Im Namen des Königs und der Gerechtigkeit wird über Anna und Wilhelm Hartmann das Urteil des Todes durch das Schwert verhängt, wegen vielfachen Mordes, Entweihung menschlicher Leiber und Täuschung der Obrigkeit. Möge dieses Urteil die Ruhe wiederherstellen, die ihr Werk zerstört hat. Wilhelm schloss die Augen.
Anna nickte nur leicht, als habe sie eine Nachricht erhalten, die sie erwartet hatte. In der Nacht nach der Urteilsverkündung soll sie dem Gefängniswerter gesagt haben: “Ihr werdet mich hängen, aber ihr werdet mich nicht vergessen. Wenn ihr Fleisch riecht, werdet ihr mich riechen.” Drei Wochen später sollte das Urteil vollstreckt werden. Der Rauch, der einst über dem stillen Tal stand, war längst verflogen.
Doch der Geruch von Eisen, Salz und Angst blieb in der Erinnerung der Menschen ein unsichtbarer Schatten, der über ihre Mahlzeiten fiel. Und jedes Mal, wenn jemand ein Stück Wurst schnitt und den Duft von Pfeffer und Muskat roch, dachte er an die Frau, die den Geschmack der Menschlichkeit für immer verändert hatte. Die Tage zwischen dem Urteil und der Vollstreckung vergingen langsam, wie zäher Rauch in einem geschlossenen Raum.
Im Gefängnis zu Lüneburg herrschte eine Stille, die nur von Schritten der Wächter und dem Klirren von Schlüsseln durchbrochen wurde. Wilhelm Hartmann verbrachte seine letzten Wochen in einer schmalen Zelle im Südflügel. Er sprach kaum noch, aß wenig und blickte oft stundenlang in die Dunkelheit. Einmal fragte ihn der Gefängnisfahrer, ob er beten wolle.
Wilhelm nickte, doch seine Worte klangen gebrochen. Gott hat uns gemacht, Pfarrer, und doch schweigt er, wenn wir zu lange im Dunkeln leben. Ich glaube, ich habe ihn irgendwann überhört. Er schrieb einen Brief an die Familie Lensz, den die Behörden nie aushändigten. In ihm bat er nicht um Vergebung, sondern darum, dass man sich erinnere, wie leicht ein Mensch das Böse übersieht, wenn es mit Liebe getant ist.
Anna Hartmann dagegen blieb bis zum letzten Tag unverändert. Sie bestand darauf, ihre Mahlzeiten selbst zuzubereiten. Die Wächter ließen es zu, solange sie unter Aufsicht stand. Sie schnitt Brot mit ruhiger Hand, salzte sorgfältig, als wäre dies ein Festmal. Wenn man sie fragte, ob sie sich fürchte, antwortete sie: “Furcht ist ein Geschmack, den ich nie gekannt habe.
” In den Nächten sang sie leise. Es waren alte norddeutsche Wiegenlieder, einfache Melodien ohne Worte. Der Klang halte durch die Gänge und ließ selbst die erfahrensten Wächter erschaudern. Draußen bereitete sich die Stadt auf das Ende vor. Der Galgenplatz lag am Rand der Heide zwischen zwei alten Linden, wo seit Jahrzehnten keine Hinrichtung mehr stattgefunden hatte.
Doch die Behörden entschieden, das Urteil öffentlich zu vollziehen, als Zeichen, dass das Böse bestraft würde. Am 14. Dezember des Jahres 1879 graute der Morgen in blassem Licht. Schnee lag auf den Feldern und die Luft war schneidend kalt. Eine Menge von mehr als tausend Menschen hatte sich versammelt.
Bauern mit Pelzmützen, Frauen mit Tüchern, Kinder, die auf den Schultern ihrer Väter saßen. Einige hielten Kerzen, andere Holzkreuze. Um die achte Stunde wurde Wilhelm Hartmann hinausgeführt. Seine Schritte waren schwer, aber ruhig. Der Pfarrer ging neben ihm, leise sprechend. Als er auf den Schaffott trat, hob er kurz den Blick zum Himmel.
Anna, murmelte er, vergib mir, daß ich dich ließ. Das Schwert fiel schnell, einzelner Schlag. Kein Laut ging durch die Menge, nur das Knirschen des Schnees unter den Stiefeln der Soldaten. Eine Stunde später wurde Anna gebracht. Sie trug ein einfaches graues Kleid und ein weißes Tuch um das Haar. Sie weigerte sich, den Fahrer zu sehen. Als sie die Stufen hinaufstieg, drehte sie sich zu der Menge um. Ihr Blick war klar, beinahe sanft.
“Ihr esst, ohne zu wissen, was auf euren Tellern liegt”, sagte sie laut. “Denkt an mich, wenn ihr morgen das Messer ansetzt.” Dann wandte sie sich dem Henker zu. Laßt uns keine Zeit verschwenden”, fügte sie hinzu. “Man sagt, sie sei ohne Zittern gestorben.” Der Henker selbst, ein erfahrener Mann, schrieb später: “Ich habe viele sterben sehen, doch keine Frau hat den Tod so still empfangen.