Die Makabre Geschichte der Familie von Kamper und ihre Verbotenen S3xuellen Praktiken-Teil 2

Die Fenster waren gefroren und die Luft schmeckte nach Metall. Victoria lag im Bett, bleich, mit geschlossenen Augen. Sie atmete, aber kaum. Eleonore setzte sich neben sie, legte die Hand auf ihre Stirn. “Kalt! “Bitte wach auf”, flüsterte sie. Da öffnete Victoria die Augen. Grün, klar, fremd. Er hat mich gewählt. Jetzt schläft er in mir und du wirst bleiben, bis er spricht.

Nein, sagte Elonor, ich lasse dich nicht in diesem Haus sterben. Victoria lächelte müde und wissend. Man stirbt hier nicht. Man wurzelt. Draußen begann es zu schneien, stärker, dichter, als wolle der Himmel selbst das Land begraben. Eleonore hörte ein fernes Singen: “Stimmen, die von unten kam aus der Erde.

” Sie klangen wie Kinderlieder, doch die Worte waren alt, älter als Sprache. Sie stand auf, ging ans Fenster. Im Schnee bewegte sich etwas, eine Gestalt, klein, leicht, Beatrix. Das Kind ging barfuß über den gefrorenen Boden. Das weiße Kleid flatterte, als wäre es aus Rauch. Eleonore riss die Tür auf und rannte hinaus. Die Kälte schnitt wie Glas in ihre Haut.

Sie stolperte durch den Schnee, rief den Namen des Mädchens, aber Beatrix blieb stehen, drehte sich langsam um. Ihr Gesicht war ruhig, ihre Lippen blau. “Er hat mich nicht genommen”, sagte sie. “Er hat mich behalten.” Dann löste sie sich auf. Kein Blut, kein Schrei, nur Schnee, der zu Boden fiel, als hätte der Wind sie fortgetragen. Elonor sank in die Knie.

Der Himmel war grau, der Atem stand in der Luft und hinter ihr, ganz nah hörte sie das Flüstern wieder. “Du hast ihn gesehen, jetzt bist du sein Spiegel.” Sie drehte sich um. “Nichts, nur der Schnee, der fiel.” Als sie ins Haus zurückkehrte, war das Feuer erloschen, der Salon leer.

Auf dem Klavier lag eine neue Seite aus dem Buch des Freiherrn. Nur ein Satz: Der Winter gehört uns.” Eleonore setzte sich und schrieb in ihr Notizbuch mit zitternder Hand: “Wenn der Schnee fällt, erwacht er und ich bin die letzte, die ihn noch hört.” Dann schloss sie die Augen und für einen Moment glaubte sie, dass die Stimmen verstummten, doch sie irrte, denn das Haus summte leise, gleichmäßig wie ein Herz, das weiterschlägt, lange, nachdem sein Besitzer aufgehört hat zu atmen.

Der Schnee hörte drei Tage und drei Nächte nicht auf. Die Welt war weiß und still, als hätte jemand sie ausgelöscht und nur das gut Kamper übrig gelassen. Die Fenster waren von Eisblumen überwachsen und in den Korridoren hing Frost in dünnen Fäden wie Spinnennetze aus Glas. Eleonore wachte in der Dämmerung auf, ohne zu wissen, ob es morgen oder Abend war.

Ihr Atem bildete kleine Wolken und aus der Ferne kam ein leises rhythmisches Scharn wie Schritte im Keller. Sie wickelte sich in eine Decke und ging hinunter. Der Wind pfiff durch Ritzen und das Haus ächtzte in seinen Balken. In der Kapelle brannte eine einzelne Kerze. Auf dem Altar stand ein Kranz aus getrocknetem Moos und roten Bändern.

Daneben lag das Buch des Freiherrn aufgeschlagen. Neue Zeilen waren darin erschienen in einer Schrift, die nicht ihre war. Das Haus ist der Körper, die Wurzeln sind die Nerven und der Schnee ist das Gedächtnis. Elonore spürte, dass das Haus lebte, dass jeder Atemzug, jede Bewegung darin Teil eines größeren Organismus war. Der Gedanke war so deutlich, daß sie unwillkürlich flüsterte.

Wo bist du? Und das Haus antwortete nicht mit Worten, sondern mit einem dumpfen Laut aus den Mauern, als würde Stein atmen. Sie floh in den Salon, zitternd und fand Victoria dort. Sie stand am Fenster, barfuß, das Kleid dünn wie Nebel. “Er ruft dich auch, nicht wahr”, sagte sie.

Ich höre ihn nicht, flüsterte Eleonor. Dann hör genauer. Victoria drehte den Kopf und in ihren Augen spiegelte sich der Schnee. Er flüstert in allem, was still ist. In der Kälte, im Glas, im Atem. Du bist schon Teil von ihm. Elonor schüttelte den Kopf. Ich will fort, Victoria. Ich muss fort. Fort. Victoria lächelte schwach. Man geht nicht fort von sich selbst. Das Haus ist jetzt in dir.

Draußen fiel der Schnee dichter und in der Ferne heulte ein Wolf. Doch es war kein Tierlaut, sondern etwas Menschliches, gebrochen wie ein Wein. Eleonore trat ans Fenster und für einen Herzschlag glaubte sie Gestalten im Sturm zu sehen. Menschen halb verdeckt, in langen Mänteln, mit leeren Gesichtern.

Schatten, die langsam in Richtung des Hauses schritten. Sie wandte sich an Victoria. Siehst du das? Sie kommen jedes Jahr, wenn der Schnee das Dach bedeckt. Vater nannte sie die Rückkehrer. Sie bringen die Erinnerung zurück. Eleonora rannte zur Tür, doch sie ließ sich nicht öffnen. Das Holz war gefroren, fest wie Stein.

Das Klopfen begann schwach zuerst, dann stärker, regelmäßig, als würde jemand mit den Knöcheln an die Wände schlagen, überall zugleich. Victoria sank auf die Knie und begann zu flüstern, Worte, die Eleonore nicht verstand. Das Klopfen wurde lauter, dann fiel plötzlich Stille, nur der Wind blieb. Sie sind im Haus”, sagte Victoria. Ein kalter Hauch strich durch den Raum. Im Spiegel über dem Kamin bildete sich langsam ein Bild, eine Prozession.

Männer, Frauen, Kinder, alle in weiß, mit geschlossenen Augen, in der Mitte der Freiher, lebendig, aber anders. Seine Haut war grau, die Lippenblut leer. Er hielt ein Buch in der Hand und seine Stimme klang aus dem Spiegel. Das Gedächtnis vergisst nie und Reinheit hat keine Jahreszeit. Victoria stand auf. Er will dich sehen sagte sie.

Nein, du bist die letzte, die noch sprechen kann. Wenn du schweigst, stirbt das Haus. Elonord trat einen Schritt zurück. Der Spiegel bebte und aus seinem Glas tropfte Wasser. Es floss über den Rahmen, sammelte sich auf dem Boden und bildete Lache, die nach Erde roch. Plötzlich griff eine Hand aus dem Spiegel. Weiß, schmal, kalt.

Sie packte Elonora am Handgelenk und für einen Moment sah sie in ein anderes Zimmer. Dasselbe Haus, aber alt, zerfallen, ohne Licht. In den Ecken standen Schatten, die sich bewegten, und aus der Tiefe rief eine Stimme sanft, vertraut: “Komm heim!” Elleonore riss sich los, fiel zu Boden, das Herz hämmernd. Der Spiegel war wieder glatt, leer.

Nur ihr eigenes Gesicht blickte zurück und hinter ihr im Glas stand die Freifrau Margarete mit einem Lächeln, das kein Leben kannte. Warum bist du zurückgekommen?”, flüsterte Eleonor. “Weil niemand das Haus verläßt, solange es sich erinnert.” Ein dumpfer Schlag ließ die Kerzen flackern. Irgendwo über ihnen brach Holz. Schnee rieselte durch Ritzen. Victoria hob den Kopf. Er kommt. Wer? Der Hüter. Der Schnee trägt ihn.

Sie liefen in den Korridor, doch überall öffneten sich Türen von selbst. Aus den Zimmern trat kalter Dampf und in jedem Fenster spiegelten sich Gesichter, die nicht mehr lebten. Im großen Salon fiel das Feuer im Kamin in sich zusammen. Eine schwarze Gestalt trat aus dem Rauch, groß, formlos, aber mit Augen, die leuchteten wie glühendes Moos. Der Hüter.

Eleonore wollte schreien, doch kein Laut kam heraus. Der Schatten hob die Hand und alle Uhren im Haus begannen gleichzeitig zu schlagen. Mal. Dann sprach er: “Nicht laut, sondern direkt in ihr. Du bist der Mund, der mich nennt. Du wirst das Gedächtnis tragen.” Victoria fiel zu Boden, bewusstlos. Eleonore stand, starr, unfähig, sich zu bewegen.

Der Hüter trat näher, seine Gestalt warte, als bestünde sie aus kaltem Nebel. Warum ich? Flüsterte sie. Weil du geglaubt hast, helfen zu können. Seine Hand berührte ihre Stirn. Kälte, tiefer als Schmerz, drang in sie. Für einen Moment sah sie alles, das Haus, die Generation, den Wald, der älter war als die Menschen.

Und sie verstand, der Hüter war kein Dämon, sondern Erinnerung selbst, die Summe aller, die jemals in diesen Mauern lebten und starben. Als sie zu Boden sank, war das letzte, was sie hörte, das Flüstern des Schnees. Jetzt bist du das Haus, dann erlosch das Licht. Als Elonore wieder zu sich kam, war alles still.

Kein Wind, kein Knarren, kein Atem, nur Stille, die wie Schnee im Innern lag. Sie lag auf dem Boden des Salons, das Gesicht gegen das kalte Holz gepresst. Der Kamin war erloschen, die Luft schmeckte nach Ruß und Metall. Langsam richtete sie sich auf, ihre Hände zitterten, doch sie fühlte keine Kälte mehr. Im Gegenteil, das Haus warm. wie ein lebender Körper.

Sie hörte ein leises Pochen in den Wänden, regelmäßig, langsam, ein Herzschlag. Ihr Herzschlag. Sie wusste es. Der Hüter war nicht mehr im Keller, er war in ihr. Victoria lag am Boden, bleich, aber lebendig. Eleonore kniete neben ihr. Victoria, wach auf.

Das Mädchen öffnete die Augen und für einen Moment sah Eleonore Hoffnung in ihn. Dann erkannte sie den Fehler. Die Pupillen waren schwarz, weit ohne Licht. “Er schläft jetzt”, sagte Victoria, “aber wenn er aufwacht, wird er durch dich sprechen.” Eleonore stand auf, taumelnd: “Nein, ich bin kein Gefäß, ich bin kein Werkzeug.” Sie ging durch den Flur vorbei an Spiegeln, deren Glas wie Wasser flimmerte.

Aus jedem Spiegel blickte sie sich selbst an, doch in jedem Gesicht fehlte etwas. Ein Auge, ein Mund, ein Schatten. Im Arbeitszimmer des Freiherrn stand das Buch offen auf der letzten Seite. Neue Schriftzüge zeichneten sich von selbst, langsam, als schriebe eine unsichtbare Hand. Das Gedächtnis atmet durch Fleisch. Wer schreibt erinnert. Eleonor griff nach der Feder.

Sie wollte das Buch schließen, aber ihre Finger gehorchten nicht. Stattdessen begann sie zu schreiben Zeilen, die sie nicht verstand. Worte, die nach Erde schmeckten, Namen, viele Namen, Namen, die ihr nie begegnet waren und doch vertraut klangen. Beatrix, Margarete, Edmund, Victoria und zuletzt Elonor. Als der letzte Buchstabe stand, fiel die Feder aus ihrer Hand. Der Tisch bebte leicht, als ob etwas darunter lebte.

Sie ging rückwärts, das Herz rasend. Der Wind schlug ein Fenster auf und Schnee wehte herein. Die Flocken schmolzen nicht. Sie blieben auf dem Boden liegen, formreise, Linien, Symbole. Der Hüter schrieb weiter: “Nur diesmal mit Eis: “Bleib!” Eleonore rannte die Treppe hinunter durch den Flur vorbei an den Toten Uhren. Ihre Schritte halten wie Schläge.

Die Haustür war verschlossen. Sie schlug dagegen wieder und wieder, bis ihre Hände bluteten. Dann öffnete sie sich langsam von selbst. Draußen, der Wald weiß, endlos. Kein Weg, keine Spuren. Sie trat hinaus. Der Schnee reicht ihr bis zur Hüfte. Der Himmel war bleiern. Sie ging Schritt für Schritt, bis das Haus hinter ihr verschwand.

Der Wind sang, aber es war kein Wind, es war ein Chor. Erinnerung, Erinnerung, Erinnerung. Sie hielt sich die Ohren zu, aber die Stimmen kamen von innen. Jeder Baum trug Gesichter im Eis und jedes Gesicht kannte sie. Victoria, Margarete, Beatrix und sie selbst. Sie lief weiter, bis ihre Beine nachgaben. Sie fiel in den Schnee, atmete schwer.

Über ihr öffnete sich der Himmel und durch das Grau brach ein fahles Licht. Darin sah sie das Haus, weit entfernt, riesig, atmend, als hätte es Wurzeln, die sich unter der Erde ausbreiteten. Ein Schatten zog über sie hinweg, groß, formslos. “Du bist nicht fort, du bist das Haus.” Sie schloos die Augen. Als sie sie wieder öffnete, stand sie im Salon. Der Schnee war fort, die Kerzen brannten.

Auf dem Klavier spielte jemand eine leise Melodie, dieselbe, die sie in der ersten Nacht gehört hatte. Sie ging näher. Beatriich saß dort ganz in weiß. Die Finger bewegten sich ruhig über die Tasten. “Du bist wieder da”, sagte sie, ohne aufzusehen. “Ich habe dich vermisst. Was ist das hier? fragte Eleonor.

Es ist Erinnerung, sagte das Kind. “Und bist der Ton, der bleibt.” Der Spiegel über dem Kamin zeigte nicht mehr das Zimmer, sondern den Wald. Schnee fiel in das Glas und zwischen den Bäumen standen Schatten. Reglos, wartend. Eleonore sah hinein, bis ihre Augen zu brennen begannen. Dann flüsterte sie: “Wenn ich das Haus bin, werde ich wachen.” Und der Hüter antwortete aus den Wänden: “Dann wirst du ewig leben.

” Die Uhren begannen wieder zu gehen. Langsam, gleichmäßig, 13 Schläge, immer 13. Danach war nur noch Stille, die sich anfühlte wie Schlaf. Doch das Haus träumte und träumte sie. Der Frühling kam nicht. Der Schnee blieb liegen wie eingefrorene Zeit. Die Sonne schien, aber sie wärmte nichts.

Das gut Kamper lag still in einer endlosen Helligkeit, die an vergessen erinnerte. Eleonore wusste nicht mehr, wie viele Tage vergangen waren, seit sie das erste Mal das Flüstern gehört hatte. Sie schrieb, aß schlief, doch alles geschah, als gehörte es jemand anderem. Das Haus sprach zu ihr, nicht mit Worten, sondern mit Bildern, in den Spiegeln, in den Schatten, im Klang der Schritte.

Wenn sie nachts die Augen schloß, sah sie Szenen, die nicht ihre waren. Kinder, die lachten, Frauen, die an Spinnrädern saßen, Männer mit Laternen, die in den Wald gingen und nie zurückkehrten. Und jedes Mal, wenn sie erwachte, wusste sie, dass all diese Menschen im Haus weiterlebten, irgendwo zwischen Stein und Holz.

Eines Nachts hörte sie ein Geräusch aus dem alten Ostflügel, eine Tür, die sich öffnete, langsam, vorsichtig. Sie nahm eine Kerze und ging dem Laut nach. Der Flur war leer, aber die Luft warm, schwer von Geruch nach Harz und Erde. Am Ende des Ganges stand die Tür zum Arbeitszimmer des Freiherrn offen. Drinnen saß Victoria. Sie trug das Kleid der Mutter.

zu groß, aber unversehrt. Vor ihr auf dem Tisch lag das Buch. Es war geschlossen. “Er ist still”, sagte Victoria, ohne aufzusehen. “Seit du schreibst, spricht er nicht mehr. Du bist sein Atem geworden.” “Ich will das nicht”, flüsterte Elonor. Wollen hat hier keinen Wert. Victoria stand auf, trat Fenster.

“Siehst du den Wald? Er bewegt sich.” Eleonore trat neben sie. Tatsächlich, der Wald wogte. Nicht der Wind bewegte die Zweige, sondern etwas darunter, tief im Boden. Linien wie Schatten von Wurzeln breiteten sich über den Schnee aus, immer näher, bis sie das Fundament des Hauses berührten. “Er wächst”, sagte Victoria ruhig.

Und wenn er das ganze Land bedeckt, wird niemand mehr vergessen. Alles wird Erinnerung sein. Das ist Wahnsinn, sagte Elonor, trat zurück. Wir müssen fort. Fort, wiederholte Victoria und ihr Lächeln war müde. Wohin geht man, wenn das Gedächtnis die Erde selbst ist? Ein dumpfer Laut kam von draußen, wie das Reißen von Holz.

Das Haus bebte, Staub fiel von der Decke. Aus der Richtung des Gartens kam Licht, grün, pulsierend, unnatürlich. Eleonore rannte hinaus. Victoria folgte ihr. Im Schnee hatte sich etwas geöffnet. Ein Kreis aus nackter Erde, mitten zwischen den Fichten. In seiner Mitte stand etwas, das wie ein Herz aussah, groß wie ein Steinbecken, aus Wurzeln und Fleisch geformt. Es schlug.

Mit jedem Schlag bebte der Boden und aus der Erde stieg Dampf auf, süß und faul zugleich. “Das ist er”, flüsterte Victoria. “Der Kern, das Gedächtnis des Waldes.” “Das ist Krankheit”, sagte Eleonore und machte einen Schritt nach vorn. “Es ist Erinnerung”, erwiderte Victoria. “Alles, was stirbt, wird hier aufbewahrt.” Elonore hob den Blick zum Himmel.

Kein Vogel flog, kein Laut kam aus der Ferne, nur das Pochen, regelmäßig, langsam. Sie sah Beatrix am Rand des Kreises stehen. Das Kind war nicht älter geworden. “Warum bist du hier?”, fragte Eleonor. “Ich war nie fort”, sagte Beatrix. “Ich bin was du verlierst, wenn du schläfst.

” Eleonore griff nach ihr, doch die Hand glitt durch Luft. Der Schnee unter Beatrixs Füßen dampfte. Er will nicht mehr schlafen, sagte das Kind. Er will sich erinnern. Dann begann die Erde zu beben. Wurzeln schoben sich aus dem Boden, schwarz, glänzend wie Adern. Sie krochen über den Schnee, über den Stein, über die Mauern des Hauses.

Jede Wurzel trug Gesichter, stumm, verzerrt, doch lebendig. Die Gesichter derer, die hier gelebt hatten, die Diener, Margarete, der Freiher. Und Eleonore sah, dass eines der Gesichter ihr eigenes war. Nein, schrie sie. Ich bin nicht Teil davon. Du bist das Gedächtnis, sagte Victoria leise, und das Gedächtnis vergisst niemanden. Der Wind erhob sich heulend und der Himmel brach auf.

Aus dem Licht fielen keine Schneeflocken, sondern Asche. Sie brannte nicht, sie kühlte. Jede Flocke, die Eleonore berührte, zeigte ihr ein Bild, ein Gesicht, ein Lachen, ein Schmerz. Jahrhunderte. Wenn du gehst, bleibt es stumm, sagte Victoria. Wenn du bleibst, wird es leben. Ich will nicht leben in etwas, das alles verschlingt. Dann stirb und werde Erinnerung.

Die Wurzeln griffen nach ihr, zogen sie in den Kreis. Der Schnee schmolz, die Erde warm, fast sanft. Sie sah noch, wie Victoria die Hände faltete. Dann schloss sich der Boden. Alles wurde schwarz. Dann kam Licht. Kein irdisches Licht, sondern das matte, endlose Leuchten der Erinnerung.

Stimmen flüsterten und sie erkannte sie alle. Die Kinder, die Mutter, den Freiherrn, den Hüter, sie selbst. “Du bist nicht verloren”, sagte die Stimme. “Du bist das Haus, das sich erinnert.” Und Eleonore verstand, dass das Gut Kamper nie gestorben war. Es lebte, weil es erinnern konnte. Und jetzt erinnerte es sich durch sie. Der Schnee fiel weiter, doch diesmal war er klar, durchsichtig, fast lebendig.

Jede Flocke trug eine Stimme. Die Standuhr im Haus schlug 13ehm und dann noch einmal. Es war keine Nacht und kein Tag mehr. Das Licht über dem gut Kamper war gleichmäßig und farblos, wie der Atem eines schlafenden Gottes. Die Welt stand still.

Aus der Erde ragten die Wurzeln, verknotet, glänzend, durchzogen von etwas, das pulsierte. nicht Blut, sondern Erinnerung. Eleonore wußte nicht, wie lange sie dort lag, unter der dünnen Schicht Schnee, die sie ein Leichentuch bedeckte. Sie spürte den Rhythmus der Erde, das Pochen des Hüters und jedes Mal, wenn er schlug, sah sie Bilder, als wären sie Träume aus einem fremden Leben.

Einmal war sie ein Kind, das über den Hof lief, barfuß, lachend, mit einem Korb voll Äpfel. Dann war sie die Freifrau am Fenster stick die Lippen zu einem Gebet geformt, dass sie nicht verstand. Dann der Freiherr im Labor, die Hand über einem Herz aus Glas und dann wieder sie selbst, die Gouvernante, die glaubte, Ordnung in ein Haus bringen zu können, das älter war als die Vernunft.

Alles war sie und nichts war wirklich. Sie öffnete die Augen. Über ihr hing der Himmel, grau und glatt wie Metall. Das Haus stand noch unversehrt, aber verändert. Die Mauern atmeten, die Fenster zuckten, als blickten sie. Rauch stieg aus keinem Schornstein und doch war Wärme in der Luft.

Der Schnee war zu eis geworden, durchsichtig, als hätte sich die Zeit darin verfangen. Sie erhob sich langsam, schwer, als gehöre der Körper nicht ihr. Ihre Schritte halten auf dem gefrorenen Boden und jeder Schritt brachte ein Echo hervor. Das Echo vergangener Schritte. Die Erinnerung an gehen. Das Haus wartete. Sie wusste es. Die Tür öffnete sich, ohne dass sie sie berührte.

Im Flur war alles wie es war und doch nicht. Die Portraits der Ahnen blickten ihr nach, ihre Augen glüht schwach. Die Uhren tickten imselben Takt wie ihr Herz. In der Kapelle brannten Kerzen, obwohl niemand sie entzündet hatte. Auf dem Altar lag das Buch geschlossen. Einmal noch. Sie trat näher, legte die Hand auf das Leder. Es war warm.

Unter ihren Fingern begann es zu zittern. Eine Stimme flüsterte aus den Seiten. “Du bist fast fertig.” “Was soll ich tun?”, fragte sie. “Schreib den letzten Namen.” “Wessen Namen?” “Den, der nach dir kommt.” Sie zögerte. Der Gedanke war so klar, dass er weh tat. Das Haus würde weiterleben, wie es immer getan hatte.

Und um zu leben, brauchte es Erinnerung, ein neues Gedächtnis, eine neue Stimme. “Nein”, sagte sie. Ich beende es. Man beendet kein Gedächtnis. Man fügt sich hinzu. Die Kerzen flackerten. Der Raum roch nach Asche und Eisen. Eleonore schlug das Buch auf. Die letzte Seite war leer. Sie griff nach der Feder, doch diesmal gehörte die Bewegung ihr.

Sie schrieb nicht aus Zwang, sondern aus Wille. Die Feder kratzte über das Papier und das Geräusch klang wie Regen. Hier endet das Haus Kamper. Als der Satz stand, bebte das Buch. Die Flamme der Kerzen erlosch. Draußen begann der Wind zu singen. Kein Heulen, kein Klagen. Ein Lied, leise, klar, fast schön.

Der Schnee löste sich. Tropfen fielen von den Dachrinnen und das Eis brach mit einem Laut, der an Seufzen erinnerte. Sie sah Victoria im Türrahmen stehen. Ihr Gesicht war ruhig, die Augen wieder menschlich. “Er schläft”, sagte sie, “Zum ersten Mal seit Jahrhunderten. Wird er wieder erwachen.

Nur wenn jemand ihn ruft.” Elonore nickte. “Dann darf niemand mehr bleiben.” “Ich gehe nicht”, flüsterte Victoria. “Ich gehöre ihm.” “Aber du, du kannst gehen.” Elonore trat hinaus in den Hof. Der Schnee war fort, die Erde weich und der Himmel begann, Farbe zu bekommen. Zum ersten Mal seit Monaten roch die Luft nach Frühling.

Doch im Boden unter ihren Füßen vibrierte noch das leise Pochen, als würde das Haus im Traum weiteratmen. Am Waldrand stand Beatrix. Sie sah aus wie ein Schatten im Licht, durchsichtig, aber friedlich. “Wirst du vergessen?”, fragte sie. Ich werde mich erinnern”, sagte Eleonor, “aber ich werde nicht mehr sprechen.” Beatrix nickte, “Dann wird es still sein.

” Ein Vogel flog auf, der erste seit langer Zeit. Sein Schrei war hell und der Himmel öffnete sich. Eleonore ging den Fahr hinunter, Schritt für Schritt, bis das Haus hinter ihr verschwand. Kein Flüstern, kein Ruf folgte ihr, nur Wind. Doch als sie das Tal erreichte, hörte sie aus der Ferne den Klang einer Uhr.

13ehn Schläge, langsam, müde und danach nichts. Sie wusste, dass das Gut Kamper noch da war, aber es schlief und sie war endlich wach. Die Sonne stieg über den Horizont, blass wie ein altes Gemälde. Der bayerische Wald lag still und in seinem Herzen schlummerte das Gutkamper. Verborgen, vergessen, aber lebendig.

Eleonor ging den schmalen Fad entlang, der aus dem Tal hinausführte. Ihre Schritte hinterließen keine Spuren, als hätte der Boden beschlossen, sie nicht zu erinnern. Der Wind trug den Duft von feuchter Erde, jungem Moos und Rauch. Sie wußte nicht, wohin sie ging, nur daß sie fortging. Jeder Schritt fühlte sich an wie ein Abschied von etwas, das nicht sterben konnte.

Nach Stunden oder Tagen, Zeit war bedeutungslos geworden, erreichte sie ein kleines Dorf. Es lag zwischen Hügeln eingehüllt in Morgennebel. Kinder spielten vor den Häusern, Hunde bellten und irgendwo klang eine Glocke. Eleonore blieb am Rand stehen, unsicher, ob sie hinein durfte. Sie hatte das Gefühl, der Schnee des Hauses klebe noch an ihr, unsichtbar, aber spürbar.

Ein alter Mann mit einer Schaufel kam ihr entgegen. Sein Gesicht war von Falten durchzogen, seine Augen klar. “Guten Tag, Fremde”, sagte er. Woher kommen Sie? Sie zögerte von oben? Vom Wald. Der Mann blickte auf. Vom Kamperwald? Ja, flüsterte sie. Er zog die Mütze vom Kopf, als hätte sie etwas Heiliges gesagt. Dort geht niemand hin.

Seit die alte Familie verschwunden ist, liegt das Land brach. Die Leute sagen, der Boden dort hört zu. Wenn man flucht, trägt er es weiter. Wenn man betet, behält er es. Eleonore senkte den Blick. “Dann darf ich wohl nicht bleiben.” “Bleiben Sie ruhig”, sagte der Alte sanft. “Wer den Wald überlebt, ist willkommen.

Kommen Sie, es gibt Suppe.” Er führte sie zu einem kleinen Haus am Rand des Dorfes. Drin brach es nach Kräutern und Asche. Eine Frau brachte ihr Brot und Tee. Eleonora A, langsam, fast misstrauisch. Der Geschmack war echt warm, menschlich. Sie weinte still. “Wie heißen Sie?”, fragte die Frau. Eleonora öffnete den Mund, doch kein Wort kam heraus. Ihr Name war fort.

Sie sah auf ihre Hände, blass, schmal, aber nicht mehr kalt. Sie lächelte schwach. “Ich weiß es nicht mehr.” Die Frau nickte. “Dann geben wir ihnen einen neuen. Wie wäre es mit Helen?”, “Ein Name für Neubeginn? Helen, der Klang war fremd und doch vertraut. Sie nickte. Ja, Helen. In den folgenden Tagen blieb sie im Dorf.

Sie half den Menschen, nähte, schrieb Briefe für jene, die nicht schreiben konnten. Niemand fragte mehr nach ihrer Vergangenheit. Doch manchmal, wenn der Wind aus Norden kam, brachte er einen leisen Ton mit sich, das ferne Schlagen, einer Uhr. 13 mal. Nachts träumte sie vom Haus, vom Flur, vom Licht, vom Klang der Schritte, aber das Haus war ruhig. Es wartete.

Einmal sah sie Beatrix im Traum, wie sie im Garten stand, das Kleid weiß, das Gesicht friedlich. “Du hast uns schlafen gelegt”, sagte sie. “aber Träume enden nie.” Elen Elonor wachte auf, das Herz schwer und ging hinaus. Der Himmel war klar, die Sterne hell. Im Osten flackerte Licht, ein fernnes grünes Schimmern, das aus dem Wald kam. Der Hüter. Sie wusste es.

Am nächsten Tag erzählte der alte Mann, dass Tiere verschwunden waren. Ein Fuchs, zwei Hühner. Später fand man sie am Waldrand, unversehrt, nur schlafend, als hätten sie aufgehört, wach zu sein. Helene spürte, wie der Wald sie rief. Am Abend ging sie allein dorthin. Der Wind trug keine Kälte mehr, nur Stille.

Zwischen den Bäumen war das Licht anders, blasser, sanfter wie das Leuchten alter Erinnerung. Sie hörte Schritte hinter sich und blieb stehen. Victoria oder ihr Schatten. Du hast geglaubt, du kannst fortgehen sagte die Stimme. Aber wer Teil des Hauses war, bleibt immer verbunden. Helene drehte sich um. Ich bin nicht mehr Eleonor. Namen ändern nichts.

Nur das Gedächtnis vergisßt nicht. Was willst du, daß du kommst? Er schläft, aber er träumt dich. Und wenn ich nicht gehe, dann wacht er ohne dich auf und dann wird niemand ihn verstehen.” Helene blickte in den Wald. Zwischen den Bäumen schimmerte etwas, schwach, wie ein Herzschlag unter Erde. Sie wusste, dass er sie wirklich rief.

Doch diesmal war sie nicht das Opfer. Sie war die Erinnerung selbst. Sie ging weiter. Der Boden war weich, die Luft still. Als sie die Lichtung erreichte, sah sie das gut Kamper, halb versunken, halb lebendig. Wurzeln umschlangen die Mauern und in den Fenstern glomm warmes Licht. Kein Flüstern, kein Schrei, nur Atem.

“Ich bin zurück”, sagte sie leise, “aber diesmal erzähle ich.” Das Haus antwortete mit einem Laut, der wie Dank klang. Die Türen öffneten sich. Ein warmer Wind kam ihr entgegen. Sie trat hinein. Die Wände waren nicht mehr aus Stein, sie waren aus Haut, aus Erinnerung, aus allem, was war. Im Salon stand das Klavier und Beatrix spielte.

Victoria lächelte. Der Freiherr und Margarete saßen still, friedlich. Und Eleonor Helen setzte sich an den Tisch und schrieb: “Das Gedächtnis hat kein Ende. Es wandelt nur seine Form. Dann schloos sie das Buch und der Hüter schwieg. Die Uhren im Haus schlugen 13ehm. Danach viel Schnee. Kein kalter Schnee, sondern weicher, goldener wie Staub der Erinnerung.

Und das gut Kamper schlief wieder. Diesmal mit einem Lächeln. Der goldene Schnee fiel weiter, als wäre der Himmel selbst müde geworden und habe beschlossen, das Land zu segnen, das so lange verflucht war. Das Gut Kamper leuchtete in jenem Licht wie ein Wesen aus Träumen, Halberinnerung, halb Wirklichkeit. Helene saß im großen Salon, der nun nicht mehr kalt war.

Der Kamin brannte ruhig, die Flammen waren weich, beinahe freundlich. Der Raum atmete in einem langsamen, gleichmäßigen Rhythmus und das Ticken der Uhren klang nicht mehr wie Drohung, sondern wie Herzschlag. Schläge, die nicht zählten, sondern einfach waren. Beatrix saß auf dem Teppich und ordnete alte Puppen.

Jeder hatte wieder Augen aus Glas, keine Narben mehr, keine Namen in den Hälsen. Victoria spielte am Fenster mit dem Licht, das durch die Gardinen fiel. Margarete stickte schweigend und ihre Hände zitterten nicht mehr. Der Freiherr saß aufrecht im Sessel, das Gesicht entspannt, die Augen geschlossen. Helene wußte, dass sie nicht träumte. Sie war im Haus, aber das Haus war nicht länger Gefängnis, sondern Gedächtnis.

Alles, was es verschlungen hatte, war nun ruhig. Kein Flüstern mehr aus den Wänden, kein Wein, kein Gebet. Nur dieses weite sanfte Schweigen, das nach Frieden roch. Sie stand auf und ging durch die Korridore. Der Staub war verschwunden, das Holz glänzte und in jedem Spiegel sah sie sich nicht als Schatten, sondern als Frau mit warmen Augen. Jeder Spiegel flüsterte denselben Satz.

Du erinnerst dich also bist du. In der Kapelle brannten Kerzen und der Altar war leer. Kein Blut, kein Buch, keine Ketten. Helen legte die Hand auf den Stein, der früher den Hüter getragen hatte. Er warm. “Schläfst du?”, fragte sie. Eine Stimme antwortete, sanft, fast menschlich. “Ich ruhe. Du hast mich müde gemacht. Wirst du wieder aufstehen?” Nur wenn jemand mich ruft.

Aber sie haben gelernt zu flüstern, ohne zu bitten. Helene lächelte. Dann ist es gut. Du bleibst nur, bis das Licht die letzten Schatten findet. Und dann, dann gehe ich dorthin, wo Erinnerung nicht schmerzt. Sie verließ die Kapelle. Im Garten lag der Schnee wie Licht. Sie ging hinaus. Die Tür blieb offen, als hätte das Haus beschlossen, nichts mehr zu verstecken.

Über den Wiesen flatterten Krähen, aber sie waren schwarz und lebendig, nicht vorboten. Der Himmel war weit und still, und irgendwo im Wald erklang das ferne Leuten einer Glocke. Nicht 13eh, nur einmal. Victoria trat. Er schläft tief, sagte sie. Und du? Ich wache noch. Wirst du ihn vermissen? Man vermiß nur, was man vergessen hat.

Ich erinnere mich. Beatrix kam barfuß durch den Schnee gelaufen, ohne Spuren zu hinterlassen. “Der Wald spricht leise”, sagte sie. “Er sagt, er träumt vom Frühling.” “Dann lass ihn träumen,”, antwortete Helen. Die Mädchen lachten. Ein Klang, der das Haus füllte wie Licht. Für einen Augenblick war alles lebendig.

Die Mauern, die Fenster, selbst die Schatten tanzten mit. Helene wußte, dass dies der letzte Tag war, an dem das Gut Kamper existieren würde, wie es war. Nicht, weil es zerstört werden sollte, sondern weil es endlich genug erinnerte. Als die Nacht kam, saßen sie zusammen am Feuer. Der Wind war mild, der Schnee golden.

Helene schrieb noch einmal in das Buch, das nun leer war. Keine Befehle, keine Rituale, nur ein Satz. Wer sich erinnert, heilt das Vergessene. Dann schloss sie das Buch, legte es auf den Altar und ging hinaus. Der Wald öffnete sich vor ihr. Kein Flüstern, kein Widerstand, nur Stille und das ferne Summen des Lebens. “Wohin gehst du?”, rief Victoria.

“Dorthin, wo die Geschichten beginnen”, sagte Helen. “Vielleicht werden Sie eines Tages von uns erzählen, aber ohne Angst.” Beatrix winkte. “Wirst du zurückkehren?” Helene lächelte, “Wenn ihr mich ruft, aber nur leise. Der Hüter schläft.” Sie ging in den Wald. Die Zweige neigten sich, als wollten sie sich verbeugen. Über ihr leuchteten Sterne, klar und ruhig. Jeder Stern war eine Erinnerung und keiner fiel.

Das Haus Kamper blieb zurück, friedlich, wachend, die Fenster glänzten wie Augen im Schlaf und irgendwo im Innern, tief im Stein, pochte noch ein Herz. Langsam, zufrieden. Als der Morgen kam, war das Haus verschwunden. Nur der Schnee blieb und das Licht, das nie wieder ganz erlosch. Und im Dorf unten, wenn der Wind aus dem Norden kam, hörten die Kinder manchmal ein fernes Summ.

Kein Wein, kein Rufen, nur ein Lied. Das Lied des Hauses, das sich erinnerte und der Frau, die es erlöst hatte. Die Jahre vergingen, doch im Dorf, unten am Waldrand sprach man noch immer vom Haus, das eines Tages verschwunden war. Manche sagten: “Es sei vom Schnee verschluckt worden, andere es habe sich selbst in Licht verwandelt.” Alte Frauen erzählten, dass in klaren Nächten, wenn der Wind aus Norden kam, das Flüstern von Kinderstimmen über die Felder zog, leise wie Atem.

Die Kinder nannten es das Lied der Erinnerung. Niemand fürchtete es. Es war kein Spuk mehr, sondern ein Segen. Helene lebte in einer kleinen Hütte nahe dem Fluss. Ihre Haare waren grau geworden, ihre Hände still. Sie schrieb jeden Tag kleine Notizen, Geschichten, Träume. Niemand wusste, woher sie kam und niemand fragte.

Wenn Kinder an ihrer Tür vorbeiging, schenkte sie ihnen Brot und erzählte ihnen Geschichten vom Wald. Nicht düstere, sondern solche, in denen Bäume wachen und der Schnee flüstert, dass alles einmal gut wird. Eines Abends, als der Frühling zum Sommer wurde, stand ein Mädchen vor ihrer Tür, barfuß mit Zöpfen und einem weißen Kleid. Helene sah sie an und wußte sofort. Beatrix, sagte sie.

Das Kind lächelte. Ich bin nur was du erinnerst. Und warum bist du hier? Weil er dich ruft sanft. Nicht um zu nehmen, nur um zu danken. Elene nickte langsam. Ich habe gedacht, er schläft. Er träumt dich, Helen. Und manchmal träumen die, die schlafen, schöner als die, die wach sind. Sie traten hinaus.

Der Himmel war klar, die Luft roch nach Regen. Der Wald lag still, aber in seiner Tiefe glomm ein schwaches Licht. Grün, weich, nicht mehr bedrohlich. Sie gingen den Pfad entlang, Seite an Seite. “Ich fürchte mich nicht mehr”, sagte Elen. “Das tust du nie wieder. Der Hüter ist kein Feind mehr. Er ist Erinnerung selbst.

Er hält, was du gegeben hast.” Sie erreichten die Lichtung, wo einst das gut Kamper gestanden hatte. Kein Haus war dort, kein Stein, kein Tor, nur Wiese, Blumen und Wind. Aber unter der Erde vibrierte etwas, sanft wie ein ferner Pulsschlag. Helene kniete nieder, legte die Hand auf den Boden. “Ich bin da”, flüsterte sie.

Ein warmer Hauch strich über ihr Gesicht. Keine Worte, keine Stimme, nur das Gefühl von Frieden. “Er schläft wirklich”, sagte sie. “Und wirst mit ihm ruhen,” antwortete Beatrix. Der Wind wurde stärker, trug den Duft von Lindenblüten. Der Himmel verfärbte sich golden. Helene lächelte. “Dann ist es Zeit.” Beatrix nickte. “Du gehst heim.” Helene schloss die Augen.

Sie sah noch einmal das Haus, nicht wie es war. sondern wie es sein sollte. Hell, warm, voller Leben. Victoria lachte am Fenster. Margarete sang leise. Der Freiherr schrieb, aber diesmal nicht mit Blut, sondern mit Licht. Alles war ruhig. Als der Wind sich legte, stand Beatrix allein auf der Lichtung. Helene war fort. Nur eine Feder lag im Gras, weiß und leicht.

Sie nahm sie auf, bließ sie in den Wind und sie verschwand. In jener Nacht sah man über dem Wald ein Licht, das drei Nächte lang brannte, ohne zu flackern. Die Menschen sagten: “Es sei die Seele des Hauses, die endlich Frieden gefunden hatte.” Danach blieb nur Stille, eine gute Stille. Der Wald wuchs weiter, dicht und grün.

Kein Flüstern mehr, keine Schatten, nur das Rauschen der Blätter, das manchmal wie ein fernes Lachen klang. Und wenn Kinder an Sommertagen barfuß durch die Wiesen liefen, fanden sie manchmal kleine goldene Flocken im Gras. Sie schmolzen nicht. Sie glüht kurz und verschwanden. Niemand wußte, was sie waren.

Aber wer sie berührte, träumte in jener Nacht vom Haus Kamper, vom Licht, vom Schnee und von einer Frau mit grauen Haaren, die sagte: “Erinnerung ist keine Kette, sie ist ein Lied.” Und irgendwo, tief unter den Wurzeln, atmete das Gutkamper weiter, nicht mehr als Fluch, sondern als Geschichte, die von sich selbst erzählte.

Schläge der Uhr, dann Stille. Eine Stille, die blieb. Der Herbst kam still über das Land, als wollte er niemanden stören. Die Felder lagen golden, der Himmel klar, und der Wald um das alte Kampertal stand so dicht und ruhig, dass niemand mehr wusste, wo einst das Haus gestanden hatte.

Nur die Alten zeigten manchmal auf eine Stelle zwischen den Hügeln und sagten: “Dort war das Gedächtnis.” Niemand verstand, was sie meinten, aber jeder, der dort vorbeiging, sprach leiser, ohne zu wissen, warum. Helene war fort seit vielen Jahren schon. Die Leute im Dorf erinnerten sich an sie als die Frau, die nie Angst hatte.

Manchmal erzählten sie, daß sie in ihren letzten Tagen oft am Fluss gesessen und mit dem Wasser geredet habe, als könne es antworten. Und vielleicht tat es das, denn eines Morgens fanden sie ihren Stuhl leer. Nur ihr Notizbuch lag dort aufgeschlagen. Darin stand mit klarer fester Schrift: “Wenn Erinnerung Frieden wird, endet die Geschichte.” Seit jenem Tag geschah im Dorf etwas Sonderbares.

Kein Kind hatte je wieder Albträume. Die Nächte waren ruhig und die Tiere im Wald kamen näher an die Höfe. Furcht mehr. Im Winter fiel Schnee, doch er war nie kalt. Wenn er die Erde bedeckte, glühte er leicht, als trüge er Licht in sich. Die Leute sagten: “Das ist das Haus, das noch träumt.

” Eines Nachts, als der Himmel voller Sterne war, stand ein Mädchen am Fenster ihres Hauses. Sie hieß Kara. Und sie hatte das Buch gefunden, daß Helene hinterlassen hatte. Es war fast leer, nur die letzten Seiten waren beschrieben. Sie blätterte und am Ende stand ein Satz, der in schwacher goldener Tinte glühte: “Schreib, wenn du dich erinnerst.” Klara nahm eine Feder und tauchte sie in das Licht des Mondes.

Dann schrieb sie: “Heute leuchtet der Schnee.” In diesem Moment bebte der Boden leicht, kaum spürbar und weit entfernt, tief unter der Erde öffnete sich etwas. Kein Schrecken, keine Dunkelheit, nur ein Atemzug, warm und ruhig, wie das Seufzen eines Schlafenden.

Im Traum jener Nacht sah Kara das Haus Kamper, nicht alt und düster, sondern hell und weit. Kinder spielten im Hof, Blumen wuchsen an den Fenstern und die Luft roch nach Äpfeln und Harz. Am Eingang stand eine Frau mit grauem Haar und lächelte. “Du erinnerst dich”, sagte sie. Ja, antwortete Klara, “aber es tut nicht weh.” “Dann hast du verstanden,” sagte die Frau. Erinnerung ist kein Gewicht, sondern eine Brücke. Klara wachte auf.

Das Buch lag offen neben ihr und auf der neuen Seite stand ein weiterer Satz, den sie nicht geschrieben hatte. “Die Geschichte endet nie, solange jemand zuhört.” Am Morgen ging sie hinaus. Über dem Tal hing Nebel. Weich und silbern. Aus der Ferne kam der Ruf eines Vogels und irgendwo tief im Wald schlug eine Uhr.

13 Mal ganz langsam, als wolle sie nicht aufhören. Klara lächelte. Sie wusste, dass das gut Kamper noch immer dort war, nicht als Haus, sondern als Erinnerung, die in allem weiterlebte. im Wind, im Schnee, im Wasser, in jedem, der sich erinnerte, ohne Angst. Und als der Wind über die Wiesen zog, klang es für einen Augenblick wie ein Lied, zart, alt und doch vertraut.

Das Lied des Hauses, das sich erinnerte, das Lied des Friedens, das Lied derer, die geblieben waren, um zu wachen und derer, die gegangen waren, um zu träumen. Dann verstummte der Wind. Die Sonne stieg höher und das Licht legte sich auf die Erde, warm wie ein Versprechen. Und so endete das Gutkamper nicht. Es ruhte nur im Gedächtnis der Welt. M.

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