Georg wartete im Salon, als sie hereinstürzte. “Was ist?”, fragte er. Sie konnte nicht sprechen. Er nahm ihr das Buch ab, blätterte darin, doch die Schrift war verschwunden. Nur die gepresste Blume lag noch zwischen den Seiten. “Du siehst Gespenster”, sagte er kühl. Doch in jener Nacht schlief er kein Auge. Am nächsten Tag ließ er alle alten Truhen und Bücher vom Dachboden entfernen und im Garten verbrennen.
Der Rauch stieg schwarz in den Himmel und die Bediensteten bekreuzigten sich. Elisabeth stand am Fenster, hielt Maria auf dem Arm und flüsterte. Er verbrennt nicht nur Holz, er verbrennt sich selbst. Der Winter zog sich hin. Georg wurde immer unruhiger, redete manchmal im Schlaf, flüsterte die Namen der sieben Männer, als wolle er sie zählen.
Elisabeth begann, sich vor ihm zu fürchten. Sie verschloss nachts die Tür ihres Schlafzimmers und schlief mit dem Kind im Arm. Eines Morgens, als der Schnee zu schmelzen begann, fand man im Brunnen hinter der Scheune eine tote Krähe. Ihr Gefieder war schwarz wie Kohle, aber die Augen waren geöffnet, als sähen sie noch.
Der alte Knecht, der sie fand, sagte leise: “Ein Zeichen, ein Fluch liegt auf diesem Haus.” Niemand widersprach ihm. Der Frühling des Jahres66 brachte kein für das guthohenfeld. Der Schnee war geschmolzen, aber die Erde blieb nass und schwer, und in der Luft hing ein Geruch von Moder, als würde der Winter nicht gehen wollen.
Die Knechte arbeiteten schweigend, die Ernte war schwach und das Vieh verendete ohne erkennbaren Grund. Manche sagten, der Hof sei verflucht, doch niemand sprach das laut aus, wenn der Freiherrähe war. Georg war nun nur noch ein Schatten seiner Selbst. Er trank ununterbrochen, sprach mit niemandem und begann sich vor Spiegeln zu fürchten.
Mehrmals befahl er, die großen Wandspiegel im Salon mit Tüchern zu verhängen. “Sie lügen”, sagte er. “Sie zeigen Dinge, die nicht da sind.” Elisabeth beobachtete ihn mit einer Mischung aus Angst und Mitleid. Sie wusste, dass er nicht mehr derselbe war. In seinen Augen lag eine Dunkelheit, die kein Gebet erhellen konnte. Maria war nun fast ein Jahr alt.
Sie lief schon einige Schritte, lachte oft und sprach erste Worte. Doch Georg wich ihr aus. Wenn sie auf ihn zuging, drehte er sich um, als würde er sich vor ihr fürchten. Einmal, als sie seine Hand ergriff, starrte er sie an und flüsterte. Deine Augen sind nicht die meinen. Elisabeth riss das Kind an sich und verließ den Raum.
Im Mai kam der Verwalter, um den Freiherrn auf offene Schulden hinzuweisen. “Die Händler aus Augsburg warten auf Bezahlung, Herr”, sagte er vorsichtig. Georg winkte ab. “Sie sollen warten. Ich habe wichtigeres zu tun.” Doch was er tat, wusste niemand. Er schloss sich oft im Arbeitszimmer ein, schrieb seitenlange Briefe, die er nie abschickte und redete mit sich selbst.
Elisabeth fand eines dieser Schreiben später in der Feuerstelle halb verbrannt. Die lesbaren Worte lauteten: “Das Blut vererbt mehr als Namen. Es vererbt Schuld.” Im Juni erkrankte Maria schwer. Fieber, das nicht wich, und Schreie in der Nacht. Der Arzt kam wieder, diesmal besorgt. “Es ist nichts, was ich verstehe”, sagte er, “aber ich fürchte, das Kind trägt eine Bürde, die nicht von dieser Welt ist.” Georg Tobte.
Unsinn. Heile sie, tu etwas. Doch der Arzt konnte nur die Schultern heben. Elisabeth wachte an Marias Bett, Tag und Nacht. Sie legte kalte Tücher auf ihre Stirn, sang alte Kirchenlieder, flüsterte: “Bleib bei mir, mein Engel.” Nach drei Tagen sank das Fieber. Das Kind überlebte. Doch seitdem sah es anders aus.
Ernster, stiller, als hätte es etwas gesehen, was Kinder nicht sehen sollten. Im Juli begann Georg wieder nachts in die Scheune zu gehen. Er zündete Kerzen an, murmelte lateinische Worte, die niemand verstand. Die Knechte erzählten, sie hätten ihn dort sprechen hören, als würde er mit jemandem verhandeln. Er ruft Geister, sagte einer, oder er bittet sie, ihm seinen Namen zurückzugeben.
Eines Morgens fand Elisabeth auf dem Tisch im Salon das schwarze Buch. Es lag offen und auf der letzten Seite stand in großen, hastigen Buchstaben: “Ich weiß jetzt, wer es war.” Es gab keine weiteren Worte. Sie schloss das Buch zitternd und versteckte es in der Truhe unter ihrem Bett.