Das Ehepaar, das Menschenfleisch servierte – Die Geschichte des Gasthauses zum stillen Tal

Wilhelm machte einen Schritt, als wolle er etwas erwidern, doch seine Worte zerfielen, bevor sie Luft wurden. Anna sah ihn an, kurz, scharf, wie zwei Menschen sich ansehen, die seit Jahren ohne ein Wort ein und denselben Gedanken denken. Dann legte sie die Hände gefaltet vor die Schürze. Gewiss, Herr Doktor, wir wünschen nichts als Recht und Ordnung.

Am nächsten Morgen kehrten Alas und Wrede mit zusätzlichen Männern zurück. Die Nachricht war schneller gereist als ihre Pferde. Vom Amt kamen zwei weitere Gendarmen, ein Gehilfe des Kreisrichters und ein Schreiber mit Tintenfass. Das Gasthaus wirkte nun wie ein stiller Körper unterprüfenden Händen. Man, man öffnete, man verzeichnete. Ihr Hof war voller Fußspuren, doch diesmal nicht jener, die in der Nacht verschwinden, sondern solcher, die bleiben, bis der Regen sie fortspült.

Hinter den Räucherkammern, wo der Boden dunkler war, als es bloßer Rauch erklären konnte, ließ Wrede graben. Zunächst fand man nur Knochen von Schwein, sauber gespalten, fettig vom Rauch. Dann eine Handbreit tiefer, etwas das nicht recht paßte, ein Stück langen Knochens, glatt auf der einen Seite, porös auf der anderen.

Der Amtsarzt kniete, wischte Erdklumpen fort und die Luft zwischen den Männern wurde dünn. “Holen Sie den Pfarrer”, sagte jemand mit heiserer Stimme, obwohl alle wußten, daß der Pfarrer hier nur noch die Lebenden trösten konnte. Wilhelm Hartmann stand daneben und blickte in die Erde, als habe sie ihm plötzlich eine vertraute Sprache verweigert.

Anna Hartmann schloss die Augen und öffnete sie wieder, als müsse sie eine innere Tür fest verriegeln. Der Rauch des Räucherhauses stieg an diesem Tag in einer geraden, starren Säule auf. Er roch anders, schärfer, als wolle er selbst Zeugnis ablegen. Und über den Feldern der Heide, wo die Lärchen sangen, breitete sich eine Stille, in der jedes Wort der Wahrheit weh tat.

Am Abend, als man das Tor verriegelte und einen Gandamm davorstellte, drehte sich Matthias noch einmal um. Das Fachwerk stand schwarz gegen den Himmel, die Fenster blickten dunkel und irgendwo in der Tiefe des Hauses kleise Metall. Es klang wie ein Messer, das ohne Hand an seinem Platz zurückleitet. Dies war nicht das Ende.

Es war der Anfang von allem, was ans Licht gezerrt werden mußte. Am nächsten Morgen lag Nebel über dem Tal wie eine Decke aus schmutzigem Lein. Die Sonne kämpfte sich mühsam durch den grauen Schleier, als die Männer vom Landratsamt erneut zum Gasthaus ritten. Der Boden rund um das Räucherhaus war aufgewühlt, feucht und schwer.

Die Schweine, die sonst laut grunzend um Futter bettelten, lagen seltsam still in ihren Kurben, als hätten sie begriffen, dass etwas in der Luft hing, das kein Tier erklären konnte. Dr. Aas stand mit verschränkten Armen neben dem Brunnen. Seine Stiefel waren voller Schlamm, seine Augen rot von Schlafmangel. “Graben Sie dort weiter”, sagte er mit ruhiger Stimme, die nichts von der Anspannung verriet, die in jedem Muskel seines Gesichts zuckte.

Zwei Männer schaufelten, während Wrede die Umgebung sicherte. Nach kaum einer Viertelstunde stieß eine Schaufel auf etwas Hartes. Es war kein Stein. Das dumpfe Geräusch unterschied sich von dem Klang der Erde als schlüge Metall auf Holz. Der Gendarm kniete nieder, legte den Sparten zur Seite und wischte vorsichtig den Boden frei.

Ein Stück Stoff kam zum Vorschein, ein Ärmel zerrissen mit einem Knopf, der in der Sonne matt schimmerte. Alas beugte sich hinunter. berührte den Stoff mit beharschuften Fingern. “Das ist kein Schweinegewebe”, sagte er leise. Dann nickte er und die Männer gruben weiter. Wenige Minuten später schälte sich aus der Erde ein Skelett, das zweifelsfrei menschlich war. Der Schädel war teilweise zerbrochen, als habe jemand mit stumpfer Gewalt zugeschlagen.

Wilhelm Hartmann stand einige Schritte entfernt, von zwei Gendarmen bewacht. Er sagte nichts. Sein Blick haftete auf der Grube, aber seine Miene zeigte keine Regung. Anna, die neben ihm stand, hob langsam den Kopf. In ihren Augen lag ein Ausdruck, der weder Angst noch Reue war. Eher eine Art Neugier, als betrachte sie das Ergebnis eines Experiments, dessen Ausgang sie längst kannte.

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