Die Zwillinge von Ebersberg: die Akte, die Deutschland zu löschen versuchte

Doch bei Minute 3 Sekunde 48 senkt sich die Stimme und sagt leiser: “Sie darf nicht erzählen, was sie gesehen hat.” Das war die Nacht, in der Silvia Ordner erstmals eingewiesen wurde. Ich versuchte, den Kinderarzt der Zwillinge zu kontaktieren. Dr. Ludwig Gah, tätig im städtischen Krankenhaus zwischen 1990 und 1995 ohne Erfolg. In seiner früheren Wohnung traf ich nur seinen Bruder.

Ludwig verließ das Land vor über 20 Jahren. Niemand hat mehr von ihm gehört. “Warum ging er?”, fragte ich. Das letzte, was er mir sagte, war: “Ich habe sie gesehen, als ich es nicht sollte. Es waren nicht zwei, nicht einmal einer. Es war der Raum dazwischen. Eine Woche später kehrte ich nach Ebersberg zurück.

Es war gerade dorfffest. Musik erfüllte den Platz, Kinder liefen herum, Fahnen flatterten. Doch in den alten Mauern vibrierte immer noch etwas Unsichtbares. Ich ging zur Grundschule St. Erner, in die Ordnerzwillinge einst gegangen waren. An einer Wand im Klassenzimmer war schwach, unter Schichten von Kreide und Farbe noch eine Zeichnung zu erkennen.

Zwei identische Figuren, Hand in Hand unter einer schwarzen Sonne und auf einer alten Tafel unter abgetragenen Farbschichten war ein Wort eingeritzt: Zwilling. Nur dieses eine und doch beunruhigender als alle Akten. Während ich im Archivraum stöberte, einer feuchten Abstellkammer voller Verfallener Ordner, begegnete ich einem Mann, der den Verlauf meiner Recherche verändern sollte.

Benjamin Ulrich, Grundschullehrer von 1989 bis 1997, heute pensioniert. Er sah mich lange schweigend an. Als ich die Namen nannte, war sein Blick weder fragend noch überrascht, sondern sofort erkennend. Die Ordner”, sagte er leise. “Sie waren nicht wie die anderen. Er nahm mich mit zu seinem Haus, fünf Straßen von der Schule entfernt.

Dort zeigte er mir ein altes Heft in Plastiktüten verpackt, ein rotes, festgebundenes Notizbuch mit handgeschriebenem Etikett. Zweite Klasse, Gruppe B. Ist es ihres?”, fragte ich. Ja, sie gaben es nie offiziell ab. Freitags lag es einfach auf dem Lehrerpult. Ich schlug es auf. Erwartet hätte ich Kinderzeichnung, Schreibübung, Rechenfehler.

Stattdessen sah ich, jede Seite war zweigeteilt durch eine senkrechte Linie. Links chaotische, fast tribal anmutende Zeichen, Spiralen, Dreiecke, ovale Muster, rechts, dieselben Formen, gespiegelt. War das von einem der beiden? Fragte ich. Das ist die Frage. Niemand weiß es. Manchmal lag das rote Heft da, manchmal ein blaues.

Inhaltlich verschieden, aber immer symmetrisch. Ich kontaktierte Emilia Neuber, eine Linguistin und Spezialistin für semiotische Musterforschung. Ich scannte zehn Seiten des Heftes und schickte sie ihr. Zwei Tage später rief sie mich mitten in der Nacht an um 2:14 Uhr. “Das sind keine Kritzeleien”, sagte sie ohne Begrüßung.

Woher wissen Sie das? Weil es strukturierte Wiederholungen gibt, nicht frei, nicht spielerisch. Hier herrscht eine Grammatik, eine Logik, exakte Symmetrien, fast chirurgisch. Welche Logik? Das versuche ich herauszufinden. Aber sehen Sie, sie schickte mir eine Abbildung, ein Vergleich der Zeichen aus dem Heft mit Symbolen aus einem mittelalterlichen Codex aufbewahrt in Regensburg.

Eines der Symbole, eine Figur mit doppelter Achse und drei wellenförmigen Linien erschien in beiden. Das konnten Kinder nicht erfinden. Es sei denn, sie hätten in diesem Alter schon alte Handschriften studiert und deren Strukturen umgedeutet. Also eine Sprache, eine Sprache ohne Klang, eher wie Architektur des Denkens, aber nicht menschlich.

Ich kehrte zurück zum Heft auf Seite 34. fand ich etwas Neues. Keine Symbole, sondern Worte in klarer kindlicher Blockschrift. Wir schauen uns an, damit wir nicht fallen. Und darunter kleiner mit anderer Tinte. Wenn einer schläft, hält der andere die Zeit. Beunruhigend war nicht der Inhalt, sondern die Tatsache, dass beide Sätze in identischer Schrift erschienen, nur mit minimaler Verschiebung, als hätte einer die Schrift des anderen durch das Papier hindurch nachgezeichnet.

Auf einer weiteren Seite war ein Diagramm, zwei Figuren, die sich gegenüber stehen. Dazwischen ein Kreis mit vier Punkten, darunter eine Linie, gezogen mit dem, was sich später als getrocknetes Blut herausstellte. Text Zwischen uns sind die anderen. Ich zeigte Benjamin Ulrich meine Funde. Ja, sie wussten es, sagte er ernst. Sie sagten es ohne Worte. Sie sprachen im Unterricht nie.

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