Peterson war zuletzt gesehen worden, als er in einem Wirmenkirch erzählte, er wolle die Höfe oben am Hang noch beliefern, bevor er heimhre. Das bedeutete, er war auf demselben Weg gewesen wie alle anderen. Diesmal aber würde Kommtner nicht schweigen.
Die Nachricht vom Verschwinden des Hausierers Eduard Petersen verbreitete sich schnell. Er war kein namenloser Wanderer, kein Fremder, der zufällig in die Berge geraten war. Er hatte Freunde, Kunden, eine Familie in Stuttgart, die ihn erwartete. Und er hatte Verbindungen. Sein Arbeitgeber drängte auf Antworten. Seine Frau schrieb an das Innenministerium in Karlsruhe. Der Druck auf Landrat Komtner wuchs.
Er organisierte Suchtrups, ließ Bauern, Waldarbeiter und zwei Gendarmen zusamment trommeln. Tagelang durchkämten sie die Hänge oberhalb von Donsdorf, suchten an alten Erzstollen, durchforsteten Schluchten, in denen das Wasser toaste. Doch die Frühlingsregen hatten jede Spur weggespült.
Peterson blieb verschwunden, als wäre er vom Erdboden verschluckt. Dann, Anfang Juni, erschien ein junger Postboot im Büro des Landrats. Thomas Brenner hieß er, 22 Jahre alt, neu im Dienst. Nervös stand er vor Komptner, hielt seine Mütze in den Händen und sprach mit zögernder Stimme.
Er erzählte, dass seine Route ihn einmal wöchentlich an der Göringsklinge vorbeiführte. Gewöhnlich legte er die Post für die Familie in eine alte Holzkiste am Wegesrand, denn niemand duldete Fremde auf dem Hof. Doch in der Woche zuvor hatte er den jüngsten Sohn Benedikt am Zaun gesehen und auf dessen Kopf, das Schworbrenner, habe der Mann einen braunen Filzhut getragen, exakt wie der, den Peterson immer trug. Komt hob den Kopf. “Sind Sie sicher?”, fragte er.
Brenner nickte. “Ganz sicher, Herr Landrat. Ich habe ihn selbst gesehen, als Peterson im Frühjahr durchs Tal kam. Der Hut war eigenartig. Feines Filz, eine dunkle Krempe, eine schwarze Schleife. Solche sieht man selten. Komt ließ sich eine Fotografie von Petersens Familie bringen. Brenner zeigte auf den Hut, ohne zu zögern.
Zum ersten Mal seit 14 Jahren hatte Komtner etwas in der Hand, das über Gerüchte hinausging. Ein Stück Beweis, klein, aber greifbar. Es war Zeit zu handeln. In der Nacht bereitete er alles vor. Er schrieb einen Bericht an den Bezirksrichter, ließ sich mündlich die Erlaubnis zu einer Hausdurchsuchung geben und suchte sechs Männer aus, auf die er sich verlassen konnte.
Alte Gendarmen, zwei Förster, einen Müller aus Lauterstein, Männer, die schweigen konnten. Noch Vorsonnenaufgang des 15. Juni 1912 brachen sie auf. Der Himmel war grau, die Luft feucht und das Schnauben der Pferde halte zwischen den Bäumen wieder. Kein Wort wurde gesprochen. Jeder wußte, daß dies kein gewöhnlicher Einsatz war. Als sie die Lichtung erreichten, stand der Rauch aus dem Schornstein der Görings bereits in der kalten Luft.
Die drei Brüder traten aus dem Haus schweigend, dicht nebeneinander. Hinter ihnen erschien Elisabeth Göring in schwarz gekleidet, das Gesicht unbewegt wie aus Stein. Kombner stieg vom Pferd. Frau Göring”, sagte er laut, “ich habe Grund zur Annahme, daß ein Mann Edward Petersen aus Stuttgart hier gewesen ist und nicht mehr fortging.
Ich habe Anordnung, ihr Anwesen zu durchsuchen.” Die Söhne rührten sich nicht. Nur Elisabeth trat einen Schritt vor. Ihre Stimme war ruhig, fast freundlich. “Sie werden hier nichts finden, Herr Landrat. Wir haben nichts verbrochen. Doch wenn Sie meinen, Gott führe sie, dann suchen Sie. Komtner nickte seinen Männern zu.
Zwei blieben bei der Familie, vier begannen mit der Durchsuchung. Kaum 20 Minuten später rief einer der Gendarm: “Hinter dem Räucherhaus, dort wo der Boden weich war, hatte der Regen ein Stück stoffrei gespült. Die Männer begannen zu graben. Kaum eine halbe Elle tief fanden sie, was übrig geblieben war von Edward Petersen.
Der Anzug war zerfetzt, das Fleisch vergang, doch in der Jackentasche steckte noch eine Visitenkarte mit seinem Namen. Neben dem Körper lag ein brauner Filzhut, durchfeuchtet, aber unverkennbar. Kombtner stand still, den Hut in der Hand. Die Stille, die über die Lichtung fiel, war schwer wie Stein. Dann drehte er sich zu Elisabeth um.