„Wenn das kein reicher Engel ist, dann weiß ich auch nicht mehr.“
Elena hob den Blick zum grauen Kölner Himmel und zum ersten Mal seit langem spürte sie Wärme auf ihrer Haut. In der Villa saß Konrad in seinem Büro einen Bericht, als Hanna ohne anzuklopfen eintrat.
„Sie sind nicht gut darin“, sagte sie direkt.
„Worin?“
„So zu tun, als wären sie nur ein Chef.“
Er entlockte sich ein leichtes Lächeln, das erste seit Wochen.
„Und Sie, Hanna, sind nicht gut darin so zu tun, als würden Sie für niemanden die Daumen drücken.“
„Ich drücke ihr die Daumen, weil sie versucht, drei Kinder alleine großzuziehen und weil sie um nichts gebeten hat. Wissen Sie, wie viele Menschen Ihre Schuldgefühle ausnutzen würden? Ich weiß und ich weiß, dass sie keine davon ist.“
„Deshalb weiß ich nicht, was ich damit anfangen soll. Vielleicht ist das der Reiz daran, etwas zu tun ohne zu wissen, einfach weil es richtig ist.“
Konrad schloss die Mappe. Er sah das Bild an der Wand an, ein kaltes Gemälde der Düsseldorfer Altstadt, gemalt von seinem Vater.
„Glauben Sie, dass jemand wie ich in Ihr Leben passen kann?“
„Ich denke, die richtige Frage lautet: Sind Sie bereit, sich zu verkleinern, um hineinzupassen?“
Er antwortete nicht, aber in jener Nacht ging er wieder über die Brücke, unbemerkt. Elenas Wohnung hatte neue Lichter, die Kinder spielten auf dem Boden und am Fenster las sie ihnen ein Buch vor. Als er das Lächeln der drei sah, offen, ganz geborgen, erkannte er, dass es vielleicht kein Zurück mehr gab. Vielleicht ging es nicht nur darum, ihr zu helfen. Vielleicht ging es darum, endlich Teil von etwas zu sein, dass man nicht kaufen konnte.
Der Schnee begann zu schmelzen und der frühe Februar brachte jene feuchte, hartnäckige Kälte mit sich, die an der Kleidung klebte und in die Knochen zog. Es war Feierabend in der Villa von Bruckner, als Konrad vor der Hintertür Halt machte, dem Ort, wo die Angestellten jeden Abend schweigend hinausgingen.
Elena kam als letzte mit hochgestecktem Haar und müdem Gesicht. Als sie ihn dort stehen sah, an die Tür gelehnt, als wäre er nur irgendein Mensch, blieb sie augenblicklich stehen.
„Warten Sie auf mich?“ fragte sie, mehr als Feststellung denn als Frage.
„Wenn ich nein sagen würde, klänge es wie eine Lüge.“
„Dann sagen sie die Wahrheit.“
„Das tue ich.“
Elena sah sich um. Sie waren allein.
„Sie warten nie auf jemanden.“
„Vielleicht hatte ich noch nie jemanden, auf den es sich zu warten lohnte.“
Sie senkte den Blick, steckte die Hände in die Taschen ihres Mantels. Die Stille zwischen ihnen war fast angenehm.
„Darf ich Sie nach Hause begleiten?“
Elena zögerte. Sie wollte nein sagen, aber es lag etwas in seinem Blick – eine diskrete, fast kindliche Verletzlichkeit. Sie nickte.
Sie gingen zusammen durch die bereits dunklen Straßen Kölns, über holprige Bürgersteige und durch Viertel, die Konrad sich nie zuvor hätte vorstellen können zu betreten. Keiner von beiden sprach viel, bis sie vor der Tür ihres Hauses stehen blieb.
„Hier ist meine Welt“, sagte sie, wie eine Warnung.
„Dann ist es hier, wo ich eintreten möchte.“
Sie öffnete die Tür nicht sofort, aber sie hinderte ihn auch nicht daran, mit ihr hinaufzugehen. Die Wohnung warm, dank einer lauten Heizung und eines Kessels auf dem Herd. Tobias, Lina und Jonas rannten zur Tür, als sie den Schlüssel hörten, aber sie hielten inne, als sie Konrad sahen.
Elena kniete nieder und erklärte mit ruhiger Stimme: „Das ist mein Chef.“
Jonas korrigierte: „…der Spielzeug geschickt hat.“
Konrad lächelte, ohne zu wissen, was er sagen sollte. Elena nickte.
„Ja, genau er.“
Tobias kam mit einem Spielzeugauto näher.
„Wollen Sie spielen?“
Konrad, der nie eigene Kinder hatte, kniete langsam nieder, wie jemand, der heiligen Boden betritt. Er nahm das Auto vorsichtig.
„Gerne. Zeig mir, wie es geht.“
Und dort blieb er. Minuten später zog Lina ihn an der Hand, um ihm die Bilder zu zeigen, die an die Wand geklebt waren. Jonas erzählte, dass er Feuerwehrmann werden würde. Tobias sagte, der liebe Gott habe wieder Essen geschickt. Elena sah die Szene an die Küchentür gelehnt zu mit feuchten Augen.
Konrad blickte von dort, wo er knieend auf dem Boden war, zu ihr.