Nur eines fand man auf dem Schreibtisch. Ein Blattpapier, auf dem in großen krummen Buchstaben stand: “Ich habe bezahlt.” Der Herbst kam und das gut Hohenfeld verfiel. Rechnungen blieben unbezahlt, die Knechte verließen das Land und die Leute im Dorf erzählten, der Freiherr sei vom Teufel geholt worden. Elisabeth sagte nichts.
Sie wusste, dass er noch irgendwo war, nicht in dieser Welt, aber auch nicht in der anderen. Der Oktober brachte Sturm und Regen, als wollte der Himmel selbst die letzten Spuren des Hauses Hohenfeld fortwaschen. Die Fensterläden klapperten Tag und Nacht und das Dach tropfte an mehreren Stellen. Elisabeth kümmerte sich nicht darum.
Sie lebte nur noch für, die nun laufen, sprechen und lachen konnte, als sei sie aus einer anderen reineren Welt. Doch selbst das Lachen des Kindes schien manchmal die Schatten im Haus nicht vertreiben zu können. Nach Georgs Verschwinden hatte Elisabeth die Verwaltung des Gutes übernommen, so gut sie konnte. Sie verkaufte einige Ländereien, entließ Diener, die zu viel fragten und begann selbst die Bücher zu führen.
Manchmal saß sie stundenlang in Georgs Arbeitszimmer, wo der Geruch von verbranntem Wachs und Wein noch in der Luft hing. Eines Abends, während der Regen gegen die Scheiben schlug, hörte sie Schritte auf dem Flur. Sie nahm eine Kerze, trat hinaus. Niemand war da. Doch am Ende des Ganges lag etwas, ein Stück verkohltes Papier. das eindeutig aus dem verbrannten Buch stammte.
Darauf stand nur ein Wort: Zurück.” Sie zitterte, nahm es und warf es ins Feuer. Doch in der Nacht träumte sie von Georg, wie er vor ihr stand, bleich und zerrissen, und sagte: “Du kannst nicht fliehen. Sie wollen, was ihres ist.” Im November kam der Pfarrer von St. Georg, um sie zu besuchen. Er war ein alter Mann mit müden Augen.
“Man redet im Dorf, gnädige Frau”, sagte er. “Sie sagen, das Haus sei nicht mehr rein. Manche behaupten, sie sehen nachts Lichter auf den Feldern.” Elisabeth senkte den Blick. Lichter kann man nicht fürchten, Vater, nur Menschen. Der Pfarrer nickte langsam. “Dann beten sie für ihre Seele und für die des Herrn, wo immer er jetzt ist.
Nach seinem Besuch verschlechterte sich alles. Die Nächte wurden ruhelos. Maria begann im Schlaf zu sprechen. “Mama, er steht im Garten”, sagte sie einmal mitten in der Dunkelheit. Elisabeth blickte hinaus und sah für einen Moment tatsächlich eine Gestalt im Nebel, reglos mit einem Hut.
Sie schloss die Fensterläden und sank auf die Knie. In den Tagen darauf wurde sie stiller. Sie aß kaum, sprach wenig. Die Bediensteten mieden sie aus Angst vor dem, was in ihren Augen lag. Nur das Kind blieb ihr Trost. Maria sprach mit einer Klarheit, die Elisabeth manchmal erschreckte. Er kommt wieder, Mama, aber diesmal ist er traurig.
Am ersten Adventeten die Glocken, während Schnee zu fallen begann. Elisabeth ging mitelle des Hauses. Sie zündete Kerzen an und der Raum füllte sich mit warmem flackerndem Licht. “Ich will, dass du betest, mein Kind”, sagte sie leise. Maria faltete die Hände. “Für Papa.” Elisabeth nickte. Ja, für Papa.
In dieser Nacht, als das Haus still war, öffnete sich die Tür zur Kapelle von selbst. Ein Windzug löschte die Kerzen und aus der Dunkelheit ertönte ein leises Geräusch wie Schritte auf Stein ganz nah. Elisabeth stand auf, nahm Maria auf den Arm und flüsterte: “Nicht zurücksehen.” Sie eilte in ihr Zimmer, verschloss die Tür und draußen im Flur hörte sie das langsame, schwere Atmen eines Mannes.
Dann stille. Am Morgen war nichts zu sehen. Nur der Schnee im Flur war zertreten, als sei jemand in der Nacht dort gestanden. Elisabeth wusste, dass die Vergangenheit nicht tot war. Sie lebte weiter in den Mauern, im Wind, im Blut. Der Winter des Jahres 1866 kam früh und brachte mit ihm eine eisige Ruhe, die das Land in Schweigen hüllte.
Das Guthohenfeld stand verlassen wie ein Grabmal. Nur drei Knechte waren geblieben, zu alt oder zu arm, um fortzugehen. Sie mieden das Haupthaus, wagten es kaum, nach Einbruch der Dunkelheit Feuer zu machen. Elisabeth lebte nun fast völlig abgeschieden.