Mit 69 Jahren spricht Hein Simons – vielen bis heute als Heintje vertraut – so offen über seine Karriere und sein Privatleben wie selten zuvor. „Vielleicht hätten wir etwas völlig Neues machen sollen“, sagt er rückblickend über die Zeit, in der seine Stimme brach und seine Kinderstar-Ära endete. Es ist ein Satz, der wie ein Schlüssel funktioniert: Er öffnet den Blick auf den Künstler hinter der Legende – und auf einen Mann, der Erfolge, Fehlentscheidungen, Krankheiten und familiäre Krisen nicht beschönigt, sondern einordnet.
Der kometenhafte Aufstieg eines Zwölfjährigen
1967 singt der zwölfjährige Heintje „Mama“ – erst in der Niederlande-Version, dann auf Deutsch. Was folgt, ist ein Ausnahmeerfolg: Die Single hält sich 25 Wochen in den deutschen Charts, klettert bis auf Platz 2 und wird zur meistverkauften Single des Jahres 1968. Binnen weniger Jahre sammelt Heintje rund 40 Goldene Schallplatten, eine Platin-Auszeichnung, zwei Goldene Löwen von Radio Luxemburg, einen Bambi und verkauft insgesamt über 40 Millionen Tonträger. Es ist die perfekte Symbiose aus Melodie und Zeitgeist – getragen von einer kristallklaren, knabenhaften Stimme, die Mütter, Großmütter und Kinder gleichermaßen berührt.
Filmrollen und die Grenzen des Phänomens
Nach Nebenrollen wagt Heintje ab 1969 den Schritt in Hauptrollen, eigens auf ihn zugeschnitten. Doch die Schauspielkarriere bleibt Episode. Das Massenphänomen Heintje ist untrennbar an die Stimme gebunden – und an ein Bild vom „Mustersohn“, das ihm später zur Last wird.
Der Bruch der Stimme – und die verpasste Erneuerung
Mit 16½ bricht die Stimme. 1973 versucht Hein Simons das Comeback – nun als Teenie-Idol statt Kinderstar. Es ist die schwierigste Passage seiner Laufbahn: Die Beatmusik gewinnt die Oberhand, die Schlagerszene gerät unter Druck, und die Marke „Heintje“ lässt sich nicht einfach in ein erwachsenes Pop-Projekt verwandeln. „Vielleicht hätten wir etwas völlig Neues machen sollen“, resümiert Simons selbstkritisch. Finanziell ist er abgesichert, künstlerisch muss er neu ansetzen.
Einmal Elvis? Einladung verpasst, Reue geblieben
Eine Anekdote sticht heraus: Elvis Presley soll so beeindruckt von Heintjes Stimme gewesen sein, dass er ihm einen Vorprogramm-Auftritt in Las Vegas anbot. Heintje sagt ab – eine spektakuläre Chance, die in der Rückschau als verpasstes Kapitel mitschwingt. Ähnlich verhält es sich mit einem lukrativen Siebenjahresvertrag in Hollywood, den die Eltern aus Sorge vor der Bindung nicht unterschreiben. Vernunft damals, gemischte Gefühle heute.
Vom Kinderidol zum Volkssänger
Unter den Namen Heintje Simons und später Hein Simons arbeitet er sich in den 1980er- und 1990er-Jahren in die volkstümliche Musik hinein – ein Genre, das Kontinuität, Nähe und Stimme honoriert. Es ist kein zweiter Höhenflug wie in der Kindheit, aber eine solide, professionelle Karriere, getragen von TV-Auftritten, Tourneen und einer treuen Fanbasis.
Kunstgriff der Erinnerung: „Heintje und ich“ (2017)
Zum 50. Jubiläum von „Mama“ wagt Simons ein originelles Experiment: Auf dem Album „Heintje und ich“ singt er im Duett mit seinem jüngeren Ich. Historische Aufnahmen werden orchestriert und mit der Gegenwartsstimme verschränkt. Nostalgie – ja. Aber auch ein selbstbewusstes Statement: Diese Biografie darf Widersprüche enthalten. Vergangenheit und Gegenwart müssen nicht gegeneinander ausgespielt werden.
Privates im Sturm: Ehe, Familie, Suchtkrise
Mehr als drei Jahrzehnte ist Simons mit Doris Uhl verheiratet, 2014 trennt sich das Paar. Drei Kinder, inzwischen erwachsen. Besonders schmerzhaft: die Suchtprobleme seines ältesten Sohnes Pasqual. Simons spricht darüber ohne Ausflucht – über Hilflosigkeit, Verzweiflung und darüber, dass Hilfe manchmal erst angenommen wird, wenn es nicht mehr anders geht. Heute, sagt er, sei der schlimmste Teil überwunden. Familie bleibe sein Halt, die Rolle als Großvater eine Quelle stiller Freude.
Verlust und Verletzlichkeit: Der Tod der Mutter und die Pandemie
2020 stirbt seine Mutter Johanna im Alter von 86 Jahren – nach einer Herzklappen-OP und unter den erschwerten Bedingungen der Corona-Pandemie. Simons schildert Fensterbesuche, Schutzkleidung, letzte Gespräche. „Corona war der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte“, sagt er. Es ist eine jener Passagen, in der der öffentliche Mensch hinter den Schlagzeilen besonders nahbar wird.
Gesundheitsalarm und Durchhaltewille
Herzprobleme führen früher zur Implantation eines Defibrillators. 2023 diagnostizieren Ärzte ein malignes Melanom an der Nase, gefährlich nah am Auge. Der Tumor wird rechtzeitig entfernt, Metastasen bilden sich keine. Simons nimmt Auszeiten, Kontrollen folgen – und doch bleibt der Leitsatz derselbe: „Solange ich Freude daran habe und solange es Menschen gibt, die Freude daran haben, werde ich weitermachen.“
Zwischen Bühne und Pferdefarm: Alltag heute
Wenn Simons nicht singt, arbeitet er auf seiner belgischen Pferdefarm weiter – seit 1975 sein Rückzugsort. Er erzählt von Stallarbeit, Reithalle, Hufschmiedekunst seines Sohnes. Keines seiner Kinder sei ins Showgeschäft gegangen, sagt er lakonisch und liebevoll zugleich. Ein Duett mit Tochter Gina zeigt: Talent hat viele Formen – und nicht jede führt in die Öffentlichkeit.
Mediale Präsenz und der Wunsch nach Sichtbarkeit
Kritisch äußert sich Simons darüber, in großen TV-Shows nicht mehr so präsent zu sein wie früher. Es trete „immer wieder das Gleiche“ auf, sagt er – dabei gäbe es ein Publikum, das ihn hören wolle. Das ist kein Lamento, eher die nüchterne Feststellung eines Künstlers, dessen Biografie größer ist als ein Nostalgie-Slot.
Das späte Geständnis – und was es bedeutet
„Alles hat seine Zeit“, sagt Simons über die Heintje-Jahre – ohne Neid, aber mit Klarheit. Das späte Eingeständnis, zu wenig radikal erneuert zu haben, ist weniger Anklage als Lehre. Es würdigt die Magie der Vergangenheit, ohne sie zu verklären, und es benennt, was künstlerische Laufbahnen oft entscheiden lässt: Mut zur Wandlung.
Fazit: Ein Künstler, zwei Stimmen, eine Haltung
Hein Simons hat gelernt, mit der Doppelbelichtung seines Lebens zu leben: Heintje – das unvergessene Kind, und Hein – der reflektierte Musiker. Dazwischen: verpasste Chancen, gewonnene Einsichten, Krankheit, Trauer, Familie, Arbeit. Wer seine Geschichte heute liest, hört zwei Stimmen: die helle von damals und die ruhigere von heute. Zusammen ergeben sie das, was große Karrieren auszeichnet – Kontur. Und die Gelassenheit, laut auszusprechen, was viele nur denken: Manches hätten wir anders machen sollen. Entscheidend ist, was wir daraus machen.