Manche hielten Rosengrenze, andere Zeitungen. Wieder andere trugen handgemalte Schilder, auf denen stand: “Gerechtigkeit für die Schwestern und Gott ist kein Vorwand.” Drin ordnete der Gerichtsdiener die Beweisstücke.
Die große Familienbibel mit dem ausgehühten Kern, in dem Prudentias Heft gelegen hatte, der eiserne Halsring, die Bolzen, die mit Ruß und Kalk überzogen waren und ein Bündelein, das nach Kellerfeuchte roch. Der Staatsanwalt hob die Bibel hoch. “Dieses Buch war Altar und Versteck zugleich”, sagte er. Auf seinem Deckel lag der Schein von Frömigkeit, in seinem Bauch das Zeugnis der Wahrheit. Er schlug das Register auf und las die Familieneinträge.
Taufen, Trauungen, Beerdigung, alles akribisch vermerkt. Doch zwischen den Segensformeln klaffte ein Loch, sorgfältig ausgeschnittene Seiten, die eine Höhlung bildeten. Hier verbargential das, was niemand hören wollte. Der Richter nickte knapp. und winkte den nächsten Zeugen heran. Konrad Weiler, ein alter Dorfschreiner, der den Halsring tatsächlich geschmiedet hatte, lange bevor Elias ihn Zweck entfremdete. Weiler stand unsicher, die Mütze in den Händen drehend.
“Ich fertigte damals Viegeschirr und Stallketten”, sagte er leise. “Der Ring war für einen Ochsen gedacht. Ein Mann hat ihn nie tragen sollen.” Er blickte zu Elias hinüber, dann zu den Schwestern. Wenn ich geahnt hätte. Die Stimme versagte. Hätten Sie es damals dem Amt gemeldet, wenn Sie Verdacht geschöpft hätten? Fragte Brenner, weil er zögerte. Dann schüttelte er den Kopf.
In den Bergen gilt, man richtet im eigenen Haus. Ich hielt mich daran. Heute weiß ich, dass es ein falsches Gesetz ist. Ein Raunen flog durch den Saal, als hätte jemand einen Riegel gelöst. Es war als spräche endlich einer laut aus, was viele dachten.
Danach trat Magdalena Kraus in den Zeugen stand, eine Bäuerin aus einem Nachbarweiler, die einmal im Jahr Eier, Salz und Lein gegen Honig und Kräuter bei den Rabes getauscht hatte. Sie beschrieb, wie die Mädchen nie allein zum Tausch erschienen, wie Elias neben ihnen stand, wie ein Schatten, schwer und unbeweglich, mit Augen, die jeden Blick abfingen.
“Sie schauten nicht hoch”, sagte Magdalena, als ob der Himmel sie verbrennen würde. Der Verteidiger sprang auf, fragte scharf, ob dies nicht bloße Einbildung sei, ein nachträgliches Deuten. Die Bäuerin hob das Kinn. Ich habe drei Töchter”, sagte sie. “Ich kenne den Unterschied zwischen Scham und Furcht”. Ihre Worte stellten sich hin wie eine Mauer.
Am Nachmittag verlas der Gerichtsschreiber Auszüge aus Dorfprotokollen, Klagen über nächtliches Singen, das aus dem Tal geklungen habe, Gerüchte, die man nicht verfolgte, ein Eintrag des Försters, der einmal Spuren gesehen hatte, die zur Hofstelle führten und als familieninterne Angelegenheit abgeheftet worden waren. Das Papier raschelte und mit jedem Blatt wurde das Schweigen schwerer, dichter, messbarer. Elias saß star, doch sein Fuß zuckte.
Als Brenner ihn damit konfrontierte, dass all diese Spuren nicht Schicksal, sondern Entscheidung gewesen sein, hob der Angeklagte die Stimme: “Menschenfurcht ist Fallstrick. Wer Gott gehorcht, fürchtet kein weltliches Gericht. Wer Gott gehorcht, entgegnete Brenner, kennt Barmherzigkeit. Sie kannten nur Besitz. Der Richter ließ die Schwester nochmals eintreten.
Diesmal nicht als Zeuginn, sondern als stille Gegenwart. Sie setzten sich dicht aneinander wie drei Steine in einem Bachbett vom Wasser geschliffen, aber unzerstört. Da bat der Pfarrer Linde, der am Vortag gesprochen hatte, um eine kurze Stellungnahme. Er erhielt sie, trat vor und statt einer Predigt erzählte er von Weihnachtssitten in den Bergen, vom Räuchern mit Kräutern, vom Glauben, das Rauch das Böse vertreibe.
Wir haben geräuchert, gebetet, gesungen, sagte er, aber wir haben auch weggesehen. Wir hielten den Rauch für ausreichend, während im Nachbaral die Flammen schon loderten. Seine Worte waren schlicht, doch sie gruben sich ein. In der Pause, als die Menschen auf dem Platz Brota aßen und dünnen Kaffee tranken, zogen Fahenträger der katholischen Bruderschaft und Männer der evangelischen Gemeinde aneinander vorbei, nickten sich stumm zu.