Das Ehepaar, das Menschenfleisch servierte – Die Geschichte des Gasthauses zum stillen Tal

Wenn man Wilhelm darauf ansprach, sagte er: “Viele Reisende zögen die kühle Morgenluft der Sommermonate vor. Das klang vernünftig und doch blieb bei manchen ein leises Unbehagen. Wilhelm bestand stets darauf, den Gästen beim Entladen ihres Gepäcks zu helfen. Er sagte, es sei ein Zeichen von Höflichkeit, doch einige merkten, dass er dabei das Gewicht und den Inhalt der Koffer aufmerksam musterte. Seine Fragen waren geschickt getarnt.

Woher kommt ihr? Wohin führt eure Reise? Handelt ihr mit Stoffen, mit Werkzeugen, immer freundlich, aber nie zufällig. So vergingen die Jahre und das Gasthaus blieb ein Ort des Vertrauens. Niemand ahnte, dass unter dem schweren Eichenboden und hinter dem Duft von gebratenem Schweinefleisch ein Geheimnis lauerte, das eines Tages die ganze Region in Entsetzen stürzen sollte.

Der Ruf des Gasthauses zum Stillental wuchs mit jedem Monat. Und doch begannen sich leise Schatten über die Fachwerkwände zu legen, die niemand offen benannte. Die Landstraße zwischen Hamburg und Köln atmete den Takt der neuen Zeit. Postkutschen, Händlerwagen, Stromabwärtselnde Lastkähne auf Elbar und darüber das ferne Leuten von Kirchenglocken, die an Sonnen und Feiertagen die Dörfer sammelten.

Im Wirzhaus der Hartmanns war alles in geordneter Fülle. Große Tonkrüge mit Bier, ein eichener Schanktisch, auf dem die Kerzen rußige Ränder zogen und der schmale Flur, der hinunter in den kühlen Steinkeller führte, dessen Tür stets verschlossen blieb. Anna Hartmann schritt wie eine Regentin durch diese kleine Welt.

Ihre Schürzen waren markellos, ihre Messer blank. Sie hatte die Angewohnheit, die Teller der Gäste selbst auszutragen und das leere Geschirr lange in den Händen zu halten, als prüfe sie darin das Echo der Zufriedenheit. Sie fragte beharlich nach Gewürzen, nach Zartheit und Süße, ob der Rauch zu kräftig sei, ob die Brühe die Zunge wärme.

Sobald ein Reisender das Fleisch überschwänglich lobte, strich sie mit den Fingerspitzen über den Saum ihrer Schürze und in ihren Augen glomm für einen Atemzug ein eigentümlich stilles Feuer. Wilhelm Hartmann stets höflich bot den ankommenden Schnaps aus eigener Herstellung an. Er nannte ihn Wacholderwasser, doch sein Geschmack hatte mehr Tiefen als übliche Hausbrände.

Manch einer fühlte sich nach nur einem Becher schwer und behaglich, als sei die Müdigkeit des Weges in eine wollige Decke gehüllt. Wilhelm lachte dann und sagte: “Ein guter Tropfen, bringe den Schlaf leichter und mache am Morgen den Kopf frisch. Wer könnte da wieder sprechen, wenn nebenan das Feuer knisterte und der Regen an die Fensterläden schlug? Über dem Hof schien das Räucherhaus niemals zu schweigen.

Tag und Nacht quoll ein feines bläuliches Band aus der Luke. Der Rauch trug eine Note in sich, die schwer zu benennen war. Süßlich und dunkel. Ein Aroma, das man erst als Köstlichkeit wahrnahm und im nächsten Moment als etwas, das zu lange im Gedächtnis blieb. Die Nachbarn, vereinzelte Höfe hinter Knicks und Birken, sprachen nicht gern darüber.

Man nannte es die Launen des Windes, die Würze aus Pfeffer, Muskat und Wacholder. Und doch sagte eine Bäuerin einmal leise: “Sie meine, in bestimmten Nächten mische sich etwas Fremdes darunter, etwas, das nicht nur vom Schwein stamme.” Die Bücher, die Wilhelm am Tresen führte, wirkten ordentlich. Zeilen in sauberer Handschrift. Namen, Herkunft, Reiseziel.

Aber wer sie genauer betrachtete, bemerkte, dass die Einträge selten vollständige Familiennamen führten. Wandernde Gesellen wurden als Johann Schuster oder Friedrich Drechsler verzeichnet, Händler mit bloßen Anfangsbuchstaben. “Die Leute haben es eilig”, sagte Wilhelm. Und wer die Landstraße kennt, weiß, daß Listen und Stempel nur Zeitrauben.

Diese Erklärung passte zur ruhelosen Natur der Straße und doch lag in der Einheitlichkeit der Tinte, in der Regelmäßigkeit der Schwünge ein leises, stures Muster, das keinem Zufall glich. Manchmal trafen zwei Kutschen gegen Abend ein. Die eine blieb, die andere rollte kurz darauf wieder hinaus in die nasse Dämmerung, angeblich, weil der Fuhrmann weiter müsse.

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