Noch dramatischer sieht es bei der SPÖ aus. Die Partei hat sich in einem beispiellosen internen Machtkampf selbst zerfleischt, der in einer chaotischen Mitgliederbefragung und einem verpatzten Parteitag gipfelte, bei dem der falsche Sieger ausgerufen wurde. Andreas Babler, der neue linke Hoffnungsträger an der Spitze, vermag es bisher nicht, die Partei aus ihrem Umfragetief zu befreien. Mit 17 Prozent ist die SPÖ nur noch ein Schatten ihrer selbst. Sie hat den Kontakt zu ihrer traditionellen Arbeiter-Wählerschaft weitgehend verloren – viele von ihnen wählen heute aus Protest oder Überzeugung das blaue Lager der FPÖ.
Die 38 Prozent der FPÖ speisen sich also aus zwei Quellen: der eigenen Stärke, die Unzufriedene magnetisch anzieht, und der historischen Schwäche der beiden anderen Großparteien. Die ÖVP und die SPÖ haben über Jahrzehnte das Land regiert, oft in einer “Großen Koalition”, die von vielen Bürgern nur noch als “Stillstand” und “Postengeschacher” wahrgenommen wurde. Die Quittung für diese Politik der “Mitte”, die viele Probleme nicht mehr zu lösen schien, wird nun präsentiert.
Dieser Rechtsruck ist kein rein österreichisches Phänomen. Er fügt sich ein in einen europäischen Trend. Von Geert Wilders in den Niederlanden über Giorgia Meloni in Italien bis hin zum Erstarken der AfD in Deutschland und Marine Le Pen in Frankreich – konservative, nationale und rechtspopulistische Parteien sind auf dem Vormarsch. Sie profitieren von einer weit verbreiteten Verunsicherung, einer Ablehnung der Brüsseler EU-Politik und dem Gefühl, dass die traditionellen Eliten die Sorgen der “normalen Menschen” nicht mehr verstehen.
Die brennendste Frage, die sich nun in Wien stellt, ist nicht mehr ob, sondern wie mit dieser neuen Realität umzugehen ist. Wie soll eine Regierung gebildet werden? Rechnerisch ist eine Koalition ohne die FPÖ kaum mehr möglich, es sei denn, ÖVP, SPÖ und die kleineren Parteien (Grüne, NEOS) würden sich zu einer unwahrscheinlichen “Anti-Kickl-Koalition” zusammenschließen.
Viel wahrscheinlicher ist das Szenario, das der Kommentator im Video andeutet: “Wann die ÖVP klein beigibt und mit der FPÖ zusammen regiert.” Für die Volkspartei wäre dies eine Zerreißprobe. Eine Koalition mit Kickl als Kanzler oder auch nur als starkem Vizekanzler wäre für viele in der Partei ein Albtraum. Es würde die “Brandmauer”, die man gegen Kickl persönlich (nicht aber gegen die FPÖ an sich) errichtet hat, zum Einsturz bringen.
Doch was ist die Alternative? Ein weiteres Mal eine “Große Koalition” aus ÖVP und SPÖ, die zusammen nur noch 37 Prozent haben und damit keine Mehrheit mehr besitzen? Eine Minderheitsregierung? Neuwahlen, die die FPÖ vielleicht noch stärker machen würden?

Die Umfrage der Lazarsfeldgesellschaft ist mehr als nur eine Zahl. Sie ist ein Wendepunkt. Sie markiert den Moment, in dem das Undenkbare denkbar geworden ist. Österreich steht vor einer politischen Zäsur. Die alten Gewissheiten sind dahin, und die Karten werden komplett neu gemischt. Der “Wahnsinn”, von dem im Video die Rede ist, beschreibt vielleicht am besten das Gefühl der Fassungslosigkeit bei all jenen, die geglaubt haben, das politische Pendel würde niemals so weit ausschlagen.
Jetzt, mit 38 Prozent im Rücken, wird Herbert Kickl seinen Anspruch auf das Kanzleramt mit einer Vehemenz stellen wie nie zuvor. Die anderen Parteien sind in der Defensive, sie sind die Getriebenen. Der Wind hat sich gedreht, und er bläst mit Orkanstärke aus einer Richtung, die das Land nachhaltig verändern wird. Die Sensation von heute könnte die Normalität von morgen sein.