Shames stand im Schatten und rieb nervös die Fingerknöchel, während Deckeln auf dem Boden saß und mit Kohle Linien auf ein Holzbrett zeichnete, die eher wie Runen als wie Bilder aussahen. Brenner prüfte Puls und Atmung der jungen Frau, hörte das herabgedämpfte Pochen eines kleinen Herzens und spürte zugleich den Knoten aus Angst in seinem eigenen Magen.
“Ruhe”, sagte er leise, “mehr zu sich als zu den anderen. Wir machen es diesmal anders. Kein heimliches Urteil, kein Flüstern über Reinheit. Ich bin der Arzt und ich entscheide über die Maßnahmen.” Patrick hob den Kopf. Unsere Väter, ihre Väter sind tot, unterbrach Brenner schärfer, als er wollte. Und mit ihnen ihre Irrtümer. Heute entscheidet nicht ein Gespenst von früher, sondern die Vernunft.
Für einen Augenblick zuckte etwas wie trotz über Patrick Gesicht, doch es erloschnell. Bridget, bleich und flackernd, trat aus der Dunkelheit. In der Hand hielt sie eine kleine abgegriffene Gebetsschnur. Herr Doktor, sagte sie, wenn Gott ein Zeichen gibt, darf man es nicht missachten. Es gibt ein anderes Zeichen erwiderte Brenner ruhig und deutete auf Meires Stirn, auf den Schweiß, auf die flache Atmung.
Das ist das Zeichen des Lebens und dafür brauchen wir Ordnung, sauberes Wasser, Geduld, keine alten Sprüche. Die Wehen kamen nun regelmäßiger. Brenner wusch sich die Hände in heißem Wasser, ließ Colin einen weiteren Kessel aufsetzen und schickte Shames hinaus, um frische Laken zu holen, die in einer Truhe aufbewahrt wurden. Deckeln blickte auf, sein Gesicht halb im Schatten und flüsterte. Wenn das Kind schwach ist, wird Vater sagen.
Er brach ab, als Patrick Blick ihn traf. Vater wird sagen, dass diesmal der Arzt entscheidet, schnitt Brenner das drohende Schweigen. Und der Arzt sagt: “Kein Urteil vor der Geburt.” Die Stunden dehnten sich. Draußen schlug der Wind gegen die Bohlen und irgendwo im Wald rief ein Waldkauz. Drin lag die Luft schwer und warm, durchzogen von dem bitteren Geruch der Kräutersude.
Brenner dachte an die Feste, die man in diesen Gegenden kannte, an aller Heiligen und aller Seelen, an Kerzen auf den Gräbern, an die leise Hoffnung, dass die Toten den Lebenden gnädig sind. Er dachte an die Reihe kleiner Kreuze hinter der Hütte und daran, wie wenig gnädig die Toten hier gewesen waren oder viel mehr die Lebenden, die sie zu Toten gemacht hatten.
Als die Mitternachtsstunde herankroch, hob Meer den Kopf, stöhnte und mit einem langen klagenden Laut kam das Kind zur Welt. Brenner fing es auf, säuberte Mund und Nase, hob es an den Fußgelenken leicht an, bis ein dünnes, aber deutliches Schreien den Raum füllte. Ein Mädchen, klein, zart, aber vollständig. Keine sichtbar gekrümmte Wirbelsäule, kein missgeformter Schädel, keine verkümmerten Finger, nur eine leichte Blaufärbung der Lippen, die mit warmer Decke und ruhigem Atem bald wich.
Brenner lächelte, eine Regung, die ihm in dieser Hütte fremd geworden war. “Sie her, Mer,” sagte er, “deine Tochter, sie lebt.” In diesem Moment, als hätte jemand eine unsichtbare Seite zerschnitten, brach in Bridget ein stummer Schluchzer auf. Colin prste die Hand an den Mund.
Selbst Patrick trat einen Schritt zurück, als habe ihn das Geräusch des Neugeborenen an eine Wahrheit erinnert, die er lange verdrängt hatte. Sie ist klein”, sagte er schließlich tonlos. “Klein bedeutet bei uns, bei euch bedeutete es bisher das falsche”, antwortete Brenner. Bei uns, bei Menschen, bedeutet es, sie bekommt Milch, Wärme, Ruhe und sie bekommt einen Namen, der nicht in Holz geschnitten endet.
Es war ein riskanter Satz, doch statt Wut sah Brenner etwas anderes in Patriks Gesicht. Erschöpfung. Ein Mann, der eine Last getragen hatte, die ihn zermalen hatte und der sich nicht traute, sie fallen zu lassen. Brenner wickelte das Kind ein, prüfte noch einmal die Atmung, legte es dann an Mees Brust. Der erste saugende Reflex kam zögerlich, dann fester. Es war als ob ein unscheinbares, aber unbestechliches Gesetz verkündete. Hier ist Leben und es hat Vorrang.
Er wandte sich an Patrick. Ich brauche Licht und ich brauche Zugang zu den anderen Räumen. Wozu? Weil ich weiß, was hinter euren Türen liegt. Bücher, Zeichnungen, vielleicht mehr. Ich werde sie sehen. Und wenn ich feststelle, dass ihr weiter tut, was ihr getan habt, dann schreibe ich nicht nur an Beamte, dann hole ich die Gendarmerie aus Loor und den Pfarrer aus dem nächsten Dorf und am Morgen steht halb Unter Franken vor eurer Tür.