Ein Studiofoto aus dem Jahr 1912 zeigt eine Braut. Als die Fotografen ihren Schleier vergrößern, entdecken sie eine schockierende Wahrheit. Detective Rebecca Walsh durchstöberte Vintage-Fotografien in Murphy’s Antiques in der Chicagoer Innenstadt, auf der Suche nach einem Geburtstagsgeschenk für ihre Mutter zwischen Kisten mit sepiafarbenen Hochzeitsporträts. Ein Bild ließ sie wie angewurzelt stehen. Das Hochzeitsfoto aus dem Jahr 1912 zeigte ein Paar in formeller Pose.
Der Bräutigam stand groß und stolz in einem dunklen Anzug da, sein Gesicht deutlich zu erkennen. Ein distinguierter Mann in den Fünfzigern mit dichtem Schnurrbart und selbstbewusstem Ausdruck. Neben ihm stand die Braut in einem aufwendigen weißen Kleid mit kunstvoller Perlenstickerei, doch ihr Gesicht war vollständig verhüllt. Ein außergewöhnlich dicker Spitzenschleier fiel von einem kunstvollen Kopfschmuck herab und bildete einen undurchdringlichen Vorhang über ihren Gesichtszügen.
Anders als bei typischen Hochzeitsfotos, auf denen die Bräute ihr Gesicht zeigten, blieb dieser Schleier vollständig zugezogen und verbarg jedes Detail der Frau darunter. Die Hand des Bräutigams ruhte besitzergreifend und stolz auf ihrer Schulter. Die Haltung der Braut strahlte Selbstbewusstsein aus, nicht etwa schüchterne Zurückhaltung. Ihre Hände, die unter dem Schleier sichtbar waren, lagen vor ihrer Taille verschränkt.
Das Studioetikett lautete: Harrison Photography, Chicago, 22. Juni 1912. Seltsam, nicht wahr? Der Ladenbesitzer sagte: „Hochzeitsfoto, auf dem man das Gesicht der Braut nicht erkennen kann. Gefunden bei einer Haushaltsauflösung. Keine Informationen über die Person.“ Rebeccas detektivischer Instinkt erwachte. Warum sollte eine Braut ihr Gesicht auf ihrem eigenen Hochzeitsporträt komplett verbergen? Sie kaufte das Foto sofort.

Sie spürte, dass dies mehr als nur ein ungewöhnliches Bild war. Es war ein Hinweis auf etwas Dunkles. Rebecca brachte das Foto in ihr Büro bei der Cold-Case-Einheit des Chicago Police Departments. Sie schloss ihren hochauflösenden Scanner an und begann mit der systematischen Untersuchung. Das Gesicht des Bräutigams war klar und deutlich zu erkennen. Möglicherweise konnte sie ihn anhand historischer Aufzeichnungen identifizieren.
Sie begann mit dem Datum, dem 22. Juni 1912. Chicagoer Heiratsurkunden wurden akribisch erfasst. Sie durchsuchte die Archive und wurde schnell fündig. Thomas Whitmore, 52 Jahre alt, Witwer, heiratete am 22. Juni 1912 Helen Stone, 35 Jahre alt. Er war in den städtischen Branchenverzeichnissen als Inhaber von Whitmore Manufacturing, einem erfolgreichen Möbelunternehmen, aufgeführt. In den Gesellschaftskolumnen der Zeitungen vom Anfang des Jahres 1912 wurde seine Verlobung mit Helen Stone, die erst kürzlich aus St. Louis zugezogen war, erwähnt. Doch dann stieß Rebecca auf etwas Erschreckendes: eine Todesanzeige vom 15. Juli 1912, weniger als einen Monat nach der Hochzeit. Thomas Whitmore, ein angesehener Geschäftsmann, starb plötzlich in seinem Haus. Todesursache war offenbar Herzversagen. Er hinterließ seine Ehefrau Helen Whitmore. Die Beisetzung fand im engsten Familienkreis statt. Rebecca suchte nach weiteren Details. Der kurze Polizeibericht vermerkte: „Mann tot im Bett aufgefunden. Ehefrau gab an, er habe nachts über Brustschmerzen geklagt. Hausarzt stellte Todesbescheinigung aus, Herzversagen. Keine Autopsie durchgeführt.
Keine verdächtigen Umstände festgestellt. Thomas Whitmore war drei Wochen nach seiner Hochzeit gestorben. Seine neue Frau Helen hatte sein beträchtliches Vermögen, sein Unternehmen, sein Haus, seine Bankkonten, einfach alles geerbt.“ Rebeccas Puls raste. Sie suchte nach Helen Whitmores Verbleib nach dem Tod ihres Mannes. Grundbucheinträge zeigten, dass sie das Haus innerhalb von zwei Monaten verkauft und alles liquidiert hatte.
Dann verschwand Helen Whitmore spurlos aus den Chicagoer Akten. Keine neue Adresse, keine weiteren Dokumente. Ein wohlhabender Mann hatte eine Frau geheiratet, deren Gesicht auf dem Hochzeitsfoto verdeckt war. Drei Wochen später war er tot. Seine Witwe hatte alles mitgenommen und war verschwunden. Rebecca dehnte ihre Suche über Chicago hinaus aus. Falls Helen Stone Thomas Whitmore getötet und mit seinem Geld verschwunden war, hatte sie das schon einmal getan? Sie suchte in den Akten von St. Louis, der Stadt, aus der Helen angeblich stammte. In St. Louis stieß sie auf einen ähnlichen Fall. Im März 1911 heiratete der 48-jährige Witwer Robert Mitchell, Inhaber eines Textilimportgeschäfts, Margaret Stone.
Zwei Monate später starb Robert Mitchell plötzlich an Herzversagen. Seine Witwe Margaret erbte alles, verkaufte das Vermögen rasch und verschwand. Rebeccas Hände zitterten, als sie weiter zurück recherchierte. Indianapolis, September 1910: Der 55-jährige Bankier James Harrison heiratete Catherine Stone. Sechs Wochen später starb James an Herzversagen.
Seine Witwe erbte und verschwand. Kansas City, Mai 1910: Der 50-jährige Kaufmann William Bradford heiratete Elizabeth Stone. Einen Monat später starb William an Herzversagen, seine Witwe erbte und verschwand. Das Muster war eindeutig. Eine Frau mit Varianten des Namens Stone als Nachnamen kam in eine Stadt, suchte sich wohlhabende Witwer aus, heiratete sie schnell, und innerhalb weniger Wochen starben diese scheinbar eines natürlichen Todes.
Sie würde alles erben, das Vermögen liquidieren und in eine neue Stadt ziehen, um das Ganze zu wiederholen. Rebecca zählte zwischen 1910 und 1912 mindestens sechs Fälle, möglicherweise mehr in Städten mit mangelhafter Aktenführung. Die Frau hatte mindestens sechs Ehemänner getötet, jedes Mal ein Vermögen geerbt und war dabei systematisch durch den Mittleren Westen gezogen. Aber wer
Oder war sie es wirklich? Stone war ganz offensichtlich ein Pseudonym.
Ihr Vorname änderte sich mit jeder Heirat. Helen Margaret Catherine Elizabeth. Sie war ein Geist, der eine Spur toter Ehemänner und leerer Bankkonten hinterließ. Rebecca kehrte zu dem Hochzeitsfoto zurück und betrachtete das verborgene Gesicht unter dem Schleier. Die Frau hatte ihre Identität in jeder Stadt verschleiert und sich nie klar fotografieren oder dokumentieren lassen.
Dieses Hochzeitsfoto war das einzige Bild, das Rebecca gefunden hatte. Und selbst hier war das Gesicht der Mörderin völlig verdeckt. Aber vielleicht barg der Schleier Geheimnisse. Rebecca begann, den Schleier mit hoher Auflösung zu scannen, in der Hoffnung, moderne Technologie könnte enthüllen, was eine hundert Jahre alte Kamera eingefangen hatte. Als sie die filigranen Spitzenmuster vergrößerte, zeigte sich etwas Unerwartetes.
Die Spitze des Schleiers war außerordentlich detailliert. Florale und geometrische Muster bildeten Schichten der Transparenz, doch innerhalb dieser Schichten, kaum sichtbar, spiegelten sich Reflexionen. Während der langen Belichtungszeit, die für die Fotografie im Jahr 1912 erforderlich war, hatten die reflektierenden Fäden der Spitze Bilder eingefangen. Rebecca verstärkte Helligkeit und Kontrast.
Ihr stockte der Atem. In verschiedenen Abschnitten des Schleiers zeichneten sich Gesichter ab, nicht das der Braut, das vollständig verborgen blieb, sondern andere, männliche Gesichter, die sich in der spiegelnden Oberfläche des Lacks spiegelten. Sie zählte sechs verschiedene Gesichter, die sich im Schleier spiegelten. Alles Männer, alle mittleren Alters, alle mit ernsten Gesichtsausdrücken wie aus Porträtfotos.
Rebecca isolierte jedes Gesicht und erstellte separate, verbesserte Bilder. Dann begann sie, diese mit den von ihr gesammelten Aufzeichnungen zu vergleichen. Das erste Gesicht stimmte mit Robert Mitchell aus St. Louis überein, dem Textilimporteur, der 1911 gestorben war. Das zweite mit James Harrison aus Indianapolis, dem Bankier, der 1910 gestorben war.
Das dritte mit William Bradford aus Kansas City, dem Kaufmann, der 1910 gestorben war. Rebecca identifizierte drei weitere Gesichter, Männer aus Städten, die sie noch nicht recherchiert hatte: Cincinnati, Detroit und Louisville. Sie suchte in den Sterberegistern dieser Städte und wurde fündig. George Sullivan, Cincinnati, 1909. Henry Morrison, Detroit, 1909. Charles Bennett, Louisville, 1908.
Allesamt wohlhabende Witwer. Alle waren innerhalb weniger Wochen nach der Heirat mit Frauen mit klangvollen Nachnamen gestorben. Alle hatten alles ihren Witwen hinterlassen. Die Mörderin hatte bei ihrer Hochzeit mit Thomas Whitmore Fotos ihrer früheren Opfer in der Hand gehalten. Sie hatte sich buchstäblich mit Bildern der Männer umgeben, die sie ermordet hatte, und der Schleier hatte sie während der Langzeitbelichtung eingefangen.
Es war eine Trophäensammlung, und sie hatte versehentlich Beweise für ihre Verbrechen auf ihrem eigenen Hochzeitsfoto konserviert. Rebecca musste verstehen, wie die Mörderin ihren Mann so konsequent umgebracht hatte, ohne Verdacht zu erregen. Sie beantragte die Exhumierung der Leichen in der Hoffnung, die moderne Toxikologie könne aufdecken, was die Medizin von 1912 übersehen hatte. Thomas Whitmores Grab auf dem Graceland Cemetery wurde als erstes geöffnet. Durch die Einbalsamierung waren Gewebeproben für die Untersuchung ausreichend erhalten geblieben. Dr. Sarah Kim, eine forensische Toxikologin, führte eine umfassende Analyse durch. Die Ergebnisse waren eindeutig: Massive Arsenkonzentrationen in den Gewebeproben. „Dieser Mann wurde über mehrere Wochen vergiftet“, erklärte Dr. Kim. „Zuerst kleine Dosen, dann steigende Mengen. Die Symptome ähnelten Herzkrankheiten: Müdigkeit, Brustschmerzen, Herzrhythmusstörungen.“ 1912 hätten Ärzte nur dann auf Vergiftung getestet, wenn sie ein Verbrechen vermuteten. Ein wohlhabender Mann mittleren Alters, der scheinbar an Herzversagen starb, hätte keinen Verdacht erregt. Rebecca erwirkte die Exhumierungsanordnungen für drei weitere Opfer, deren Gräber gefunden werden konnten. Alle drei wiesen dasselbe Ergebnis auf: Arsenvergiftung. Die Täterin hatte eine einheitliche Methode angewendet: eine langsame Vergiftung, die eine natürliche Krankheit vortäuschte und ihr Zeit gab, sicherzustellen, dass die Erbschaftsdokumente vor den Todesfällen ordnungsgemäß eingereicht wurden. Arsen war 1912 leicht erhältlich. Es wurde legal zur Schädlingsbekämpfung und für verschiedene Haushaltszwecke verkauft. Eine Frau konnte es ohne Verdacht erwerben. Über Wochen hinweg in Speisen oder Getränke gemischt, wirkte es zuverlässig tödlich und schien eine natürliche Krankheit zu sein. Die Mörderin hatte ihre Methode durch mindestens sieben Morde perfektioniert. Sie kannte die genaue Dosierung: genug, um innerhalb weniger Wochen zu töten, aber langsam genug, um offensichtliche Vergiftungssymptome zu vermeiden.
Sie hatte gelernt, die besorgte Ehefrau zu spielen, die ihren kranken Mann pflegte, während sie ihm das tödliche Gift verabreichte. Rebecca durchsuchte Apothekenaufzeichnungen aus den Städten, in denen die Morde geschehen waren. In drei Städten fand sie Kaufbelege für eine Mrs. Stone, die Arsen zur Schädlingsbekämpfung erworben hatte.
Dieselbe Frau, die unter ihrem Aliasnamen eine Spur hinterließ, von der sie geglaubt hatte, dass sie niemals mit Morden in Verbindung gebracht werden könnte, die als Herzversagen diagnostiziert worden waren. Rebecca musste herausfinden, wer die Mörderin wirklich war, bevor sie zu Stein wurde. Sie durchsuchte Vermisstenanzeigen und Steckbriefe aus der Zeit vor 1908. Sie suchte nach Frauen, die möglicherweise neue Identitäten angenommen hatten.
In den Archiven von Pittsburgh machte sie einen Durchbruch. Ein Steckbrief aus dem Jahr 1907. Gesucht: Clara Hoffman, 30 Jahre, verdächtigt …
Nach dem Tod ihres Ehemannes Friedrich Hofmann floh die Gesuchte nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes aus Pittsburgh. Die Versicherungsermittlungen deuten auf eine Vergiftung hin. Die Gesuchte gilt als gefährlich. Dem Plakat war ein Foto beigefügt, ein formelles Porträt einer Frau mit markanten Gesichtszügen.
Rebecca verglich Gesichtsstruktur, Körperbau und Haltung mit den sichtbaren Merkmalen auf dem Hochzeitsfoto. Größe, Statur und Handhaltung stimmten überein. Rebecca recherchierte Friedrich Hofmanns Tod im Jahr 1907. Er starb plötzlich nach dreiwöchiger Krankheit. Seine Witwe Clara hatte versucht, eine hohe Lebensversicherungssumme zu kassieren, doch die Versicherung wurde aufgrund des schnellen Todes und der jungen Frau misstrauisch. Sie forderte eine Autopsie.
Die Autopsie ergab eine Arsenvergiftung. Bis die Ergebnisse bestätigt waren, war Clara Hofmann mit ihrem gesamten Bargeld aus Pittsburgh geflohen. Die Lebensversicherung wurde nie ausgezahlt, aber Clara hatte aus dem Fehler gelernt. Bei zukünftigen Morden würde sie Versicherungen meiden, die eine medizinische Untersuchung erforderten. Sie würde einfach wohlhabende Männer heiraten und direkt erben.
Clara Hoffman war zu Stein geworden, eine neue Identität für eine neue Methode. Zwischen 1908 und 1912 hatte sie ihr System perfektioniert: Sie zog durch verschiedene Städte, tötete Ehemänner, nahm deren Geld und verschwand, bevor Verdacht aufkommen konnte. Doch wer war Clara vor Friedrich? Rebecca forschte weiter zurück. Clara Hoffman war 1877 als Clara Henshaw im ländlichen Pennsylvania geboren worden.
Sie hatte jung einen Farmer namens John Henshaw geheiratet. 1905 war Jon offiziell an der Grippe gestorben, doch Rebecca vermutete nun Gift. Clara hatte Jons Lebensversicherung und seine bescheidenen Ersparnisse kassiert, war nach Pittsburgh gezogen, hatte den wohlhabenderen Friedrich Hoffman geheiratet und war zu einer Serienmörderin geworden, die Ehemänner tötete.
Bis 1912, als sie in Chicago Thomas Whitmore heiratete, hatte sie innerhalb von sieben Jahren mindestens acht Männer getötet. Rebecca fand Unterlagen des Fotostudios Harrison und entdeckte, dass der Enkel des Fotografen, Michael Harrison, noch immer in Chicago lebte. Sie kontaktierte ihn und erklärte ihm ihre Nachforschungen. Mein Großvater führte detaillierte Tagebücher über seine Arbeit.
Michael sagte: „Ich habe sie eingelagert. Lass mich nach 1912 suchen.“ Zwei Tage später rief Michael zurück. Ich habe den Eintrag über diese Hochzeit gefunden. Mein Großvater hatte mehrere Absätze geschrieben. Er war davon sehr betroffen. Michael las den Eintrag laut vor. 22. Juni 1912. Ein höchst ungewöhnliches Hochzeitsfotoshooting heute.
Thomas Witmore, ein angesehener Geschäftsmann, erschien mit seiner frisch angetrauten Braut zu einem offiziellen Porträt. Die Braut bestand darauf, ihren Schleier für das Foto vollständig zugezogen zu lassen. Herr Witmore schien sich damit unwohl zu fühlen, fügte sich aber dem Wunsch seiner Frau. Sie berief sich auf religiöse Bescheidenheit, doch ihr Verhalten ließ etwas anderes vermuten: keine Bescheidenheit, sondern bewusste Verschleierung.
Während des Shootings hielt sie Gegenstände in den Händen, die wie Fotografien aussahen, obwohl sie diese so positionierte, dass der Schleier sie verdeckte. Sie achtete sehr genau auf Lichtverhältnisse und Belichtungszeit. Herr Whitmore schien tief verliebt, nannte sie „Meine liebe Helen“ und sprach von ihren Flitterwochenplänen. Sie reagierte kaum, ganz darauf bedacht, ihr Gesicht zu verbergen.
Nachdem sie gegangen waren, beschlich mich ein tiefes Unbehagen. Irgendetwas an dieser Frau wirkte seltsam. Ich habe Hunderte von Hochzeiten fotografiert. Noch nie habe ich eine Braut gesehen, die so entschlossen war, ihr Gesicht zu verbergen. Rebecca fragte, ob das Originalnegativ noch existiere. Michael durchsuchte das Archiv seines Großvaters und fand es sorgfältig aufbewahrt.
Rebecca veranlasste, es in noch höherer Auflösung als den Abzug scannen zu lassen. Der verbesserte Scan enthüllte mehr Details in den Spiegelbildern, die die Braut in Händen gehalten hatte. Rebecca erkannte nun, dass es sich nicht nur um Porträts handelte. Es waren Zeitungsausschnitte. Nachrufe der verstorbenen Ehemänner, sorgfältig ausgeschnitten und als Trophäen aufbewahrt.
Clara hatte während ihrer Hochzeit mit ihrem nächsten Opfer Nachrufe ihrer Opfer in der Hand gehalten. Rebecca rekonstruierte, was nach Thomas Whitmores Tod geschehen war. Clara, die sich Helen Whitmore nannte, hatte bis September 1912 ihr Geschäft und ihr Haus verkauft und dabei etwa 85.000 Dollar eingenommen, was heute über 2 Millionen Dollar entspräche. Sie hatte alles liquidiert und war aus Chicago verschwunden.
Rebecca suchte in anderen Städten nach ähnlichen Fällen. Mitte 1912 stieß sie in Milwaukee auf eine Spur. Im November 1912 heiratete ein Witwer namens George Patterson Catherine Stone. Im Dezember 1912 starb George Patterson an Herzversagen. Seine Witwe erbte und verschwand. Danach verlor sich die Spur. Nach Ende 1912 gab es in keiner Stadt des Mittleren Westens mehr ähnliche Fälle.
Entweder war Clara in Regionen mit lückenhafteren Aufzeichnungen gezogen, hatte ihre Vorgehensweise grundlegend geändert oder etwas hatte sie daran gehindert. Rebecca dehnte ihre Suche auf Sterberegister aus. In Portland, Oregon, wurde sie fündig. Im April 1913 starb eine Frau namens Helen Stone in einem Krankenhaus. Todesursache: Arsenvergiftung. Im Krankenhausbericht stand: „Patientin in schwerem Zustand eingeliefert. Vermutlich versehentlich oder absichtlich Gift eingenommen. Keine Angehörigen ausfindig gemacht.“
Sie starb innerhalb weniger Stunden. Beerdigung, Stadtfriedhof, unmarkiertes Grab. Zeitpunkt, Ort und Name stimmten überein. Rebecca vermutete, dass Clara sich versehentlich selbst vergiftet hatte, vielleicht Medikamente verwechselt oder Arsen eingenommen hatte, das sie für ein Opfer vorbereitet hatte.
Ein passendes Ende für eine Frau, die acht oder neun Männer mit Gift getötet hatte. Rebecca veranlasste die Exhumierung des Grabes in Portland. Die DNA-Analyse würde Monate dauern, aber wenn es sich tatsächlich um Clara Hoffman handelte, würde sie Gewissheit bringen. Die Serienmörderin war durch ihre eigene Waffe gestorben, allein und unbekannt, in einem Krankenhaus einer Wohltätigkeitsorganisation. Inzwischen hatte Rebecca genug Beweise, um die Verbrechen zu dokumentieren und die Opfer zu identifizieren.
Acht bestätigte Morde, möglicherweise neun, über sieben Jahre und acht Städte. Gestohlene Vermögen, zerstörte Familien – all das durch eine Frau, die ihre Identität so erfolgreich verborgen hatte, dass sie jahrelang unentdeckt blieb, bis ein Hochzeitsfoto mit einem Schleier, der versehentlich ihre Trophäen eingefangen hatte, 112 Jahre später endlich die Wahrheit enthüllte.
Rebecca hielt eine Pressekonferenz im Polizeipräsidium von Chicago ab und präsentierte ihre Ergebnisse. Hinter ihr zeigten Bildschirme das Hochzeitsfoto mit vergrößerten Ausschnitten, die die im Schleier reflektierten Todesanzeigen zeigten. „Zwischen 1908 und 1912 heiratete eine Frau unter dem Pseudonym Stone mindestens acht wohlhabende Witwer im Mittleren Westen“, begann Rebecca.
„Innerhalb weniger Wochen nach jeder Hochzeit starb ihr Ehemann an mutmaßlichem Herzversagen. Moderne forensische Analysen beweisen, dass diese Männer mit Arsen vergiftet wurden. Die Mörderin erbte deren Vermögen im Wert von etwa 400.000 US-Dollar (1912), was heute etwa 10 Millionen US-Dollar entspricht, und verschwand zwischen den Morden.“ Sie erklärte, wie das Hochzeitsfoto Beweise gesichert hatte.
Clara Hoffman, die wahre Identität der Mörderin, bewahrte Todesanzeigen ihrer Opfer auf. Während ihrer Hochzeit mit Thomas Whitmore in Chicago hielt sie diese Anzeigen in der Hand, und sie spiegelten sich während der langen Belichtungszeit in der Spitze ihres Schleiers. Sie glaubte, ihr Gesicht zu verbergen, würde ihre Identität schützen. Stattdessen hielt ihr Schleier Beweise für ihre früheren Verbrechen fest.
Rebecca zeigte die identifizierten Opfer. John Henshaw, 1905. Friedrich Hoffmann, 1907. Charles Bennett, 1908. Henry Morrison, 1909. George Sullivan, 1909. William Bradford, 1910. James Harrison, 1910. Robert Mitchell, 1911. Thomas Whitmore, 1912. Möglicherweise George Patterson, 1912. Diese Männer wurden ins Visier genommen, weil sie wohlhabend, verwitwet und einsam waren.
Clara nutzte ihre Sehnsucht nach Gesellschaft aus, heiratete sie schnell, vergiftete sie langsam und zog mit ihrem Geld weiter. Sie glaubte, perfekte Verbrechen begangen zu haben, doch dieses Foto erzählt eine andere Geschichte. Die Medien reagierten umgehend. Die jahrhundertealten Verbrechen der „Schwarzen Witwe“ wurden aufgeklärt. Der Brautschleier spiegelt die Opfer der Serienmörderin wider. Die Frau vergiftete acht Ehemänner.
Sie verbarg ihre Identität jahrzehntelang. Der Fall fesselte die Öffentlichkeit. Eine weibliche Serienmörderin, verborgene Identität, Verbrechen in verschiedenen Bundesstaaten – all dies enthüllt durch Fotografien aus der viktorianischen Ära. Die Nachkommen der Opfer wurden ausfindig gemacht. Viele waren mit Familiengeschichten aufgewachsen, in denen Vorfahren wieder geheiratet hatten und plötzlich gestorben waren. Doch niemand hatte diese Todesfälle mit Mord in Verbindung gebracht.
Nun endlich hatten ihre Familien Antworten. Drei Monate nach Rebeccas Enthüllung fand auf dem Graceland Cemetery in Chicago, wo Thomas Whitmore begraben liegt, eine Gedenkfeier statt. Nachkommen von fünf identifizierten Opfern nahmen teil und trafen sich zum ersten Mal – verbunden durch das gemeinsame Schicksal ihrer Vorfahren. Ein Gedenkstein mit der Liste aller bestätigten Opfer wurde aufgestellt.
Zum Gedenken an die Opfer von Clara Hoffmans Verbrechen (1905–1912): Sie hätten Besseres verdient. Sie werden nicht vergessen. Rebecca stand vor der Versammlung. Diese Männer wurden getötet, weil sie verletzlich waren: verwitwet, einsam, auf der Suche nach Gesellschaft. Clara Hoffman nutzte diese Verletzlichkeit systematisch aus. Über ein Jahrhundert lang wurden ihre Tode als natürlich, als bedauerlich, aber nicht verdächtig verbucht.
Heute erkennen wir die Wahrheit an. Sie wurden von jemandem ermordet, dem sie vertrauten, den sie geheiratet hatten, der ihnen Liebe versprochen hatte. Thomas Whitmores Urenkel sprach. Meine Familie wunderte sich immer über Thomas’ plötzlichen Tod so kurz nach seiner Wiederverheiratung. Meine Urgroßmutter, Thomas’ Tochter aus erster Ehe, ahnte etwas, konnte es aber nicht beweisen.
Sie starb, ohne die Wahrheit zu erfahren. Heute, 112 Jahre später, haben wir endlich Antworten. Mein Urgroßvater wurde ermordet. Sein Mörder raubte ihm nicht nur sein Geld, sondern auch sein Leben, seine Zukunft, die Zeit mit seiner Familie. Danke, Detective Walsh, dass Sie ihm Gerechtigkeit widerfahren ließen. Auch wenn es lange nach seinem Tod geschah, teilten andere Nachkommen ähnliche Dankbarkeit.
Die Gedenkfeier bot den Opfern, deren Tod über ein Jahrhundert lang als natürlich abgetan worden war, einen Abschluss, Anerkennung und Würde. Nach dem Gottesdienst kehrte Rebecca in ihr Büro zurück und verpackte sorgfältig das Hochzeitsfoto für das Chicago History Museum. Es sollte in einer Ausstellung mit dem Titel „Hinter dem Schleier verborgen: Clara Hoffman und der Ehemann, den sie ermordete“ gezeigt werden.
Rebecca betrachtete es.
Ein letztes Foto. Thomas Whitmore stand stolz und glücklich neben seiner frisch angetrauten Braut. Er ahnte nicht, dass ihm nur noch drei Wochen zu leben blieben. Clara stand neben ihm, ihr Gesicht vollständig verhüllt, und hielt die Todesanzeigen der Männer in den Händen, die sie bereits getötet hatte. „Du dachtest, dein Gesicht zu verbergen, würde dich schützen“, sagte Rebecca leise.
„Du dachtest, du wärst ungeschoren davongekommen. Doch dein Schleier hat dich verraten. Die Beweise, die du mit dir trugst, deine Trophäen, die Todesanzeigen deiner Opfer, waren in der Spitze eingefangen. Du wolltest unsichtbar bleiben, doch du hast deine Verbrechen sichtbar gemacht. Und nun weiß jeder, was du getan hast. Deine Opfer werden nicht vergessen. Du bist entlarvt. Gerechtigkeit ist geschehen, wenn auch 112 Jahre später.“ Das Foto sollte dafür sorgen, dass Clara Hoffmans Verbrechen niemals in Vergessenheit gerieten. Und noch wichtiger: Ihre Opfer, acht Männer, die Liebe gesucht und den Tod gefunden hatten, sollten endlich nicht als Männer in Erinnerung bleiben, die an schwachen Herzen gestorben waren, sondern als ermordete Männer, deren Leben zählte, deren Tod Anerkennung und Wahrheit verdiente.