Die Grünen, die bei der Wahl ihren Kandidaten verloren, stimmten in den Chor der Entsetzten ein. Robin Wagener, ein Grünen-Politiker aus Bad Salzuflen, wollte die Wahl nicht als “normal” hinnehmen. “Es ist ein Vorgang, der weit über kommunale Einzelheiten hinausreicht”, warnte er. “Wenn demokratische Kräfte nicht zusammenstehen, dann profitieren diejenigen, die unserer Demokratie von innen heraus aushüllen wollen.” Die AfD, so Wagener im klassischen Duktus, wolle “nicht gestalten, sondern spalten” und lebe “von Angst und Ressentiment”.
Diese Argumentation kehrt die Realität auf den Kopf. Ist es nicht vielmehr ein Aushöhlen der Demokratie, wenn man geheime Wahlen durch Vorabsprachen ad absurdum führen will? Ist es nicht ein Akt der Spaltung, wenn man gewählte Vertreter als “Kräfte drumherum” diffamiert, die man “zusammen” bekämpfen muss?
Die Panik ist nicht unbegründet, denn Bad Salzuflen ist kein Einzelfall. Erst diese Woche wurde im nordrhein-westfälischen Bochum-Watte erstmals ein AfD-Politiker, Cedrick Sonowski, zum zweiten stellvertretenden Bezirksbürgermeister gewählt. Auch hier das gleiche Muster: Sonowski erhielt eine Stimme mehr, als seine Partei Mandate in der Bezirksvertretung hat. Auch hier die gleiche Reaktion: “Ich bin wütend, traurig und besorgt”, klagte der SPD-Ortsvereinsvorsitzende Jan Bülbecker. Man sei “entsetzt”, dass “die demokratischen Parteien es nicht geschafft haben, das zu verhindern.”
Diese Reaktionen zeigen eine gefährliche Verengung des Demokratiebegriffs. Demokratie ist für viele in den etablierten Parteien offenbar nur noch dann gut, wenn das Ergebnis den eigenen Wünschen entspricht. Eine Wahl, bei der ein AfD-Kandidat gewinnt – selbst wenn es sich um einen repräsentativen Posten ohne wirkliche Machtfülle handelt – wird als Betriebsunfall, als Verrat, ja als “schlimme Sache” gebrandmarkt.
Ein ehemaliger Journalist, Arne Heger, brachte die Verwirrung auf den Punkt, indem er in einer Mail an die Ratsmitglieder “klare Haltung” einforderte. Das Amt sei ein “öffentlich sichtbares Signal dafür, wofür diese Stadt stehen möchte.” Die Ironie ist: Die Stadt, vertreten durch ihre gewählten Ratsmitglieder, hat ein Signal gesendet. Nur ist es nicht das Signal, das Herr Heger, Herr Tolkemitt oder Herr Wagener hören wollten. Das Signal lautet: Die Brandmauer, die man medial und politisch mühsam hochgezogen hat, ist in der Realität der kommunalen Parlamente, in der Anonymität der Wahlkabine, längst durchlässig geworden.

Die Wähler, die 21,8 Prozent für die AfD gestimmt haben, sehen nun, dass ihre Stimme im Parlament angekommen ist. Und die Abgeordneten, die anonym für Rinknecht stimmten, haben vielleicht einfach nur ihrem Gewissen oder ihrer pragmatischen Einschätzung einer Kollegin im Rat den Vorzug gegeben – und nicht einer von oben verordneten ideologischen Marschroute. Das als “undemokratisch” oder “Aushöhlung” zu bezeichnen, ist eine Dreistigkeit, die an Lächerlichkeit grenzt. Es ist das genaue Gegenteil: Es ist der Sieg der geheimen Wahl über den Fraktionszwang. Es ist ein Akt, der zeigt, dass Demokratie eben doch kein Kindergarten ist, in dem vorher abgesprochen wird, wer gewinnen darf und wer nicht.