Georg eilte herbei bleich vor Angst. Herr Berger, gibt es ein Problem? Das Problem, unterbrach Vincent, ohne den Blick von Rebecca abzuwenden, ist, daß ihr Personal offenbar keine Ahnung von Respekt hat. Diese Kellnerin glaubt, sie könne mich warten lassen wie irgendeinen Normalbürger. Rebecca spürte, wie ihr Gesicht heiß wurde, nicht vor Scham, sondern vor Wut.
Sie dachte an ihre achtjährige Tochter Lina, die jetzt zu Hause am Küchentisch sitzen und Hausaufgaben machen würde, unter einer flackernden Lampe, die sie sich nicht leisten konnten, zu ersetzen. Sie dachte an den Kündigungsbrief, der in ihrer Handtasche lag, drei Monate Mietrückstand, 30 Tage frisst. Sie hob das Kinn.
“Herr Berger”, sagte sie leise, “aber klar. Ich habe andere Gäste bedient, die vor ihnen gekommen sind. Ich behandle alle gleich.” Die Worte hingen in der Luft wie ein Donnerschlag. Einige Gäste nickten zustimmend, andere hielten den Atem an. Vincent wirkte, als hätte man ihm geohrfeigt. In seiner Welt kaufte Geld Aufmerksamkeit, Respekt, gehorsam.
Das Wort Gleichbehandlung war ihm fremd und beleidigend. Sein Lachen war kurz und kalt. Ich erkläre Ihnen mal, was Fairnes ist, Fräulein. Ich beschäftige 15 000 Menschen. Ich spende Millionen für Wohltätigkeit. Ich bezahle wahrscheinlich ihre öffentlichen Dienstleistungen mit. Das ist Fairness. Rebecca sah ihn ruhig an, dann lächelte sie.
Kein höfliches Kellnerinnenlächeln, ein echtes, fast mitleidiges. Das ist bewundernswert, Herr Berger. Aber im Moment sind Sie einfach ein Gast, der sein Abendessen bestellen möchte. Also, was darf sein? Das Schweigen danach war ohrenbetäubend. Vincent starrte sie an, als hätte sie ihn geohrfeigt. Sein Gesicht wechselte die Farbe von Rot zu einem blassen Grau, als er die völlige Missachtung seiner Macht begriff.
Georg stand stocksteif. Der Schweiß trat ihm auf die Stirn. Einige Gäste taten so, als würden sie weiteressen, doch ihre Blicke klebten an der Szene, als wäre sie ein Theaterstück, das man nicht verpassen dürfte. Wenn dir dieser Moment ans Herz geht, dann gib dem Video ein Like, flüsterte eine Stimme in Rebekas Kopf, halb ironisch, halb als Erinnerung daran, dass sie in einer Welt lebte, die ständig zusah und richtete.
Vincent erhob sich langsam, der Stuhl kratzte laut über den Pakettboden. Seine Stimme war nun leise, gefährlich kontrolliert. Sie haben keine Ahnung, was Sie gerade getan haben. Ich werde persönlich dafür sorgen, dass Sie in dieser Stadt nie wieder einen Job finden. Rebecca spürte, wie sich jedes Auge im Raum auf sie richtete.
Seine Drohung hing in der Luft wie Rauch, schwer und giftig. Sie hatte Geschichten gehört von Männern, die Karrieren mit einem Anruf zerstörten und jetzt war sie plötzlich Teil davon. Ihre Hände zitterten leicht, doch sie zwang sich ruhig zu bleiben. In Gedanken sah sie Linas Gesicht vor sich. das kleine Lächeln, wenn sie ihr gute Nacht sagte.
Herr Berger, bitte, begann Georg mit zitternder Stimme. Wir können das Missverständnis sich erklären. Rebecca, vielleicht sollten Sie. Nein, unterbrach sie ihn und selbst sie erschrak über die Kraft ihrer eigenen Stimme. Ich werde mich nicht entschuldigen, weil ich meinen Job richtig mache. Sie blickte Vincent direkt in die Augen und zum ersten Mal sah sie den Menschen hinter dem teuren Anzug.
Da war etwas in seinem Blick, etwas Unvertrautes, etwas gebrochenes. Und dann erkannte sie es, denselben leeren, verlorenen Ausdruck, den sie im Spiegel gesehen hatte, als ihr Mann im Krankenhaus lag. Den Blick eines Menschen, der vergessen hatte, wie es war, mitfühlend zu sein. “Wissen Sie, was ich sehe, wenn ich Sie anschaue?”, begann sie ruhig, ihre Stimme fast sanft, aber fest wie Stein.
“Ich sehe einen Mann, der so große Angst hat, wie alle anderen behandelt zu werden, dass er ständig beweisen muss, wie wichtig er ist. Ich habe Menschen wie sie schon getroffen, im Krankenhaus, wo mein Mann gestorben ist. Reiche Patienten, die glaubten, ihr Schmerz sei mehr wert, weil sie Geld hatten. Die glaubten, Freundlichkeit sei etwas, dass man kaufen kann.