Das Ehepaar, das Menschenfleisch servierte – Die Geschichte des Gasthauses zum stillen Tal

“Ich will es aufschreiben”, sagte sie. “Nicht für euch, sondern für mich.” Man ließ ihr Pergament und Feder. Stundenlang saß sie über den Blättern, schrieb mit ruhiger Hand, als würde sie ein Kochbuch verfassen. Später, als man das Manuskript prüfte, fand man darin weder Geständnisse noch Reue, sondern Beschreibungen, minuziös, kalt, präzise.

Sie erklärte die besten Methoden, Fleisch haltbar zu machen, welche Temperatur den warmen süßen Duft bewahre und daß die Seele des Menschen im Rauch bleibt, wenn man ihn richtig räuchert. In einer Randnotiz schrieb sie: “Fleisch ist Fleisch.” Gott schuf kein anderes Gesetz zwischen Tier und Mensch. Nur unser Ekel macht die Grenze.

Wer die Angst besiegt, erkennt den wahren Geschmack. Die Zeitungen überschlugen sich. Schlagzeilen nannten sie die Metzgersfrau von Haburg, die Blutköchin oder die Frau mit dem Rauch. In den Gasthäusern der Region wagte wochenlang niemand mehr Wurst zu bestellen. Währenddessen arbeitete Dr. Alas im Keller des Bezirksamtes an der Untersuchung der Beweismittel.

Unter seiner Aufsicht wurden die Rückstände aus den Wurstfässernt. In ihnen fand man neben Schweineknochen winzige Fragmente menschlicher Zähne und Knochen, Spuren, die jeden Zweifel auslöschten. Als Anna die Ergebnisse hörte, lachte sie leise. “Dann habt ihr endlich den Beweis, dass ich gute Arbeit geleistet habe.” Wilhelm aber brach zusammen.

In der Nacht nach der Verkündung der Beweise fand man ihn in seiner Zelle zusammengesunken auf der Britsche. Er hatte versucht, sich mit einem abgebrochenen Löffel zu verletzen, doch der Versuch war kläglich gescheitert. Er überlebte und weinte stumm ohne Tränen. Der Pfarrer, der beiden Gefangenen Trost spenden sollte, schrieb in sein Tagebuch: “Ich habe in ihren Augen gesehen, was geschieht, wenn der Glaube an das Gute versiegt.

Der Mann bereut, die Frau nicht. In ihr wohnt eine Art stiller Stolz, als habe sie die Natur selbst überlistet. In den folgenden Wochen stieg das öffentliche Interesse an dem Fall. Vor den Mauern des Gefängnisses versammelten sich Menschen, die Brote warfen, um das Fleisch der Hölle zu verspotten.

Andere kamen mit Rosenrenzen und sangen Bußlieder. Händler verkauften Holzschnitzereien in Form kleiner Würste. Ein makabres Geschäft, das niemand offen beendete. Am zehn Tag nach der Verhaftung verlas das Gericht die formelle Anklage. 29fache Mordanklage. Dazu Leichenschändung, Betrug und Täuschung der Obrigkeit.

Das Urteil sollte in Lüneburg gesprochen werden. Anna hörte die Anklage mit unbewegter Miene. Erst als der Richter fragte, ob sie etwas zu sagen habe, hob sie den Kopf. Nur dies, sagte sie. Die Menschen aßen, was ich ihnen gab, und sie lobten mich. Wenn es Sünde war, dann haben sie alle daran teil. Ein Murmeln ging durch den Saal.

Draußen läuteten die Kirchenglocken. Dr. Aas schloos die Augen. Er wußte, dass diese Geschichte nicht mehr aus dem Gedächtnis der Menschen verschwinden würde, sowie der Rauch, der einst über dem stillen Tal hing und nun in den Köpfen der Lebenden weiterzog. Am Abend, als er das Gefängnis verließ, blieb er stehen und sah zurück auf die dunklen Fenster.

Im schwachen Licht der Fackeln meinte er, eine Gestalt am Gitter zu sehen. Eine Frau mit einem weißen Kopftuch, die ihn anlächelte. Er blinzelte, da war nichts mehr, nur der Wind. Der Prozess gegen Anna und Wilhelm Hartmann begann am Oktober des Jahres 1879 im alten Gerichtsgebäude zu Lüneburg. Schon vor Sonnenaufgang füllte sich der Platz vor dem Haus mit Menschen, Bauern, Handwerksleute, städtische Damen in schweren Kleidern.

Alle wollten sie einen Blick auf das Paar werfen, dessen Name nun in ganz Norddeutschland geflüstert wurde. Die Kirchenglocken leuteten sieben mal, als die beiden Angeklagten in den Saal geführt wurden. Wilhelm trug graue Häftlingskleidung, sein Gesicht war eingefallen, die Schultern hingen herab. Anna hingegen erschien aufrecht, das Haar sauber zu einem Knoten gebunden.

Ihr Blick wanderte ruhig über die Reihen, als betrachte sie ein Publikum, das ihre Arbeit beurteilen sollte. Der Saal roch nach Wachs, Holz und Menschen. Ein schweres Kreuz hing über dem Richterstuhl und die Fenster warfen bleiches Herbstlicht auf die Tische der Schreiber.

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