Er sagte später, der Geschmack sei seltene Art gewesen, süßer als er Schweinefleisch gewohnt sei. Als er Wochen darauf wiederkam, um eine Bibel zu suchen, die er nach eigener Aussage im Gästezimmer vergessen hatte, zuckten Annas Mundwinkel kaum merklich. “Sie habe nichts gefunden”, sagte sie, doch wenn er wolle, möge er sich setzen. Sie habe frische Ware aus dem Rauch.
Er setzte sich nicht. Er stand lange in der Stube, als lausche er in die Balken und ging dann ohne weitere Worte. Die Hartmanns hielten an ihrer Rolle fest, der zuvorkommende Wirt und die warmherzige Wirtin, deren Haus selbst bei Sturmschutz bot. Und die Straße antwortete wie Straßenantworten. Sie brachte neue Gesichter, neue Geschichten, neue Koffer, deren Riegel leise knackten, wenn Wilhelm seine Hände daran legte. Manche Gäste reisten am Morgen früh, noch vor dem ersten Ruf des Hahns.
Andere, so sagte man, sah man später in einer Nachbarstadt. Doch niemand konnte sich erinnern, einen jener Reisenden nach Wochen noch einmal die gleiche Strecke ziehen gesehen zu haben, wie es bei Händlern üblich war, die ihre Runden zu festen Zeiten drehten. So webte sich ein unsichtbares Netz aus Gewohnheiten und höflichen Gesten über den Ort.
war ein Netz, das auf Beiläufigkeit beruhte, auf dem Rauch, der immer zu steigen schien, auf der Freundlichkeit, die nie versiegte, auf der Ordnung, die jedes Messer an den richtigen Platz legte. Und während die Blicke der Gäste von den Zintellern zu den schweren Deckenbalken wanderten, blieb das eine unbeachtet, dass jeder hätte sehen können, wenn er denn hätte sehen wollen, dass die Perfektion selbst, wenn sie zu vollkommen ist, fragen gebiert.
Doch wer fragt schon im Warmen, wenn draußen die Heide peitscht und der Schnaps die Adern wärmt? An jenem Winter, als Schnee die Gräben füllte und die Glocken von einer fernen Stadt übergefrorene Luft trugen, sollte der erste Riss im Bild entstehen. Noch ahnte niemand, wie tief er gehen würde. Das Gasthaus summte wie immer, die Pfannen sang und Anna fragte nach Salz und Süße.
Aber in der Nacht, zwischen zwei Windstößen, hörte einem Markt vom Nachbarhof ein Geräusch, das nicht zum Wetter paßte. Kein Knarren, kein Poltern. Eher ein kurzer erstickter Laut wie von jemandem, der ein Wort beginnen und es imselben Atemzug verschlucken mußte. Am Morgen wehte der Rauch süßer als sonst.
Die Magt bekreuzigte sich, obwohl sie evangelisch war, und murmelte ein Gebet, dass sie als Kind von einer katholischen Großmutter gelernt hatte. Das Tal schwieg, der Weg glänzte hart und kalt, und das Räucherhaus atmete weiter, als sei der Winter nur eine längere nahhafte Nacht. Im Februar des Jahres 1874 begann das Schweigen, das sich um das Gasthaus zum Stillen Tal gelegt hatte, Risse zu bekommen.
In der Stadt Münster verzeichnete ein Tuchhändler namens Heinrich Folmer das Verschwinden seines Geschäftspartners Karl Brenner. Brenner war vor zwei Wochen Richtung Köln aufgebrochen, um neue Ware zu liefern und hatte seinen Kollegen aus Münster wissen lassen, daß er im Gasthaus der Hartmanns übernachten wolle.
Ein Ort, wo man ehrlich ist und gut schläft, wie er schrieb. Seitdem war jede Spur von ihm verschwunden. Die Behörden nahmen die Anzeige zögerlich auf. Vermisste Reisende waren nichts ungewöhnliches in dieser Zeit. Räuberbanden trieben sich in den Wäldern um Wuppertal herum und der Rein trat häufig über die Ufer, verschlang Wege und Kutschen. Doch Heinrich Folmer war hartnäckig.
Er reiste selbst nach Norden, klopfte an Türen, sprach mit Postkutschern und Wirten. Überall erhielt er dieselbe Antwort. Karl Brenner war zuletzt in der Gegend zwischen Lüneburg und der Norddeutschen Heide gesehen worden und immer fiel dabei der Name des Gasthauses zum stillen Tal. Als Vollmer schließlich dort ankam, wurde er von Wilhelm Hartmann mit jener gelassenen Höflichkeit empfangen, die dem Mann zu eigen war.
“Ach ja, Herr Brenner”, sagte er und zog das Gästebuch hervor. Er war hier gewiss, ein stiller ordentlicher Mann, hat gegessen, geschlafen und ist vor Morgenrauen weitergereist. Die Eintragung war tadellos. Karl Brenner, Kaufmann auf dem Weg nach Köln. Kein Fleck, kein Zweifel. Vollmann nickte, bezahlte für ein Zimmer und blieb.