Ich wusch die Welt mit meinem Glauben, doch sie blieb rot in meinen Händen. Ich rief nach Licht und fand nur Spiegel. Diese Verse wurden vielfach zitiert. Sie hängen heute auf einer Gedenktafel im Museum von Göpping direkt unter dem alten Portrait von Landrat Komtner. Im Schulunterricht taucht die Geschichte inzwischen regelmäßig auf.
Im Fach, Ethik, im Geschichtsunterricht, in Projekttagen über Verantwortung. Lehrer lassen Schüler die Berichte lesen und fragen: “Wann wird Glaube gefährlich?” Die Antworten sind unterschiedlich, aber fast alle Schüler sagen am Ende dasselbe, wenn niemand mehr widerspricht. Und so lebt die Geschichte weiter in Büchern, auf Bühnen, in Stimmen. Die Klinge ist längst vom Moos überwachsen, aber in ihr halt noch etwas nach.
Nicht das Böse selbst, sondern die Erinnerung daran, dass das Böse nicht schreit, sondern betet. Im 21. Jahrhundert wurde der Name Göring zu einem Begriff, der weit über Historie und Kultur hinausreichte. Er tauchte in politischen Diskussionen, in Talkshows, in philosophischen Essays auf, wenn es um den Ursprung des Fanatismus ging, religiös, ideologisch oder national.
Die Geschichte der Görings wurde zum Symbol eines Denkens, das Reinheit über Menschlichkeit stellt. Der Philosoph Klaus Bremer schrieb in seinem Essay weiße Gift: “Jede Bewegung, die das Reine sucht, sucht am Ende den Tod, denn das Leben selbst ist unrein, durchmischt, widersprüchlich.
” Elisabeth Göring ist nicht nur eine Figur des 19. Jahrhunderts, sie ist der Schatten jeder Idee, die sich für vollkommen hält. In den politischen Reden der Gegenwart tauchte ihr Name immer wieder als warnendes Beispiel auf. Ein Abgeordneter des Bundestags zitierte im Jahr 2038 in einer Debatte über religiösen Extremismus: “Das Böse beginnt dort, wo Zweifel aufhört.
” Die Worte stammten ursprünglich von Landrat Komptner, aber sie klangen nun wie eine Lehre an die Gegenwart. Journalisten verwendeten die Bezeichnung Göring Komplex, um Bewegungen zu beschreiben, die sich in ihrer moralischen Überzeugung selbst vergiften. Die Presse schrieb über digitale Gemeinschaften, die sich in abgeschotteten Foren gegenseitig in eine Idee hineinsteigerten, bis sie jedes Außen als Feind sahen.
Man sagte, die Klinge der Görings sei kein Ort mehr im Wald, sondern im Kopf, dort, wo die Vernunft schweigt und der Glaube zu reden beginnt. In einer Fernsehsendung über Populismus sagte die Soziologin Mira Halt, der Fallgöring sei die erste deutsche Parabel über die Diktatur des Rhein. Sie erklärte, was damals eine Familie tat, tut heute manchmal eine ganze Gesellschaft.
Wir bauen Mauern, nennen sie Prinzipien und nennen Ausgrenzung Reinheit. Ihre Worte fanden Resonanz in der Wochenzeitung. Die Zeit erschien ein Leitartikel unter dem Titel Die Reinheit, die tötet. Darin hieß es: Elisabeth Göring war keine Teufelin, sie war ein Spiegel. Wer glaubt, im Besitz der Wahrheit zu sein, schaut irgendwann in denselben Spiegel und sieht nicht mehr sich selbst.
An Universitäten wurde das Thema Teil der politischen Bildung. Studenten diskutierten über die Parallelen zwischen der religiösen Selbstisolation der Görings und der ideologischen Abschottung moderner Bewegung. Der Vergleich war unbequem, aber er zeigte, dass die Geschichte aus den Archiven herausgetreten war und zu einer moralischen Instanz geworden war.
In Talkshows sprach man vom Alpkomplex, ein Begriff für jene gefährliche Mischung aus Angst, Glaube und Selbstrechtfertigung, die Menschen zu Tätern macht. Ein Historiker fasste es so zusammen. Die Görings zeigen uns, wie das Böse entsteht. Nicht aus Hass, sondern aus Liebe, die zu eng geworden ist. Im Jahr 2039 wurde in Berlin ein Denkmal eingeweiht, kein großes, sondern ein stilles.
Es steht im Hof des Deutschen historischen Museums und trägt keine Statue, keine Inschrift, außer einem Satz in Stein gemeißelt. Reinheit ist keine Tugend. Bei der Eröffnung sprach Bundespräsidentin Hanna Stürmer über den Sinn des Denkmals. Wir gedenken heute nicht den Tätern, sondern der Versuchung. Die Versuchung recht zu haben, ohne zu fragen.