Der Beamte schrieb ein paar Zeilen, klappte das Notizbuch zu. Fürs erste genügt das. Sollten Sie sich an etwas erinnern, rufen Sie uns bitte an. Wir durften gehen. Wir liefen zum Parkhaus und fuhren zu mir nach Hause. Die ganze Strecke übersagte Sophie kaum ein Wort. Als wir die Wohnung betraten, murmelte sie: “Mama, ich bleibe heute Nacht hier.” “Ja, ich will heute nicht allein zu Hause sein.
” Ich stimmte sofort zu. Kurz darauf rief Daniel an. Sophie stellte auf Lautsprecher. Er fragte nur flüchtig, ob es uns gut gehe, und wechselte dann rasch das Thema. “Hat die Polizei viele Fragen gestellt? Wissen Sie schon etwas über das Opfer? Kein Wort über ihre Angst, ihr Zittern, das erlebte. Keine Spur echter Sorge.
Genau dieser Mangel an Anteilnahme ließ den ersten Zweifel in mir wachsen. Auf der Heimfahrt, als die Straßenbahn über den Fluss rollte, blickte Sophie lange hinaus und flüsterte schließlich: “Mama, du hast meine Hand vorhin so festgehalten. Du wusstest etwas, oder?” Ich schwieg einige Sekunden, dann entschloss ich mich, nichts mehr zurückzuhalten.
Im Restaurant, kurz bevor wir gegangen sind, kam ein junger Kellner an unseren Tisch. Er schenkte Wein nach und beugte sich zu mir. Sophie fuhr herum. Was hat er gesagt? Er hatte eine lange Narbe an der rechten Hand, begann ich langsam, das Bild noch glasklar vor Augen. Er sagte zu mir: “Sagen Sie Ihrer Tochter, sie soll sofort den roten Mantel ausziehen.
Sagen Sie nichts zu Ihrem Mann? und auch nichts zu ihr selbst. Als ich fragte warum, meinte er nur: “Vertrauen Sie ihrem Instinkt, sie werden es verstehen. Sophie starrte mich an.” “Und hast ihm geglaubt?” “Ich wagte nicht, es nicht zu tun”, antwortete ich. Ich hielt es zuerst für einen makabren Scherz, aber dann dieser Schuss und der rote Mantel an der Toten. Sie schluckte. Ihre Augen füllten sich mit Tränen. “Wenn er nichts gesagt hätte, dann wäre ich jetzt.
” Sie beendete den Satz nicht. Wir beide wußten, wie er geändet hätte. In dieser Nacht lag ich wach, die Augen auf die Decke gerichtet, Bilder, Fetzen von Stimmen. Jedes Detail spielte sich wieder und wieder in meinem Kopf ab, wie ein Film in Endlosschleife. Am nächsten Morgen beim Frühstück lief der Fernseher.
Eine mutmaßlich obdachlose Frau wurde an der Bushaltestelle am Meinufer erschossen. Die Polizei geht von einem gezielten Anschlag aus. Sophie scrollte auf ihrem Handy durch die Kommentare. Das Gesicht bleich. Das hätte ich sein können, Mama. Dann sah sie mich an mit einem Blick, der mir den Atem nahm. Findest du es nicht merkwürdig, dass Daniel genau in dem Moment gegangen ist? Ich wollte nicht, daß sie den Boden unter den Füßen verlor.
Also zwang ich mich zu ruhigen Worten: “Es kann Zufall sein. Ich will nichts voreilig annehmen.” Aber wir sollten aufmerksam sein. Sie schwieg. Dann sagte sie leise: “In letzter Zeit telefoniert er oft auf dem Balkon. Hält das Handy so, dass ich den Bildschirm nicht sehe.” Wenn ich frage, sagt er, es sei nur Arbeit. Da wußte ich, daß wir nicht länger ihr am Ungewissßen bleiben konnten.
“Heute gehe ich zurück ins Restaurant”, sagte ich. “Ich muß wissen, ob es diesen Kellner wirklich gibt oder ob ich ihn mir eingebildet habe. Wenn ich ihn finde, verstehe ich vielleicht, was dahinter steckt.” Sophie wollte etwas erwidern, hielt dann inne und nickte schließlich: “Ich vertraue dir, Mama.” Am Mittag stand ich vor der Glasfront des Restaurants am Fluß.
Drinnen saßen Gäste. Kellner bewegten sich ruhig zwischen den Tischen, als wäre nie etwas geschehen. Ich atmete tief durch. Ein Teil von mir fürchtete, den jungen Mann nie wiederzusehen. Der andere hoffte, dass er real war, die einzige Spur zu dem, der den Schuss befohlen hatte.
Ich legte die Hand an die Tür, öffnete sie und trat hinein, bereit, die erste Schicht der Wahrheit zu berühren. Die Empfangsdame erkannte mich sofort, lächelte und fragte, ob ich einen Tisch reserviert hätte. Ich atmete tief durch und sagte direkt: “Ich möchte den Geschäftsführer sprechen. Es geht um den Vorfall von gestern Abend. Die Polizei ist bereits informiert.” Nach kurzer Zeit trat ein Mann mittleren Alters heraus, weißes Hemd.