Im Juni des Jahres 1864 begann die Luft schwer zu werden. Ein feuchter, warmer Wind zog über die Wiesen und die Hitze legte sich wie ein Schleier auf das Land. Auf dem guthohen Feld herrschte eine unnatürliche Stille. Die Knechte arbeiteten mit gesenkten Köpfen. Die Dienstmädchen wagten kaum zu sprechen. Niemand wusste genau, was sich zwischen dem Freiherrn und seiner Frau abspielte.
Doch jeder spürte, daß das Haus von einer dunklen Macht beherrscht wurde. Elisabeth hatte sich verändert. Ihre Gestalt war blasser geworden, ihre Bewegungen langsamer. Oft saß sie im Garten auf der Steinbank, die Hände im Schoß und starrte auf die Lindenallee, wo das Licht durch die Blätter fiel. An manchen Tagen summte sie leise Kirchenlieder, als wolle sie sich selbst daran erinnern, dass sie noch lebte.
Georg beobachtete sie aus dem Fenster seines Arbeitszimmers. Er war zufrieden, aber auch rastlos. Er hatte das Gefühl, die Zeit arbeite gegen ihn. Wenn Elisabeth nicht bald schwanger würde, drohte sein Plan zu scheitern. Der Arzt kam häufiger vorbei, brachte Kräuter, Toniker, Empfallspaziergänge. Niemand ahnte, dass hinter den verschlossenen Türen der Werkstatt der Hoffnung weiterhin die heimlichen Treffen stattfanden.
Matthias, der Pferdeknecht, war nun zweimal wöchentlich eingeteilt, weil Georg glaubte, er sei vielversprechend. Elisabeth ertrug es schweigend, mit dem Gesicht zur Wand gewandt, die Lippen zu einem stummen Gebet geformt. Eines Tages brachte Peter Schenk, der Gärtner, ihr wieder eine kleine Gabe. Diesmal ein zwei Großmarin. “Für die Seele, gnädige Frau”, flüsterte er. Sie nahm ihn entgegen und in diesem Augenblick trafen sich ihre Blicke.
Zum ersten Mal seit Wochen spürte Elisabeth so etwas wie menschliche Wärme. Als er ging, drückte sie den Zweig an die Brust. Georg beobachtete sie von weitem. Etwas in ihm regte sich. nicht Eifersucht, sondern Mistrauen. In jener Nacht schrieb er in sein Notizbuch Peter zu freundlich, beobachten. Der Sommer brachte auch Gewitter.
In einer Nacht Ende Juni, als die Donnerschläge über das Tal rollten, wachte Elisabeth schweißgebadet auf. Sie glaubte, Stimmen zu hören, das Flüstern der Knechte, das Klirren von Ketten, das Weinen eines Kindes. Sie stand auf, ging barfuß durch den Flur und sah, dass das Licht in der Werkstatt noch brannte.
Georg saß dort allein, die Stirn auf die Hände gestützt, das schwarze Buch vor sich, der Regen prasselte gegen die Fenster und er murmelte unverständliche Worte. Elisabeth blieb im Schatten stehen, wagte nicht, ihn anzusprechen. In diesem Moment erkannte sie, daß ihr Mann den Verstand verloren hatte. Am nächsten Morgen sprach sie ihn nicht darauf an. Er schien ruhig, fast heiter, als wäre nichts geschehen.
Doch seine Augen hatten denselben starren Glanz wie der von Männern, die zu lange in die Dunkelheit geschaut hatten. Im Juli bemerkte sie zum ersten Mal Veränderungen in ihrem Körper. Übelkeit am Morgen, bleiernde Müdigkeit, ein kaum wahrnehmbares Ziehen im Unterleib.
Sie wagte nicht darüber zu sprechen, doch ihr Blick verriet Hoffnung und Angst zugleich. Als der Arzt sie untersuchte, bestätigte er nach kurzem Zögern: “Gnädige Frau, ich gratuliere. Es scheint, als habe der Himmel ihnen endlich ein Kind geschenkt. Georg stand daneben und in seinen Augen blitzte ein Triumph auf, den er kaum verbergen konnte. Er griff nach Elisabeths Hand, doch sie entzog sie ihm.
In jener Geste lag alles, Scham, Schmerz und stille Verachtung. Der Arzt bemerkte nichts, sprach noch über Kräuter und Schonung und ging. Erst als die Tür sich schloss, sagte Georg leise: “Gott hat uns erhört.” Elisabeth antwortete nicht. Sie sah zum Fenster hinaus, wo das Licht des Nachmittags auf die Felder fiel und dachte: “Nein, nicht Gott, nur du.
” Der Juli verging in einem seltsamen Schwebezustand. Das Guthohnfeld schien nach außen hin wieder in Ordnung. Die Ernte war reichlich, die Scheunen füllten sich und in der Kirche lobte der Pfarrer in seiner Predigt das Gedeihen der christlichen Haushalte. Niemand ahnte, daß sich hinter den Mauern des Herrenhauses ein anderes Drama abspielte.