Sie nahm einem sterbenden Mädchen das Brot, nur um ihren Sohn am Leben zu erhalten | GESCHICHTE MÜTTER IM KRIEG

Sie nahm einem sterbenden Mädchen das Brot ab, nur um ihren Sohn am Leben zu erhalten. Niemand sprach, nachdem es geschehen war. Niemand rührte sich. Das Mädchen, kaum zwölf Jahre alt, hustete seit Tagen und lag in einer Ecke des Unterstands, eingehüllt in einen Mantel, der ihr zwei Nummern zu groß war. Ihre Augen waren bereits verblasst. Ihre Hand umklammerte kaum die kleine Brotkruste neben ihr.


Die Mutter wartete, bis die letzte Laterne schwach flackerte. Schatten zogen sich wie Finger über die Wände. Ihr Sohn hatte sich den ganzen Tag nicht bewegt, seine Haut war blass, sein Atem flach, seine Lippen trocken und rissig. Sie streckte die Hand durch die Stille, vorbei an dem Soldaten, der auf dem Beton schnarchte, vorbei an der alten Frau, die den Namen ihres toten Mannes murmelte, vorbei an dem Flüchtlingsmädchen, das reglos wie eine Statue dasaß. Ihre Hand zitterte, als sie die Brotkruste berührte.
Das Brot war feucht, leicht schimmelig. Es würde reichen. Sie sah das Mädchen nicht an, nicht bis ihr der Atem stockte. Ein einziges Keuchen entfuhr jemandem, dann nichts. Nur das Echo von Wasser, das aus verrosteten Rohren tropfte, und das leise Stöhnen ihres Sohnes, als sie ihm das Brot in den Mund steckte. Am nächsten Morgen schrie der Soldat.
Jemand hatte dem Mädchen das Brot genommen. Niemand gestand es. Niemand musste es. Die Mutter saß an der Wand, die Arme um ihren Sohn geschlungen, und starrte in die Dunkelheit, als warte sie auf das Urteil. Du kannst gern über sie urteilen, aber hör dir zuerst die ganze Geschichte an. Vor dem Brot gab es einen Garten. Vor dem Bunker gab es eine Veranda mit Sonnenblumen.
Vor der Stille gab es Musik und einen Jungen, der im Schlaf hustete. Damals dachte sie, Liebe könnte ihn beschützen. Dass Wärme und Fürsorge und Geschichten, die in der Nacht geflüstert wurden, die Welt fernhalten könnten. Damals war der Himmel noch blau, bevor er wie Knochen aufbrach. Bevor alles zusammenbrach, bevor der Krieg all die Menschen, die früher für Frieden gebetet hatten, zu Monstern machte.
Also, wenn du sie hassen willst, warte. Und wenn du verstehen willst, kehre zurück in den Morgen. Das Radio verstummte. Zurück zum Anfang. Vor den Sirenen war es still. Früher wachte sie vor Sonnenaufgang auf. Lange bevor ihr Sohn sich unter seinem Stapel geflickter Decken regte. Die Morgen waren träge.

Köchelnder Tee, das Knarren von Dielen, das Summen eines alten Transistorradios auf dem Fensterbrett. Es spielte nur noch einen Kanal, aber die Stimmen waren freundlich. Das Haus war klein, kaum zwei Zimmer, aber der Garten draußen strotzte noch vor Leben. Ein paar Basilikumzweige, ein paar widerspenstige Kartoffeln, ein Veilchen, das außerhalb der Saison blühte. Ihr Sohn Jonah war sechs.

Sein Husten hatte im Frühling begonnen. Er hörte nie auf. Die Ärzte sagten, er könnte verschwinden. Sie sagten auch, Antibiotika seien knapp. Sie war seit Monaten nicht mehr bei einem richtigen Arzt gewesen. Trotzdem versuchte sie es. Sie kochte Ingwer, wenn sie welchen fand. Sie tränkte Lappen in Essig.

Sie las ihm abends Märchen und Fragmente vergessener Geschichten vor. Wenn ihr die Worte ausgingen, erfand sie neue. Sie sprach kaum mit anderen. Nicht seit die Grenzen geschlossen waren, nicht seit die Nachbarn alles gepackt hatten und verschwunden waren, aber es gab trotzdem schöne Momente. Jonah zeichnete gern. Seine Lieblingsskizze zeigte sie beim Blumenpflanzen auf dem Dach, was nie passiert war. Aber er bestand darauf, dass es passiert war.
Sie ließ ihn daran glauben. An dem Tag, als die Sirenen losgingen, fühlte sich die Luft anders an. Sie bemerkte es beim Wäscheaufhängen. Der Wind drehte. Hunde bellten in Mustern, die sie nicht erkannte. Dann das Radio, zuerst nur Rauschen, dann Achtung. Dies ist eine landesweite Notfalldurchsage.
An alle Bürger nördlich der Route 17, sofort evakuieren. Feindlicher Einbruch in Sektor 9 bestätigt. Sie faltete die Wäsche nicht fertig zusammen. Sie wickelte Jonah in den dicksten Mantel, den sie hatte. Sie überprüfte die Notfalltasche, die sie vorbereitet hatte, zweimal. Dann noch einmal: Batterien, Wassertabletten, seine Zeichnungen, ein Foto seines Vaters, der Schal, den ihre Mutter genäht hatte.
Sie versuchte, die Krankenschwester am Ende der Straße anzurufen. Keine Antwort. Endlich heulte die Sirene, als sie die Haustür öffnete. Und dort stand, barfuß und zitternd, ein Mädchen, das sie nicht kannte. Vielleicht zwölf, vielleicht jünger. Hinter ihr ein Junge mit geröteten Wangen und eingefallenen Augen. Er konnte nicht älter als drei sein.
Sie fragten nicht, ob sie hereinkommen dürften, und sie bat sie nicht um eine Erklärung. Sie trat zur Seite. „Kommt rein“, sagte sie. Ihre Stimme klang nicht wie ihre eigene. Jonah griff nach ihrer Hand. Das Mädchen stand schweigend da. Der Junge wimmerte und irgendwo in der Ferne. Eine Stadt brannte. Die folgenden Tage fühlten sich an wie Rauch, dick, säuerlich, unmöglich zu atmen. Sie ließ die Vorhänge zugezogen und das Licht ausgeschaltet, bis auf die Kerze, die sie nachts anzündete.
Nach zwei Tagen war der Strom ausgefallen, gefolgt vom Wasser. Die Rohre gaben ein letztes Keuchen von sich, bevor sie verstummten. Das Mädchen nannte ihren Namen nicht. Sie sprach kaum. Sie half Jonah jedoch, kühlte seine Stirn mit feuchten Tüchern und fütterte ihn langsam mit Löffeln Suppe. Das Wenige, das sie hatten, teilten sie.
Das Mädchen aß nie viel. Ihr Bruder hingegen wimmerte ständig, als würde der Hunger ihn von innen nagen. Ein nAbends stand das Mädchen stundenlang am Fenster und beobachtete, wie der Himmel orange flackerte. Es sah aus wie ein Sonnenuntergang, aber es gab keine Sonne, nur die brennende Stadt weit hinter dem Horizont.
In dieser Nacht kam der Soldat. Sie hörte das Klopfen, drei kurze Schläge, gefolgt von Stille. Sie öffnete die Tür einen Spaltbreit und sah einen jungen Mann in Uniform, vielleicht 19, mit Asche bedeckt. Eine Hand umklammerte ein kaputtes Radio. „Wasser“, krächzte er. „Haben Sie Wasser?“ Sie hatte es. Sie ließ ihn herein. Er sagte nicht viel.
Saß nur in der Ecke und starrte die Mauer an. Sagte, der Kontrollpunkt sei eingestürzt. Sagte, Zivilisten hätten keine Priorität mehr. Sagte, die Sendungen sollten die Leute nur beruhigen. Das Mädchen traute ihm nicht. Sie saß die ganze Nacht zwischen ihrem Bruder und dem Soldaten, die Hände zu Fäusten geballt. Am nächsten Morgen packte die Mutter. Nicht alles, nur das, was sie auf dem Rücken tragen konnte.
Ein paar Dosen, ein stumpfes Messer, ein Schal, Jonahs Zeichnungen, das Radio. Sie schrieb seinen Namen auf die Innenseite seines Mantelkragens, für den Fall, dass sie getrennt würden. Warum?, fragte er. Sie antwortete nicht. Sie flüsterte nur. Wenn dich jemand findet, soll er wissen, wer du bist. Sie weinte nicht.
Nicht einmal, als sie das Haus verließen und an der toten Katze auf der Treppe vorbeigingen. Nicht einmal, als sie sich umdrehte und ihren Garten sah, halb zertrampelt, halb gefroren, schwach im frühen Licht glühend. Jonah sah zu ihr auf. „Kommen wir zurück?“ Sie hielt inne, ihr Mund öffnete sich und schloss sich wieder. „Ich hoffe nicht“, sagte sie schließlich. Sie gingen bis zum Ende der Straße.
Keine Autos, nur Stille, wie sie sich über ganze Städte erstreckt. Am Kontrollpunkt sah der Wachmann nicht einmal auf ihre Papiere. Er zeigte einfach auf den Tunnel. „Bunkerzugang“, sagte er. „Keine Rückkehr.“ Sie packte Jonahs Hand fester. Das Mädchen folgte dicht hinter ihnen, und unter ihren Füßen schloss sich die Welt.
Der Tunnel atmete wie etwas Lebendiges. Es atmete Feuchtigkeit, Öl und Fäulnis aus. Der Geruch von verrostetem Metall und altem Schweiß. Die Luft drückte auf sie, dick und nass, mit einer Dunkelheit, die die Menschen vergessen ließ, wie Tageslicht aussah. Sie stiegen an verbogenen Geländern und wasserdurchzogenem Beton vorbei hinab.
Der Soldat sagte nichts, winkte sie nur weiter zum Gruppenunterstand. Dutzende waren bereits drinnen, an die Wände gedrängt, mit blassen Gesichtern, angezogenen Schultern, Kinder in Mänteln wie Nester zusammengerollt. Eine Frau saß da ​​und wiegte sich, die Hände über den Ohren gefaltet. Ein Mann mit bandagiertem Bein flüsterte Gebete in einen Blechbecher.
Die Krankenschwester fand sie zuerst. Ihr Name war Marta, und sie hatte Augen wie Flint. Einmal Sanitäterin, immer Sanitäterin. Sie hinkte beim Gehen, bewegte sich aber wie eine Klinge, scharf, schnell, unversöhnlich. „Sie haben Kinder?“, fragte sie die Mutter. Sie nickte. „Dann folgen Sie mir.“ Ihnen wurde ein Stück Boden nahe der Rückwand gezeigt. Keine Betten, nur flachgedrückte Pappe und zwei dünne, schon feuchte Decken. Das Mädchen legte ihren Bruder hin. Die Haut des Jungen brannte. Er hustete einmal, dann noch einmal, tief, feucht, zitternd. Martya musterte ihn mit grimmigem Gesicht. Er braucht sauberes Wasser und Antibiotika. Wir haben beides nicht. Das war der Beginn des Überlebens. Jeder Tag begann gleich. Jemand schaltete die batteriebetriebene Lampe für ein paar Stunden an.
Die Leute standen Schlange für ihre Tagesration, ein Drittel eines altbackenen Brotes und eine Tasse Wasser, das leicht nach Eisen roch. Einige beteten, andere starrten nur. Jonah wollte nichts essen. Sein Fieber stieg und fiel. Aber seine Kräfte schwanden jeden Tag schneller. Sie gab ihm ihre Portionen, log und sagte, sie hätte schon gegessen.
Nachts rieb sie seine Hände, damit sie ihre Farbe behielten. Er schlief auf ihrem Schoß, mit unregelmäßigem Atem, Träume voller Stöhnen und zuckender Glieder. Auch der Soldat veränderte sich. Einst höflich, jetzt ruhig, mürrisch. Er brach den Blickkontakt ab. Eines Nachts sah sie ihn weinen, während er sein Gewehr reinigte. Flüstern wurde lauter. Jemand holt Wasser. Woher kam die zweite Decke? Der Soldat versteckt etwas.
Sie hielt den Kopf gesenkt, bis der Flüchtlingsjunge zusammenbrach. Irgendwann vor Sonnenaufgang hörte er auf zu atmen. Das Mädchen saß regungslos neben ihm, die Augen trocken, die Hände im Schoß gefaltet. Niemand sagte etwas, nicht einmal Martya. Erst die Mutter bewegte sich, hob die winzige Hand des Jungen und schloss seine Finger um ein Stück der Skizze seiner Schwester, eine Zeichnung von ihm mit einem Luftballon in der Hand. Niemand bat um eine Beerdigung. Es gab keinen Platz mehr, um etwas zu begraben.
In dieser Nacht schliefen sie in einem Bunker, der sich kleiner anfühlte denn je. Die Luft war erfüllt von Angst, Trauer und Hunger, der bis in den Magen reichte. Sie wandte sich Jonah zu und flüsterte ihm Geschichten ins Ohr. Sie erzählte ihm von Bäumen und Regen und dem Geräusch des Windes auf offenen Feldern. Doch während sie sprach, wurde ihr klar, dass sie sich nicht mehr daran erinnern konnte, wie Wind klang. Sie war sich nicht sicher, ob er es auch konnte. Der Tunnel hatte keine Uhren, aber sie alle konnten die Zeit spüren. Sie setzte sich wie Schimmel in ihre Knochen. Die Tage begannen zu verschwimmen, nur noch vom Husten der Soldaten oder dem Rasseln von Martrs Schritten gekennzeichnet. Die Rationen wurden kleiner, das Licht schwächer. Die Mutter sprach nicht mehr viel. Jonahs Fieber kam

d ging, brach aber nie zusammen. Die meisten Tage lag er still da. Die Augen halb erleuchtet, die Lippen aufgesprungen. Er zeichnete nicht mehr. Sein Notizbuch lag zusammengefaltet unter ihrem Mantel, zu heilig, um es zu öffnen. Das Mädchen blieb nah bei ihm. Sie wich ihrem Bruder kaum von der Seite. Selbst nachdem er gestorben war.
An manchen Nächten lag sie zusammengerollt um den Mantel, der ihn einst umhüllt hatte, und flüsterte Dinge in die Dunkelheit. Niemand hörte zu. Jeder hatte seine eigenen Geister. In dieser Woche änderte sich etwas. Ein Laib Brot erschien. Nicht Teil der Rationen, nicht von Martya ausgegeben, sondern einfach da, in Wachspapier eingewickelt, still auf dem gegenüberliegenden Tisch neben dem Generator. Niemand wusste, wem es gehörte, aber jeder wusste, wer es brauchte.
Das Flüstern begann erneut. Sie spricht nicht, aber sie isst. Sie ist nur ein Kind. Der Sohn dieser Mutter wird so oder so sterben. Die Mutter sagte nichts. Sie saß neben Jonah, ihre Hand ruhte auf seiner. Sie starrte das Brot an, als wäre es eine Granate, stark genug, alles zu verändern, aber wahrscheinlich so oder so jemanden zu töten.
Marty sagte: „Wir werden losen, wenn es niemand anfordert.“ Aber dazu kam es nicht, denn das Flüchtlingsmädchen nahm es still und wortlos, nicht für sich selbst, sondern für ihr Skizzenbuch. Sie zeichnete es. Sie zeichnete das Brot. Ihr Bruder Jonah, die Soldaten beim Händeschütteln. Martas gesprungene Brille. Eine Aufzeichnung, als ob sie wichtig wäre. In dieser Nacht rollte sich das Mädchen in ihre Ecke, das Skizzenbuch unter der Brust zusammengefaltet, und schlief ein. Die Mutter sah zu.
Sie sah zu, wie sich die Brust ihres Sohnes hob und senkte, schwach, zerbrechlich, flatternd wie Vogelflügel im Sturm. Dann, im Dunkeln, erhob sie sich. Sie stieg über Leichen, schlich auf Zehenspitzen an gesprungenen Kisten und schlafenden Kindern vorbei. Ihr Schatten zog sich lang über die Bunkerwand. Sie kniete neben dem Mädchen nieder.
Sie hob das Skizzenbuch, schob ihre Finger in die Falten des Mantels und zog das Brot heraus. Es war noch warm. Sie zögerte nur kurz. Dann drehte sie sich um und kehrte zu Jonah zurück. Sie weckte ihn nicht, sondern brach nur das Brot in Stücke und legte sie ihm auf die Lippen. Er rührte, aß, schluckte und schlief zum ersten Mal seit Tagen ohne zu zittern.

Am nächsten Morgen wachte das Mädchen auf und stellte fest, dass es verschwunden war. Sie weinte nicht. Sie zeichnete nur ein weiteres Bild. Diesmal von einer Hand, die etwas nahm, doch statt Wut verwendete das Mädchen weiche Linien, sanfte Schattierungen, wie Vergebung und Kohle. Jonah lächelte im Schlaf, eine Seltenheit.

Die Mutter saß mit dem Rücken an der Bunkerwand, das krümelige Tuch noch immer auf ihrem Schoß. Sie hätte Erleichterung empfinden sollen, aber es schmeckte nach Schuld. Das Flüchtlingsmädchen sprach nicht von dem Brot. Sie brauchte es nicht. Ihr Schweigen war lauter als jede Anschuldigung. Der Rest der Unterkunft ging weiter oder tat so, als ob. Niemand wollte noch einen Streit.

Der letzte hatte einen Mann mit einer gebrochenen Rippe und ein Kind mit Blut an den Schuhen zurückgelassen. Doch die Anspannung blieb. Der Soldat zog sich völlig zurück. Er ging nicht mehr zur Essensausgabe, sondern blieb im Schatten. Seine Augen lagen tief in den Höhlen, seine Finger zuckten vor Unausgesprochenem. Einmal sah die Mutter, wie er so lange auf die Mündung seines Gewehrs starrte, dass es wie ein Gebet aussah. Marta ging es nicht viel besser. Ihr Hinken war schlimmer.
Sie bellte Befehle, wann immer sie konnte, aber ihre Stimme brach stärker als zuvor. Eines Nachts setzte sie sich neben die Mutter und sagte fast eine Stunde lang nichts. Als sie schließlich sprach, sagte sie nur noch: Für Leute wie uns schicken sie keine Rettung. Und dann stand sie auf, wischte sich die Hände am Mantel ab und ging weg. Die Mutter begann, die Hoffnung zu rationieren.
Sie träumte nicht mehr von Flucht, nur noch vom nächsten Tag. Noch ein Atemzug für Jonah. Noch eine Minute ohne Fieberschübe. Sie begann etwas Schreckliches zu verstehen. Diese Liebe konnte das nicht wiedergutmachen. Diese Güte garantierte kein Überleben. Sie begann, Menschen daran zu messen, wie viele Tage ihnen noch blieben. Jonahs Augen, sanft und abwesend, wirkten wie Wochen, nicht Monate. Die Flüchtlingsmädchen, immer noch scharf, immer noch brennend. Dann kam die Nachricht. Ein Soldat, noch einer, blass und hinkend, stolperten mit blutigem Arm und gesprungenem Helm in den Tunnel. Er trug ein Päckchen. Darin waren drei Tickets, eines für ein Kind, eines für einen Erwachsenen, eines für einen Soldaten.
Nur gültig für die nächste Bergung. Der Letzte raus. Keine Ausnahmen, krächzte er. Die Lastwagen kommen nicht zurück. Der Bunker brach aus. Martyr schrie die Leute an, ruhig zu bleiben. Der Soldat umklammerte seine Waffe. Jemand versuchte, die Tickets zu schnappen. Jemand anderes drohte mit Feuer. Am Ende nahm Martya sie.
Sie sah die Mutter an, Jonah, das Mädchen und sagte: „Entscheidet euch. Keine Zeremonie.“ [Musik] Nur die kalte Anweisung einer Frau, der die Wahl ausgegangen war. In dieser Nacht starrte die Mutter auf die Tickets. Sie waren echt. Scharfe Kanten, trockene Tinte, ein offizielles Siegel, das ihr ins Gesicht zu lachen schien. Jonah schlief neben ihr, noch warm, noch krank, zu krank.
Das Mädchen saß auf der anderen Seite des Zimmers und zeichnete wieder, immer wieder das Gesicht ihres Bruders, eine Erinnerung, die sie nicht verschwinden lassen wollte. Die Mutter betrachtete die Tickets, die Brotverpackung, die sie noch in der Tasche hatte, Jonah und begann zu weinen, nicht laut, aber so, wie man es tut, wenn man …

„Liebe, du hast das Ende der Welt erreicht.“ Sie weinte bis zum Morgen.
Dann nahm sie einen Stift und begann den Brief zu schreiben. Der Brief war klein, geschrieben auf der Rückseite eines Lebensmittelscheins, dem einzigen Papier, das sie noch hatte. Sie versteckte ihn in ihrem Mantel, zweimal gefaltet, an ihre Brust gedrückt wie einen zweiten Herzschlag. Sie begann nicht mit „Lieber Jonah“, sie wusste nicht, ob er ihn jemals lesen würde.
Sie wusste nicht einmal, ob er die Nacht überleben würde. Stattdessen schrieb sie: „Wenn du das liest, bedeutet das, dass ich eine Entscheidung getroffen habe.“ Draußen stöhnte der Tunnel. Diesmal nicht von Bomben, sondern von Menschen. Das Gemurmel hatte nicht aufgehört, seit der Soldat die Strafzettel verkündet hatte. Martya hatte sie in ihrer Brust eingeschlossen, und jede Stunde klopfte jemand flehend an ihre Metalltür.
Manche boten Geld an, manche Medikamente, manche sich selbst. Aber die Krankenschwester sagte zu allen dasselbe. Ich werde wissen, wer sie braucht, wenn ich es sehe. Und die Mutter fragte sich: „Sieht denn irgendjemand jemals das Richtige rechtzeitig?“ Jonahs Zustand verschlechterte sich. Sein Atem ging langsamer, seine Finger krümmten sich nach innen.
Selbst als sie ihm den warmen Lappen an die Brust drückte, rührte er sich nicht. Der Soldat kam noch einmal vorbei, nickte ihr zu, sagte nichts und ließ ihr dann etwas in der Hand. Einen gefälschten Ausweis. „Wenn du daran denkst, zurückzubleiben“, flüsterte er. „Tu es nicht.“ Sie starrte lange auf den falschen Namen und stellte sich für einen Moment vor, es.
Stell dir vor, wie du Jonah auf ihren Rücken hebst, durch die Asche rennst, in den Lastwagen kletterst und spürst, wie sich die Räder unter ihnen drehen, während der Tunnel zu Geschichte wird. Aber sie wusste, dass er es nicht schaffen würde. Er konnte hier im Schutzraum kaum atmen. Draußen Wind, Schnee, Rauch. Er würde verschwunden sein, bevor sie den Kontrollpunkt erreichten. Sie faltete den Zettel zusammen und gab ihn zurück.
„Ich kann ihn nicht retten“, sagte sie. Der Soldat blinzelte. „Dann rette dich selbst.“ Aber sie hörte nicht mehr zu. In dieser Nacht saß sie neben dem Flüchtlingsmädchen. Das Mädchen blickte nicht von ihrem Skizzenbuch auf. „Ich brauche deinen Mantel“, sagte die Mutter leise. Immer noch keine Reaktion. „Ich werde nicht mehr fragen.“ Das Mädchen blickte auf, die Augen wie vom Verlust stumpfe Messer. Sie gab ihm den Mantel.
Die Mutter steckte den Fahrschein des Kindes in das Futter. Sie sagte nichts, keine Warnung, keine Erklärung. Sie steckte den Brief einfach dahinter und ging weg. Den Rest der Nacht hielt sie Jonahs Ihre Hand strich ihm übers Haar und flüsterte alte Märchen. Nicht die wahren, sondern die, die sie für ihn verändert hatte.
Die, in denen niemand starb, sondern nur in den Wäldern verschwand und darauf wartete, gefunden zu werden. Kurz vor Sonnenaufgang schloss sie seine Augen und küsste seine Stirn. Und als die Wachen zur Bergung kamen, zeigte sie auf das Mädchen. Sie ist die Richtige. Das Mädchen verstand nicht, bis der Soldat sie nach vorne winkte.
Sie griff nach ihrem Skizzenbuch und wollte protestieren, doch die Mutter drehte ihr den Rücken zu und drehte sich nicht noch einmal um. Sie sah dem Lastwagen nicht nach. Sie wollte nicht sehen, wie das Mädchen zurückblickte, oder schlimmer noch, nicht zurückblickte. Das Echo der Stiefel verklang. Der Motor heulte, stotterte und verschwand. Was blieb, war Stille. Und Jonah, er war seit gestern nicht mehr aufgewacht.
Sein Atem war dünn, die Lippen blass, die Arme eng an die Brust geschlungen, als schütze er etwas Unsichtbares. Die Mutter saß neben ihm, strich mit den Fingern über sein Haar und flüsterte nur halbherzig Schlaflieder. erinnerte sich. Sie erzählte ihm vom Himmel und den Flüssen und dem Hund, den sie beinahe adoptiert hätten. Sie erzählte ihm vom schiefen Lächeln seines Vaters. Sie erzählte ihm vom Klang der Windspiele auf dem Balkon.
Und irgendwo dazwischen begann sie zu vergessen, was real war und was nur Hoffnung. Später an diesem Tag begannen die Bombenangriffe erneut. Es war nicht nah. Zuerst nicht. Nur das ferne dumpfe Geräusch der Zerstörung, ein Gebäude nach dem anderen. Doch dann die zweite Welle, lauter, schwerer, näher. Marty schrie, die Leute sollten sich unter dem zentralen Torbogen versammeln.
Der Soldat versuchte, die Türscharniere zu reparieren, aber es war zu spät. Die Erde bebte. Staub regnete herab. Schreie erfüllten die Dunkelheit. Dann knackte die Decke und stürzte ein. Sie erwachte unter Trümmern. Ihr Bein war eingeklemmt. Ihre Ohren klingelten. Ihr Mund schmeckte nach Eisen und Asche. Aber sie lebte. Sie versuchte sich zu bewegen.
Konnte es nicht, versuchte es erneut. Etwas veränderte sich. Dann, Jonah, kroch sie zu dem Ort, an dem sie ihn zuletzt gesehen hatte. Fühlte sich durch Asche und Stein. Ihr Finger streiften Stoff, Haare, eine winzige Hand, doch sie war kalt. Sie blieb stehen. Kein Laut war mehr zu hören, nur das leise Ticken ihrer Uhr, die noch immer an ihrem Handgelenk hing, derselben, mit der sie seine Medikamenteneinnahme kontrollierte. Sie presste ihre Stirn an seine und verharrte dort. Minuten, Stunden.
Sie wusste es nicht. Sie weinte nicht. Es war nichts mehr in ihr, worüber sie hätte weinen können. Schließlich riss sie sich zusammen. Die Luft über ihr war schneidend und kalt. Die Welt war in Schnee und Rauch gehüllt. Niemand wartete. Keine Lastwagen, keine Soldaten, keine Stimmen. Sie ging, hinkend, blutend, eine Hand um die Rippen geklammert.
Sie ging an gefrorenen Bäumen vorbei, an verlassenen Stiefeln, an einem Schal vorbei, der an einem Zaunpfahl befestigt war, blau und ausgefranst wie der, den Jonah früher getragen hatte. Und sie ging weiter. Sie tat es nicht

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