Der Pfarrer laß einen Psalm und die Frauen aus dem Dorf legten Zweige auf die Erde. Danach stand barmherzige lange schweigend da, bis der Wind ihr den Schleier ins Gesicht bließ. “Jetzt sind wir zwei”, sagte Kara. “Nein”, antwortete Barmherzige. “Wir sind immer drei. Eine in der Luft, eine in der Erde, eine im Licht.
” Im Frühling öffnete die Stube für Atem wieder. Frauen kamen wie zuvor, aber leiser, ehrfürchtiger. Klara stellte eine Schale auf den Tisch. Darin lag ein Stein, in den sie den Namen ihrer Schwester geritzt hatte. Temperenz. Damit sie zuhört, sagte sie. Manchmal, wenn das Licht durch das Fenster fiel, glitt es genau über den Stein, als wolle es ihn lesen.
Barmherzige schrieb in jener Zeit öfter Briefe an niemanden. Sie datierte sie nicht, unterschrieb sie nicht, legte sie in eine Truhe. In einem davon stand: “Vielleicht war Gerechtigkeit nie das Ziel, vielleicht nur, dass jemand endlich hinsieht.” Im Sommer kam ein Besucher, Otto Gerlach, der ehemalige Gendarm.
Sein Haar war weiß, sein Blick müde, doch er hielt sich aufrecht. “Ich wollte sehen, ob Sie noch leben”, sagte er schlicht. Barmherzigen nickte. “Wir leben. Das genügt.” Sie setzten sich auf die Bank vor dem Haus. Gerlach erzählte, dass er bald in den Ruhestand gehe.
Ich habe viele Dinge gesehen”, sagte er, aber keinen Ort, der stiller war als ihrer. Barmherziger antwortete: “Stille ist kein Ort, sie ist was bleibt, wenn alles andere aufhört.” Am Abend, bevor er ging, blieb Gerlach an der Tür stehen. Man hat mich oft gefragt, ob ich bereue, daß wir ihren Vater fanden.
Ich sage dann: “Nein, denn es war nicht das Ende, sondern der Anfang von etwas. das größer ist als recht. Dann nahm er seine Mütze ab und verneigte sich leicht. Im Herbst desselben Jahres, als die Bäume schon rot brannten, schrieb Kara das letzte Wort in ihr Skizzenbuch: “Weiter.” Sie schloss es und legte es zu barmherziges Truhe.
“Falls jemand fragt”, sagte sie, “woch endet, soll er wissen, dass sie es nicht tut.” Barmherzige lächelte. Dann lass sie offen. In jener Nacht fiel der erste Schnee. Kein Wind, kein Laut, nur weißes Schweigen über den Dächern. Das Jahr 1881 begann still. Schnee lag noch auf den Feldern und das Dorf erwachte langsam unter grauem Himmel. Nach Temperenz Tod hatte sich etwas Unausgesprochenes zwischen klare und Barmherzige gelegt. Kein Schmerz.
keine Bitterkeit, eher ein sanftes Wissen, dass jedes Wort zu viel wäre. Sie arbeiteten nebeneinander, gingen gemeinsam in die Kirche und abends saßen sie in der kleinen Stube, in der jetzt eine zweite Lampe brannte. Die Schale mit dem Stein stand in der Mitte des Tisches. Kein Staub legte sich darauf. Klara zeichnete wieder: “Nicht Menschen, sondern Landschaften.
Hügel, Wasser, Licht. Ich will sehen, was bleibt, wenn man niemanden mehr malt”, sagte sie. Ihre Linien waren feiner geworden, fast durchsichtig wie Atem an einem kalten Morgen. Der Pfarrer, der ab und zu vorbeikam, betrachtete sie lange und sagte: “Das sind keine Bilder, das sind Gebete.” Klara antwortete: “Dann ist Gott leise geworden.
” Im Frühling kam eine Einladung aus München. Ein Kreis von Frauen, die über Fürsorge und Bildung sprachen, wollte barmherzige hören, nicht als Zeugin, sondern als Stimme. Der Pfarrer las den Brief vor und Kara sah ihre Schwester an. Wirst du gehen? Barmherzige schüttelte den Kopf. Ich habe genug gesprochen, als niemand zuhörte. Jetzt sollen andere reden.
Ich bleibe hier. Klara nickte. Dann schreibe ihn, dass du ihnen das Schweigen schenkst. Barmherzige tat es. Der Brief war kurz. Ich danke für die Einladung. Mein Wort ruht. Es spricht durch das, was wir nicht sagen. Im Sommer kamen Pilger, die von dem alten Fall gehört hatten.
Manche legten Blumen an Temperentsgrab, andere baten um den Weg zur Stube. Barmherzige öffnete ihn, zeigte ihnen den Raum, sagte aber nur: “Hier atmet man nicht mehr, nicht weniger.” Viele verstanden nicht. Manche weinten, andere verneigten sich. Eines Tages kam eine Mutter mit einem Kind, das nicht sprach.
Das Mädchen sah sich um, berührte den Stein mit Temperen nahm und begann mit dem Finger Kreise auf den Tisch zu malen. Klara sah zu und ihre Augen füllten sich mit Wasser. “Sie erinnert mich an uns”, flüsterte sie. Barmherzige legte die Hand auf ihre Schulter. Dann soll sie gehen dürfen, wohin wir nicht konnten. Die Jahre flossen still dahin. Das Haus blieb warm, die Stube geöffnet.