Er zwang ein Lächeln hervor. Gerüchte, du weißt, wie das Landvolk ist. Sie nickte, doch in ihren Augen blitzte es. Elisabeth wustte, daß sie etwas ahnte. In den nächsten Tagen beobachtete die Gräfin alles, das Kind, die Knechte, den Blick ihres Cousins. Eines Abends, als sie Elisabeth allein traf, sagte sie leise: “Ich habe Dinge gehört, die ich lieber nicht glauben möchte. Man spricht von sonderbaren Hausregeln hier.
Sag mir, Kind, was hat dein Mann getan? Elisabeth schwieg. Sie fühlte, wie ihr der Atem stockte. Manchmal flüsterte sie schließlich, ist Schweigen das einzige, was uns schützt. Die Gräfin seufzte. Dann bete, dass es genügt. Zwei Tage später reiste sie ab. Georg begleitete sie bis zur Kutsche. Als sie einstieg, beugte sie sich zu ihm und sagte halb laut: “Manche Geheimnisse sind wie Blut, Georg, sie trocknen nie.
” Er stand da, während die Kutsche im Nebel verschwand. Als er ins Haus zurückkehrte, war sein Gesicht bleich. Er rief den Verwalter, befahl neue Anweisungen für die Knechte, sprach von Ordnung und Disziplin, doch seine Stimme zitterte. In jener Nacht suchte er Elisabeth in ihrem Zimmer auf.
Sie hielt Maria im Arm. Therese weiß etwas, sagte er. Dann bete, dass sie schweigt, antwortete sie ruhig. Er trat näher, beugte sich über das Kind und flüsterte: “Wenn jemand uns verrät, wird er es bereuen.” Elisabeth schloss die Augen. Sie wusste, dass ihr Mann kein Gebet mehr kannte, nur noch Drohung.
Draußen fiel der erste Schnee des Jahres. Die Glocken von St. Georg läuteten zur Abendandacht. Im Kamin prasselte das Feuer und Maria schlief friedlich, ohne zu wissen, dass über ihrem kleinen Leben ein Sturm aufzog, der alles zerstören sollte. Der Winter des Jahres 1865 war der kälteste, den die Menschen in der Gegend je erlebt hatten. Schnee lag Meter hoch auf den Feldern.
Die Bäume standen Karl und schwarz gegen den grauen Himmel. Die Wege zum Dorf waren wochenlang unpassierbar. Das gut hohenfeld war wie abgeschnitten von der Welt, ein Insel aus Schweigen und Schuld. Im großen Haus brannten die Kamine Tag und Nacht, doch die Wärme drang nicht in die Herzen. Georg sprach fast gar nicht mehr.
Er ging morgens hinaus in die Scheune, kam spät zurück und trank sich schweigend in den Schlaf. In seinem Blick lag ein Schatten, als habe er etwas gesehen, das kein Mensch sehen sollte. Elisabeth lebte wie in Trans. Sie kümmerte sich um Maria, sang ihr leise Schlaflieder und las sie ihr aus Gebetbüchern vor, als könne das Kind ihre Worte verstehen.
Manchmal, wenn das Feuer im Kamin knisterte, stellte sie sich vor, dass jede Flamme ein Engel sei, der sie und das Kind schützte. Doch tief in ihr nagte eine Angst, die sie nicht benennen konnte. Im Januar kam die Nachricht, dass Gräfin Therese in München plötzlich erkrankt sei. Manche sagten, es sei ein Herzleiden gewesen, andere flüsterten von Gift.
Georg las den Brief, legte ihn schweigend beiseite und sagte nur: “Gott richtet jeden nach seinem Wissen.” Elisabeth wagte nicht zu fragen, ob er etwas damit zu tun hatte. Maria wuchs und begann zu krabbeln. Ihr Lachen halte durch die Gänge und manchmal blieb selbst Georg stehen. Lauschte kurz, als erkenne er in diesem Klang etwas Reines, das ihn fast berührte. Dann drehte er sich ab.
Eines Abends kam der Arzt wieder, um nach dem Kind zu sehen. “Sie ist kräftig”, sagte er, “aber ihr Blick? Er ist ungewöhnlich klug für ihr Alter.” Georg nickte nur. Man sagt, Kinder spüren die Geheimnisse ihrer Eltern”, fügte der Arzt leise hinzu. Georg sah ihn an, so kalt, dass Auer verstummte.
Danach kam der Arzt nie wieder ohne Einladung. Im Februar geschah etwas Seltsames. Mehrere Knechte berichteten, nachts Schritte auf dem Dachboden gehört zu haben, obwohl niemand dort oben war. Elisabeth hörte es auch. Ein leises Poltern, gefolgt von einem Flüstern, als rufe jemand ihren Namen. Eines Nachts nahm sie eine Kerze und ging allein hinauf.
Der Dachboden war leer, doch in einer Ecke lag das alte Gebetbuch mit der gepressten Blume, das Peter ein zurückgelassen hatte. Sie erkannte es sofort. Es war sauber, als sei es gerade erst dorthinelegt worden. Sie kniete nieder, öffnete es und sah auf der Innenseite eine neue Zeile mit fremder Handschrift geschrieben. Das Blut spricht. Sie ließ das Buch fallen und rannte hinunter.