Mit 79 bricht Anni-Frid Lyngstad ihr Schweigen: Liebe, Verrat und das Erbe von ABBA

Sie war mehr als die warme Mezzostimme von ABBA. Anni-Frid „Frida“ Lyngstad war Bennys Partnerin – privat und künstlerisch. Gemeinsam mit Benny Andersson, Björn Ulvaeus und Agnetha Fältskog schrieb sie Lieder, die Generationen prägten. Doch hinter „Dancing Queen“ und „The Winner Takes It All“ lag eine Trennung, über die Frida Jahrzehnte schwieg – bis jetzt.
Wie alles begann: Zwei Überlebenskünstler finden sich
Frida, 1945 im Schatten des Kriegs geboren, wuchs nach dem frühen Tod der Mutter bei der Großmutter in Schweden auf. Früh erwachsen, früh auf der Bühne, heiratete sie mit 17 den Musiker Ragnar Fredriksson, wurde Mutter – und stand bald allein da. 1969 traf sie Benny Andersson, Popstar der Hep Stars: ehrgeizig, rastlos, mit zwei Kindern aus einer früheren Beziehung. Backstage sprang der Funke über – privat wie musikalisch.
Ab 1971 lebten sie zusammen. Es war kein Märchen, sondern Arbeit: Proben bis nachts, Arrangements am Küchentisch, Kompromisse zwischen zwei starken Temperamenten. In dieser Reibung entstand ein Klang, der später die Welt umarmen sollte.
Raketenstart: Waterloo – und der Preis des Höhenflugs
Mit „Waterloo“ gewann das Quartett 1974 den ESC, danach folgten Welterfolge: „Mamma Mia“, „Take a Chance on Me“, „Dancing Queen“. Das Leben wurde zu einem Karussell aus Studios, Flügen, Hotelzimmern. 1978 heirateten Frida und Benny – ein stiller Schritt, der den Sturm bannen sollte. Doch unter dem Konfetti zeigten sich erste Risse. Frida sagte später: „Es war die schönste Illusion meines Lebens.“ Liebe und Musik trugen viel – aber nicht alles.
Schweigen statt Skandal: Als die Nähe verschwand
Zwischen 1979 und 1981 veränderte sich der Ton. Heimkehr wurde seltener, Gespräche kürzer. „Er hörte auf nach Hause zu kommen – und ich hörte auf zu fragen“, erinnert sich Frida. Es gab keinen öffentlichen Eklat, keine bösen Interviews. Stattdessen Schweigen – und Lieder, die dunkler wurden. „The Visitors“ (1981) klang wie ein musikalischer Abschiedsbrief.
Mona Nörklit: Die Wahrheit, die Frida spürte, bevor sie sie hörte
Später bestätigte Frida, was sie früh ahnte: Benny verliebte sich in Mona Nörklit, eine TV-Produzentin – noch bevor die Ehe offiziell endete. Sie erfuhr es nicht aus Schlagzeilen, sondern aus Blicken, Pausen, Abwesenheiten. „Ich wusste von Mona, bevor die Papiere unterschrieben waren. Ich schwieg – das war meine Entscheidung. Aber Schweigen ist nicht Zustimmung.“
1981 kam die Scheidung, kurz darauf Bennys Hochzeit mit Mona und die Geburt von Sohn Ludwig. Für Frida fühlte es sich an, als werde nicht nur eine Ehe, sondern auch ihre Spur in seiner Geschichte überschrieben.
„Geh du zuerst“ – und warum sie blieb
Fridas vielleicht überraschendstes Geständnis: Benny bat sie, ABBA zuerst zu verlassen, um Abstand zu gewinnen. Frida sagte nein. „Ich hatte meinen Mann schon verloren. Ich wollte nicht auch noch die Musik verlieren.“ Sie blieb – für die Bühne, die Fans und den letzten Faden, der sie mit dem gemeinsamen Leben verband.
Eigenes Kapitel: Die Solostimme hinter dem Herzschmerz
1982 erschien Fridas Soloalbum „Something’s Going On“ (produziert von Phil Collins). Die Single „I Know There’s Something Going On“ wurde zum globalen Hit – ein gedämpfter Schrei, in Toms und Refrains gegossen. Das Nachfolgealbum „Shine“ war introvertierter, blieb aber im Schatten. Danach zog sich Frida zunehmend zurück.
Dann trafen sie Schläge, die jedes Comeback relativieren: 1998 starb ihre Tochter Ann Lise-Lotte bei einem Autounfall, 1999 ihr Ehemann Prinz Ruzzo Reuss an Krebs. „Es gab Jahre, in denen ich keine Musik hören konnte.“
Ein leises Leben – und ein Faden, der bleibt
Frida lebt seit Jahren zurückgezogen in der Schweiz, engagiert sich für Umwelt- und Sozialprojekte, singt nur noch privat oder für Charity. Seit 2008 ist sie mit Henry Smith, 5th Viscount Hambleden, liiert – ein ruhiges Leben zwischen Bergen, Büchern und Garten.
Benny blieb der Musik treu: Musicals wie „Chess“, das Phänomen „Mamma Mia!“, sein Orchester, das digitale ABBA-Erbe. Er und Mona gelten als Konstante; Sohn Ludwig arbeitet als Produzent und war am „ABBA Voyage“-Projekt beteiligt.

Wiedersehen ohne Rückspulen
Bei Jubiläen und Premieren von „ABBA Voyage“ standen Frida und Benny zuletzt wieder nebeneinander. Die Fotos zeigen Lächeln – und, für Eingeweihte, ein letztes Schweigen. „Wir sprechen nicht oft“, sagt Frida, „aber wenn, dann ist es, als wäre keine Zeit vergangen.“ Vielleicht ist das die Logik der Musik: Sie lässt einen Faden, selbst wenn das Gewebe reißt.
Was bleibt, wenn der Applaus verhallt
Frida und Benny hatten keine gemeinsamen Kinder. Familien blieben getrennt, Feiertage parallel, keine verschmolzene Gegenwart. „Wir wurden nie eine Familie – nicht wirklich“, sagt Frida heute nüchtern. Und dennoch: Es gibt ein Band, das niemand auftrennt – die Lieder.
Mit 79 blickt Frida ohne Bitterkeit zurück. Sie benennt Verrat, Trauer, Liebe, die nicht ganz riss. Und sie schenkt uns damit die reifste Lesart von ABBA: Hinter dem Glanz lebten vier Menschen, die das Unvereinbare versuchten – lieben, arbeiten, überleben – im grellsten Licht der Popkultur.