Schiffe? Wiederholte Mertens. Wohin? Nach Danzig, nach Riger, manchmal nach Stin. Ich weiß nicht, was auf der anderen Seite geschah. Der Vogt lehnte sich zurück. Das Bild wurde dunkler, größer, grenzenloser. Und Hadenberg? Fragte er schließlich. Der Stallknecht zuckte zusammen, als hätte der Name selbst Gewicht.
Er kam zweimal im Jahr, immer mit dem silbernen Stock. Als er das letzte Mal hier war, sagte er, sagte er, dass das Projekt beschleunigt werden müsse. Welches Projekt? Falk schüttelte heftig den Kopf. Das weiß ich nicht. Aber er sprach von neuen Studienrahmen, von Notwendigkeit, von Verantwortung der Oberschicht für wissenschaftlichen Fortschritt. Mertens starrte ihn schweigend an. Ein brennendes Unbehagen wuchs in ihm.
Der Mann log nicht. Er wußte wirklich nicht mehr, doch seine Worte reichten. Der Vogt stand abrupt auf, griff nach seinem Mantel und befahl zwei Wachen, sich bereit zu halten. “Wohin gehen Sie?”, fragte Dr. Schubert besorgt. Mertens antwortete ohne anzuhalten. Zum Gut Reichenbach. Wenn es weitere Bücher gibt, müssen wir sie heute finden, bevor jemand anders es tut.
Die Nacht war kalt, der Wind scharf, doch er spürte weder das eine noch das andere. Alles, was er fühlte, war die Nähe einer Wahrheit, die so gefährlich war, dass schon ihr Schatten tödlich sein konnte. Und irgendwo in dieser Wahrheit bewegte sich ein Mann mit einem silbernen Stock. Die Nacht verschluckte die Straßen zwischen Lübeck und dem gut Reichenbach.
Der Wind riss an Bäumen, deren Äste wie dünne Finger über den Himmel kratzten, während der Karren des Stadtvogts über den holbrigen Weg rollte. Zwei Wachen begleiteten ihn schweigend, entschlossen. Niemand wollte laut aussprechen, dass die Zeit gegen sie arbeitete. Zu viele wussten nun von den Funden. Und jeder Hinweis darauf, dass weitere Bücher existierten, bedeutete Gefahr.
Nicht nur für die Wahrheit, sondern für jeden, der sie suchte. Als sie das Gut erreichten, waren die Fackeln der Nachtwachen fast erloschen. Das große Herrenhaus lag dunkel da, wie ein lebloser Körper, dessen Adern vor wenigen Stunden noch pulsiert hatten. Mertens gab sofort Anweisungen. Alle Räume durchsuchen. Es darf kein Winkel unberührt bleiben.
Sucht nach versteckten Fächern, Doppelwänden, Schreibtischen, Truhen und achtet auf Stellen, an denen die Dielen uneben sind. Die Männer nickten. Sie wussten inzwischen, daß es hier keine gewöhnlichen Geheimnisse gab. Fast zwei Stunden gingen sie systematisch durch das Haus. Im Arbeitszimmer, zwischen schweren dunklen Möbeln und staubigen Regalen, fanden sie schließlich, was sie suchten.
Einer der Wachen hockte vor einer Kommode, deren Beine kunstvoll geschnitzt waren. Herr Furgt, rief er, sehen Sie das? Eine der Schubladen war ungewöhnlich kurz. Hinter ihrer Rückwand ertastete man einen schmalen Hohlraum. Mertens zog mit einem Messer die hölzerne Leiste heraus. Dahinter lag ein Bündel aus Leder, sorgfältig verschnürt.
Er hielt den Atem an. Als er das Bündel öffnete, sah er zwei weitere Bücher. Blau mit goldenen Ecken, identisch mit dem ersten. Doch eines von ihnen war noch bedeutender. Es trug kein Wappen der Universität Königsberg, sondern ein anderes. Ein Wappen, das jedem preußischen Beamten vertraut war. Der preußische Adler. Das war mehr als ein Hinweis. Es war ein politischer Sprengsatz.
In diesem Moment hörten sie im Hof Schritte. schnelle, hastige eine Wache stürmte herein. Her fogt unter den Stallungen, wir haben etwas gefunden. Sie liefen in die Kälte hinaus. Hinter dem Pferdestall gab es eine kleine unauffällige Hütte. Niemand hatte ihr bisher Bedeutung beigemessen. Doch nun stand die Tür offen und ein fauliger Geruch wehte ihnen entgegen.
Innen war es dunkel, bis auf eine Öllampe, die an einem Haken baumelte. Die Männer starrten auf den Boden. Ein frischer Erdhügel, daneben eine Schaufel. Mertens sank auf die Knie, fuhr mit der Hand über die feuchte Erde. “Graben”, sagte er tonlos. Die Wachen begann. Wenige Minuten später stießen sie auf Holz. Eine Kiste.
Klein, viel zu klein. Als sie den Deckel öffneten, legte sich eine tiefe Stille über den Raum. Darin lag ein Körper. Ein Junge, vielleicht sech Jahre alt, die Haut blass, der Körper sorgfältig gewaschen, fast vorbereitet, als sollte er jemandem präsentiert werden. Kein Blut, keine Gewalt der letzten Stunde, aber ein sauberer Einschnitt am Bauch.