“Mein Vater starb bei einem Arbeitsunfall”, fuhr Helena fort. Meine Mutter blieb allein zurück mit drei Kindern, ohne Geld, ohne Hilfe. Ihre Anstellung hier war unsere Rettung. Sie wischte sich über die Wange. Ihr Vater, Herr Albrecht, war anders als die anderen Arbeitgeber. Er fragte meine Mutter, ob sie gegessen hatte.
Bezahlt hat er immer mehr, als vereinbart war. Zu Weihnachten brachte er uns Lebensmittel und Geschenke für mich und meine Brüder. Er war gütig. Vincent schluckte. Er erinnerte sich: “Ja, das war sein Vater. Großzügig bis zur Naivität.” Helena öffnete den Anhänger, legte ihn vor ihn auf den Tisch. “Dieser Medaillon, er hat ihn ihr geschenkt.
” Mit den Worten Therese, du wirst das schaffen und wenn du es tust, vergiss nie, dass es noch gute Menschen gibt. Vincent starrte auf das kleine Schmuckstück, das im Licht funkelte. Jetzt ergab alles einen Sinn. Meine Mutter hat es bis zu ihrem Tod aufbewahrt, flüsterte Helena. Sie starb vor dre Jahren und sie bat mich auf dem Sterbebett eines Tages die Güte ihres Vaters zurückzugeben. Irgendwie.
Vincent ließ sich in seinen Stuhl fallen. Zum ersten Mal seit Jahren wußte er nicht, was er sagen sollte. Vincent saß reglos in seinem Stuhl. Das Gewicht ihrer Worte hing in der Luft schwer, echt, ungeschönt. Er hatte erwartet, eine Lügnerin zu entlafen. Doch stattdessen stand vor ihm eine Frau, die offenbar gekommen war, um ein Versprechen einzulösen, das älter war als beide.
Er spürte, wie etwas in ihm zu bröckeln begann. Jene Mauer aus Misstrauen, die er Stein für Stein um sich gebaut hatte. Mein Vater ist vor vier Jahren gestorben”, sagte er leise. Helena nickte traurig. “Ich weiß, deshalb konnte ich ihm nie danken, aber” sie stockte, atmete tief ein. “Ein Jahr später arbeitete ich als Pflegehelferin in einer Klinik in Bayern und dort wurde ihre Frau eingeliefert, Susanne Albrecht”. Vincent hob abrupt den Kopf.
Sein Atem stockte. “Was? Sie hatte Komplikationen nach der Geburt. Es war kritisch.” Helenas Stimme bebte. Ich war auf der Station, als man sie in den Operationssaal brachte. Sie hielt meine Hand und sagte, wenn ich es nicht schaffe, muss jemand auf meinen Sohn aufpassen. Bitte. Vincent schluckte schwer.
In seinem Inneren flammten Erinnerungen auf Sirenen, weiße Wände, kaltes Licht. Der Tag, an dem er Susanne verlor. Helena sah ihn an. Tränen liefen ihr über das Gesicht. Ich habe in ihre Krankenakte gesehen, ihren Namen gelesen. Ich fragte, ob sie mit Johann Albrecht verwandt war und sie sagte: “Ja, sie sei seine Schwiegertochter.
Da wusste ich, dass es ein Zeichen war.” Vincent langsam auf, ging ein paar Schritte zurück. “Ein Zeichen?” “Ja”, flüsterte sie. Ich hatte meiner Mutter versprochen, ihrem Wohltäter irgendwann etwas zurückzugeben und ich hatte ihrer Frau versprochen, auf Felix zu achten. Ich konnte keines dieser Versprechen brechen.
Eine lange schwere Stille senkte sich über den Raum. Nur das leise Ticken der Standuhr war zu hören. Und du, du dachtest, das rechtfertigt, hierherzukommen, dich in mein Leben einzuschleichen? Helena wischte sich die Tränen ab. Ich wollte dich nicht täuschen. Ich wusste nur nicht, wie ich es sagen sollte. Wer hätte mir geglaubt, du hättest mich für verrückt gehalten? Also habe ich gewartet und gehofft, dass du es irgendwann selbst siehst.
Vincent wandte sich ab, ging zum Safe, öffnete ihn und holte eine kleine alte Holzkiste hervor. Sie war mit der Handschrift seines Vaters beschriftet. Er öffnete sie und zwischen vergbten Briefen fand er das, wonach er suchte, ein Brief adressiert an ihn selbst. Er las mit zittrigen Fingern. Mein Sohn, wenn du dies liest, bin ich vielleicht nicht mehr da.
Es gibt eine Familie, der du eines Tages helfen sollst, die Familie unserer treuen Haushälterin Therese Weber. Ich habe für sie einen kleinen Hilfsfonds eingerichtet. Sie hat uns mehr gegeben, als Geld je zurückzahlen kann. Wenn Ihre Kinder eines Tages etwas brauchen, hilf ihnen. Es ist das mindeste, was wir tun können. In Liebe, dein Vater. Vincent blickte auf.