” Nach der Hinrichtung blieb der Platz lange leer. Die Leiber der Hartmanns wurden nicht auf dem Friedhof bestattet. Man brachte sie in ein anonymes Grab außerhalb der Stadtmauern, unmarkiert, in kalk gehüllt. Niemand sprach laut darüber, wohin genau. Nur der Pfarrer wusste es und er nahm das Geheimnis mit ins Grab. Doch die Geschichte der Hartmanns endete nicht mit ihrem Tod.
Schon wenige Wochen später verbreiteten sich Gerüchte in der Umgebung. In manchen Nächten sagten die Leute, steige über der alten Straße ein dünner Rauch auf, obwohl dort kein Feuer mehr brannte. Wanderer schworen, sie hätten den Geruch von Muskat und Pfeffer wahrgenommen, süß und schwer, wie damals aus dem Gasthof.
Ein Bauer aus Winsen berichtete, er habe beim Flügen nahe der alten Landstraße eine vergrabene Schachtel gefunden, darin Münzen, eine Kinderpuppe und ein vergilbtes Rezeptbuch. das in einer feinen Frauenhandschrift geschrieben war. Die erste Zeile lautete: “Fleisch ist Erinnerung. Wer es würzt, verändert die Zeit.” Das Buch verschwand später im Besitz eines Sammlers. Niemand weiß, ob es noch existiert.
Das Gasthaus selbst wurde kurz nach dem Urteil abgerissen. Man verbrannte das Holz, streute Kalk über den Boden und schwor: “Nie wieder dort zu bauen.” Trotzdem meidet man die Stelle bis heute. Die Dorfbewohner nennen sie das stille Feld.
Wenn der Wind vom Westen herüber weht, behaupten einige, sie könnten das leise Klirren von Messern hören. In Lüneburg blieb der Fall der Hartmanns über viele Jahre Gesprächsthema. Gastwirte begannen, genaue Gästelisten zu führen und die Obrigkeit führte neue Vorschriften für Herbergen ein. Kein Wirt durfte mehr Fleisch verkaufen, ohne Herkunft und Menge zu dokumentieren. Manche sagten, das sei das einzige Gute, das aus dem stillen Tal hervorgegangen sei.
Eine neue Vorsicht, geboren aus Schrecken. Doch für viele war der Geschmack der Angst geblieben. Selbst Jahrzehnte später schrieb eine Frau aus Bremen in ihrem Tagebuch: “Ich kann keine Wurst mehr essen, ohne an den Rauch zu denken. Der Geschmack ist fort.” Aber das Wissen bleibt. So wurde der Name Hartmann zu einem Fluch.
Nicht laut, nicht in offiziellen Schriften, sondern im Flüstern, beim Essen, in Küchen und auf Märkten, wo die Menschen das Fleisch prüften und unwillkürlich an eine Frau dachten, die einst den Tod gewürzt hatte. Und über allem blieb der Satz, den Anna in ihrem letzten Brief an den Pfarrer schrieb: “Der Rauch vergeht, doch was er berührt, bleibt ewig. Nach den Hinrichtungen der Hartmanns war das Land erfüllt von einer unruhigen, dumpfen Stille.
Der Winter des Jahres 1879 wurde als der graue Winter in Erinnerung behalten. Nicht wegen der Kälte, sondern wegen der Schwere, die sich über die Dörfer legte. Es schien, als hätten selbst die Glocken ihren Klang verloren. Zunächst versuchte man zu vergessen.
Die Menschen wollten die Geschichte aus den Köpfen verbannen, als wäre sie ein schlechter Traum. Doch das Böse, dass ich im vertrauten Alltag gezeigt hatte, ließ sich nicht einfach vergraben. Die Legende wuchs weiter, leise, in Gesprächen am Herdfeuer, in den Stimmen der Kinder, die nachts nicht schlafen konnten. Im Frühjahr des folgenden Jahres zog ein fahrender Prediger durch die Region.
Er nannte sich Bruder Matthias von Launenburg und predigte über Reinheit und göttliche Ordnung. In seinen Reden sprach er oft vom Fleisch der Versuchung und der Sünde des Geschmacks. Jeder wußte, wen er meinte, auch wenn er die Namen nie aussprach. In manchen Dörfern stellte man Kreuze an die Straßen, die zum stillen Tal führten. Aus Angst, die Seelen der Toten könnten noch dort wandeln.
Bald entstanden Lieder. Ein altes Volkslied, das man auf Jahrmärkten hörte, begann mit den Worten: “Im stillen Tal, wo Rauch einst, da ruht ein Weib mit Blut gehand. Ihr Duft erzieht durch Nacht und Wind, wo Menschen satt und schuldig sind. Kinder flüsterten die Zeilen, wenn sie sich gegenseitig erschrecken wollten.
Alte Frauen erzählten, dass man in nebligen Nächten eine Gestalt auf der Landstraße sehe. eine Frau mit weißem Tuch im Haar, die Reisenden, den Weg zum Gasthof des Friedens weise. Niemand, der ihr gefolgt sei, sei je zurückgekehrt. In den Städten wurde die Geschichte gedruckt. Flugblätter mit der Überschrift: “Die Blutköch von Hburg” kursierten von Hamburg bis Bremen. Händler verkauften billige Holzschnitte.