Sie hörte ihm zu, erst mit Unglauben, dann mit wachsendem Entsetzen. Als sie verstand, was er verlangte, presste sie die Hände an die Brust und stieß ein heiseres “Nein aus.” Doch der Freiherr sah sie nur an, ohne Zorn, aber mit einem Ausdruck, der keinen Widerspruch zuließ. In jener Nacht betete Elisabeth lange im Salon vor der Marienstatue, die sie aus München mitgebracht hatte.
Sie bat um ein Wunder, um Erlösung, doch die Antwort blieb aus. Am Morgen hatte Georg bereits begonnen, die Pläne umzusetzen. Er beauftragte den Arzt des Gutes, Dr. Heinrich Auer, mit Untersuchung zur allgemeinen Gesundheit der Knechte. Niemand ahnte, dass es in Wahrheit eine Auswahl war, ein perverses Katalogisieren von Körpern, Gesichtern und Temperamenten.
Der Freiherr machte sich Notizen in einem schwarzen Lederbuch, in dem er Namen, Alter und Herkunft vermerkte. Nach zwei Wochen hatte er sieben Männer ausgewählt. Sie sollten die Schlüsselfiguren eines Experiments werden, das die Grenzen von Moral und Menschlichkeit überschreiten würde. Die Auswahl der sieben Männer erfolgte mit einer Kälte, die selbst den erfahrenen Verwalter des Gutes erschütterte.
Sie hießen Johann Bauer, drei Jahre alt, kräftig und wortk, der Schmied des Gutes. Matthias Reiter, 25 Jahre alt, von heller Haut und klarem Blick, ein Pferdeknecht. Lukas Weber, 27 Jahre alt, Schreiner mit feinem Gespür für Holz. Karl Dietrich, 24 Jahre alt, zuständig für die Brauerei. Anton Fogt, 28 Jahre alt. Landarbeiter mit außergewöhnlicher Ausdauer.
Peter Schenk, 26 Jahre alt, Gärtner, bekannt für seine stillen Gebete und schließlich Franz Maurer, 32 Jahre alt, Aufseher in den Stallung, ein Mann, dessen Ruhe selbst die unruhigsten Tiere beruhigte. Der Freiherr betrachtete sie nicht als Menschen, sondern als Mittel zu einem Zweck. In seinem Kopf hatten sich Vernunft und Wahnsinn bereits verbunden.
Er errichtete hinter der Scheune ein kleines Haus aus hellem Holz gebaut mit nur einem Fenster und einer schweren Tür aus Eiche. Niemand durfte wissen, wofür dieses Gebäude bestimmt war. Offiziell nannte man es das Haus der Ruhe. Im März des Jahres 1864 ließ Georg die Männer eines Morgens antreten. Die Luft war kalt.
Nebel hing über den Feldern und der Atem der Pferde stieg wie Rauch in den Himmel. Die Männer standen in einem Halbkreis, den Blick gesenkt, während der Freiherrsam an ihnen vorbeiging. “Ihr seid auserwählt”, begann er mit fester Stimme. “Ihr werdet an einer Aufgabe teilnehmen, die das Wohl dieses Hauses sichert.
Schweigen ist Pflicht, gehorsam, selbstverständlich. Wer sich widersetzt, verliert nicht nur das, was er besitzt, sondern auch das Leben. Seine Worte halten über den Hof. Keiner wagte zu fragen. Dann sprach er weiter: “Ihr werdet meiner Frau in einer besonderen Sache dienen. Sie ist krank und euer Beitrag wird ihr helfen, gesund zu werden.
” Kein Muskel in seinem Gesicht verriet die Wahrheit. Die Männer nickten, einige aus Angst, andere aus unbegreiflicher Neugier. Elisabeth beobachtete alles aus dem Fenster des großen Hauses. Ihr Herz raste, während sie die Gestalten im Nebel sah. Ihr Ehemann hatte aus ihrem Gebet eine Hölle gemacht. Am selben Abend legte Georg die Regeln fest.
Jeder Mann sollte an einem bestimmten Wochentag erscheinen, stets zurelben Stunde, niemals ohne Aufsicht. Johann am Montag, Matthias am Dienstag, Lukas am Mittwoch, Karl am Donnerstag, Peter am Freitag, Franz am Samstag und Anton am Sonntag. Jeder, der das Schweigen brach, würde bestraft. Doch Georg versprach auch Belohnung, besseres Essen, saubere Kleidung, weniger Arbeit und falls ein Kind geboren würde, die Freiheit.
Diese letzte Verheißung ließ Hoffnung aufblitzen in den Augen der Männer, die sonst nichts besaßen, außer ihren Händen. Elisabeth, gezwungen in die Rolle einer Heiligen und Sünderin zugleich, schwieg. Sie hatte keinen Ausweg. Im April begann das Ritual. Der erste war Johann Bauer. An jenem Montag regnete es.
Die Tropfen prasselten auf das Dach, als wollte der Himmel selbst protestieren. Georg stand draußen vor der Tür, rauchte eine Zigarre und sah auf seine Uhr. Drinnen saß Elisabeth auf einem schlichten Bett, die Hände gefaltet, die Augen geschlossen. Sie roch nach Lavendel und kaltem Schweiß. Als Johann eintrat, verbeugte er sich unbeholfen. Sie sagte kein Wort, eher ebenso wenig.