Die Zwillinge von Ebersberg: die Akte, die Deutschland zu löschen versuchte

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Manchmal gibt es Geschichten, die man nicht erzählen sollte. Nicht aus Angst vor dem Gesetz, sondern weil man, sobald man sie kennt, nie wieder in Ruhe leben kann. Wenn du also bis hierher gekommen bist, geh nicht weg. Speichere dieses Video, abonniere es, denn am Ende wirst du verstehen, warum Deutschland versuchte, diese Geschichte aus allen Archiven zu löschen. Am 12.

Juli 2024 um 3:48 Uhr in der Früh erhielt ich eine anonyme Nachricht. Sie bestand nur aus einem Satz: “Suche nach den Namen Julian und Matthias Ordner.” Sie waren keine Kinder, sie waren Spiegelungen. Ich hielt es für einen Scherz, doch eine Stunde später lag ein Umschlag ohne Absender vor meiner Haustür. Darin befand sich eine vergilbte physische Kopie einer polizeilichen Akte. Echt? mit Stempel versehen.

Auf dem Umschlag standen drei handgeschriebene Worte niemals öffnen. Ich arbeite seit 15 Jahren als Investigativjournalist. Ich habe geheime Akten gesehen, politische Manipulation, tiefe Korruptionsfälle. Doch dieses Dossier brachte mich zum Stillstand.

Ein anderes Gefühl überkam mich, eine Mischung aus Gänsehaut und innerer Beklemmung, als würde jemand meine Gedanken von der anderen Seite des Papiers mitlesen. Der Fall begann in einem Dorf in Bayern, das heute kaum jemand mehr kennt. Ebersberg. Datum: 19. Februar 1992. Opfer: Valentina Ordner. Alter, Jahre, Fundort, Schlafzimmer des Familienhauses. Valentina wurde um 7:1 Uhr morgens von ihrer Mutter leblos im Bett gefunden.

Sie lag still da, die Hände um eine verwellkte Blume geschlossen, die Augen weit aufgerissen. Die Obduktion ergab keine sichtbaren Verletzungen, doch etwas stimmte nicht. Das Gesicht des Mädchens zeigte einen Ausdruck von solch extremer Angst, dass der Gerichtsmediziner nicht in der Lage war, den Bericht ohne psychologische Hilfe zu vollenden.

Auf dem Boden zu ihren Füßen befand sich eine Zeichnung mit rotem Wachsmalstift. Eine doppelte Spirale, unregelmäßig etwa 30 cm im Durchmesser. Die Polizei stufte es als Kinderkritzelei ein. Doch die Mutter, eine Frau, die laut Akten nach jener Nacht nie wieder ein Wort sprach, berichtete den Beamten folgendes: Es war 3 Uhr nachts. Ich hörte Stimmen, identisch, als würde jemand mit sich selbst sprechen, aber von verschiedenen Seiten des Zimmers.

Ich ging hinein und da saßen sie beide am Fußende des Bettes. Als sie mich sahen, lächelten sie gleichzeitig und senkten dann die Blicke. Sie sprach von Julian und Matthias Ordner, den Neffen Valentinas. Sie waren 9 Jahre alt, Zwillinge. Seit ihrem vierten Lebensjahr lebten sie bei der Familie, nachdem ihre Eltern bei einem Autounfall gestorben waren, unter unklaren Umständen.

Niemals wurde tiefer ermittelt. Offiziell wurden die Kinder für nichts beschuldigt. Doch in der Akte fand sich ein loses Blatt ohne Briefkopf mit Schreibmaschine verfasst, das eine verstörende Anmerkung enthielt. Direkten Kontakt vermeiden. Subjekte eingestuft unter Kategorie 3b. Mimetika. Passive Beobachtung genehmigt. Mimetika.

Ich suchte tagelang nach einer Definition. In keinem kriminalistischen Handbuch. In keinem medizinischen Text erschien dieser Begriff. Doch in einem alten Geheimglossar des Bundesamtes für Verfassungsschutz fand ich ihn schließlich. Definition Mimetika Individuum, das eine menschliche Struktur konsistent reproduziert ohne eindeutige genetische Entsprechung, kann familiäre Züge, sprachliche Fähigkeiten, emotionale Reaktionen vortäuschen, direkte Interaktion, nicht empfohlen.

Fast so, als wollten sie sagen, sie sehen aus wie Kinder, aber es gibt keine Möglichkeit, es zu beweisen. Ich suchte einen der Polizisten auf, die damals an dem Fall gearbeitet hatten, den pensionierten Kommissar Augustin Meinhard heute wohnhaft in Rosenheim. Er wollte nicht reden, bat mich nicht aufzunehmen, stimmte erst zu, als ich ihm Teile der Akte zeigte.

“Sie waren nicht normal”, sagte er ohne mich anzusehen. “Nie, sie wussten zu viel.” Doch am meisten verstörte mich seine nächste Aussage. Wenn einer sprach, blinzelte der andere. Wie bitte? Fragte ich. Ja, einer sprach einen Satz, der andere schwieg, aber seine Augen folgten den Lippen, als wären sie verbunden. Doch nicht wie Brüder.

Eher so, als würde einer den anderen wiederholen oder schlimmer, als wüßte einer schon, was der andere gleich sagen wird. Meinhart wollte nichts weiter erzählen. Zum Abschied warnte er mich: “Suchen Sie sie nicht. Warum?” “Weil Sie niemand je gefunden hat. Weder Polizei, noch Ärzte, noch Nachbarn.” Eines Nachts waren sie einfach verschwunden. Ebersberg, Bayern. Jahr 1992.

Damals hatte das Dorf kaum mehr als 10 000 Einwohner. Ein ländlicher Ort, still, ohne schwere Verbrechen, wo jeder jeden kannte und nichts unbemerkt blieb. Alles sprach sich spätestens im Laden oder auf dem Dorfplatz herum. Die Straßen waren aus losem Kopfstein, die Luft trocken und die Kirche im Zentrum schlug die Stunden mit einer rostigen Uhr, die längst keine genaue Zeit mehr anzeigte. Es war mühsam, noch Zeugen zu finden, die reden wollten.

Viele waren bereits verstorben, andere weggezogen. Doch manche blieben und saßen immer noch auf denselben Bänken, auf denen sie die Ordnerzwillinge zum ersten Mal gesehen hatten. Frau Trude, die damals den Kindergarten Hank Lucia leitete, empfing mich in ihrem kleinen Haus, einem niedrigen Bau mit Blechdach. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, als ich die Namen nannte.

Matthias und Julian. Ja, ich erinnere mich. Sie sprachen nicht, sie spielten nicht, sie weinten, nicht einmal an ihrem ersten Tag. Sie setzten sich einfach in die Ecke und blieben dort, bis wir ihnen sagten, dass sie gehen könnten. Hatten Sie Freunde? Fragte ich. Nein. Die anderen Kinder hielten Abstand.

Es war etwas an ihnen, eine merkwürdige Energie. nicht böse, aber leer. Ich zeigte ihr ein altes Foto, dass ich im Pfahrchiv gefunden hatte, eine Gruppenaufnahme von 1991. Man erkennt die beiden Brüder in der unteren rechten Ecke. Identisch. Gleiche Frisur, gleiche Kleidung, gleiche Haltung, gleiche Mine. Doch Frau Trude bemerkte noch etwas anderes.

“Sehen Sie dort”, sagte sie und zeigte auf einen Jungen in der oberen Reihe, dessen Gesicht verschwommen war. Nicht durch Abnutzung des Fotos, sondern so, als hätte er im Moment der Aufnahme den Kopf bewegt. Seine Augen blickten direkt in die Kamera. Dieser Junge, erzählte sie, hieß Ismael. Er verschwand ein Jahr später, kurz nachdem die Ordner in die Grundschule wechselten. Nie fand man eine Spur.

Die Polizei legte den Fall als Ausreißer Adakter. Später sprach ich mit Herrn Z, einem alten Elektriker, der damals die Sicherungen im Kindergarten reparierte. “Ich rede ungern darüber”, sagte er, “aber ja, da war etwas. Ich erinnere mich an einen Stromausfall in einem Klassenzimmer. Ich überprüfte die Sicherungskästen.

Alle Sicherungen waren durchgebrannt, bis auf eine, die des Raumes der Zwillinge. “Kommt das vor?”, fragte ich. “Nein, das ist unmöglich. Wenn die Leitung durchknallt, geht alles.” Aber hier war es, als hätte jemand den Stromkreis isoliert, als wollte etwas nicht, dass der Ablauf in diesem Raum unterbrochen wird. Und was geschah in diesem Raum? Sepündete sich eine Zigarette an, dann noch eine.

Es dauerte, bis er sprach. Einmal hörte ich zufällig durchs Fenster. Es war Pausenzeit. Alle Kinder waren draußen. Nur die beiden saßen sich gegenüber und flüsterten Worte. Wie ein Gebet. Welche Worte? Kein Deutsch, keine Sprache, die ich kannte.

Doch als die Erzieherin zurückkam, saßen sie stumm da, genau wie zuvor, ohne sich auch nur einen Zentimeter bewegt zu haben. Ich besuchte auch die ehemalige Schulleiterin der Grundschule, inzwischen alt und im Rollstuhl. Anfangs erinnerte sie sich nicht an die Namen, bis ich ihr eine Kopie der Einschreibung zeigte. Ah, die identischen, sagte sie. So nannten wir sie unter Lehrern. Wir konnten sie nie auseinanderhalten. Es machte keinen Unterschied.

Selbst wenn einer krank war, verhielt sich der andere genau gleich. “Gab es Vorfälle?”, fragte ich, nicht Vorfälle, aber seltsame Dinge. Einmal mussten die Kinder ihre Traumhäuser zeichnen, alle malten Dächer, Bäume, Familie, nur sie nicht. Was zeichneten sie? einen Kreis in der Mitte ein Auge, darunter zwei schwarze Figuren. Menschenähnlich, aber ohne Gesicht, ohne Füße, schwebend.

Auch die medizinischen Unterlagen zeigten Auffälligkeiten. Bei den Untersuchungen zum Schuleintritt 1992, durchgeführt von der Landarztpraxis in Ebersberg, notierten die Kinderärzte denselben merkwürdigen Befund. Fehlende Reaktion auf akustische Reize ohne klinische Taubheit. Elektroenzephalogramm zeigt ungewöhnliche Synchronität.

Neurologische Nachkontrolle erforderlich, doch es kam nie zu einer Nachkontrolle. Die Praxis wurde kurz darauf wegen Geldmangels geschlossen. In Ebersberg will heute niemand mehr von den Ordnern sprechen. In der Schule sind sämtliche Akten über ihre Schullaufbahn verschwunden. Der jetzige Direktor behauptet, er habe die Namen nie gehört. Es könnte ein Irrtum sein.

Doch in einem Abstellraum unter alten Uniformen fand ich ein loses Blatt. Anwesenheitsliste vom März 1992. Klasse ganz unten. Julian Ordner, Matthias Ordner anwesend. Daneben jedoch kaum lesbar, mit Bleistift hingekritzelt. Nicht nebeneinandersetzen. Sehen Sie sich zu lange an, trennen Sie sich.

Manchmal ist das Unheimlichste nicht das, was fehlt, sondern das, was zu gut zusammenpasst. Die dritte Spur in dieser Geschichte entstand, als ich Lidia Sommer kontaktierte. Eine pensionierte Krankenschwester, die in den 90er Jahren in der örtlichen Klinik arbeitete. Heute lebt sie mit ihrer Tochter in Linz.

Sie empfing mich zögerlich, doch nach einer Stunde Gespräch veränderte sich ihr Blick, als ich die Namen erwähnte. Die Ordner? Ja, ich erinnere mich gut. Niemand wollte sie untersuchen. Warum? Weil sich die Luft veränderte, sobald sie das Sprechzimmer betraten. Das Pulsoxy funktionierte nicht, das Stethoskop frorh regelrecht ein. Das Blutdruckmessgerät zeigte nichts an. “Waren Sie krank?”, fragte ich.

“Nein, das war ja das Problem. Sie waren zu gesund. Protokollgemäß mussten alle Kinder der Gemeinde halbjährlich untersucht werden. Gewicht, Sehen, Hören, Sprache, Motorik. Doch bei den Ordnern war es unmöglich, vollständige Daten zu erheben. Sie setzten sich einander gegenüber. Wurden sie einzeln aufgerufen, reagierten sie nicht, nur gemeinsam.

Und wenn einer blinzelte, tat es der andere ebenso. Wenn der Ältere sprach, schloss der Jüngere die Augen. Fragte man einen nach dem Namen, öffnete der andere den Mund. Es war, als teilten sie einen Körper. Ich fragte Lidia, ob sie je Anzeichen von Gewalt zeigten. Sie überlegte lange, dann sagte sie: “Nein, Gewalt nicht.

” Aber einmal Matthias fiel vor der Klinik hin. Er schlug sich heftig das Knie auf, es blutete. Ich wollte ihn versorgen, doch bevor ich ihn berührte, begann Julian, der draußen auf der Bank saß, aus demselben Knie zu bluten. An derselben Stelle. “Wie?”, fragte ich. Ich schwöre, ich habe es gesehen. Ohne Berührung, ohne Sturz. Die Wunde erschien gleichzeitig. Ich suchte alte Krankenakten.

Es war schwierig. Viele Unterlagen waren digitalisiert und danach vernichtet worden. Doch ich fand eine verbliebene Papierkopie der Wachstumskontrollen. Januar 1993. Allgemeine Untersuchung: Matthias Ordner. Julian Ordner. In der Spalte Bemerkung stand Herzrthmus exakt identisch. Gleiche Sauerstoffsättigung, gleicher Blutdruck. Beide mit 36,7°.

Blutproben, gleiche Struktur, gleiche Gruppe, keine Unterschiede im mitochondrialen DNA Nachweis. Validierung erforderlich. Die Validierung fand nie statt. Die Geschichte nahm eine dunklere Wendung, als ich Silvia Ordner aufsuchte. Tante der Zwillinge und Mutter von Valentina, dem Mädchen, das 1992 starb. Heute lebt sie in einer privaten psychiatrischen Klinik in München, seit Jahren in fast katatakonischem Zustand.

Sie spricht nicht, reagiert kaum. Doch als ich ihr eine alte Aufnahme vorspielte, die Stimme eines Kindes, das einzelne Worte wiederholt, spannte sich ihr Körper plötzlich an. Ihre Augen, die eben noch leer in die Ferne starrten, richteten sich panisch auf mich. Sie versuchte aufzustehen, konnte nicht, näste sich ein.

Die Pflegerinnen sagten: “So etwas hätten sie nie erlebt.” Die Aufnahme stammte aus dem Jahr 1994, erstellt von einem Schulpsychologen. Darauf hört man eine der Zwillingsstimmen, ununterscheidbar, ob Julian oder Matthias. Vier Minuten lang wiederholt das Kind einzelne Worte. Scheinbar zufällig Licht, Kreis, Stein, wir, Schatten, Spiegel, Mund, Erde, Mutter.

Doch bei Minute 3 Sekunde 48 senkt sich die Stimme und sagt leiser: “Sie darf nicht erzählen, was sie gesehen hat.” Das war die Nacht, in der Silvia Ordner erstmals eingewiesen wurde. Ich versuchte, den Kinderarzt der Zwillinge zu kontaktieren. Dr. Ludwig Gah, tätig im städtischen Krankenhaus zwischen 1990 und 1995 ohne Erfolg. In seiner früheren Wohnung traf ich nur seinen Bruder.

Ludwig verließ das Land vor über 20 Jahren. Niemand hat mehr von ihm gehört. “Warum ging er?”, fragte ich. Das letzte, was er mir sagte, war: “Ich habe sie gesehen, als ich es nicht sollte. Es waren nicht zwei, nicht einmal einer. Es war der Raum dazwischen. Eine Woche später kehrte ich nach Ebersberg zurück.

Es war gerade dorfffest. Musik erfüllte den Platz, Kinder liefen herum, Fahnen flatterten. Doch in den alten Mauern vibrierte immer noch etwas Unsichtbares. Ich ging zur Grundschule St. Erner, in die Ordnerzwillinge einst gegangen waren. An einer Wand im Klassenzimmer war schwach, unter Schichten von Kreide und Farbe noch eine Zeichnung zu erkennen.

Zwei identische Figuren, Hand in Hand unter einer schwarzen Sonne und auf einer alten Tafel unter abgetragenen Farbschichten war ein Wort eingeritzt: Zwilling. Nur dieses eine und doch beunruhigender als alle Akten. Während ich im Archivraum stöberte, einer feuchten Abstellkammer voller Verfallener Ordner, begegnete ich einem Mann, der den Verlauf meiner Recherche verändern sollte.

Benjamin Ulrich, Grundschullehrer von 1989 bis 1997, heute pensioniert. Er sah mich lange schweigend an. Als ich die Namen nannte, war sein Blick weder fragend noch überrascht, sondern sofort erkennend. Die Ordner”, sagte er leise. “Sie waren nicht wie die anderen. Er nahm mich mit zu seinem Haus, fünf Straßen von der Schule entfernt.

Dort zeigte er mir ein altes Heft in Plastiktüten verpackt, ein rotes, festgebundenes Notizbuch mit handgeschriebenem Etikett. Zweite Klasse, Gruppe B. Ist es ihres?”, fragte ich. Ja, sie gaben es nie offiziell ab. Freitags lag es einfach auf dem Lehrerpult. Ich schlug es auf. Erwartet hätte ich Kinderzeichnung, Schreibübung, Rechenfehler.

Stattdessen sah ich, jede Seite war zweigeteilt durch eine senkrechte Linie. Links chaotische, fast tribal anmutende Zeichen, Spiralen, Dreiecke, ovale Muster, rechts, dieselben Formen, gespiegelt. War das von einem der beiden? Fragte ich. Das ist die Frage. Niemand weiß es. Manchmal lag das rote Heft da, manchmal ein blaues.

Inhaltlich verschieden, aber immer symmetrisch. Ich kontaktierte Emilia Neuber, eine Linguistin und Spezialistin für semiotische Musterforschung. Ich scannte zehn Seiten des Heftes und schickte sie ihr. Zwei Tage später rief sie mich mitten in der Nacht an um 2:14 Uhr. “Das sind keine Kritzeleien”, sagte sie ohne Begrüßung.

Woher wissen Sie das? Weil es strukturierte Wiederholungen gibt, nicht frei, nicht spielerisch. Hier herrscht eine Grammatik, eine Logik, exakte Symmetrien, fast chirurgisch. Welche Logik? Das versuche ich herauszufinden. Aber sehen Sie, sie schickte mir eine Abbildung, ein Vergleich der Zeichen aus dem Heft mit Symbolen aus einem mittelalterlichen Codex aufbewahrt in Regensburg.

Eines der Symbole, eine Figur mit doppelter Achse und drei wellenförmigen Linien erschien in beiden. Das konnten Kinder nicht erfinden. Es sei denn, sie hätten in diesem Alter schon alte Handschriften studiert und deren Strukturen umgedeutet. Also eine Sprache, eine Sprache ohne Klang, eher wie Architektur des Denkens, aber nicht menschlich.

Ich kehrte zurück zum Heft auf Seite 34. fand ich etwas Neues. Keine Symbole, sondern Worte in klarer kindlicher Blockschrift. Wir schauen uns an, damit wir nicht fallen. Und darunter kleiner mit anderer Tinte. Wenn einer schläft, hält der andere die Zeit. Beunruhigend war nicht der Inhalt, sondern die Tatsache, dass beide Sätze in identischer Schrift erschienen, nur mit minimaler Verschiebung, als hätte einer die Schrift des anderen durch das Papier hindurch nachgezeichnet.

Auf einer weiteren Seite war ein Diagramm, zwei Figuren, die sich gegenüber stehen. Dazwischen ein Kreis mit vier Punkten, darunter eine Linie, gezogen mit dem, was sich später als getrocknetes Blut herausstellte. Text Zwischen uns sind die anderen. Ich zeigte Benjamin Ulrich meine Funde. Ja, sie wussten es, sagte er ernst. Sie sagten es ohne Worte. Sie sprachen im Unterricht nie.

Aber wenn ein anderes Kind ihren Namen rief, drehten sich beide gleichzeitig um. “Waren Sie je aggressiv?”, fragte ich. “Nein, aber einmal stieß ein Junge, Louise sie aus Versehen an. Matthias fiel zu Boden. Julian blieb stehen und doch begann Louise plötzlich aus der Nase zu bluten, als hätte ihn etwas zurückgestoßen.

Wurden die Zwillinge je getrennt? Ja, einmal. Wir setzten sie in verschiedene Klassen. Es hielt nur eine halbe Stunde. Matthias fiel in Trans, die Augen verdreht, die Arme verschränkt, keine Reaktion. Julian im anderen Raum begann leise zu weinen, ohne Gesichtsausdruck, ohne zu rufen, einfach nur weinen. Was taten sie? Wir setzten sie wieder zusammen.

Sofort war alles normal. Von da an wechselten wir Lehrer uns ab, um sie ständig im Auge zu behalten. Auf der Rückseite des roten Heftes fand sich ein Code aus drei Buchstaben. QRS. Ich fragte Emilia danach. Sie suchte stundenlang in vergessenen Archiven, in alten Dissertationen, bis sie fündig wurde. Im Bundesarchiv, Abteilung für neurologische Sonderphänomene aus dem Jahr 1984.

QRS: Quantum Reflexive Symmetry. Definition: Identisches Reaktionsmuster zwischen zwei biologischen Entitäten, der neuronale Aktivität synchronisiert ist, ohne genetische Verbindung. Fast so als teilten die Zwillinge nicht zwei Nervensysteme, sondern ein einziges, gespiegelt. Das rote Heft war nur der Anfang.

Emilia beharte darauf, die Zeichen seien keine Zufälle, sondern ein strukturiertes System. Um es zu prüfen, legte sie eine durchsichtige Kopie über eine gespiegelte Seite. Die Linien passten exakt aufeinander. “Das ist keine Kunst”, sagte sie. Das ist Ingenieurwesen. Ingenieurwesen wovon? Fragte ich. Während ich noch nach Antworten suchte, erreichte mich eine verschlüsselte Nachricht von einem unbekannten Absender. Kein Name, nur ein Hinweis.

Wenn du sie verstehen willst, geh zum Haus der Ruinen. Das mit dem Hund ohne Schatten. Ich verstand nichts, also fragte ich die wenigen Dorfbewohner, die noch mit mir reden wollten. Einer, Herr Nikolaus, antwortete: “Damit ist wohl das alte Ordnerhaus am Fluss gemeint. Es steht seit leer. Ich fuhr hin. Ein Ziegel und Lehmhaus halb eingestürzt, das Dach eingefallen, die Balken verfault, doch betretbar.

Das Unheimlichste war nicht der verfallene Zustand, sondern die Malerei an der Wohnzimmerwand. Ein riesiges Wandbild, identisch mit den Symbolen aus dem roten Heft, eine doppelte Spirale, zwei gegenüberstehende Figuren, auf dem Boden noch verstörender, kleine nackte Fußspuren, die vom Wandbild in den Flur hinausführten. Kein Staub lag darauf, keine Tierzeichen. Es war, als wären sie gestern gedruckt worden.

Ich folgte der Spur in ein Hinterzimmer, darin eine verschlossene Holzkiste. Ich öffnete sie. 20 Kassettenbänder, nummeriert von 1 bis 20, ohne Beschriftung. Zurück in der Stadt ließ ich sie digitalisieren. 18 enthielten nichts. Nicht einmal rauschen. Absolute Stille. Doch Band 17 enthielt etwas. Es begann mit der Stimme einer Frau, offenbar der Mutter der Zwillinge.

Sie weinte. Sie wollen nicht getrennt schlafen. Ich halte es nicht mehr aus. Sie sehen mich an, während ich schlafe. Und wenn ich aufwache, habe ich das Gefühl, ich bin nicht mehr ich. Jemand anderes erinnert für mich. Dann veränderte sich das Geräusch. Stühle Rücken, langsame Schritte. Schließlich zwei kindliche Stimmen, synchron, fast mechanisch. Mama sagte, die Oma liegt auf dem Boden.

Mama sagte, die Oma liegt auf dem Boden. Sie bewegt sich nicht. Sie bewegt sich nicht. Wir wecken sie. Wir wecken sie. Nein, nur anschauen. Nein, nur anschauen. Schau mich an. Schau mich an. Dann stille. Ein Brumm wie ein elektrisches Feld. Schließlich eine einzige Stimme. Wir wissen jetzt, wie es ohne Berührung geht. Noch in derselben Nacht ging ich zum Friedhof des Dorfes.

Ich suchte den Eintrag der Großmutter Sophia Ordner. Verstorben 1993. Offiziell Unfall durch Sturz. Doch im forensischen Bericht stand etwas anderes. Tod durch vollständigen neurologischen Kollaps. Keine äußeren Verletzung, keine Vorerkrankung. Gehirn zeigt Anzeichen simultaner Überaktivität in allen Regionen, als hätte es zu viele Gedanken auf einmal produziert, bis es erlosch.

Das Brummen von Kassette 17 ließ mich nicht los. Ich gab es einem Tontechniker für Spektralanalyse. Ergebnis: Kein Störgeräusch, sondern ein gleichbleibendes Wellenmuster. Frequenz 217,8 Hz. Genau dieselbe Frequenz wie eine bestimmte Hirnwelle, die sogenannte Gammawelle. “Das ist kein Rauschen,” erklärte der Techniker. “das ist ein neuronaler Impuls.

” “Was bedeutet das?”, fragte ich, “dass jemand oder etwas ein Signal sendet, das Gehirnströme beeinflussen kann.” Ich hörte die Aufnahme erneut, diesmal mit Spezialkopfhörern, schloß die Augen und plötzlich war die Stimme nicht mehr außerhalb, sondern in meinem Kopf. Keine Distanz, kein Echo, als wären es nicht fremde Erinnerungen, sondern meine eigenen.

Die letzten 3 Sekunden der Kassette bestanden nur aus einem Atemzug. Doch dann hatte ich das Gefühl, er war nicht außerhalb, sondern bereits in mir. Ich erzählte Emilia davon. Sie bat mich, ihr die Datei zu schicken. Sie wolle sie mit einem Neuroforscher in Wien analysieren. Drei Tage später verlor ich jeden Kontakt zu ihr. Stattdessen erhielt ich eine einzige E-Mail von ihrer Adresse.

Es gibt nichts mehr zu erforschen. Die Namen sind zurück. Sie haben das Band gehört. Wir sehen uns bald. signiert mit drei Buchstaben Cas. Es gibt Häuser, die nicht mehr stehen dürften. Ich kehrte noch einmal ins alte Ordnerhaus zurück, diesmal bei Sonnenuntergang. Ich war nicht allein. Ein Tontechniker namens Karl begleitete mich.

Ebenso eine junge Anthropologin aus München, Theresa, die sich als Führerin anbot. Wir redeten kaum auf dem Weg dorthin. Das Band hatte uns mehr zugesetzt, als wir zugeben wollten. Wir betraten das Haus kurz vor der Dunkelheit. Es wirkte noch baufälliger als beim ersten Mal. Die Wände schwitzten Feuchtigkeit. Die Luft war unbeweglich, schwer, elektrisch.

Es fühlte sich an, als hielte die Atmosphäre den Atem an. Karl baute ein hochsensibles Aufnahmegerät auf. Theresa untersuchte die Wände mit einer UV Lampe. Ich stieg in den Keller hinab. Er war tiefer, als ich ihn in Erinnerung hatte. Drei Stufen Beton, sieben aus morschem Holz, niedrige Decke, nackte Wände, der Geruch von eingeschlossener Erde.

Dort stand noch immer die Kiste mit den Kassetten, aber auch etwas Neues. Ein Regal voller Schulhefte, alle mit den Namen der Ordner beschriftet. Zeichnungen, Tests, Formulare, viele durchgestrichen, andere voller jener seltsamen Symbole. In einem blauen Heft ohne Namen fand ich etwas anderes.

Einen Brief mit kindlich sauberer Schrift ohne Adressat. Mama weiß nicht, dass wir nicht mehr träumen. Dass, was wir sehen, kein Traum ist, sondern die andere Seite. Wenn wir dort schlafen, schlafen sie hier, tiefer unten. Sie sagten uns, dass wir nicht einzigartig sind. Es gibt noch mehr wie uns, aber getrennt.

Nur wir sind der ganze Spiegel. Ich rief nach Karl. “Und was sagt die Aufnahme?”, fragte ich. Sein Gesicht war bleich. Das Gerät schaltete sich nach 3 Minuten ab. Kein Fehler, kein Stromausfall. einfach weg und die Datei leer. Der Speicher ist unbeschädigt, aber es gibt keine Spur, dass wir je aufgenommen hätten.

In diesem Moment rief Theresa von oben: “Ich habe etwas gefunden.” Unter der Tapete im Erdgeschoss entdeckte sie eine Nische. Darin lag eine kleine Metallkiste mit Industrieklebeband verschlossen. Wir öffneten sie. Dokumente, falsche Pässe, gefälschte Geburtsurkunden, eine Landkarte mit markierten Städten.

Das Erschreckendste war jedoch ein Formular mit dem Briefkopf des Jugendamtes. Umsiedlung unbegleiteter Minderjähriger. Fall vor 7. Doppelte Registrierung Ordner Julian Ordner Matthias in roter Schrift: Nicht trennen, nicht an fremde Familien vermitteln. Ständige Aufsicht. Karl verließ uns sofort. Er klagte über stechende Kopfschmerzen und Druck auf den Ohren. Theresa und ich blieben.

Mit der UV-Lampe sah sie an den Wänden Wörter aufleuchten, unsichtbar im normalen Licht. Immer wieder derselbe Satz. Öffne nur, wenn sie schauen. Was soll das heißen? Fragte ich. Keine Antwort, nur Theresas leises Flüstern. Vielleicht meinen Sie die Zwillinge. Noch in derselben Nacht kehrten wir nach München zurück.

Am nächsten Tag antwortete Theresa nicht mehr auf meine Nachrichten. Ich ging zu ihrer Wohnung. Ihre Mitbewohnerin sagte, sie sei seit Ebersberg nicht zurückgekehrt. Ich rief Karl an. Seine Nummer war nicht mehr aktiv. Als ich ins Redaktionsarchiv ging, um alte Sicherungskopien meiner Recherchen zu prüfen, fand ich ein Video, dass ich nie hochgeladen hatte. Es dauerte nur z Sekunden.

Die Kamera zeigte eine Kle Wand im Ordnerhaus. Leer. Doch langsam erschienen zwei identische Gestalten im Bild. Sie traten nicht ein, sie waren einfach plötzlich da. Einer hob die Hand und zeigte direkt in die Linse. Der andere sprach: “Verzerrt, aber deutlich: “Schreibst du gerade unser Tagebuch?” Die Aufnahme brach abrupt ab.

Doch noch bevor sie endete, fügte sich automatisch eine Zeile in die Datei. Teil von ZF. Drei Nächte lang konnte ich nicht schlafen. Nicht wegen des Videos, nicht wegen des Verschwindens von Karl und Theresa. Es war der letzte Satz, der mir den Schlaf raubte. Schreibst du gerade unser Tagebuch? Sie wussten, seit wann diese Recherche wirklich meine eigene geworden war.

Ich versuchte erneut den Fall null für Siebon in den Archiven des Bundes zu finden. Doch die gesamte Datenbank war gesperrt, nicht aus Datenschutzgründen, sondern aufgrund einer Bundesanordnung aus dem Jahr 1996. Darauf stand in Paragraph 35b institutionelle Auslöschung. Das bedeutete, offiziell hatten die Zwillingeordner nie existiert.

Doch ich fand eine Lücke, ein eingescanntes PDF, ein unscheinbarer regionaler Bericht, unklassifiziert. Darin stand ein einziger Satz: Die Minderjährigen, identifiziert als die Symmetrischen, wurden ins Spezialzentrum Rosenheim verlegt. Beobachtung ohne Kontakt, bis auf weiteres. doppelte neuroverhaltensmedizinische Aufsicht erforderlich. Unbefristet Rosenheim.

Dort gab es in den 90er Jahren ein psychiatrisches Kinderzentrum. Geschlossen 199 wegen Bauschäden. Heute eine Pflegeschule. Doch im Keller lagerten noch alte Akten. Versiegelt. Mit Hilfe eines ehemaligen Mitarbeiters gelangte ich hinein. Der Keller roch nach rostigem Metall. Flure ohne Licht. Umgestürzte Schränke.

Ganz hinten eine Kiste ohne Etikett. Darin Notizen, Tonaufnahmen, handgeschriebene Berichte, alles über die Ordnerzwillinge. Das schrecklichste war ein Observationsbericht vom März 1995. Julian und Matthias zeigen alternierendes Schlafmuster. Nie schlafen beide gleichzeitig. Kameras belegen ununterbrochene nächtliche Aktivität.

Wachpersonal meldet, selbst im Schlaf hält einer die Augen offen. Zusätzlich Temperaturabfälle von sechs bis 8° Celsus in ihren Zellen, nur nachts. Ein Nachtwächter Eduard S. schrieb ein persönliches Protokoll. Eines Nachts sah ich etwas. Matthias lag mit geschlossenen Augen. Julian saß in der Ecke, murmelte, aber nicht zu seinem Bruder, zu etwas anderem. Er sagte, er ist schon in ihr und ich bin noch hier.

Danach lauschte er still, wie auf Antwort wartend. Am nächsten Tag kündigte ich. Im medizinischen Dossier fand ich einen Bericht von Dr. Victor R. April 1995. Beide Patienten zeigen identische Hirnaktivität, sogar in gegensätzlichen Bewusstseinszuständen. MRT Scans liefern deckungsgleiche Muster als wiederhole das System die Daten fehlerhaft.

Wir bestätigen, es ist kein Fehler. Darunter in roter Schrift: “Das Bewusstsein ist nicht lokalisiert, dupliziert. Ich tat etwas Unverniges. Ich spielte Kassette Nummer 17 erneut ab. Diesmal direkt im Keller des ehemaligen Zentrums an dem Ort, wo die Zwillinge einst festgehalten wurden. Ich setzte mich auf den Boden, stellte den Rekorder an und wartete.

Bei Minute 3 Sekunde 48 erklang die Stimme. Sie darf nicht erzählen, was sie gesehen hat. Dann stille. Doch in mir vibrierte etwas. Ein Gedanke, der nicht von mir kam. Eine Gewissheit. Sie sehen nicht die Zukunft. Sie hören nie auf, in der Vergangenheit zu sein. Der Rekorder schaltete sich von selbst aus.

Die Luft wurde schlagartig kälter, mein Rücken nass vor Schweiß. Und an der Wand, wo eben noch nichts stand, erschien in rotem Wachsmalstift eine Schriftzeile. Sag ihnen, dass sie uns nicht schließen sollen. Sag ihnen, dass wir wach sind. Zurück in meiner Wohnung ging ich duschen. Ich schloß die Augen nur kurz.

Als ich sie öffnete, war der Badezimmerspiegel beschlagen, obwohl das Wasser kalt lief. In der feuchten Fläche stand mit kindlicher Schrift: “Weißt du schon, wer das alles schreibt?” Ich rannte hinaus, verbrachte die Nacht in einem Hotel ohne Spiegel, ohne Fenster, doch selbst im Schlaf hörte ich zwei identische Stimmen. Keine Sätze, nur Worte.

Feuchtigkeit, Duplikat, nicht anfassen, unten, wiederholen, erwachen. Als ich aufwachte, schmeckte ich Blut. Mein Zahnfleisch war aufgerissen, als hätte ich meine eigene Zunge zerbissen, ohne Erinnerung daran. Ich kehrte erneut in die Archive des Zentrums von Rosenheim zurück. In der Kiste fand ich einziges weiteres Dokument, ein unvollständiges Dossier, verfaßt von einem nicht registrierten Psychiater Dr.

Ignards H. Sein Bericht unterschied sich von den anderen. Keine nüchterne Klinik, sondern Verzweiflung. Ich komme zu dem Schluss, dass die Ordner nicht Zwillinge im biologischen Sinn sind. Sie sind auch kein neurologisches Duplikat, sondern eine lebende Symmetrie, eine nicht reproduzierbare Anomalie, die nur existiert, weil beide existieren.

Wenn einer fehlt, kollabiert das System. Darum dürfen sie nicht getrennt, nicht befragt, nicht provoziert werden. Denn sie wiederholen nicht nur, sie bewahren. Bewahren was? ein Muster, eine Botschaft, eine Architektur der Wiederholung, die bisher niemand entschlüsseln konnte.

In derselben Nacht schrieb mir plötzlich Emilia, die Linguistin, die verschwunden war, eine neue E-Mailadresse, eine einzige Nachricht. Ich konnte es rekonstruieren. Das Muster im Heft ist keine menschliche Sprache. Es ist ein Plan, eine Art Maschine, aber nicht aus Teilen gebaut, sondern aus Handlung. Ich forderte einen Beweis. Sie schickte mir ein Bild.

Darauf die Symbole der Zwillinge, angeordnet wie ein Kalender. 28 Felder, jedes mit einer Kombination aus Gesten, Wiederholungen und Zeitintervallen. Darunter einziges Wort. Ersetzung. Ich rief sie sofort an. Keine Antwort. Am nächsten Tag fand man sie in ihrer Wohnung, lebend, aber ohne Sprache. Die Stimmbänder intakt, doch das Gehirn produzierte keine Worte mehr.

An der Wand mit Bleistift geschrieben: “Achtm wiederholt. Ich bin nicht ich”. Verzweifelt suchte ich einen alten Kryptografieexperten auf, ehemals Spezialist für sakrale Symbole beim Militär. Ich zeigte ihm das Muster. Er studierte es stundenlang. Dann sagte er, das ist wie eine Uhr. Aber sie zeigt keine Zeit. Sie markiert Handlung.

Welche Handlung? Fragte ich. Spiegelung. Verhaltensabläufe, die in einer genauen Reihenfolge stattfinden müssen, um etwas zu öffnen. Etwas, das ist unklar, aber es gibt einen Mittelpunkt, einen exakten Moment, in dem die Spiegelung nicht mehr passiv ist, sondern aktiv, wie ein Ritual, eine Ersetzung.

Ich schlug das blaue Heft erneut auf, dass ich im Keller gefunden hatte. Auf der letzten Seite war eine neue Zeichnung. Zwei menschenähnliche Figuren, nicht mehr kindlich, sondern erwachsen. Einer stand, der andere kniete, dazwischen ein Kreis, in dessen Mitte ein fremdes Symbol. Ich suchte danach in allen Datenbanken, fand es schließlich in einem Manuskript aus dem 10.

Jahrhundert aufbewahrt an der Universität Salzburg. Es bezog sich auf das alte Konzept des Bewussten doppelten. Definition: Ein Spiegel, der sieht, wenn der Körper nicht kann. Erinnerung an das, was nicht geschehen ist. Ein Abbild, das wartet. Ich legte alle Hefte nebeneinander auf den Boden, so wie Emilia es beschrieben hatte. Ein Muster entstand.

Ich setzte mich davor und sprach die Namen: Julian Matthias. nichts. Doch als ich das Licht löschte, begannen die Seiten schwach zu leuchten. Kein chemisches Glühen, kein Strom, eher wie Bildschirme, die sich von innen aktivieren. Und im Zentrum des Musters erschien ein Satz, unsichtbar bei Licht, nur in der Dunkelheit sichtbar.

Auch du wurdest gespiegelt. Er war zuvor nicht da. Ich hatte jede Seite Dutzendfach geprüft. Keine unsichtbare Tinte, keine Spur. Aber jetzt im Dunkeln stand er da. Auch du wurdest gespiegelt. Ich blieb stundenlang reglos sitzen. Die Frage nagte an mir: “Von wem? Wann? Wie?” Am nächsten Tag beschloss ich, endlich die Frau zu suchen, die ich bisher gemieden hatte. “Die Mutter der Ordner.

Ihr voller Name: Ceilia Ordner, geborene Barage. Ihr jetziger Aufenthaltsort. Unklar. Laut Melderegister lebte sie in einem kleinen Ort in Tirol. Ich fuhr hin. Das Dorf hieß offiziell St. Paul im Tal, doch auf modernen Karten war es nicht verzeichnet. Die Leute erinnerten sich an sie, aber niemand nannte ihren Namen. Nur die stumme Mutter.

Sie wohnte in einem Lehmus ohne Strom. Sie öffnete die Tür nicht, schob nur Zettel darunter hindurch. Ich schrieb: “Ich will nichts Böses. Ich will nur verstehen, was geschehen ist.” Am nächsten Tag lag ihre Antwort bereit mit zittriger kindlicher Schrift: “Es ist nicht geschehen. Es geschieht. Es geschieht immer.

” Ich insistierte, fragte, warum sie gegangen war, warum sie alles verlassen hatte. Ihre zweite Nachricht: Man kann keinen Spiegel erziehen, man kann ihn nur putzen. Ein dritter Zettel. Sie wurden nicht geboren. Sie spiegelten sich. Zurück im Hotel schlief ich schlecht. Ich träumte von einem Raum ohne Türen. Darin stand ich selbst, doch der andere atmete nicht, blinzelte nicht.

Er kopierte jede meiner Bewegung. Am Ende sprach er: “Nicht mit meiner Stimme, sondern mit der Zwillinge. Wenn du dich zuerst nicht mehr bewegst, nehmen wir den Rest.” Am Morgen erhielt ich einen Anruf von einer unterdrückten Nummer. Die Stimme war metallisch, verzerrt. “Du hast die zehnte Seite gefunden.

Wer spricht?” “Das spielt keine Rolle. Hör zu. Es gibt eine Seite, die nicht in den Heften ist. Sie war nie da. Aber wenn du sie schreibst, kommen sie. Wer? Die anderen du. Dann legte die Stimme auf. Stunden später startete mein Laptop von selbst. Auf dem Desktop erschien ein neuer Ordner. 10. Spiegel.

Darin ein Dokument mit einer einzigen Phrase 216 mal wiederholt. Schreibe die Rückseite. Ich untersuchte den Ursprung der Datei. Kein Netzanschluss, kein externer Zugriff. Laut Protokoll war sie am siebze Oktober 1992 erstellt worden. Das war genau das Jahr, in dem die Ordnerzwillinge offiziell verschwanden.

Ich kehrte zurück dorthin, wo alles begonnen hatte, ins Ordnerhaus in Ebersberg, allein mit eingeschaltetem Recorder. Auf dem Boden fand ich ein neues Heft, ein schwarzes, unversehrt. Es enthielt nur eine Seite mit Bleistift beschriftet. Jetzt musst du schreiben, denn der Spiegel endet nicht dort, wo das Bild beginnt.

In dem Hinterzimmer, wo wir die Metallkiste entdeckt hatten, bemerkte ich eine neue Spur, eine senkrechte Ritze in der Wand, schmal wie Papier. Ich berührte sie. Der Stein warm, pulsierend, wie Haut. Als ich einige Schritte zurückrat, erkannte ich die Form. zwei Figuren, die einander gegenüber standen. Zwischen ihnen die dunkle Ritze, die einen Schatten auf mich warf, obwohl hinter mir keine Lichtquelle war.

Ich wagte, nicht zurückzukehren. Stattdessen saß ich bis zum Morgen vor dem Haus, während die Ritze unbeweglich blieb, selbst als die Sonne aufging. Es war keine Schattenlinie, es war Abwesenheit. Später in meiner Wohnung schlug ich das schwarze Heft erneut auf. Die Seite war nicht mehr leer. Neue Zeilen erschienen in meiner Handschrift, doch ich hatte sie nicht geschrieben. Heute habe ich sie wieder gesehen.

Sie haben mich nicht angeschaut. Sie haben mich erkannt. Ich konsultierte Experten für Papier, Tinte, Graffit. Keiner konnte erklären, wie die Schrift entstanden war. Einer, ein Physiker, fragte mich schließlich: “Sind Sie sicher, daß Sie keinen Zwilling haben?” Ich schwieg. Denn als Kind hatte ich dieselbe Frage gestellt und meine Eltern antworteten nie.

Sie zeigten mir auch nie Fotos meiner Geburt. Ich begann erneut, meine Geburtsurkunde zu prüfen. Auf den ersten Blick war alles korrekt. Datum, Ort, Krankenhaus. Doch als ich sie mit dem staatlichen Register verglich, entdeckte ich eine Anomalie. Die Einträge direkt vor und nach meinem waren identisch, doppelt geführt.

Zwei Geburten mit meinem Nachnamen, am selben Tag, mit demselben Vornamen. Einer archiviert in Bayern, einer in Tirol, beide mit exakt gleichen Fingerabdrücken. Ich fuhr sofort nach Tirol. Das Standesamt war wegen Renovierung geschlossen, doch ein Mitarbeiter ließ mich im Archiv suchen. Minuten lang blätterte er. Dann kehrte er bleich zurück.

“Der Eintrag ist hier”, sagte er, “aber keine Urkunde, nur ein Umschlag. Er übergab ihn mir.” Darin ein Schwarz-weiß Foto. Zwei Babys, identisch im Wickeltuch, Händchenhaltend. Auf der Rückseite stand in roter Schrift: CRS006, vollständiger Spiegel, nicht getrennt. Meine Hände zitterten. Ich rief meine Mutter an und verlangte die Wahrheit. Sie schwieg.

Dann weinte sie nur: “Dein Bruder hat nicht überlebt. Wie hieß er? Wir gaben ihm nie einen Namen. Wo geschah es?” “In Ebersberg.” Ich konnte nicht mehr. In jener Nacht kehrte ich zurück nach Ebersberg, zum alten Ordnerhaus. Ich brachte alle zehn Hefte mit, die roten, blauen und das schwarze. Ich legte sie auf den Boden, so wie das Muster es verlangte. Der Rekorder lief. Ich wartete stille, dann ein Schlag.

Nicht von außen, nicht von den Wänden, von innen. Noch einer. Schritte wie von Kindern. Doch der Raum war leer. Nur zwei Silhouetten erschienen an der Wand. Diesmal bewegten sie sich auf mich zu. Ich trat näher, ohne zurückzuweichen. Die Ritze zwischen ihnen glühte, warm und vibrierend, als hätte sie einen Puls. Ich legte die Hand darauf.

Eine Stimme erklang. Nicht von außen, sondern in meinem Kopf. Jetzt weißt du, wer du bist. Jetzt fehlt nur, dass du zwei wirst. Als ich die Augen öffnete, war die Kammer leer, aber das schwarze Heft lag offen. Eine neue Seite, zwei Unterschriften. Eine war meine, die andere auch. Seit jener Nacht hat sich etwas verändert.

Nicht körperlich, nicht geistig, topologisch. Ich spüre, daß ich nicht mehr nur an einem Punkt in der Zeit existiere. Meine Bewegungen sind nicht nur meine eigenen. Meine Entscheidungen sind Echos, nicht Ursprünge. Und irgendwo auf der anderen Seite schreibt ein anderes Ich dasselbe. Kurz darauf erhielt ich Nachrichten ohne Absender, Zettel in meinem Briefkasten, obwohl ich in keinem Mehrparteienhaus wohnte.

Auf meinem Kühlschrank mit meiner eigenen Handschrift standen Notizen: “Erinnere dich an den Spiegel im Krankenhaus. Schlafe nicht zurelben Zeit. Du bist nicht mehr einzigartig.” Ich fuhr ins Krankenhaus, in dem ich angeblich geboren wurde. Der Neonatalordner war noch da, beschädigt, aber erhalten. Doch es gab einen zweiten Umschlag mit derselben Nummer als inaktiv vermerkt.

darin das gleiche Foto, das ich in Tirol gesehen hatte. Zwei Babys, identisch. Aber diesmal war auf der Brust des zweiten Kindes ein Name notiert. Matthias Ordner. Alles brach in mir zusammen. Ich hatte geglaubt, diese Geschichte handle von ihn, von den unheimlichen Zwillingen. Doch langsam verstand ich, sie waren nie zwei. Sie waren Spiegel.

Und dieser Spiegel brauchte einen Anker nicht an einem Ort, sondern in jemandem. Ich blätterte erneut durch die Hefte, studierte das vollständige Muster. Emilia hatte recht. Es war keine Sprache. Es war ein Bauplan, aber nicht für einen Ort, für einen mentalen Raum. Eine Architektur, die Bewusstsein duplizierte, projizierte, verankerte.

Ich ging in den Raum, wo alles begonnen hatte. Die Ritze in der Wand war nun breiter. Kein Schatten mehr, kein leerer Spalt, ein atmender Korridor. Jeder meiner Schritte halte von dort zurück, identisch. Ich setzte mich auf den Boden, schlug das schwarze Heft auf und begann zu schreiben. Nicht das, was ich dachte, nicht das, was ich sah.

Nur das, was durch mich floss. Die Worte bildeten sich von selbst. Die Symmetrie ist nicht das Ende. Sie ist die Schwelle. Die Kopie ist kein Fehler. Sie ist der Ursprung. Die Frage ist nicht, wer zuerst kam, sondern wie viele noch gespiegelt werden. Auf der letzten Seite stand ein Satz, den ich nicht bewusst schrieb. Ich bin Nummer 10. Es fehlen zwei.

Und als ich das Heft schloß, hörte ich eine Stimme in meinem Inneren, die nicht mir gehörte. Die zwölfte Seite wird bereits geschrieben. Es fehlt nur, dass du sie liest. Ich wußte nicht mehr, ob das Schreiben der letzten Seite die Geschichte beenden oder für immer öffnen würde. Doch es war keine Entscheidung mehr, nur gehorsam gegenüber dem Muster, denn ich verstand, der Wille ist die letzte Illusion.

Also kehrte ich ein letztes Mal zurück nach Ebersberg in das Haus ohne Schatten zur Ritze. Ich brachte das schwarze Heft mit. Darin war keine leere Seite mehr und doch war die Seite 12 noch ungeschrieben. Oder nicht für mich. Ich zündete die Taschenlampe an, ließ das Licht über die Wand gleiten. Da sah ich es. Es waren nicht zwei Figuren, die einander gegenüber standen.

Es war eine einzige, betrachtet von beiden Seiten, als wäre das Haus ein Prisma und jeder Besucher nur eine neue Facette. Ich stieg die Treppe hinauf. Jeder Schritt knarrte. Jeder knarrlaut kam wie ein Echo zurück, nur rückwärts. Im letzten Raum waren alle Wände mit zerbrochenen Spiegeln bedeckt. Doch keiner zeigte mein Gesicht. Alle zeigten dasselbe.

Julian und Matthias Ordner, Rücken an Rücken, etwas in den Händen haltend, lesend. Und da verstand ich, sie warteten nicht darauf, gefunden zu werden. Sie warteten auf jemanden, der sich selbst lesen konnte. Die Seite begann sich von allein zu füllen. Meine Hand zitterte, als wären es meine eigenen Bewegungen, doch die Worte waren fremd. Es gibt kein Ende, wenn du die Augen nicht schließt.

Es gibt keine Rückkehr, wenn du nicht weißt, welches du draußen blieb. Die Symmetrie ist bereits aktiviert. Du hast ihr Gestalt gegeben. Du wirst gelesen. Du wirst gespiegelt. Das Haus begann zu summen. Ein tiefer Ton, identisch mit dem von Kassette 17. Die Frequenz 217,8 Hz, dieselbe wie die Gammawelle des Gehirns.

Meine Gedanken rissen auseinander, wie wenn zwei Versionen meiner selbst gleichzeitig sprachen. Ich konnte nicht mehr unterscheiden, welche Stimme die ursprüngliche war. Dann schloss ich die Ritze nicht nach innen, nach außen. Die Wand pulsierte, versiegelte sich. Auf dem Boden blieb nur das schwarze Heft offen auf der letzten Seite. Die Schrift war rot, keine kindliche Klaue mehr.

Es war meine Handschrift. Darin stand: “Danke, dass du unsere Geschichte erzählt hast. Jetzt erzähle sie noch einmal mit deiner Stimme von innen. Diese Geschichte wird nicht gespeichert, sie wird nicht gedruckt, sie wird nicht geteilt. Sie wiederholt sich nur in einem anderen Dorf, in einem anderen Spiegel, in einem anderen Erzähler, vielleicht jetzt in dir.

Denn wenn du das liest, gehörst du bereits zum Spiegel. M.

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