Am Morgen fand man jedoch in den Spurrillen des Hofs nur ein Wirrwar, als hätte sich hier mehr bewegt, als die Zeugen sagten. Der Hufschlag klang in solchen Nächten anders, gedämpft, als ob zwischen Pferdehu und Stein ein weicher Film läge. Stall gedien die Schweine so prächtig, dass Metzker aus der Stadt die Köpfe zusammensteckten, wenn sie daran vorbeigingen. Die Tiere frasen mit einer Gier, die selbstgeübte verlegen machte.
Man lachte darüber. Hartmanns Küchenreste sind wohl besser als in mancher Bürgerstube das Sonntagsmal. Doch ab und an sah man in der Nähe der Tröge kleine unscheinbare Dinge. Ein blaner Knopf, ein zerschlissener Faden, ein krummer winziger Haken wie von einem Reisebeutel. Wenn man Anna darauf ansprach, winkte sie ab.
Reisende verloren alles mögliche, sagte sie. Der Wind trage solchen Kram über den Hof und die Tiere wühlten nun einmal. Die Hartmanns besuchten Kirchwein in den umliegenden Gemeinden und Anna brachte stets eine Schüssel ihrer berühmten Würste mit. Die Pfarrersfrau pries sie wegen ihres fein beinahe samtenen Bisses. Ein Superintendent aus einer weiterentfernten Stadt ließ sich gar eine Fuhre für ein Fest liefern.
Anna notierte alles fein säuberlich in ein kleines Heft, das sie in der Küchenschublade verschloß. Darin fanden sich nicht nur Mengen und Preise, sondern kleine Bemerkungen über den Geschmack einzelner Kunden. Wer süßliche Noten mochte, wer Pfeffer verlangte, wessen Zunge empfindlich auf Rauch reagierte. Sie nannte es ihre Kundenkunde und lächelte dazu, als sei dies nichts weiter als die Kunst einer gewissenhaften Köchin. Mehrfach berichteten Gäste von Träumen, die sie in den Kammern ereilt hätten.
Ein Schlossergeselle beschrieb, wie er sich im Traum nicht rühren konnte, obwohl ihm jemand etwas warmes auf die Stirn legte und leise Worte sprach, die er nicht verstand. Ein Tuchhändler erzählte, er habe in der Nacht Stimmen gehört, als spräche jemand unter den Dielen ein Gebet. Anna führte solche Dinge auf Übermüdung zurück oder auf das Wetter, das schwer auf die Bronchien schlage.
Wilhelm legte noch einen Becherwachholderwasser bei und sagte: “Die alte Heide sei voller Geschichten, die in Stürmen aus den Bäumen flüstern. Im Verlauf einer langen Regenzeit breitete sich über dem Gasthof eine eigentümliche Betriebsamkeit aus.
Wilhelm kümmerte sich um Gepäck, daß er ungewöhnlich sorgfältig wog und hob, als suche er darin nach einer verborgenen Schwere. Seine Fragen waren freundlich, doch zielten sie auf das Wesentliche. Ob Verwandte in Köln warteten, ob der Kaufmann in Hamburg Vorschuss gegeben habe, welche Route man am nächsten Morgen zu nehmen gedenke. Wenn der Gast allein reiste, nickte Wilhelm langsamer, als koste er eine unsichtbare Zutat ab.
Der Keller, den niemand außer den Wirzleuten betrat, atmete eine konstante Kühle. Manchmal, wenn Anna die Klappe öffnete, fuhr ein Strich kalter Luft den Flur hinauf und in ihm lag der metallische Hauch von Eisen und nassem Stein. Einmal verirrte sich ein Junge vom Nachbarhof in den Flur, weil er eine Katze suchte.
Er hörte aus der Tiefe ein dumpfes Klirren und ein Zwitchern, als Streife Stahl an Stahl. Anna fand den Jungen und fuhr ihn an, so scharf, daß er Tränen in den Augen hatte. Gleich darauf schenkte sie ihm ein warmes Brötchen, strich ihm über den Kopf und führte ihn freundlich hinaus. Der Junge erzählte später, er habe nie wieder so gutes Brot gegessen, und dennoch habe ihn jedes Mal, wenn er in der Nähe des Gasthofes vorbeikam, ein Kältekribbeln überzogen.
In den Amtsblättern der Umgegend erschienen gelegentlich kurze Anzeigen, vermisste Handwerksburschen, Händler, die die nächste Station nicht erreicht hatten, Familien, die auf Nachricht warteten. Man schrieb dies der Unsicherheit der Landstraßen zu. Räubergründe gab es trotz neuer Ordnung noch genug, und Flüsse traten aus, Karren brachen, Pferde scheuten. Doch wer mit den Fingerkuppen über die Karte strich und die Daten summte, hätte ein Flimmern erkennen können.
Zwischen den Städten lag ein stilles Tal und um dieses Tal scharten sich die Verspätungen wie Krähen um ein abgeerntetes Feld. Eines Abends kam ein Wanderprediger, ein Mann mit rauer Stimme und einem abgegriffenen Gesangbuch, dessen Einband nach Regen roch. Er aß die Wurst, trank den Schnaps und sein Blick wanderte, während er kaute, zur Küchentür.