Eher so, als würde einer den anderen wiederholen oder schlimmer, als wüßte einer schon, was der andere gleich sagen wird. Meinhart wollte nichts weiter erzählen. Zum Abschied warnte er mich: “Suchen Sie sie nicht. Warum?” “Weil Sie niemand je gefunden hat. Weder Polizei, noch Ärzte, noch Nachbarn.” Eines Nachts waren sie einfach verschwunden. Ebersberg, Bayern. Jahr 1992.
Damals hatte das Dorf kaum mehr als 10 000 Einwohner. Ein ländlicher Ort, still, ohne schwere Verbrechen, wo jeder jeden kannte und nichts unbemerkt blieb. Alles sprach sich spätestens im Laden oder auf dem Dorfplatz herum. Die Straßen waren aus losem Kopfstein, die Luft trocken und die Kirche im Zentrum schlug die Stunden mit einer rostigen Uhr, die längst keine genaue Zeit mehr anzeigte. Es war mühsam, noch Zeugen zu finden, die reden wollten.
Viele waren bereits verstorben, andere weggezogen. Doch manche blieben und saßen immer noch auf denselben Bänken, auf denen sie die Ordnerzwillinge zum ersten Mal gesehen hatten. Frau Trude, die damals den Kindergarten Hank Lucia leitete, empfing mich in ihrem kleinen Haus, einem niedrigen Bau mit Blechdach. Ihre Augen füllten sich mit Tränen, als ich die Namen nannte.
Matthias und Julian. Ja, ich erinnere mich. Sie sprachen nicht, sie spielten nicht, sie weinten, nicht einmal an ihrem ersten Tag. Sie setzten sich einfach in die Ecke und blieben dort, bis wir ihnen sagten, dass sie gehen könnten. Hatten Sie Freunde? Fragte ich. Nein. Die anderen Kinder hielten Abstand.
Es war etwas an ihnen, eine merkwürdige Energie. nicht böse, aber leer. Ich zeigte ihr ein altes Foto, dass ich im Pfahrchiv gefunden hatte, eine Gruppenaufnahme von 1991. Man erkennt die beiden Brüder in der unteren rechten Ecke. Identisch. Gleiche Frisur, gleiche Kleidung, gleiche Haltung, gleiche Mine. Doch Frau Trude bemerkte noch etwas anderes.
“Sehen Sie dort”, sagte sie und zeigte auf einen Jungen in der oberen Reihe, dessen Gesicht verschwommen war. Nicht durch Abnutzung des Fotos, sondern so, als hätte er im Moment der Aufnahme den Kopf bewegt. Seine Augen blickten direkt in die Kamera. Dieser Junge, erzählte sie, hieß Ismael. Er verschwand ein Jahr später, kurz nachdem die Ordner in die Grundschule wechselten. Nie fand man eine Spur.
Die Polizei legte den Fall als Ausreißer Adakter. Später sprach ich mit Herrn Z, einem alten Elektriker, der damals die Sicherungen im Kindergarten reparierte. “Ich rede ungern darüber”, sagte er, “aber ja, da war etwas. Ich erinnere mich an einen Stromausfall in einem Klassenzimmer. Ich überprüfte die Sicherungskästen.
Alle Sicherungen waren durchgebrannt, bis auf eine, die des Raumes der Zwillinge. “Kommt das vor?”, fragte ich. “Nein, das ist unmöglich. Wenn die Leitung durchknallt, geht alles.” Aber hier war es, als hätte jemand den Stromkreis isoliert, als wollte etwas nicht, dass der Ablauf in diesem Raum unterbrochen wird. Und was geschah in diesem Raum? Sepündete sich eine Zigarette an, dann noch eine.
Es dauerte, bis er sprach. Einmal hörte ich zufällig durchs Fenster. Es war Pausenzeit. Alle Kinder waren draußen. Nur die beiden saßen sich gegenüber und flüsterten Worte. Wie ein Gebet. Welche Worte? Kein Deutsch, keine Sprache, die ich kannte.
Doch als die Erzieherin zurückkam, saßen sie stumm da, genau wie zuvor, ohne sich auch nur einen Zentimeter bewegt zu haben. Ich besuchte auch die ehemalige Schulleiterin der Grundschule, inzwischen alt und im Rollstuhl. Anfangs erinnerte sie sich nicht an die Namen, bis ich ihr eine Kopie der Einschreibung zeigte. Ah, die identischen, sagte sie. So nannten wir sie unter Lehrern. Wir konnten sie nie auseinanderhalten. Es machte keinen Unterschied.
Selbst wenn einer krank war, verhielt sich der andere genau gleich. “Gab es Vorfälle?”, fragte ich, nicht Vorfälle, aber seltsame Dinge. Einmal mussten die Kinder ihre Traumhäuser zeichnen, alle malten Dächer, Bäume, Familie, nur sie nicht. Was zeichneten sie? einen Kreis in der Mitte ein Auge, darunter zwei schwarze Figuren. Menschenähnlich, aber ohne Gesicht, ohne Füße, schwebend.