Die Nacht war so dicht, als hätte sich der Himmel selbst vor Kälte und Dunkelheit zusammengezogen. Im weitläufigen Anwesen des Milliardär Jonathan Harrison in den Hügeln von Upstate New York schlief alles, außer der Stille und dem schwachen Schimmern der Außenlaternen, die den Weg zum Garten beleuchteten.
Sarah, eine junge Hausangestellte mit müden Augen, wachte von einem seltsamen Geräusch auf. Irgendwo unter ihr im Korridor war ein Knarren der Dielen zu hören. Sie richtete sich auf, lauschte und ihr Herz begann schneller zu schlagen. Sie verließ ihr Zimmer, barfu Fuß, um keinen Lärm zu machen, und sah gerade noch, wie Diana, die Herrin des Hauses, die Stiefmutter des achtjährigen Timothy, aus dem Kinderzimmer kam.
In ihren Armen hielt sie etwas, das in eine schwere Decke gewickelt war. Sarah erstarrte, ihr Atem stockte. Alles in ihr schrie, dass dort das Kind war. Diana bewegte sich schnell, als ob sie fürchtete, jemand könnte sie bemerken. Sie ging an der großen Treppe vorbei zur hinteren Tür, öffnete leise das Schloss und trat in den Hof hinaus.
Sarah stand da, wie an den Boden genagelt, doch dann, als hätte sie ein innerer Stoß getroffen, riss sie sich los und folgte ihr. Die kalte Nachtluft traf ihr Gesicht, ihre nackten Füße schmerzten vom kalten Tau, aber sie hielt nicht an. Diana ging durch den formalen Garten. Ihr eleganter Seidenmantel raschelte wie eine Schlange im Gras.
Sarah folgte ihr geduckt und achtete darauf, sich nicht zu verraten. Der Mond, fast voll, verschwand und tauchte immer wieder hinter vorbeiziehenden Wolken auf und tauchte die Szenerie in ein unheimliches Silberlicht. Sie erreichten den alten längst ausgetrockneten Zierteich am Rande des Grundstücks. Diana legte ihre Last auf den Boden.
Sie griff hinter einen alten Baumstumpf und holte einen Sparten hervor. In diesem Moment verstand Sarah, daß etwas entsetzliches geschehen würde. Eine eisige Kälte breitete sich in ihrer Brust aus. Sie wollte schreien, aber sie konnte nicht. Ihre Stimme war irgendwo in ihrer Kehle erfroren. Diana begann zu graben. Jeder Stoß des Spartens halte in Saras Herzen wieder. Die Erde flog zur Seite.
Die Luft füllte sich mit dem Geruch von feuchtem Lehm. Nach ein paar Minuten, die sich wie eine Ewigkeit anfühlten, war das Loch tief genug. Diana zog den Jungen aus der Decke. Sein Gesicht war blass wie Marmor, die Lippen blau. Er bewegte sich nicht.
“Verzeih mir, kleiner”, flüsterte Diana mit einer kalten, emotionslosen Stimme. “So ist es besser für alle.” Sie stieß ihn achtlos in das flache Grab. Ein dumpfer Aufprall war zu hören. Sarah erstickte fast an ihrem Entsetzen. Diana begann das Loch zuzuschaufeln, während sie leise vor sich hin murmelte, als würde sie sich selbst rechtfertigen. Die Erde fiel auf den kleinen Körper.
Ein Scharn, ein dumpfes Geräusch. Wieder ein Scharn. Sarah presste sich die Hand auf den Mund, um nicht laut aufzuschreien, aber die Tränen rannen ihr unkontrolliert über die Wangen. Als Diana fertig war, richtete sie sich auf, strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und flüsterte: “Jetzt wird mir niemand mehr im Weg stehen.
” Sie ließ den Sparten achtlos neben dem Baum liegen und ging zurück zum Haus, ohne sich auch nur ein einziges Mal umzusehen. Sarah wartete, bis ihre Schritte in der Ferne verklungen waren. Dann stürzte sie zu der frischen Erde, fiel auf die Knie und begann mit bloßen Händen zu graben. Ihre Finger rissen an der verdichteten Erde, ihre Nägel brachen. Schmutz drang tief unter die Haut. Blut mischte sich mit dem nassen Lehen.
Ihr Atem ging stoßweise, ihr Körper zitterte unkontrolliert. Sie weinte und flüsterte Gebete, die sie kaum kannte. Es war, als würde sich die Erde selbst widersetzen, aber sie gab nicht auf. Endlich stießen ihre Finger auf die Decke. Sie packte sie, zerrte daran und zog den Jungen heraus. Sein Gesicht war weiß wie Schnee, die Augen geschlossen, die Lippen blau.
“Nein, nein, nein!”, flüsterte Sarah und drückte ihn an ihre Brust. “Du kannst nicht tot sein, hörst du? Du darfst nicht.” Sie schüttelte ihn sanft, bliß ihm auf die Lippen, versuchte ihm Leben einzuhauchen, aber alles schien vergeblich. Da erinnerte sie sich zitternd an die Worte ihrer Großmutter, ein altes Gebet, dass sie ihr als Kind leise beigebracht hatte, mit den Worten, dass der Glaube manchmal stärker sei als der Tod.