weil wir zu lange gezögert haben.” Die Operation trug den Codenamen Zitadelle. Sie war im März konzipiert worden, unmittelbar nach Mansteins brillantem Gegenschlag bei Charkow. Damals hatte er eine scheinbar hoffnungslose Situation umgekehrt, sowjetische Panzerverbände zerschlagen und die Front stabilisiert. Der Erfolg hatte ihm Respekt eingebracht, aber auch etwas Gefährlicheres: Erwartung. Hitler und das Oberkommando verlangten eine weitere große Offensive, etwas Spektakuläres, etwas, das die Wehrmacht wieder in die Schlagzeilen bringen würde.

Manstein hatte Zitadelle vorgeschlagen, aber nicht die Version, die jetzt geplant wurde. Sein ursprünglicher Vorschlag war ein Stoß im April direkt nach der Schlammperiode gewesen. Schnell, bevor die Sowjets reagieren konnten. Zwei Panzerkeile aus Norden und Süden sollten sich östlich von Kursk treffen. Eine klassische Zangenoperation, Einkreisung, Vernichtung. Aber der April verging. Dann kam der Mai. Hitler zögerte. Er wollte neue Panzer, die Tiger einführen, die Panther – Wunderwaffen, die den Ausgang der Schlacht garantieren sollten. Produktionsverzögerungen und technische Probleme führten dazu, dass die Operation jede Woche verschoben wurde. Jede Woche gruben sich die Sowjets tiefer ein, jede Woche flossen neue Divisionen in den Bogen.

Manstein wusste, was geschah. Er hatte es in früheren Kriegen gesehen, in anderen Theatern. Die Initiative war wie Wasser in einem offenen Behälter: Einmal verloren, floss sie weg und füllte die Hände des Feindes. Busse räusperte sich. “Generalfeldmarschall, der neueste Lagebericht aus dem Führerhauptquartier: Die Operation ist erneut verschoben, frühestens Anfang Juni.” Manstein drückte die Zigarette aus. Seine Bewegungen waren kontrolliert, aber in seinen Augen flackerte etwas. Keine Wut, eher eine kalte Frustration. Er wandte sich zu Busse. “Anfang Juni”, wiederholte er leise. “Das bedeutet, die Sowjets haben weitere vier Wochen. Wissen Sie, was man in vier Wochen bauen kann?” Busse antwortete: “Ja, Herr Generalfeldmarschall.” “Dann wissen Sie auch, dass diese Operation mit jeder verstrichenen Stunde schwieriger wird.”

Manstein trat näher an die Karte. Seine Finger glitten über die südliche Stoßrichtung, den Sektor, den seine Heeresgruppe Süd führen würde. Hier lagen seine besten Einheiten: Das II. SS-Panzerkorps mit Leibstandarte, Das Reich und Totenkopf – Eliteverbände, fanatisch, erfahren, gut ausgerüstet. Das XXXXVIII. Panzerkorps unter General Otto von Knobelsdorff, die 6. Panzer-Division, die Großdeutschland-Division, schwere Tigerabteilungen. Auf dem Papier eine gewaltige Streitmacht. Aber Manstein dachte nicht in Divisionen oder Panzerzahlen. Er dachte in Räumen und Zeiten, in Tiefe und Beweglichkeit. Seine Methode war nicht die rohe Gewalt eines frontalen Angriffs, sondern die Kunst des Manövers. Der Gegner sollte nicht nur geschlagen, sondern ausmanövriert werden, überflügelt in eine Position gezwungen, aus der es kein Entrinnen gab. Das Problem war: Manöver erforderte Raum, Flexibilität und die Fähigkeit, auf unvorhergesehene Situationen zu reagieren. Je tiefer die sowjetischen Verteidigungslinien wurden, desto weniger Raum blieb für Manöver. Je länger die Verzögerung dauerte, desto mehr wurde Zitadelle zu einer stumpfen Waffe, einer Materialschlacht – genau das, worin die Sowjets überlegen waren.

Busse breitete einen neuen Bericht auf dem Tisch aus: Zahlen, Divisionen, Geschütze, Panzer. “Die aktuelle Feindlagebeurteilung, Herr Generalfeldmarschall: Schätzungsweise 1,3 Millionen sowjetische Soldaten im und um den Bogen, über 3.000 Panzer, mindestens 20.000 Geschütze. Und das sind konservative Schätzungen.” Manstein studierte die Zahlen. Sein Gesicht verriet nichts, aber innerlich rechnete er: Die Wehrmacht würde mit etwa 900.000 Mann angreifen, rund 2.700 Panzer, 10.000 Geschütze. Auf dem Papier immer noch eine beeindruckende Streitmacht. Aber die Zahlen allein erzählten nicht die ganze Geschichte. Die Sowjets kämpften in der Defensive, hinter Panzergräben, hinter Minenfeldern, hinter gestaffelten Stellungen. Jeder Verteidiger war in dieser Situation drei Angreifer wert.

“Was ist die neueste Einschätzung von Model?”, fragte Manstein. Er bezog sich auf Generalfeldmarschall Walter Model, der die Heeresgruppe Mitte befehligte. Model würde den nördlichen Stoßkeil führen, von Orel aus nach Süden. Manstein würde von Belgorod aus nach Norden stoßen. Die Zangen sollten sich bei Kursk schließen. “Model meldet Bedenken”, antwortete Busse vorsichtig. “Er hält die sowjetischen Verteidigungsanlagen im Norden für außerordentlich stark. Er schätzt, dass sein Angriff bereits in den ersten Tagen auf massiven Widerstand stoßen wird.” Manstein nickte langsam. Model war ein fähiger Kommandeur, aber vorsichtig, ein Mann, der Probleme sah, bevor er Chancen ergriff. Das hatte Vor- und Nachteile. In der Verteidigung war Model brillant, im Angriff neigte er zur Zögerlichkeit.

“Model wird langsam vorrücken”, sagte Manstein leise, mehr zu sich selbst. “Er wird jeden Bunker stürmen müssen, jeden Graben, jeden Hügel. Das wird ihn Tage kosten, vielleicht Wochen.” Busse schwieg. Er wusste, worauf Manstein hinauswollte: Wenn der nördliche Stoßkeil ins Stocken geriet, lastete der gesamte Erfolg der Operation auf den Schultern der Heeresgruppe Süd, auf Mansteins Schultern. Draußen begann die Dämmerung. Das erste graue Licht sickerte durch die Ritzen der verdunkelten Fenster. Irgendwo in der Ferne heulte ein Flugzeugmotor auf – ein deutsches Aufklärungsflugzeug, das zum Morgenflug startete. In wenigen Stunden würden neue Bilder vom Kursker Bogen vorliegen, neue Berichte über Truppenbewegungen, neue Beweise dafür, dass die Zeit gegen sie lief.

Manstein trat ans Fenster. Er zog die Verdunkelung einen Spalt weit zur Seite und blickte hinaus in die erwachende Landschaft. Flache Felder, ferne Baumlinien. Der Himmel war blassgrau, die Farbe von Asche. “Busse”, sagte er, ohne sich umzudrehen, “lassen Sie die Stabsoffiziere für 08:00 Uhr zusammenkommen. Vollständige Lagebeurteilung. Ich möchte jeden verfügbaren Aufklärungsbericht der letzten zwei Wochen. Ich möchte wissen, wo genau die sowjetischen Reserven stehen, und ich möchte alternative Stoßrichtungen ausgearbeitet haben.” “Alternative Stoßrichtungen, Herr Generalfeldmarschall?” Manstein wandte sich um, sein Blick war scharf und durchdringend. “Falls Hitler diese Operation weiter verzögert, Busse, wird ein frontaler Angriff auf Kursk einem Sturm auf eine Festung gleichkommen. Und Festungen erstürmt man nicht frontal, man umgeht sie. Ich möchte Optionen.” Busse salutierte und verließ den Raum.

Manstein blieb allein zurück. Er kehrte zur Karte zurück, zündete sich eine neue Zigarette an und ließ seinen Blick erneut über den Kursker Bogen wandern. Irgendwo dort draußen, hinter den sowjetischen Linien, bereiteten sich Marschall Schukow und Marschall Wassilewski vor. Sie wussten, was kam. Sie wussten es seit Wochen. Die Frage war nicht mehr, ob die Wehrmacht angreifen würde, die Frage war wann und wie lange sie durchhalten konnte. Manstein dachte an den März zurück, an Charkow. Dort hatte er Beweglichkeit gegen sowjetische Masse gesetzt und gewonnen. Aber das war anders gewesen. Damals hatten die Sowjets überdehnte Flanken gehabt und schwache Verbindungen. Er hatte zugeschlagen, wo sie schwach waren. Jetzt würde er dorthin schlagen müssen, wo sie am stärksten waren. Es gab einen Weg. Manstein wusste das. Es gab immer einen Weg, wenn man bereit war, schnell zu denken, schnell zu handeln und Risiken einzugehen, die andere Kommandeure scheuten. Aber dieser Weg erforderte Zeit, und Zeit war das eine, was ihm niemand mehr geben wollte. Er drückte die Zigarette aus. Die Glut erlosch mit einem leisen Zischen. Draußen wurde es heller, ein neuer Tag. Aber für Manstein fühlte es sich an, als würde die Dunkelheit dichter.

Juni 1943, Wolfsschanze, Hitlers Hauptquartier in Ostpreußen. Manstein saß in einem stickigen Besprechungsraum und wartete. Schwere Holzpaneele verkleideten die Wände, ein massiver Tisch dominierte den Raum. Durch die schmalen Fenster fiel gedämpftes Licht. Die Luft war drückend, trotz der Ventilatoren, die träge surrend die heiße Juniluft bewegten. Um den Tisch herum saßen die ranghöchsten Männer der Wehrmacht: Generalfeldmarschall Keitel, Generaloberst Zeitzler, Generalfeldmarschall Model und am Kopfende, nervös mit einem Bleistift spielend, Adolf Hitler. Die Besprechung dauerte bereits drei Stunden. Drei Stunden Debatten, Monologe und Unterbrechungen. Hitler hatte gesprochen, dann Model, dann Zeitzler. Jetzt war wieder Hitler an der Reihe.

Manstein hörte zu, sein Gesicht eine Maske höflicher Aufmerksamkeit. Innerlich zählte er die verlorenen Tage. Seit seinem nächtlichen Kartenstudium im Mai waren sechs Wochen vergangen. Sechs Wochen, in denen die Rote Armee jeden Quadratmeter des Kursker Bogens in eine Festung verwandelt hatte. Die neuesten Aufklärungsberichte waren erschütternd: Acht Verteidigungsgürtel, nicht drei oder vier wie im Mai. Acht. Einige davon über 30 Kilometer tief. Panzergräben, drei Meter breit und zwei Meter tief. Minenfelder mit Dichten von über 1.500 Minen pro Kilometer Front. Grabensysteme, die sich wie Spinnennetze über die Landschaft zogen. Bunker aus Beton und Stahl, Packnester, Artilleriestellungen – getarnt und eingegraben. Und dahinter, unsichtbar für die Luftaufklärung, warteten die sowjetischen Reserven: frische Panzerarmeen, mechanisierte Korps, Gardedivisionen. Schukow hatte nicht nur eine Verteidigung aufgebaut, er hatte eine Falle konstruiert, eine, die darauf wartete, zuzuschnappen.

Hitler sprach, seine Stimme war angespannt, fast schroff. “Model hat recht. Die Pantherbataillone sind noch nicht vollständig einsatzbereit. Wir brauchen mehr Tiger, mehr Ferdinands. Wir können nicht angreifen ohne materielle Überlegenheit.” Manstein bewegte sich nicht, aber hinter seiner Stirn arbeitete es fieberhaft. Materielle Überlegenheit – das Wort klang gut, es klang rational, es klang nach preußischer Gründlichkeit. Aber es war eine Illusion. Die Sowjets produzierten Panzer schneller, als Deutschland sie zerstören konnte. Jeden Monat rollten Hunderte von T-34 aus den Fabriken östlich des Ural. Jede Verzögerung vergrößerte nicht die deutsche Überlegenheit, sie vergrößerte die sowjetische.

Model sprach: “Mein Führer, die Aufklärung meldet massive Verstärkungen im nördlichen Abschnitt. Mindestens fünf neue Schützendivisionen in den letzten zwei Wochen. Die Verteidigungsanlagen sind inzwischen so stark, dass ein Durchbruch…” “Ein Durchbruch ist möglich”, unterbrach ihn Hitler scharf. “Wenn wir die richtigen Waffen haben, wenn wir richtig vorbereitet sind. Guderian versichert mir, dass die Panther bis Juli voll einsatzfähig sein werden.” Manstein hörte das Wort Juli und spürte, wie sich etwas in seiner Brust zusammenzog. Juli. Das bedeutete weitere drei Wochen. Weitere drei Wochen, in denen jeder sowjetische Soldat im Kursker Bogen einen weiteren Meter Graben aushob. Weitere drei Wochen, in denen Schukow weitere Divisionen heranführte. Er räusperte sich leise, aber deutlich genug, dass Hitler innehielt und zu ihm hinüber sah. “Mein Führer”, begann Manstein, seine Stimme ruhig, beinahe emotionslos, “darf ich einige Überlegungen vortragen?” Hitler machte eine ungeduldige Handbewegung. “Bitte, Manstein.”

“Die Operation Zitadelle wurde ursprünglich für April konzipiert. Zu diesem Zeitpunkt hätten wir einen taktischen Vorteil gehabt: Überraschung, Geschwindigkeit und sowjetische Verteidigungen, die noch nicht vollständig ausgebaut waren. Dieser Vorteil existiert nicht mehr.” Model nickte zustimmend. Hitler starrte Manstein an, sein Blick misstrauisch. “Jede weitere Verzögerung”, fuhr Manstein fort, “verwandelt diese Operation von einem Manöver in eine Materialschlacht. Und Materialschlachten, mein Führer, kann Deutschland nicht gewinnen. Nicht auf lange Sicht.” Die Worte hingen schwer im Raum. Keitel warf Manstein einen warnenden Blick zu. Man widersprach Hitler nicht so direkt, nicht in dieser Form. Aber Manstein hatte nicht überlebt, indem er höflich schwieg, wenn strategische Fehler begangen wurden.

Hitler lehnte sich zurück, seine Finger trommelten auf die Tischplatte. “Was schlagen Sie vor, Manstein?” “Entweder wir greifen sofort an, innerhalb der nächsten Woche, mit dem, was wir haben, oder wir brechen die Operation ab.” Die Stille war absolut. Model starrte Manstein an, Zeitzler ebenfalls. Keitel sah aus, als würde er einen Herzinfarkt erleiden. Hitler beugte sich vor. “Abbrechen?” “Ja, mein Führer. Wenn wir weitere vier bis sechs Wochen warten, wird der Kursker Bogen uneinnehmbar. Die Verluste werden katastrophal sein, selbst wenn wir durchbrechen, und die strategische Lage wird sich nicht verbessern. Im Gegenteil, die Sowjets werden Zeit gewinnen, ihre Offensiven an anderen Frontabschnitten vorzubereiten.”

Hitler stand auf. Er begann im Raum auf und ab zu gehen, die Hände auf dem Rücken verschränkt. Manstein beobachtete ihn. Er kannte dieses Verhalten: Hitler rang mit sich selbst, zwischen seinem Bauchgefühl und dem Druck seiner Berater. “Die Panther”, murmelte Hitler, “Guderian sagt, sie werden entscheidend sein.” “Die Panther”, sagte Manstein leise, “sind Maschinen, ausgezeichnete Maschinen. Aber sie werden uns nicht die Zeit zurückgeben, die wir verloren haben. Sie werden uns nicht die sowjetischen Verteidigungslinien wegräumen, die in den letzten Wochen entstanden sind.” Model mischte sich ein, seine Stimme vorsichtig: “Herr Generalfeldmarschall von Manstein hat einen Punkt. Meine eigene Aufklärung bestätigt, dass die nördlichen Verteidigungsanlagen inzwischen…” “Ich habe Ihre Berichte gelesen, Model.” Hitler fuhr herum. “Jeder sagt mir, wie schwierig es wird. Niemand sagt mir, wie wir gewinnen.”

Manstein erhob sich langsam. Er trat an die große Wandkarte, die den Kursker Bogen zeigte. Seine Finger glitten über die südliche Angriffslinie. “Es gibt eine Möglichkeit”, sagte er, “aber sie erfordert Flexibilität und Mut.” Hitler trat neben ihn. “Sprechen Sie.” “Die Heeresgruppe Süd könnte durchbrechen. Meine Panzerverbände sind stark genug, um die ersten Verteidigungslinien zu durchstoßen. Aber nicht frontal, nicht entlang der offensichtlichsten Routen, wo die Sowjets uns erwarten.” “Wie dann?” “Durch Manöver. Wir stoßen vor, ja. Aber sobald wir auf massiven Widerstand treffen, schwenken wir. Wir suchen die Nahtstellen zwischen sowjetischen Einheiten. Wir umgehen Widerstandsnester, anstatt uns daran festzubeißen. Wir halten die Bewegung aufrecht.” Model schüttelte den Kopf. “Das ist riskant, Manstein. Wenn Sie schwenken, öffnen Sie Ihre eigenen Flanken.” “Jede Operation ist riskant”, erwiderte Manstein kühl. “Die Frage ist, welches Risiko wir eingehen wollen. Das Risiko des Scheiterns durch Starrheit oder das Risiko des Erfolgs durch Beweglichkeit.”

Hitler studierte die Karte. Manstein konnte sehen, wie die Gedanken hinter seiner Stirn rasten. Der Führer liebte kühne Operationen, er liebte die Idee des entscheidenden Schlages. Aber er fürchtete auch das Scheitern, und diese Furcht lähmte ihn zunehmend. “Wann könnten Sie beginnen?”, fragte Hitler schließlich. “Anfang Juli, spätestens der 5. Juli. Danach rate ich dringend davon ab.” Hitler wandte sich ab. Er ging zum Fenster und starrte hinaus in den ostpreußischen Wald. Minuten verstrichen, niemand sprach. Das Summen der Ventilatoren füllte die Stille. Dann drehte Hitler sich um. “Die Operation beginnt am 5. Juli. Beide Heeresgruppen greifen gleichzeitig an. Model von Norden, Manstein von Süden. Ziel bleibt die Einkesselung des Kursker Bogens.”

Manstein nickte. Es war nicht die Entscheidung, die er sich gewünscht hatte – ein sofortiger Angriff oder ein kompletter Abbruch. Es war ein Kompromiss. Und Kompromisse, das wusste Manstein, waren in der Kriegsführung oft tödlich. Aber die Entscheidung war gefallen. Die Tage bis zum 5. Juli vergingen in hektischer Vorbereitung. Manstein kehrte zu seiner Heeresgruppe zurück und rief seine Korpskommandeure zusammen: General Hoth, Befehlshaber der 4. Panzerarmee, SS-Obergruppenführer Hausser, Kommandeur des II. SS-Panzerkorps, General Knobelsdorff, XXXXVIII. Panzerkorps. Diese Männer würden die Speerspitzen führen. In einem großen Kommandozelt südlich von Belgorod versammelte sich der Stab. Manstein stand vor der Karte, seine Offiziere um ihn herum.

“Meine Herren”, begann er, “in vier Tagen beginnt die größte Panzerschlacht der Geschichte. Die Sowjets wissen, dass wir kommen. Sie haben Monate Zeit gehabt, sich vorzubereiten. Das bedeutet, wir können nicht darauf zählen, sie zu überraschen. Wir können nur darauf zählen, sie zu übermanövrieren.” Er deutete auf die Karte. “Der erste Verteidigungsgürtel wird hart sein, der zweite härter. Beim dritten werden die Sowjets ihre Panzerreserven einsetzen. Aber zwischen diesen Gürteln gibt es Lücken, schwache Punkte. Unsere Aufgabe ist es, diese Punkte zu finden und auszunutzen.” Hoth, ein erfahrener Panzerkommandeur, nickte. “Und wenn wir auf Widerstand stoßen, den wir nicht schnell überwinden können?” “Dann schwenken wir”, sagte Manstein. “Wir beißen uns nicht fest. Wir bleiben beweglich. Bewegung ist unser Vorteil. Sobald wir aufhören, uns zu bewegen, gewinnen sie.” Hausser, der SS-General, ein Mann mit scharfen Zügen und kalten Augen, meldete sich: “Herr Generalfeldmarschall, meine Divisionen sind bereit. Aber die Frage ist: Was, wenn Model im Norden scheitert?” Die Frage hing in der Luft wie eine Wolke. Manstein sah Hausser direkt an. “Wenn Model im Norden scheitert”, sagte er langsam, “dann lastet der Erfolg dieser Operation auf uns. Auf der Heeresgruppe Süd. Auf Ihnen und Ihren Männern.”

  1. Juli 1943, 03:15 Uhr. Die Nacht lag schwer über der südlichen Front bei Belgorod. Keine Sterne, der Himmel war eine feste schwarze Masse, die Luft feucht und warm. In den Versammlungsräumen der deutschen Panzerverbände herrschte angespannte Stille. Motoren liefen im Leerlauf. Tiger und Panther reihten sich aneinander, ihre massiven Silhouetten kaum erkennbar in der Dunkelheit. Männer rauchten stumm, prüften ihre Waffen, warteten. Manstein stand auf einem niedrigen Hügel, drei Kilometer hinter der Frontlinie. Er trug seinen langen Mantel trotz der Wärme. Neben ihm Generalmajor Busse mit einem Funkgerät. Die Zeit bis zum Angriff: 15 Minuten. Um 03:30 Uhr würde die deutsche Artillerie das größte Sperrfeuer seit Stalingrad eröffnen. Tausende Geschütze würden die sowjetischen Linien mit Stahl überschütten. Dann würden die Panzer vorrücken – fast 1.000 Panzer und Sturmgeschütze allein im Sektor der Heeresgruppe Süd. Das II. SS-Panzerkorps würde den Hauptstoß führen, direkt nach Norden Richtung Prochorowka. Das XXXXVIII. Panzerkorps würde parallel vorstoßen, östlich davon.

Manstein blickte nach Norden. Dort, unsichtbar in der Dunkelheit, lagen die sowjetischen Stellungen: Acht Verteidigungsgürtel, hunderttausende Soldaten, tausende Panzerabwehrgeschütze, Millionen Minen. Er hatte die Berichte gelesen, die Zahlen studiert, die Karten analysiert. Er wusste, was seine Männer erwartete. Busse trat näher. “Herr Generalfeldmarschall, letzte Meldung von Heeresgruppe Mitte: Model beginnt zeitgleich um 03:30 Uhr.” Manstein nickte knapp. Model im Norden – die andere Zange. Wenn alles nach Plan lief, würden sich beide Stoßkeile in fünf bis sechs Tagen bei Kursk treffen. Die sowjetischen Armeen im Bogen wären eingeschlossen, vernichtet. Wenn alles nach Plan lief.

Manstein dachte an die Besprechung zwei Tage zuvor. Er hatte seinen Kommandeuren eine letzte Anweisung gegeben, eine Anweisung, die über die schriftlichen Befehle hinausging: “Bewegt euch schnell. Bleibt nicht stehen. Wenn ihr auf eine Festung stoßt, umgeht sie. Lasst die Infanterie aufräumen. Eure Aufgabe ist Durchbruch, nicht Belagerung.” Hausser hatte verstanden, Hoth ebenfalls. Ob sie es umsetzen konnten, war eine andere Frage. Im Chaos der Schlacht, wenn Panzer brannten und Männer starben, war es leicht, den ursprünglichen Plan zu vergessen. Es war leicht, sich festzubeißen, zurückzuschlagen, zu rächen. Aber das war der Weg zur Niederlage. Manstein wusste das.

Um 03:28 Uhr begann das Geräusch – ein tiefes, rollendes Donnern, das aus der Erde selbst zu kommen schien. Die Artillerie. Tausende Rohre, die sich auf ihre Ziele richteten. Manstein hob sein Fernglas. Er konnte noch nichts sehen, nur Dunkelheit. Dann, um exakt 03:30 Uhr, zerriss die Welt. Der Horizont explodierte in Licht. Blitze, die den Himmel erhellten wie tausend Gewitter gleichzeitig. Der Donner war ohrenbetäubend, eine durchgehende Welle aus Schall, die die Luft zittern ließ. Manstein spürte die Vibrationen in seiner Brust. Das Sperrfeuer sollte 80 Minuten dauern. Minuten, in denen deutsche Granaten die sowjetischen Linien zerpflügen würden. Aber Manstein wusste auch: Die Sowjets hatten sich eingegraben, tief. Viele würden überleben, und sie würden bereit sein.

Um 04:50 Uhr verstummte das Sperrfeuer. Die Stille danach war fast unerträglich. Dann kam das neue Geräusch: das tiefe Brummen von hunderten von Panzermotoren. Die Erde bebte. Manstein drehte sich um und sah die ersten Wellen vorrücken. Tiger an der Spitze, ihre 8,8-cm-Kanonen wie Lanzen nach vorn gerichtet. Dahinter Panther, Panzer IV, Sturmgeschütze, Infanterie in Schützenpanzerwagen. Eine gepanzerte Flut. Sie verschwanden im Morgendunst, der über die Felder kroch. Manstein blieb stehen und wartete. Die ersten Berichte würden in 20 Minuten kommen, vielleicht früher, wenn es Probleme gab.

05:47 Uhr. Das Funkgerät knisterte. Eine Stimme, verzerrt durch Statik: “Leibstandarte an Heeresgruppe: Erster Verteidigungsgürtel erreicht. Massiver Widerstand. Pak-Feuer aus eingegrabenen Stellungen. Wir setzen den Angriff fort.” Manstein nahm den Hörer. “Verstanden. Weiter vorrücken. Nicht festbeißen.” Weitere Meldungen folgten. “Das Reich” meldete Durchbruch durch den ersten Graben. XXXXVIII. Panzerkorps stieß auf Minenfelder, Pioniere räumten. “Totenkopf” drängte nach Norden. Schwere Verluste, aber Vorwärtsbewegung. Die Berichte kamen jetzt im Minutentakt. Ein Bild formte sich: Der erste Verteidigungsgürtel bröckelte, aber langsam. Sowjetische Pak-Geschütze schossen aus getarnten Positionen, zerstörten Panzer, zogen sich zurück und tauchten anderswo wieder auf. Infanterie in Bunkern hielt stand, bis sie von Flammenwerfern oder Sprengladungen vernichtet wurde. Die deutschen Verbände rückten vor, aber es war kein Durchbruch, es war ein zähes Durchkämpfen.

Um 08:30 Uhr kam die Meldung, auf die Manstein gewartet hatte: “Leibstandarte hat zweiten Verteidigungsgürtel erreicht. Feindlicher Widerstand intensiviert sich. Sowjetische Panzer gesichtet.” Manstein studierte die Karte. Der zweite Gürtel – das bedeutete, sie hatten etwa 10 Kilometer zurückgelegt. Nicht schlecht für die ersten vier Stunden, aber nicht gut genug. Bei diesem Tempo würden sie Tage brauchen, um die 60 Kilometer bis Prochorowka zu überwinden. “Verbindung zu General Hoth”, befahl er. Sekunden später kam Hoths Stimme durch, ruhig, kontrolliert, aber mit einem unterschwelligen Unterton von Anspannung. “Hoth hier.” “Wie ist Ihre Lage?” “Wir kommen voran, Herr Generalfeldmarschall, aber langsamer als geplant. Die sowjetischen Verteidigungen sind dichter als erwartet, und sie setzen ihre Panzer in kleinen Gruppen ein – Hinterhalte, schlagen und verschwinden.” Manstein hörte, was Hoth nicht sagte: Die Sowjets kämpften nicht wie in den ersten Kriegsjahren. Keine großen, unkoordinierten Gegenschläge. Stattdessen geschickte defensive Operationen. Sie gaben Boden ab, aber nur gegen hohen Preis. Sie zermürbten die deutschen Verbände Meter für Meter. “Halten Sie die Bewegung aufrecht”, sagte Manstein. “Konzentrieren Sie sich auf die Hauptstoßrichtung. Umgehen Sie Widerstandsnester, wo möglich.” “Verstanden.” Die Verbindung brach ab.

Manstein wandte sich an Busse. “Was meldet Model?” Busse sah nicht auf, als er antwortete: “Heeresgruppe Mitte meldet Schwierigkeiten. Model ist auf massiven Widerstand gestoßen. Seine Verbände haben weniger als 5 Kilometer Boden gewonnen.” Manstein erstarrte. 5 Kilometer nach über vier Stunden Kampf. Das war katastrophal. Model sollte die nördliche Zange bilden. Wenn er nicht durchbrach, lastete alles auf der Heeresgruppe Süd. “Wie schwer sind seine Verluste?” “Erheblich. Mehrere Panzerbataillone haben über 30 % ihrer Fahrzeuge verloren.” Manstein schloss kurz die Augen. Er hatte es gewusst. Er hatte Model gewarnt, hatte Hitler gewarnt. Der nördliche Abschnitt war zu stark befestigt. Model hatte nicht die Flexibilität, die Beweglichkeit, um solche Verteidigungen zu überwinden. Er würde sich festbeißen, Panzer verschwenden, Zeit verlieren. “Halten Sie mich über Models Fortschritt auf dem Laufenden”, sagte Manstein. Seine Stimme war ruhig, aber innerlich rechnete er bereits die Konsequenzen durch. Wenn Model scheiterte, musste die Heeresgruppe Süd nicht nur durchbrechen, sie musste weit genug vorstoßen, um die sowjetischen Armeen allein einzukesseln. Das war möglich, aber nur, wenn alles perfekt lief. Und in diesem Krieg lief nie etwas perfekt.

  1. Juli 1943, 17:20 Uhr. Drei Tage waren seit Beginn der Operation vergangen. Mansteins Verbände hatten gekämpft, geblutet und waren vorgerückt. Sie hatten vier Verteidigungsgürtel durchbrochen und standen jetzt etwa 35 Kilometer nördlich ihrer Ausgangsstellungen. Auf der Karte sah es nach Erfolg aus: Blaue Pfeile, die tief in sowjetisches Territorium ragten. Aber Manstein wusste es besser. Er stand in seinem mobilen Kommandoposten, einem umgebauten LKW, und studierte die Verlustmeldungen. Das II. SS-Panzerkorps hatte 40 % seiner Panzer verloren, das XXXXVIII. Panzerkorps 35 %. Die Infanteriedivisionen bluteten aus – Kompanien auf Zugstärke reduziert, Bataillone auf Kompaniestärke. Und die Sowjets? Sie zogen sich zurück, ja, aber geordnet und kontrolliert. Jeder Rückzug führte zu einem neuen Verteidigungsgürtel. Jeder Kilometer Boden kostete deutsche Leben und Material, das nicht ersetzt werden konnte.

Busse trat ein, ein Funkblatt in der Hand. Sein Gesicht war angespannt. “Herr Generalfeldmarschall, neue Aufklärung: Sowjetische Panzerreserven bewegen sich nach Prochorowka. Mindestens zwei Panzerarmeen, schätzungsweise 800 bis 1.000 Panzer.” Manstein nahm das Blatt, las es und legte es beiseite. Prochorowka – eine Stadt 20 Kilometer weiter nördlich. Dort würde die Entscheidung fallen. Die Sowjets konzentrierten ihre mobilen Reserven. Schukow wollte eine Schlacht, eine große, entscheidende Panzerschlacht. “Was meldet Model?”, fragte Manstein. “Heeresgruppe Mitte hat ihren Angriff eingestellt. Model kann nicht weiter vordringen. Seine Verluste sind zu hoch.” Die Worte hingen im Raum. Manstein reagierte nicht äußerlich, aber innerlich wusste er: Die Operation war gescheitert. Nicht militärisch, noch nicht, aber strategisch. Ohne Models nördliche Zange gab es keine Einkesselung. Die Heeresgruppe Süd konnte weiter vorstoßen, konnte Prochorowka erreichen, konnte vielleicht sogar dort siegen – aber dann? Die sowjetischen Armeen würden ausweichen, sich zurückziehen, neue Linien bilden. Und die Heeresgruppe Süd würde allein sein, mit überlangen Flanken, erschöpften Truppen und leeren Treibstofftanks.

“Verbindung zum Führerhauptquartier”, befahl Manstein. Minuten später hatte er Zeitzler am Apparat. Er legte die Situation dar: knapp, präzise, emotionslos. Models Scheitern, die sowjetischen Reserven bei Prochorowka, die hohen Verluste, die unmögliche strategische Lage. “Herr Generalfeldmarschall”, sagte Zeitzler vorsichtig, “der Führer möchte, dass Sie weiter vorstoßen.” “Zu welchem Zweck?” Mansteins Stimme war scharf. “Ohne die nördliche Zange gibt es keine Einkesselung. Wir können Prochorowka nehmen, ja. Aber dann sitzen wir in einem Sack, umgeben von sowjetischen Reserven, mit einer Front, die wir nicht halten können.” Stille am anderen Ende. “Ich werde dem Führer Ihre Bedenken vortragen.” Die Verbindung endete. Manstein wusste, was kommen würde: Hitler würde den Vormarsch befehlen, weil Rückzug Schwäche bedeutete, weil er keine Niederlagen akzeptieren konnte. Und so würde die Heeresgruppe Süd weiter vorstoßen, in eine Schlacht, die sie nicht gewinnen konnte.

  1. Juli 1943, 06:15 Uhr. Die Ebene südlich von Prochorowka. Der Himmel war grau, verhangen von Rauchschwaden und Staub. Die Luft roch nach verbranntem Öl, Kordit und Tod. Über ein Gebiet von mehreren Quadratkilometern tobte die größte Panzerschlacht der Geschichte. Über 1.500 Panzer und Sturmgeschütze, deutsche und sowjetische, kämpften in einem chaotischen, tödlichen Ringen. Manstein stand auf einem erhöhten Punkt, drei Kilometer südlich der Hauptkampflinie. Durch sein Fernglas konnte er die brennenden Wracks sehen. Schwarze Rauchsäulen stiegen in den Himmel. Mündungsfeuer blitzten auf. Panzer manövrierten, schossen, explodierten. Das Donnern der Geschütze war endlos, ein durchgehendes Gewitter aus Stahl.

Das II. SS-Panzerkorps hatte den sowjetischen Angriff abgewehrt. Hausser hatte seine Divisionen geschickt eingesetzt und die sowjetischen Wellen zurückgeschlagen. Hunderte von T-34 brannten auf dem Schlachtfeld. Aber auch deutsche Panzer – Tiger, Panther, Panzer IV. Die Verluste auf beiden Seiten waren katastrophal. Busse stand neben ihm, ein Funkgerät in der Hand. Seine Stimme war heiser vom Schlafmangel und Rauch. “Leibstandarte meldet: Sowjetische Angriffe lassen nach. Das Reich hält seine Positionen. Totenkopf sichert die linke Flanke.” Manstein senkte das Fernglas. Taktisch war Prochorowka ein deutscher Erfolg. Die Sowjets hatten mehr Panzer verloren als die Wehrmacht. Die 5. Gardepanzerarmee war zerschlagen. Aber strategisch? Strategisch hatte sich nichts geändert. Die deutschen Verbände waren erschöpft, Munition wurde knapp, Treibstoff ebenso. Und hinter den sowjetischen Linien warteten weitere Reserven.

Das Funkgerät knackte. Eine neue Stimme: “Dringend! Heeresgruppe Süd hier Führerhauptquartier. Generalfeldmarschall von Manstein wird zum Apparat gebeten.” Manstein nahm den Hörer. “Manstein.” Es war Zeitzler, seine Stimme klang angespannt. “Herr Generalfeldmarschall, der Führer hat entschieden: Operation Zitadelle wird abgebrochen. Sie sollen Ihre Verbände zurückziehen und bereithalten. Die Alliierten sind in Sizilien gelandet. Die italienische Front bricht zusammen. Divisionen müssen nach Süden verlegt werden.” Manstein sagte nichts. Sekunden vergingen. Dann: “Verstanden.” Er legte den Hörer ab. Busse sah ihn an, wartete. “Die Operation ist beendet”, sagte Manstein leise. “Wir ziehen uns zurück.” Busse nickte langsam. Er wirkte weder überrascht noch erleichtert, nur müde. “Wann?” “Sofort. Geben Sie die Befehle an alle Korps weiter. Geordneter Rückzug. Nachhuten sichern die Flanken. Verwundete und Material haben Priorität.”

Als Busse ging, blieb Manstein allein. Er blickte noch einmal nach Norden, zu den brennenden Wracks, den kämpfenden Männern, dem Chaos. Sieben Tage. Sieben Tage hatte die größte deutsche Offensive des Jahres 1943 gedauert. 35 Kilometer Geländegewinn. Hunderttausende Tote und Verwundete auf beiden Seiten. Hunderte zerstörter Panzer. Und jetzt der Rückzug. Manstein wandte sich ab und ging zu seinem Kommandowagen. Während er ging, dachte er nicht an das Scheitern. Er dachte an die Frage, die er sich seit Wochen gestellt hatte, die Frage, die jeder Stratege nach einer gescheiterten Operation stellen musste: Was hätte sein können?

Hätte Deutschland im April angegriffen, wie Manstein ursprünglich vorgeschlagen hatte, wäre die Situation grundlegend anders gewesen. Die sowjetischen Verteidigungen waren zu diesem Zeitpunkt schwach, unvollständig. Keine acht Gürtel, vielleicht drei, vielleicht vier. Die Minenfelder waren kleiner, die Panzerabwehrstellungen weniger dicht. Die deutschen Panzerverbände hätten durchbrechen können, schnell, mit geringeren Verlusten. Aber Hitler hatte gezögert. Und mit jedem Tag, jeder Woche, jeder verlorenen Stunde war das Fenster kleiner geworden, bis es sich schließlich geschlossen hatte. Manstein verstand, warum andere Kommandeure gescheitert wären, selbst unter besseren Umständen. Model war ein defensiver Kämpfer, brillant in der Verteidigung, aber zu vorsichtig im Angriff. Er sah Hindernisse, wo Manstein Möglichkeiten sah. Er wartete auf Sicherheit, wo Manstein bereit war, Risiken einzugehen. Guderian, der Panzertheoretiker, war zu starr. Er glaubte an die Lehrbuchlösung: Durchbruch, Einkreisung, Vernichtung. Aber Kursk war kein Lehrbuchszenario. Es erforderte Improvisation, Flexibilität und die Bereitschaft, Pläne zu ändern, wenn sich die Lage änderte. Guderian hätte sich an seiner eigenen Doktrin festgebissen. Rommel, ein brillanter taktischer Führer, aber kein Stratege, sah das Schlachtfeld vor sich, nicht die große Karte dahinter. Er hätte bei Prochorowka gekämpft, hätte gewonnen oder verloren, aber er hätte nicht gesehen, was danach kam – die überlangen Flanken, die erschöpften Truppen, die sowjetischen Reserven, die sich im Osten sammelten.

Nur Manstein hatte die Kombination aus strategischem Weitblick, taktischer Flexibilität und operativer Kühnheit, die Kursk erfordert hätte. Er verstand, dass Bewegung wichtiger war als Feuerkraft, dass eine schnelle Niederlage des Feindes besser war als ein langsamer Sieg, dass man Widerstandsnester umgehen musste, statt sich daran festzubeißen. Aber selbst Manstein konnte nicht gewinnen, wenn die grundlegenden Bedingungen gegen ihn standen. Und im Juli 1943 waren sie es. Die Verzögerung hatte die Operation von einem gewagten Manöver in eine Materialschlacht verwandelt, und Materialschlachten konnte Deutschland nicht gewinnen.

Wochen später, in einem ruhigen Moment in seinem Hauptquartier, sprach Manstein mit Busse über Kursk. Es war spät am Abend, die Karten waren weggeräumt, die Berichte gelesen. Nur eine Flasche Cognac und zwei Gläser standen auf dem Tisch. “Was hätten wir anders machen können?”, fragte Busse. Manstein drehte das Glas in seiner Hand. Er beobachtete, wie das Licht durch die bernsteinfarbene Flüssigkeit brach. “Nichts”, sagte er schließlich. “Sobald Hitler die Operation verzögert hatte, war das Ergebnis unvermeidlich. Wir konnten taktische Siege erringen – Prochorowka, den Durchbruch durch die Verteidigungsgürtel – aber strategisch? Die Zeit war gegen uns.” “Und wenn man Ihnen im März freie Hand gegeben hätte?” Manstein lächelte leicht. Es war kein fröhliches Lächeln. “Dann hätten wir eine Chance gehabt. Eine echte Chance. Die sowjetischen Verteidigungen waren schwach, ihre Reserven nicht in Position. Ein schneller Stoß. Bewegung statt Festbeißen. Umgehung statt Belagerung. Wir hätten durchbrechen können.” “Hätten wir gewonnen?” Manstein trank einen Schluck. “Nein. Nicht den Krieg. Dafür war es zu spät. Aber wir hätten Zeit gekauft. Monate, vielleicht ein Jahr. Wir hätten die sowjetische Offensive verzögert, ihre Kräfte gebunden. Das hätte im Westen einen Unterschied gemacht.”

Busse nickte langsam. Er verstand. Kursk war nie als kriegsentscheidende Schlacht konzipiert gewesen. Es war ein Versuch, die Initiative zurückzugewinnen, Zeit zu kaufen, den Gegner zu zwingen, defensiv zu reagieren, statt offensiv zu agieren. Aber die Verzögerung hatte dieses Ziel unmöglich gemacht. “Warum?”, fragte Busse leise. “Hat der Führer nicht auf Sie gehört?” Manstein sah ihn an. “Weil er ein Politiker war, kein Soldat. Er sah Panzerzahlen und dachte, mehr Panzer bedeuteten Sieg. Er verstand nicht, dass Zeit wichtiger ist als Material. Dass eine Operation, die im April funktioniert hätte, im Juli scheitern musste.” Er stellte das Glas ab. “Hitler wollte Sicherheit. Er wollte Garantien. Er wollte eine Schlacht, die er nicht verlieren konnte. Aber im Krieg gibt es keine solchen Schlachten. Es gibt nur Momente, die man nutzen kann oder verliert. Und wir haben den Moment verpasst.”

In den Monaten nach Kursk verschob sich die Initiative unwiderruflich auf die Sowjets. Die Rote Armee startete Großoffensiven entlang der gesamten Front. Charkow fiel erneut, Belgorod, Orel. Die deutsche Front wich zurück, Kilometer für Kilometer, Monat für Monat. Die Wehrmacht kämpfte geschickt, verzögerte, konterte lokal. Manstein selbst orchestrierte mehrere brillante Rückzugsgefechte und rettete Armeen, die sonst eingeschlossen worden wären. Aber die strategische Realität war unerbittlich: Deutschland hatte bei Kursk seine letzte Chance verbraucht, das Blatt im Osten zu wenden. Die sowjetische Kriegsmaschine, einmal in Bewegung gesetzt, war nicht mehr aufzuhalten.

Historiker würden später debattieren, ob Kursk hätte gewonnen werden können. Die meisten kamen zu dem Schluss, dass die Operation zum Scheitern verurteilt war, dass die Verzögerungen, die starken sowjetischen Verteidigungen und die zahlenmäßige Überlegenheit der Roten Armee einen deutschen Sieg unmöglich machten. Aber einige, die tiefer in die Dokumente eintauchten – in die Aufklärungsberichte vom März und April, in Mansteins ursprüngliche Vorschläge – kamen zu einer anderen Schlussfolgerung: Es hatte ein Fenster gegeben, ein kurzes, schmales Zeitfenster. Und wenn jemand dieses Fenster hätte nutzen können, dann Manstein. Nicht weil er bessere Panzer hatte oder mehr Truppen befehligte, sondern weil er verstand, was andere nicht verstanden: Dass im modernen Krieg Geschwindigkeit Panzerung schlägt, dass Bewegung Feuerkraft schlägt, dass der richtige Zeitpunkt wichtiger ist als die perfekte Ausrüstung.

Model wäre gescheitert, weil er zu vorsichtig war. Guderian wäre gescheitert, weil er zu dogmatisch war. Rommel wäre gescheitert, weil er zu kurzsichtig war. Nur Manstein hatte die einzigartige Kombination aus operativem Genie, taktischer Kühnheit und strategischem Weitblick, die eine Chance auf Erfolg geboten hätte. Aber auch Manstein konnte die Zeit nicht zurückdrehen. Er konnte nicht im April angreifen, wenn Hitler im Juli befahl. Er konnte nicht manövrieren, wenn die Sowjets ihm keinen Raum zum Manövrieren ließen. Er konnte nicht siegen, wenn die grundlegenden Bedingungen gegen ihn standen.

März 1944. Manstein wurde von seinem Kommando abgelöst. Hitler, der seine häufigen strategischen Ratschläge und gelegentlichen Widersprüche nicht mehr ertrug, ersetzte ihn durch gefügigere Kommandeure. Manstein kehrte nach Deutschland zurück – ein brillanter General, dessen Ratschläge zu spät gehört oder zu früh ignoriert wurden. Jahre nach dem Krieg, in seinem Exil, schrieb Manstein seine Memoiren. Er analysierte Kursk, sezierte die Operation, erklärte, was hätte sein können, wenn die Entscheidungen anders getroffen worden wären, wenn die Zeit anders genutzt worden wäre. Eine Passage blieb besonders in Erinnerung: “Im Krieg”, schrieb er, “gibt es einen Moment, in dem alles möglich ist. Einen Moment der Balance, in dem Initiative und Kühnheit Übermacht schlagen können. Aber dieser Moment ist flüchtig. Er muss erkannt und ergriffen werden, ohne Zögern, ohne Zweifel. Bei Kursk hatten wir diesen Moment im April. Im Juli war er längst verstrichen.”

Das war Mansteins Vermächtnis. Nicht die Schlachten, die er gewann, oder die Armeen, die er rettete, sondern das Verständnis, dass im Krieg Timing alles ist. Dass die beste Armee mit den besten Panzern verlieren wird, wenn sie zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort kämpft. Und dass nur ein Kommandeur, der dieses Prinzip vollständig verinnerlicht hatte, Kursk hätte gewinnen können. Manstein war dieser Kommandeur. Aber auch ihm wurde die Chance nicht gegeben. Und so blieb Kursk eine Geschichte nicht von dem, was war, sondern von dem, was hätte sein können. Eine Geschichte von einem Fenster, das sich schloss, bevor jemand hindurchtreten konnte. Eine Geschichte von einem General, der die Schlacht vor sich sah und zusehen musste, wie sie sich in etwas anderes verwandelte – in etwas Ungewinnbares – während die Zeit unaufhaltsam verstrich. Das war die Tragödie von Kursk: Nicht, dass Deutschland verlor, sondern dass es hätte gewinnen können, wenn nur jemand den richtigen Mann zur richtigen Zeit hätte handeln lassen.

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