Am nächsten Tag arbeitete er kaum. Stattdessen überprüfte er stündlich die Übertragungen der Kameras. Er sah Helena den kleinen Felix baden mit ruhiger, sanfter Stimme auf ihn einreden, als hätte sie unendliche Geduld. Sie lachte, wenn er platschte, und wischte sich eine Träne aus dem Augenwinkel, als das Kind ihr zum ersten Mal das Wasser ins Gesicht spritzte.
Dann gegen Nachmittag hörte Vincent etwas, dass ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ. Helena sprach leise, während sie Felix abtrocknete. Deine Mama war schön, weißt du das, kleiner Felix? Aber dein Opa, dein Opa war der großzügigste Mensch, den ich je kannte. Du wirst einmal so ein Herz haben wie er. Vincent hielt inne. Mein Vater.
Er sprang auf, starrte auf den Bildschirm seines Telefons und spulte die Aufnahme zurück. Kein Zweifel, sie hatte den Namen Opa gesagt. Seinen Vater meinte sie, Johann Albrecht. Doch woher? Wie konnte sie etwas über ihn wissen? Er begann fieberhaft zu suchen. Noch in derselben Nacht durchwühlte er Helenas Tasche, die sie im Flur stehen gelassen hatte.
Er wusste, dass es falsch war, aber er musste Antworten finden. Zwischen einer Geldbörse, einem alten Portemonnaie und einem Notizbuch entdeckte er einen kleinen abgenutzten silbernen Medaillon Anhänger. Er öffnete ihn und seine Knie gaben beinahe nach. Darin befand sich ein altes Foto. Sein Vater arm in Arm mit einer Frau, die Vincent noch nie gesehen hatte.
Er schlooss den Anhänger mit bebenden Fingern. Wer war diese Frau und warum? Zum Teufel trug Helena ein Bild von seinem Vater um den Hals? Zwei Tage vergingen, doch er sprach sie nicht darauf an. Er beobachtete weiter, misstrauischer, verletzter, innerlich zerrissen zwischen Wut und etwas, das er nicht benennen konnte, bis der Moment kam, der alles veränderte.
Es war ein Dienstagvormittag. Vincent saß in seinem Büro scheinbar vertieft in Verträge, während er über die Kameras jede Bewegung im Kinderzimmer verfolgte. Helena kniete vor Felix, hielt ihn an beiden Händen fest. “Komm schon, mein kleiner Champion, du kannst das noch ein Schritt.” Sie ließ ihn los und Felix machte seine ersten fünf Schritte.
Wacklig, taumelnd, aber lachend. Er fiel in Helenas Arme und sie drückte ihn an sich. Tränen liefen ihr über die Wangen. “Du hast es geschafft. Du bist gelaufen, mein Schatz. Vincent sah zu allein in seinem Büro und fühlte, wie seine eigenen Augen feucht wurden. Doch das war nicht nur Stolz, es war Schmerz, denn die ersten Schritte seines Sohnes waren nicht zu ihm, sondern zu einer Frau, die er nicht kannte, der er nicht vertraute und die sein Sohn mehr zu lieben schien als seinen eigenen Vater.
In dieser Nacht beschloss Wincent, sie zur Rede zu stellen. Als Felix eingeschlafen war, rief er sie in sein Büro. Helena kam zögernd herein, legte die Hände vor sich, ahnend, dass etwas nicht stimmte. Setz dich”, sagte er kühl. Sie gehorchte. “Ich will keine Spielchen. Wer bist du wirklich? Und warum sprichst du über meinen Vater, als hättest du ihn gekannt?” “Ich habe diesen Medaillon gefunden mit seinem Foto.
Du redest mit meinem Sohn über seine Mutter, über meinen Vater, als wärst du Teil dieser Familie. Also sag es mir, Helena, wer bist du?” Helena erbleichte. Sie, sie haben in meinen Sachen gestöbert. Das ist mein Haus. Und sie haben mich gefilmt. Auch das ist mein Haus. Stille, nur das leise Ticken der Uhr an der Wand. Dann atmete sie tief ein, ihre Stimme zitterte.
Ich bin nicht hierher gekommen, um sie zu täuschen, Vincent. Es war das erste Mal, dass sie seinen Namen ohne Her sagte. Etwas in ihrer Stimme klang vertraut, fast schmerzlich ehrlich. Dann warum? Fragte er, seine Fäuste auf dem Schreibtisch. Warum bist du hier? Helena stand auf, ging langsam zum Fenster, blickte hinaus in den dunklen Garten, weil ich ein Versprechen gegeben habe und ich gehöre zu den Menschen, die Versprechen halten.
Sie drehte sich um, Tränen glitzerten in ihren Augen. Meine Mutter hieß Therese Weber. Sie hat in diesem Haus gearbeitet vor vielen Jahren, als ich ein Kind war. Ich war damals neun. Vincent blinzelte. Irgendwo in seiner Erinnerung flackerte das Bild einer stillen, bescheidenen Frau auf, die in seiner Kindheit manchmal den Staub von den Bücherregalen wischte.